„Sonderuntersuchung Kinder-VU 1995"

Ich frage den Senat:

1. Wer hat die „Sonderuntersuchung Kinder-VU 1995" des Landespolizeiverwaltungsamtes II C 24 Ref. Unfallauswertung veranlaßt?

2. Wie lauteten die Fragestellungen dieser Untersuchung, die als „Übersicht der Verkehrsunfälle mit verunglückten Kindern" bezeichnet und im Begleitschreiben als „hauptsächlich für die Öffentlichkeitsarbeit erstellt" breit gestreut wurde?

3. Wer gab den Auftrag, die Datenerhebung so zu gestalten, daß beim flüchtigen Betrachter der Eindruck entsteht, bei den 1 776 im Jahre 1995 registrierten Unfällen hätten die Kinder in 1 304 Fällen (73 %) den Unfall verursacht?

4. Wie bewertet der Senat das Ergebnis der Untersuchung, nach der zu 73 % die Kinder als Verursacher von Verkehrsunfällen ausgemacht werden, obwohl der § 3 der Straßenverkehrsordnung (StVO) nach wie vor gültig ist?

5. Wie heißt der § 3 der StVO, und wie bewertet der Senat die Vorschrift dieses Paragraphen, insbesondere bei Unfällen mit Kindern?

6. Wenn von den Kindern der Altersgruppe 0 bis 13 Jahre immerhin 783 als Fußgänger verunglücken und 42 % davon „an einem Sichthindernis den Fahrzeugverkehr mißachten", also angefahren werden, weil der Kfz-Führer sie nicht rechtzeitig sieht, müßte dann nicht die neue Form der „passivischen Verursachung" eingeführt werden? Welche präventionsrelevanten Situationen sind hier gemeint?

7. Sind Sonderstudien geplant, die auch das große Potential der Autofahrer als Verursacher aufführen und hier Präventionsstrategien entwickeln? Wenn nein, warum nicht? Sie basiert auf der engen Zusammenarbeit mit den mit der Verkehrssicherheitsarbeit in Berlin betrauten Senats- und Bezirksdienststellen und deren Wunsch, über die amtlichen Veröffentlichungen des Statistischen Landesamtes hinaus möglichst frühzeitig und den praktischen Erfordernissen entsprechend über die Verkehrsunfallentwicklung informiert zu werden.

Zu 2.: Die Verkehrssicherheitsarbeit zugunsten der am Straßenverkehr teilnehmenden Kinder genießt hohe Priorität. Ziel der Untersuchung war es, objektive Daten aufzuliefern; auf eine besondere Fragestellung wurde deshalb bewußt verzichtet.

Zwischen den mit der Verkehrssicherheitsarbeit betrauten Stellen und dem Landespolizeiverwaltungsamt besteht Einigkeit darüber, dass eine effektive Verkehrssicherheitsarbeit durch eine fundierte Öffentlichkeitsarbeit begleitet werden muß. Die in der Anfrage als „breite Streuung" bezeichnete Verteilung bezieht neben den 23 Bezirksämtern lediglich 12 weitere, mit der Verkehrssicherheitsarbeit befaßte Dienststellen der Polizeibehörde und des Senats ein. Die Sonderuntersuchung wird auch anderen fachlich interessierten Institutionen auf Nachfrage zugänglich gemacht.

Zu 3.: Der Eindruck, dass 73 % der 1995 polizeiliche registrierten Verkehrsunfälle mit Kindern von diesen verursacht wurden, entspricht dem zugrunde liegenden Datenmaterial. Ein besonderer Auftrag zur entsprechenden Gestaltung der Untersuchung lag nicht vor. Untersucht wurden die von den aufnehmenden Polizeibeamten am Ort festgestellten Unfallursachen entsprechend dem vom Statistischen Bundesamt bundeseinheitlich vorgegebenen Ursachenverzeichnis [Merkblatt zur Ausfüllung der Meldung zum Verkehrsunfall, Übertretungsanzeige zum Verkehrsunfall und Verkehrsunfallanzeige für die Straßenverkehrsunfallstatistik gemäß StVUnfG (BGBl. 1961 I S. 606)]. Im übrigen stellt das Landespolizeiverwaltungsamt das vorhandene Datenmaterial lediglich entsprechend den Nachfragen zur Verfügung. Eine Wertung von ­ auch erkennbaren ­ Zusammenhängen wird regelmäßig nicht vorgenommen, sondern stets der nachfragenden Stelle überlassen.

Zu 4. und 5.: Das Ergebnis der Untersuchung steht weder im Widerspruch zu § 3 Abs. 2 a StVO („Die Fahrzeugführer müssen sich gegenüber Kindern, Hilfsbedürftigen und älteren Menschen, insbesondere durch Verminderung der Fahrgeschwindigkeit und durch Bremsbereitschaft, so verhalten, dass eine Gefährdung dieser Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist") noch zu § 2 Abs. 1 StVZO („Wer sich infolge körperlicher oder geistiger Mängel nicht sicher im Verkehr bewegen kann, darf am Verkehr nur teilnehmen, wenn in geeigneter Weise ­... ­ Vorsorge getroffen ist, dass er andere nicht gefährdet. Die Pflicht zur Vorsorge obliegt dem Verkehrsteilnehmer selbst oder einem für ihn Verantwortlichen, z. B. einem Erziehungsberechtigen"). Die Mängel können auch durch das Lebensalter bedingt sein, und zwar durch die mangelnde Entwicklung in der Kindheit wie durch das Nachlassen der Kräfte im Alter.

Die Kenntnis der § 3 StVO und § 2 StVZO ist bei allen mit der Verkehrssicherheit befaßten Stellen Allgemeingut und bedarf daher in Zusammenhang mit den Unfallursachen für Experten bei der Interpretation der Sonderuntersuchung keiner besonderen Verdeutlichung.

Jeder Fahrzeugführer kann entsprechend § 3 StVO nur handeln, wenn er die Gelegenheit hat, sich auf eine kritische Situation einzustellen. Daher werden z. B. in Situationen, in denen Kinder von links nach rechts über die Straße laufen, regelmäßig die Fahrzeugführer als Verursacher festgestellt.

Zu 6.: Eine neue Form der „passivischen Verursachung" ist dem Senat nicht bekannt. In der Sonderuntersuchung sind keine Hinweise auf präventionsrelevante Situationen vorhanden.

Zu 7.: Sonderstudien über das große Potential der Autofahrer als Verursacher sind nach Auskunft der Polizeibehörde vom Landespolizeiverwaltungsamt nicht geplant, da sich Verkehrssicherheitsarbeit nicht an der absoluten Anzahl einzelner Verkehrsteilnehmergruppen, sondern vor allem an deren Gefährdung und Verletzbarkeit orientiert, wie z. B. bei Kindern, Fußgängern und Radfahrern.

Unter anderem sollen auch durch diese Sonderuntersuchung die mit der Verkehrssicherheitsarbeit befaßten Stellen angeregt werden, Präventionsstrategien zu entwickeln und zu planen.