Polizeipraktiken am Kinderstrich

Ich frage den Senat:

1. Wieviel Minderjährige sind 1995 in Berlin im Zusammenhang mit Straßenprostitution erfaßt worden?

a) Wieviel waren davon Jungen?

b) Wieviel waren davon Mädchen?

c) Wieviel der Jungen und Mädchen waren nicht polizeilich in Berlin gemeldet?

2. Welche Hilfe wurde den Jugendlichen angeboten?

3. Wieviel der Jugendlichen waren obdachlos?

4. Ist dem Senat bekannt, dass Jugendliche, die am Bahnhof Zoo und Umgebung anschaffen, bei einigen Polizeikontrollen in den Wald gefahren wurden und dort ausgesetzt wurden?

5. Warum wurde den Jugendlichen die Angabe der Dienstnummern der Polizisten verweigert?

6. Wer veranlaßt solche Fahrten?

7. Werden solche schikanierenden Praktiken auch weiterhin geduldet?

Berlin, den 4. März 1996

Eingegangen am 9. April 1996

Antwort auf die Kleine Anfrage Nr. 441

Im Namen des Senats von Berlin beantworten wir Ihre Kleine Anfrage wie folgt:

Eine genaue Beantwortung der Fragen 1 a bis c anhand der Polizeilichen Kriminalstatistik Berlin ist nicht möglich, da auswertbare Statistikdaten der Polizei nur dann vorliegen, wenn ein Ermittlungsvorgang durch die Polizei eröffnet oder bearbeitet wird. Prostitution an sich ist kein Straftatbestand des Strafgesetzbuches (StGB), daher kommen im Zusammenhang mit der Straßenprostitution in der Regel nur Maßnahmen des Gefahrenabwehrrechts in Form des Platzverweises nach § 29 des Allgemeinen Gesetzes zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Berlin (ASOG Bln) sowie dessen Durchsetzung mittels Verbringung des Betroffenen an einen anderen Ort (sogenannte Verbringungsgewahrsam) nach § 30 ASOG als Sonderfall in Betracht.

Diese Fälle werden jedoch nicht recherchierfähig gesondert erfaßt.

Weiterhin weisen wir darauf hin, dass der hier in Frage stehende Bereich Bahnhof Zoo originär im Zuständigkeitsbereich des Bundesgrenzschutzes als Bahnpolizei liegt und unsere Stellungnahme hingegen nur auf den Zuständigkeitsbereich der Berliner Polizei bezogen ist.

Unter Berücksichtigung dieser Vorbemerkung beantworten wir die Einzelfragen wie folgt:

Zu 1.: Nach Unterlagen des zuständigen Kommissariats für Menschenhandel und Zuhälterei im Zusammenhang mit Prostitution wurden im Jahre 1995 insgesamt acht Personen unter 18 Jahren auf den Berliner Straßenstrichbereichen erfaßt. Drei Personen wurden im Zusammenhang mit Menschenhandel als Geschädigte erfaßt und fünf im Zusammenhang mit einem Verstoß gegen das Ausländerrecht (unerlaubte Erwerbstätigkeit).

Zu 1. a): Keine männlichen Personen.

Zu 1. b): Acht weibliche Personen.

Zu 1. c): Fünf Personen hatten keinen festen Wohnsitz im Geltungsbereich der Strafprozeßordnung.

Zu 2.: Gemäß einem internen Rundschreiben des Landesschutzpolizeiamtes über die Inanspruchnahme der Kinder- und Jugenddienste ist bei Minderjährigen, deren Erziehungsberechtigte nicht erreichbar sind, die „aufgreifende Dienststelle" angehalten, mit dem Kindernotdienst, Jugendnotdienst oder der Senatsverwaltung für Schule, Jugend und Sport unmittelbar Rücksprache zu führen, ob eine Betreuung seitens des Notdienstes erfolgversprechend erscheint.

Weitere Hilfestellung wird durch den jeweiligen Notdienst im Einzelfall geprüft.

Zu 3.: Hierzu sind keine Angaben möglich.

Zu 4.: Seit dem 1. Januar 1995 wurden durch die im Umfeld des Bahnhof Zoo tätige Operative Gruppe City/West (OGC/W) und unterstellte Kräfte insgesamt 13 Minderjährige ­ alle männlich ­ mit Polizeikraftfahrzeugen (teilweise mehrfach) weggefahren. Davon führten sieben Fahrten zu einem Kinder- bzw. Jugendnotdienst, neun Fahrten dienten der Durchsetzung eines Platzverweises nach dem ASOG. Kein Jugendlicher wurde „im Wald ausgesetzt".

Alle betroffenen Jugendlichen sind polizeibekannt. Die Maßnahmen wurden stets vorher angedroht.

Zu 5.: Bislang wurde kein Fall bekannt, bei dem diesen Jugendlichen die Angabe der Dienstnummer verweigert wurde. Die Beamten der OGC/W sind allen betroffenen Jugendlichen in diesem Bereich namentlich bekannt, nicht zuletzt durch die Aushändigung von Visitenkarten.

Zu 6.: Die Polizei kann eine Person zur Durchsetzung eines Platzverweises nach § 29 ASOG in Gewahrsam nehmen (§ 30 [1] Nr. 2). Liegen die Voraussetzungen für die Ingewahrsamnahme vor, kann es im Einzelfall gerechtfertigt sein, den Betroffenen an einen Ort zu verbringen und dort zu entlassen, wenn damit die Dauer des Festhaltens abgekürzt wird. Veranlassender ist der Jugendliche selbst, da er der Aufforderung des Platzverweises nicht nachkommt.

Die Anordnung erfolgt durch den verantwortlichen Einsatzleiter.

Zu 7.: Die Polizei ist bei jeder Eingriffshandlung an die formelle und materielle Rechtmäßigkeit derselben gebunden. Jeder Beamte, der gegen diese Grundsätze verstößt, kann disziplinarrechtlich und strafrechtlich zur Rechenschaft gezogen werden.