Sofortmaßnahmen Havel hier: Röhrichtschutz in Berlin

„Der Antrag der Fraktion der AL über Sofortmaßnahmen zum Naturschutz in Berlin 3" ­ Sofortmaßnahmen Havel ­ Drs 10/72 ­ wird in folgender Fassung angenommen:

Der Senat wird aufgefordert

- dem Abgeordnetenhaus regelmäßig über die Umsetzung der im Röhrichtschutzprogramm dargestellten Maßnahmen eines Pflege- und Entwicklungskonzeptes zu berichten; hierbei ist insbesondere darzulegen, welche Fortschritte zu verzeichnen sind, um den Rückgang des Röhrichts aufzuhalten und eine Erweiterung des Bestandes durch Neuanpflanzungen und andere Uferschutz- und Renaturierungsvorhaben erreichen zu können;

- nach der Erarbeitung eines Maßnahmeprogrammes für die Unterhavel nunmehr umgehend ein landschaftspflegerisches Rahmenkonzept für die Gewässerbereiche Oberhavel/Tegeler See zu entwickeln;

- den Gesamtröhrichtbestand als geschützten Landschaftsbestandteil nach § 22 Naturschutzgesetz auszuweisen;

- die Ausweisung der im Landschaftsprogramm vorgeschlagenen Uferbereiche der Havel als Natur- oder Landschaftsschutzgebiet voranzutreiben und darüber hinaus in diesem Zusammenhang die Laichschonzeit zu erweitern;

- die bereits beschlossene Geschwindigkeitsreduzierung für die Schifffahrt baldmöglichst wirksam umzusetzen und zu kontrollieren;

- besonders empfindliche und wertvolle Wasserflächen für jeglichen Bootsverkehr zu sperren, um dadurch „stille Zonen" für Naturschutz und „stille Erholung" zu erhalten.

Hierzu wird berichtet:

Die Berliner Röhrichtbestände hatten in den vergangenen Jahrzehnten durch unterschiedliche Ursachen einen Rückgang bis zu 70 %. Dieses war Anlass dafür, dass das Abgeordnetenhaus 1986

Sofortmaßnahmen zum Schutz und Erhalt der Röhrichte im Rahmen des vom Senat entwickelten Röhrichtschutzprogrammes beschloss (Drs Nr. 10/72 und 10/548). Ziel des Röhrichtschutzprogrammes, das von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Umweltschutz und Technologie (Abteilungen Boden- und Gewässerschutz und Oberste Naturschutzbehörde) sowie dem Fischereiamt durchgeführt wird, ist die Untersuchung der Ursachen des Röhrichtrückganges, die Sicherung und die Wiederansiedlung von Röhricht. Durch diese gemeinsamen Bemühungen ist es gelungen, dem Rückgang der Röhrichtbestände in den Berliner Gewässern Einhalt zu gebieten und in bestimmten Bereichen (z. B. Unterhavel oder Müggelsee) durch Schutzmaßnahmen und Neuanpflanzungen wieder einen Zuwachs zu erreichen.

Hierzu ist letztmalig dem Abgeordnetenhaus in 1993 berichtet worden.

Die nachstehenden Ausführungen beziehen sich auf den Berichtszeitraum bis Ende 1998.

II. In den Jahren seit 1993 sind überwiegend Röhrichtschutzmaßnahmen an den Spree-Dahme Gewässern umgesetzt worden, da in diesem Bereich der Rückgang in den untersuchten Gebieten bis zum teilweisen Totalverlust fortgeschritten war.

