Situation ausländischer Gefangener in Berliner Justizvollzugsanstalten

Ich frage den Senat:

1. Wie viele ausländische Gefangene befinden sich zur Zeit in Berliner Justizvollzugsanstalten, und wie viele von diesen Gefangenen müssen nach Verbüßung der Haft mit Abschiebung rechnen (bitte auflisten nach Vollzugsanstalten)?

2. Wie ist die derzeitige Praxis im Berliner Strafvollzug bei der Gewährung von Vollzugslockerungen für ausländische Gefangene?

Welche Einfluß hat die mögliche Abschiebung auf die Gewährung von Vollzugslockerungen?

3. Haben ausländische Gefangene die gleichen Chancen auf vorzeitige Entlassung nach § 57 StGB wie ihre deutschen Mitgefangenen?

Wenn nein, warum nicht?

Wie oft wurde im Jahre 1995 bei ausländischen Gefangenen in Berlin von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht?

4. Wie bewertet der Senat die Möglichkeit des § 46 a StPO, von der Vollstreckung von Freiheitsstrafen bei Landesverweisung abzusehen?

In welcher Weise und in welchem Umfang wird in Berlin von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht?

Ist dem Senat bekannt, dass selbst Gefangenen, die nach Verbüßung von 2/3 der Freiheitsstrafe eine vorzeitige Entlassung und anschließende Abschiebung wünschen, diese Möglichkeit nicht eingeräumt wird?

5. Besteht die Möglichkeit, dass ausländische Gefangene auf eigenen Wunsch ihre Freiheitsstrafe oder Reste derselben in ihrem Heimatland verbüßen?

Zu 2.: Ebenso wie bei den deutschen Strafgefangenen setzt die Gewährung von Vollzugslockerungen für ausländische Gefangene voraus, dass keine Flucht- oder Mißbrauchsgefahr gemäß § 11 Abs. 2 StVollzG vorliegt.

Darüber hinaus richtet sich die Praxis nach Nr. 7 der AV zu § 11 StVollzG: Danach ist vor der Zulassung im geschlossenen Vollzug untergebrachter ausländischer Gefangener zu Außenbeschäftigung, Ausgang oder Freigang durch Anfrage bei der Ausländerbehörde festzustellen, ob ein Ausweisungsverfahren anhängig ist.

Dieses steht der vorgesehenen Vollzugslockerung jedoch nur dann entgegen, wenn die in diesem Zusammenhang gewonnenen Erkenntnisse auf Mißbrauchs- oder Fluchtgefahr hindeuten.

Äußert sich die Ausländerbehörde trotz Hinweises auf die im Vollzug zu treffende Entscheidung nicht innerhalb von zwei Monaten, in besonders bezeichneten Eilfällen innerhalb eines Monats, wird ohne ihre Mitteilung entschieden.

Zu 3.: Ja.

Wegen fehlender statistischer Erhebungen kann die Zahl der Fälle, in denen ausländische Gefangene gemäß § 57 StGB vorzeitig entlassen wurden, für das Jahr 1995 nicht beziffert werden.

Zu 4.: Der Senat bewertet die durch § 456 a StPO gewährten Möglichkeiten, von der Vollstreckung von Freiheitsstrafen bei Auslieferung oder Ausweisung abzusehen, positiv, weil dadurch der deutsche Strafvollzug entlastet werden kann und Haftkosten vermieden werden können.

Die Strafvollstreckungsbehörde sieht von der weiteren Vollstreckung gemäß § 456 a StPO im Einzelfall nach ihrem Ermessen ab. Ob die Vollstreckungsbehörde von § 456 a StPO Gebrauch macht, hängt von der Abwägung vielfältiger Gründe ab. In diesem Zusammenhang hat sie die Allgemeine Verfügung über die Anwendung des § 456 a StPO vom 1. Juli 1994 (ABl. Nr. 35/ 22. Juli 1994) und die in der Verfügung festgelegten Prüfzeitpunkte zu beachten. In der Regel soll bei Auslieferung oder Ausweisung zum Zeitpunkt der Verbüßung der Hälfte einer zeitigen Freiheitsstrafe von der weiteren Vollstreckung abgesehen werden. Über den Halbstrafenzeitpunkt hinaus soll nur dann vollstreckt werden, wenn aus besonderen, in der Tat oder in der Person des Verurteilten liegenden Gründen oder zur Verteidigung der Rechtsordnung eine nachhaltige Vollstreckung geboten ist.

Bei Jugendlichen und Heranwachsenden, die ausgeliefert oder ausgewiesen werden sollen und eine Jugendstrafe verbüßen, soll in der Regel zum Zeitpunkt der Verbüßung eines Drittels der Jugendstrafe von der weiteren Vollstreckung abgesehen werden.

