SGB VIII und die verschiedenen Formen der Hilfe zur Erziehung §§ 27 ff

Die damit entstehenden Probleme haben vielfältige Gründe und liegen meist in zugespitzten Überforderungssituationen, deren Folgen sein können körperliche und psychische Gewaltanwendung, Vernachlässigung, sexuelle Misshandlung und ­ bei den Kindern und Jugendlichen ­ zusätzlich Suizidgefährdung. Den unterschiedlichen Anlässen entsprechend stehen für Krisensituationen Hilfe- und Unterstützungsangebote in Form von ambulanter Beratung bis zu vorläufigen Maßnahmen zum Schutz des Kindes (§§ 42, 43 SGB VIII) zur Verfügung. Darüber hinaus müssen den Eltern und Kindern in unterschiedlichen Lebenslagen und Erziehungssituationen zur Bewältigung ihrer Aufgaben Hilfeleistungen angeboten werden. Hierzu zählen die Hilfen im Kontext der Förderung der Erziehung in der Familie (§§ 16 ff. SGB VIII) und die verschiedenen Formen der Hilfe zur Erziehung (§§ 27 ff. SGB VIII).

Zur Standardentwicklung im Bereich der Hilfen zur Erziehung

Mit dem im Beschluss vom 24. März 1994 geforderten Bericht zum Aufbau eines Kinderschutzsystems in Berlin wurde der Senat aufgefordert, auch über die Einrichtung differenzierter ambulanter und teilstationärer Angebote der familientherapeutischen Beratung und Betreuung zu berichten. Hierzu kann berichtet werden, dass in den letzten Jahren in Berlin auch für den Bereich der ambulanten Hilfen zur Erziehung nach § 27 ff. SGB VIII Leistungsbeschreibungen verbindlich definiert und in die Kostensatzrahmenvereinbarung für den Jugendhilfebereich (KSRV) aufgenommen worden sind. Im Rahmen der Kostensatzkommission hat die Senatsverwaltung gemeinsam mit den Bezirken und den in der Liga der Freien Wohlfahrtspflege zusammengeschlossenen Spitzenverbänden in einem paritätisch organisierten Prozess partnerschaftlichen Aushandelns auf Seiten der öffentlichen und freien Jugendhilfe berlineinheitliche Definitionen und Standards (Leistungsbeschreibungen) erarbeitet und die Systematik der Fachleistungsstunde für ambulante Hilfen zur Erziehung entwickelt und beschlossen. Damit sind die Voraussetzungen geschaffen worden, dass in Berlin die ambulanten Hilfen künftig grundsätzlich durch freie Träger erbracht werden können.

Mit dem Systemwechsel hin zu qualitätssichernden Trägerstrukturen und leistungsgerechten Entgelten soll eine qualitative Verbesserung des Hilfeangebotes und ein bedarfsgerechter Ausbau des ambulanten Hilfespektrums erreicht werden. Auch zu familientherapeutischen Hilfen wurde eine Leistungsbeschreibung und Fachleistungsstunden erarbeitet und verbindlich beschlossen.

Zur Umsetzung des neuen Kindschaftsrechts

Mit dem Kindschaftsrechtsreformgesetz, deren wesentliche Neuregelungen der Kinderschutzbericht von 1998 aufzeigt, traten am 1. Juli 1998 weitreichende Änderungen im Bürgerlichen Gesetzbuch und Kinder- und Jugendhilfegesetz, in der Zivilprozessordnung und im Gesetz über die Angelegenheiten der Freiwilligen Gerichtsbarkeit in Kraft. Die neuen gesetzlichen Regelungen zielen nicht nur auf die Klärung strittiger Einzelfälle, sondern haben insgesamt eine normative Orientierungsfunktion für die Gesellschaft. Mit der Reform des Kindschaftsrechts soll einerseits die Elternautonomie gestärkt und vor unnötigen staatliche Eingriffen geschützt werden. Andererseits sollen die Rechte von Kindern verbessert und das Kindeswohl bestmöglich gefördert werden. Ehelich und nichtehelich geborene Kinder sind rechtlich gleichgestellt. Das neue Kindschaftsrecht geht dabei davon aus, dass Eltern ­ gegebenenfalls mit Unterstützung der Jugendhilfe ­ am besten in der Lage sind, Lösungen und Zukunftsperspektiven zu erarbeiten, die ihrer Lebenssituation und der ihrer Kinder gerecht werden. Dies wird auch daran deutlich, dass Eltern und Kindern Rechtsansprüche auf Beratung eingeräumt worden sind.

Durch die Neuregelungen des Kindschaftsrechts sind die beratenden und vermittelnden Aufgaben der Jugendhilfe verstärkt worden. Die Jugendhilfe ist deutlicher als bisher aufgefordert, bei der Lösung von familiären Konflikten die Interessen des Kindeswohls zu wahren, Eltern und Gerichten die Perspektive des Kindes überzeugend zu vermitteln, betroffenen Kindern zur Seite zu stehen und für ihre angemessene Beteiligung an den Entscheidungsprozessen Sorge zu tragen.