Während erste Maßnahmen an den Havelgewässern bereits vor 20 Jahren ergriffen wurden, sind entsprechende Röhrichtschutzmaßnahmen im Ostteil der Stadt erst 1992 am Großen Müggelsee begonnen worden. Zunächst mussten Bestandsaufnahmen an den Spree- und Dahmegewässern abgeschlossen werden. Bis 1989 war der Rückgang im Ostteil Berlins nicht so dramatisch wie an der Havel. Seit 1990 ist jedoch an vielen Gewässerabschnitten ein drastischer Rückgang zu beobachten. Der Große Müggelsee hat in Berlin die noch vitalsten Röhrichtbestände, obwohl auch hier ein Rückgang von über 50 % in den letzten 25 Jahren zu verzeichnen ist. Für den Röhrichtrückgang sind mehrere Ursachen verantwortlich. Eine Ursache liegt in der erheblichen Nutzung der Gewässer durch Schifffahrt, Uferverbau, Bootsstege und Badebetrieb. Durch die zahlreichen Schiffe kommt es zu erheblichem Wellenschlag und Erosion der Sandufer. Die durch Röhricht besiedelbaren Flachufer sind weitestgehend verschwunden.

Eine weitere bedeutende Schadensursache ist die Eutrophierung der Gewässer und in deren Folge die Ausbildung von Grünalgenwatten, die das Röhricht durch ihre mechanische Last und die giftigen Abbauprodukte beeinträchtigen. Auch die Veränderung der hydrologischen Verhältnisse durch die Stauhaltung der Spree und Havel, sowie die Trinkwassergewinnung aus Uferfiltrat wirkt negativ auf die Röhrichtbestände. Dem Verbiss durch die „Konsumenten" Bisam und Bläßralle können die bereits beeinträchtigten Röhrichte häufig nicht mehr ausreichend standhalten und werden zusätzlich weiter geschwächt. Um den erheblichen Rückgang der Röhrichtbestände zu mindern und die letzten intakten Röhrichte zu sichern, wurden umfangreiche Maßnahmen eingeleitet. Schwerpunkt ist der mechanische Schutz der Ufer. Vor Röhrichtbeständen wurden Lahnungen und Palisaden errichtet. Der Bau von Reisiglahnungen führte zwar zu guten Ergebnissen im Wellenschutz, doch entstanden durch die häufige Reparaturnotwendigkeit erhebliche Unterhaltungskosten.

Es werden daher seit 1995 hauptsächlich Palisaden errichtet, welche langfristig kostengünstiger sind. Der Bau dieser Wellenschutzanlagen hat sich bewährt. Erfolge im Schutz der Röhrichte vor mechanischen Stressoren stellen sich jedoch erst nach einigen Jahren ein.

Neben dem Schutz vorhandener Röhrichtbestände wird an ausgewählten Uferabschnitten Röhricht neu angesiedelt. Eine selbstständige Ansiedlung von Röhricht ist unter den an den Berliner Gewässern herrschenden Bedingungen nicht mehr möglich, weil die Ufer erodiert sind und durch die Stauhaltung keine trockenfallenden Sandbänke für eine Besiedlung entstehen können. Als vorteilhaft für eine erfolgreiche Wiederansiedlung von Röhricht hat sich in den letzten Jahren die Schaffung von Flachwasserbereichen herausgestellt. Hierfür wird eine Sandbank vor erodierte Uferbereiche geschüttet, die mit Röhricht bepflanzt und durch eine Palisade vor Wellenschlag und Erosion geschützt wird.

Dem Röhricht wird hierdurch Gelegenheit gegeben sich an Land

­ wo Stressfaktoren fehlen ­ auszubreiten, um dann aus dem Bestand heraus in das Wasser vordringen zu können. Auch hinter bereits bestehenden Wellenschutzbauten werden nachträglich Sandaufspülungen bzw. -schüttungen in Schneisen vorgenommen, bevor eine Initialpflanzung erfolgt. Zur Verbesserung der Standortbedingungen und Reduzierung der wachstumsmindernden Beschattung sind zudem Gehölzauslichtungen notwendig. Die Anpflanzungen werden durch Maßnahmen der Landschaftspflege in der Anwuchsphase gefördert.

Schwerpunkte der Röhrichtschutzmaßnahmen im Zeitraum 1993 bis 1998:

- Am Seddinsee und Langen See wurden bisher ca. 1 300 m Ufer durch umfangreiche Maßnahmen renaturiert. An diesen Seen sind ehemals großflächige Röhrichtbestände u. a. durch intensive Erholungs- und Zeltplatznutzung und durch illegale Bootsliegeplätze zerstört worden. Insgesamt wurden Neupflanzungen auf einer Fläche von ca. 4 000 m vorgenommen und durch Palisaden geschützt.

