Jugendhilfe und Verwaltungsreform

Ich frage den Senat:

1. Welche gesetzlichen Vorgaben aus dem Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG) und dem Gesetz zur Ausführung des Kinder und Jugendhilfegesetzes (AG KJHG) gibt es im Hinblick auf die zukünftigen Strukturen der Jugendämter im Zusammenhang mit der Verwaltungsreform?

2. Welche Stellung nehmen die Jugendämter (Verwaltung und Jugendhilfeausschüsse) in den derzeitigen Überlegungen im Zusammenhang mit der Verwaltungsreform ein?

3. Wie werden die Jugendämter (Verwaltung und Jugendhilfeausschüsse) an den strukturellen Überlegungen im Zusammenhang mit der Verwaltungsreform beteiligt?

Im Namen des Senats von Berlin beantworten wir Ihre Kleine Anfrage wie folgt:

Zu 1.: Folgende organisationsrechtliche Vorgaben nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG / SGB VIII) und dem Gesetz zur Ausführung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (AG KJHG) sind im Zusammenhang mit der Verwaltungsreform zu berücksichtigen:

a) Nach § 69 Abs. 3 SGB VIII ist für die Wahrnehmung der Aufgaben des örtlichen Jugendhilfeträgers nach dem SGB VIII ein Jugendamt zu errichten. Damit wird klargestellt, dass mit der Einrichtung des Jugendamts untrennbar die Pflicht verbunden ist, sämtliche Aufgaben, die der Zuständigkeit des örtlichen Jugendhilfeträgers unterliegen, dieser Organisationseinheit zuzuweisen. Die sogenannte Stadtstaatenklausel nach Artikel 22 KJHG lässt zu, dass in Berlin nicht lediglich ein Jugendamt, sondern in allen Bezirken jeweils ein Jugendamt gebildet wird. Erlaubt ist also die organisatorische Dezentralisierung, nicht aber eine Dekonzentrierung in der Weise, dass Aufgaben der Jugendhilfe außerhalb des Jugendamts anderen Organisationseinheiten innerhalb des Bezirksamts zugewiesen werden. Das in § 69 Abs. 3 SGB VIII formulierte Prinzip der Einheit der Jugendhilfe ist bundesrechtlich eine Vorgabe, die auch in den Stadtstaaten die Organisationshoheit einschränkt.

b) Nach § 70 Abs. 1 SGB VIII und § 34 Abs. 1 Satz 1 AG KJHG setzt sich das Jugendamt aus dem Jugendhilfeausschuß und der Verwaltung des Jugendamts zusammen. Das Strukturprinzip der Zweigliedrigkeit ist bundesrechtlich zwingend vorgegeben und kann nicht im Wege der Stadtstaatenklausel aufgehoben werden. Das Jugendamt ist einerseits Kollegialorgan, andererseits monokratische Verwaltung. Insoweit hat es einen Sonderstatus, dem in der Verwaltungsreform Rechnung zu tragen ist.

c) Nach § 70 Abs. 2 SGB VIII sind die laufenden Geschäfte der Verwaltung des Jugendamts zugeordnet. Die Führung der laufenden Geschäfte ist aber nur im Rahmen der Beschlüsse der Vertretungskörperschaft (in Berlin: Bezirksverordnetenversammlung) und des Jugendhilfeausschusses möglich. Der Jugendhilfeausschuß darf in der Regel nicht die Geschäfte der laufenden Verwaltung an sich ziehen. Er kann aber in allen Angelegenheiten der Jugendhilfe, die in die Kompetenz des Jugendamts fallen, grundsätzlich Vorgaben für Einzelentscheidungen der Verwaltung machen. Der Jugendhilfeausschuß hat damit zwar nicht eine „Vorgesetztenrolle", wohl aber eine vorrangige Funktion insoweit, als er die Verwaltung durch seine Beschlüsse binden kann. Dabei ist er allerdings auch selbst in gewissem Umfang an die Beschlüsse der Vertretungskörperschaft (BVV) gebunden. Nach § 35 Abs. 1 AG KJHG ist der Jugendhilfeausschuß in seiner Aufgabenwahrnehmung einerseits ein Ausschuß der BVV für den Geschäftsbereich Jugend des Bezirksamts mit entsprechenden Kontrollrechten (vgl. § 17 Abs. 2 Bezirksverwaltungsgesetz) und andererseits als Kollegialorgan Teil des Jugendamts.

d) Nach § 72 Abs. 2 SGB VIII sollen leitende Funktionen des Jugendamts in der Regel nur Fachkräften übertragen werden. Hierunter sind solche Personen zu verstehen, die sich für die Leitungsaufgabe nach ihrer Persönlichkeit eignen und eine dieser Aufgabe entsprechende Ausbildung erhalten haben (§ 72 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII). Das AG KJHG ergänzt in § 43 Abs. 3 diese Regelung und erhöht ihren Verbindlichkeitsgrad durch die Formulierung einer Muß-Vorschrift.

Zu 2.: Nach derzeitigen Überlegungen im Zusammenhang mit der Verwaltungsreform sollen die Aufgaben der Verwaltung des Jugendamts in vier Leistungs- und Verantwortungszentren (LuV) wahrgenommen werden. Auf Grund der unter 1. erläuterten bundesrechtlichen Vorgabe soll die erforderliche Verklammerung zu einer Organisationseinheit „Jugendamt" durch die Einsetzung einer LuV-übergreifenden Leitungsperson im Sinne des § 70 Abs. 2 SGB VIII in Verbindung mit § 34 Abs. 3 AG KJHG bewirkt werden. Aus der oben unter 1. dargestellten Zweigliedrigkeit des Jugendamts folgt, dass bei der Bildung der LuV die Sonderstellung des Jugendhilfeausschusses zu berücksichtigen ist. Dieser kann nicht Bestandteil der LuV in dem Sinne sein, dass er Adressat von Zielvereinbarungen des Bezirksstadtrats ist. Die Zielvereinbarungen müssen vielmehr die Befugnis des Jugendhilfeausschusses berücksichtigen, das LuV in seiner Aufgabenwahrnehmung durch Beschlüsse zu binden, die allgemeine Vorgaben für die Führung der laufenden Geschäfte enthalten. Zielvereinbarungen müssen sich dementsprechend an die Beschlußlage des Jugendhilfeausschusses halten, d. h. sie müssen gegebenenfalls unter dem Vorbehalt abweichender Beschlüsse des Jugendhilfeausschusses formuliert bzw. dem Jugendhilfeausschuß zur Zustimmung vorgelegt werden. Es empfiehlt sich daher, dem Jugendhilfeausschuß bei der Entwicklung und Aushandlung von Zielvereinbarungen die Gelegenheit zur Teilnahme oder zur regelmäßigen Information anzubieten.

Zu 3.: Die für Jugend und Familie zuständige Senatsverwaltung erarbeitet zur Zeit gemäß § 34 Abs. 2 Satz 2 AG KJHG Organisationsrichtlinien in enger Abstimmung mit den Berliner Jugendämtern.