Über den 1/3-Zeitpunkt soll nur dann vollstreckt werden, wenn wegen der schädlichen Neigungen des Verurteilten und im Hinblick auf dessen Entwicklung eine nachhaltige Vollstreckung geboten ist.

Bei lebenslanger Freiheitsstrafe kommt ein Absehen von der weiteren Vollstreckung in der Regel nicht vor Verbüßung von mindestens 15 Jahren in Betracht. Kann jedoch mit einer Entlassung nach Verbüßung von 15 Jahren gerechnet werden (§ 57 a StGB), ist das Absehen von der Vollstreckung nach § 456 a StPO bereits ab 10 Jahren zulässig.

Die Frage, in welchem Umfang in Berlin von der Möglichkeit des § 456 a StPO Gebrauch gemacht wird, kann wegen fehlender statistischer Erhebungen nicht beantwortet werden. Die Ermittlung von aussagekräftigen Zahlen bedeutete einen nicht zu vertretenden Verwaltungsaufwand.

Dem Senat ist bekannt, dass die Strafvollstreckungsbehörde nicht bei allen ausländischen Verurteilten, deren Ausweisung verfügt worden ist und die bereits 2/3 der Freiheitsstrafe verbüßt haben, von der Möglichkeit des § 456 a StPO Gebrauch macht.

Dies kann darin begründet sein, dass nur eine befristete Ausweisung vorliegt oder dass bei unbefristeter Ausweisung konkrete Umstände gegeben sind, die die Annahme rechtfertigen, dass sich der Verurteilte nicht an die Ausweisung halten wird. Wenn mit der Wiedereinreise des Verurteilten zu rechnen ist, ist ein Absehen von der weiteren Strafvollstreckung untunlich. Darüber hinaus können aber auch im Einzelfall die Umstände der Tat(en), die Schwere der Schuld und das öffentliche Interesse an nachhaltiger Strafvollstreckung die Vollverbüßung rechtfertigen.

Zu 5.: Ausländische Gefangene können nach dem Übereinkommen vom 21. März 1983 (BGBl. 1991 II, S. 1007) über die Überstellung verurteilter Personen den Wunsch äußern, zur weiteren Verbüßung ihrer durch ein deutsches Gericht rechtskräftig verhängten Freiheitsstrafe in ihren Heimatstaat überstellt zu werden. Auf die Überstellung besteht kein Rechtsanspruch. Auch muss der Heimatstaat Mitgliedsstaat des vorbezeichneten Übereinkommens sein. Bislang haben folgende Länder das obengenannte Übereinkommen ratifiziert (Stand: 1. Januar 1996): Österreich, Belgien, Bulgarien, Zypern, Tschechische Republik, Dänemark, Finnland, Frankreich, Griechenland, Ungarn, Island, Irland, Italien, Luxemburg, Malta, Niederlande, Norwegen, Polen, Portugal, Slowakei, Slowenien, Spanien, Schweden, Schweiz, Türkei, Vereinigtes Königreich, Bahamas, Kanada, Kroatien, Trinidad und Tobago, Ukraine, USA und Bundesrepublik Deutschland.

Der Verurteilte wird durch ein Merkblatt über die Möglichkeit der Überstellung in seinen Heimatstaat unterrichtet. Er kann seinen Wunsch auf Überstellung an die Justizvollzugsanstalt oder an die zuständige Strafvollstreckungsbehörde richten.

Eine Überstellung kann nur stattfinden, wenn sowohl die zuständigen deutschen Behörden als auch der Heimatstaat der Überstellung zustimmen, noch mindestens sechs Monate einer Freiheitsstrafe ab Eingang des Ersuchens um Überstellung zu vollstrecken sind und der Verurteilte der Überstellung zustimmt.

Die genannten Erfordernisse machen deutlich, dass das Anliegen des Verurteilten auf mehreren Ebenen zu prüfen ist. Zunächst entscheidet die zuständige Staatsanwaltschaft darüber, ob auf Wunsch des Betroffenen und in seinem Interesse bei der innerstaatlich zuständigen Bewilligungsbehörde (Bundesregierung) ein Vollstreckungshilfeersuchen angeregt werden soll. Bei positiver Entscheidung der Vollstreckungsbehörde prüft die Bewilligungsbehörde die Bewilligung der Überstellung und nimmt gegebenenfalls das Überstellungsersuchen vor. Hierbei handelt es sich um außenpolitische Entscheidungen im Rahmen der Pflege der Beziehungen zu einem anderen Staat.

Seit Inkrafttreten des Überstellungsübereinkommens (am

1. Februar 1992) haben 35 ausländische Gefangene den Wunsch geäußert, ihre restliche Freiheitsstrafe in ihrem Heimatland verbüßen zu wollen; davon ist ein Gefangener in seinen Heimatstaat überstellt worden.