- An der als Geschützten Landschaftsbestandteil (GLB) ausgewiesenen Insel „Zeuthener Wall" im Zeuthener See wurden die in den letzten Jahrzehnten zerstörten Flachwasserbereiche und Röhrichtgürtel 1998 wiederhergestellt.

- Das NSG „Insel Imchen" bei Kladow hatte bis in die 1960er Jahre breite Röhrichtgürtel, in denen unter anderem die vom Aussterben bedrohte Große Rohrdommel brütete. In Folge der starken Erosion waren diese vollkommen verschwunden und somit der Schutzzweck des Naturschutzgebietes erheblich beeinträchtigt. Zurzeit wird eine Palisade von ca. 350 m Länge gebaut und eine Sandschüttung durchgeführt. Im August 1999 soll eine Fläche von ca. 900 m mit Röhricht bepflanzt werden.

- An der Spandauer Unterhavel wurde ausgehend von einem kleinen Altschilfbestand ein ca. 350 m langer Uferabschnitt durch Palisaden geschützt und ein 1 000 m großer Röhrichtbestand wieder angepflanzt. Es ist geplant, die Renaturierungsarbeiten im nächsten Jahr hier fortzusetzen.

- Am Tegeler See wurden in enger Zusammenarbeit mit der Interessengemeinschaft für Umweltschutz der Wassersportvereine am Tegeler See erfolgreich vorhandene Bestände gesichert und Neupflanzungen durchgeführt. Durch diese beispielhafte Initiative der ansässigen Wassersport- und Anglervereine erreicht das Röhrichtschutzprogramm des Senats eine hohe Akzeptanz.

- An der Krummen Lanke und am Schlachtensee wurden Röhrichtpflanzungen an insgesamt 420 m Ufer durchgeführt.

- In Alt Stralau und an der Rummelsburger Bucht wurden von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Umweltschutz und Technologie in Zusammenarbeit mit der Entwicklungsträgergesellschaft Röhrichtanpflanzungen an insgesamt

m Ufer durchgeführt. Ausgehend von neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen, die in der Natur Schilfbestände mit unterschiedlichen genetischen Eigenschaften nachgewiesen haben, wurde 1994 ein Projekt zur Eignung ausgewählter Schilfklone als Pflanzmaterial für die Berliner Gewässer begonnen.

Ziel ist es die natürlichen Schilfbestände (Klone) auf ihre Standorteignung zu testen und die widerstandsfähigsten Pflanzen für Wiederanpflanzungen zu verwenden. Von ausgewählten Berliner und Brandenburger Standorten wurden Mutterpflanzen entnommen und durch In-vitro-Kultur vermehrt. Die In-vitroVermehrung ist ein modernes Anzuchtverfahren, welches in kürzester Zeit zu großen Mengen einheitlicher Jungpflanzen führt.

Am Langen See, Seddinsee und an der Unterhavel wurden geeignete Uferabschnitte mit einer Sandschüttung vorbereitet, durch eine Palisade geschützt und mit Schilfklonen bepflanzt.

Die Pflanzungen werden durch eine mehrjährige wissenschaftliche Untersuchung begleitet. Die ersten Ergebnisse zeigen, dass sich die Schilfklone trotz vergleichbarer Standortbedingungen unterschiedlich entwickeln und spezifische Eigenschaften aufweisen, die sich mit dem Einfluss von verschiedenen Umweltfaktoren nicht mehr erklären lassen. Sie weisen z. B. unterschiedliche Wachstums- und Besiedlungsstrategien auf, d. h. es gibt Klone, die schneller ins Wasser wachsen, andere breiten sich besser an Land aus.

Diese Eigenschaften sollen bei Pflanzungen gezielt eingesetzt werden. Durch die Auswahl geeigneter Pflanzen, d. h. durch die Kombination bestimmter Eigenschaften ist eine schnellstmögliche Besiedelung der Fläche, eine höhere Widerstandskraft gegen Stressfaktoren und die frühzeitige Eindämmung der Erosion möglich.

Weitere maßnahmevorbereitende Untersuchungen und Erfolgskontrollen waren:

- Abschluss der mehrjährigen Untersuchung zur Erfassung und Begutachtung der großen Spree- und Dahmegewässer

- Untersuchung und Bewertung unterschiedlicher Wellenschutzbauten im Hinblick auf die Lebensraumqualität mit dem Ergebnis, dass Lahnungen und Palisaden keine Gefahr für die litoralen Lebensgemeinschaften darstellen. Als effektivste Variante wurden die Einfach- und Doppelpalisaden beurteilt, weil: sie die Röhrichte und Ufer vor mechanischen Einflüssen schützen, sie in genügendem Maße den Wasseraustausch zwischen Flachwasserzone und Freiwasser gewährleisten, die Sauerstoff- und Redoxverhältnisse am Gewässergrund nur unwesentlich verändern, wodurch eine Beeinträchtigung der Fischbrut ausgeschlossen werden kann, die Akkumulationszonen geschützt bzw. neu geschaffen werden, welche natürlicherweise durch Ablagerung an den das Ufer schützenden Röhrichtbeständen entstehen würden, die Vermutung, dass Lahnungen und Palisaden zu Algenmassenentwicklungen führen, nicht bestätigt werden konnte.

IV. Wurde bislang die Bestandssituation des Röhrichts überwiegend durch terrestrische Kontrollen überprüft, um Prioritäten für Schutzmaßnahmen festzulegen und Maßnahmen auf ihren Erfolg zu kontrollieren, musste durch die Ausweitung des Röhrichtschutzprogrammes auf den Ostteil der Stadt und die sparsame Mittelverwendung ein effektiveres Verfahren zur Überwachung der Röhrichtsituation gefunden werden. Die Senatsverwaltung für Bauen, Wohnen und Verkehr lässt im Turnus von 5 Jahren flächendeckend Infrarotluftbilder herstellen. Derartige Color-Infrarotluftbilder werden bereits für die Waldschadens- und Straßenbaumbewertung genutzt. Es bot sich daher an, dieses Verfahren auch für die Kartierung des Röhrichtbestandes zu nutzen. Es wurden von den Luftbild-Jahrgängen 1953, 1990 und 1995 von allen relevanten Spree-, Dahme- und Havelgewässern die Röhricht- und Schwimmblattgesellschaften erfasst. Die Daten stehen als geographisches Informationssystem (GIS) und als Datenbank zur Verfügung. Gegenwärtig findet die fachliche Auswertung und Analyse der Rückgangsursachen statt.

Zum jetzigen Zeitpunkt lassen sich bereits folgende Ergebnisse und Tendenzen erkennen:

Die gesamten Ursachen, die im stark genutzten Siedlungsraum Berlin zum Röhrichtrückgang führen, bestehen weiter fort.

Auf Grund der umfangreichen Schutz-, Anpflanzungs- und Pflegemaßnahmen im Rahmen des Röhrichtschutzprogrammes haben sich jedoch an den Havelgewässern und am Tegeler See die Bestände stabilisiert.

Die Bestände am Zeuthener See und Müggelsee haben sich ebenfalls stabilisiert. Am Müggelsee ist ein deutlicher Zuwachs hinter Wellenschutzbauten erkennbar.

Am Langen See und Seddinsee ist ein starker Rückgang infolge des zunehmenden Bootsverkehrs mit Schneisenbildung festzustellen.

Die Bestandsstabilisierung an der Havel und am Müggelsee belegt, dass die Maßnahmen einen positiven Einfluss auf die Entwicklung der Röhrichtbestände haben. Ohne diese Schutzmaßnahmen wäre der Erhalt der Röhrichtbestände unter den gegenwärtigen Bedingungen an den Berliner Gewässern nicht möglich.