In den Jugendämtern und Beratungsstellen freier Träger sowie auch bei den Familiengerichten hat sich in der Praxis gezeigt, dass mit dem erweiterten Kreis an Umgangsberechtigten und dem Fortbestand der gemeinsamen elterlichen Sorge nach Scheidung als Regelfall der Bedarf an Beratung und Unterstützung (z. B. durch Umgangsbetreuung oder Mediation, die Eltern bei der Ausübung ihres Umgangsrechts oder bei ihrer eigenverantwortlichen und selbständigen Konfliktregelung unterstützt) gewachsen ist. Auch das Familiengericht hat neue Aufgaben erhalten; ihm wird nunmehr ausdrücklich aufgegeben, auf das Einvernehmen der Beteiligten hinzuwirken. So hat das Familiengericht bei seiner Tätigkeit im Zusammenhang mit Umgangsregelungen nach § 52 a Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FGG) in besonderer Weise Vermittlungs- und Schlichtungsaufgaben wahrzunehmen. Hieraus ergeben sich Anforderungen an die Jugendhilfe sowie an die Familiengerichte, Verfahren für ein strukturiertes und am Wohl des Kindes orientiertes Vorgehen und Zusammenwirken zu entwickeln.

Die für Jugend zuständige Senatsverwaltung unterstützt die Bezirke in der erfolgreichen Umsetzung der neuen Aufgaben und ist bei der Sicherung notwendiger qualitativer Standards von Leistungen begleitend tätig. Da Jugendhilfe und Familiengerichte ein gemeinsames Interesse an einer fundierten Umgangsbetreuung bzw. Mediation haben, wurde die Grundlage für eine funktionierende Zusammenarbeit mit der gemeinsamen Erarbeitung von Qualitätsbeschreibungen zu diesen Leistungsbereichen hergestellt.

Kinderschutz und die Auseinandersetzung mit Gewalt gegen Kinder haben mit komplexen Problemen zu tun, die mehr als die Ausbeutung, Vernachlässigung, Misshandlung und den sexuellen Missbrauch von Minderjährigen umfassen. Im Hinblick auf die wesentlichen Problemfelder des gesetzlichen, erzieherischen und strukturellen Kinder- und Jugendschutzes wird auf die Ausführungen im Kinderschutzbericht 1998 verwiesen.

Wirkungsvolle Kinderschutzarbeit richtet sich nicht allein auf die Entwicklung und Bereitstellung angemessener Hilfeangebote.

Sie sieht es als eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe an, für Kinder Lebensbedingungen zu schaffen, die eine positive Entwicklung fördern und Gefährdungen so weit wie möglich reduzieren.

Kinderschutz bedeutet daher auch, einen Prozess der Sensibilisierung in Gang zu setzen für alle Bereiche, in denen Gewalt gegen Kinder in unserer heutigen Gesellschaft vorkommt und die Entwicklungsmöglichkeiten von Kindern einschränkt.

Das vom Deutschen Bundestag am 6. Juli 2000 verabschiedete Gesetz zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung (Drs 14/1247) schreibt ausdrücklich das Recht eines jeden Kindes auf gewaltfreie Erziehung fest. Die Formulierung der „Gewaltfreiheit" setzt ein unmissverständliches Signal gegen die Zulässigkeit körperlicher Züchtigung. Es wird damit klargestellt, dass entwürdigende Erziehungsmaßnahmen nicht gerechtfertigt werden können, auch nicht durch ein elterliches Züchtigungsrecht. Ziel der Gesetzesänderung ist dabei nicht vermehrte Kontrolle und Strafe der Eltern. Das Gesetz soll vielmehr dazu beitragen, eine Bewusstseinsänderung zu erreichen und ein neues Leitbild für die Erziehung und für das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern zu verankern. Auch die Erweiterung durch § 16 Abs. 1 Satz 3 SGB VIII macht deutlich, dass Änderungen in den Haltungen von Eltern nicht in erster Linie durch rechtliche Gebote und Verbote erreicht werden, sondern einen Bewusstseinswandel bei den Erziehenden voraussetzen. Mütter und Väter sollen die erforderliche Hilfe bei dem Ziel einer gewaltfreien Erziehung erhalten, sie sollen in ihrer Erziehungskompetenz gestärkt und dafür sensibilisiert werden, Kindern mit Respekt und Achtung zu begegnen.

Berlin hat daher am 22. September 2000 gemeinsam mit der Bundesregierung die bundesweite Kampagne „Mehr Respekt vor Kindern" eröffnet. Mit Plakaten, Informationen und vielfältigen Aktionen werden Eltern über die Rechte von Kindern auf eine gewaltfreie Erziehung informiert und darauf aufmerksam gemacht, welche Alternativen es zur Gewaltanwendung in der Erziehung gibt.

Der Schutz kindlicher und jugendlicher Zeugen vor potentiellen Belastungssituationen im Strafverfahren ist in der Vergangenheit wiederholt Gegenstand gesetzgeberischer Überlegungen gewesen, die sich vor allem im Opferschutzgesetz von 1987 und im Gesetz zum Schutz von Zeugen bei Vernehmungen im Strafverfahren und zur Verbesserung des Opferschutzes ­ Zeugenschutzgesetz ­ niedergeschlagen haben. Mit dem am 1. Dezember 1998 in Kraft getretenen Zeugenschutzgesetz hat der Gesetzgeber erstmals ausdrücklich die Zulässigkeit des Einsatzes der Videotechnologie bei Vernehmungen, insbesondere bei besonders schutzbedürftigen Zeugen, geregelt und die anschließende Verwertbarkeit der aufgenommenen Zeugenaussage im Strafverfahren festgelegt.

Kinder, die Opfer von Straftaten wurden und im Ermittlungsund Strafverfahren als Zeugen angehört werden, sind in besonderem Maße schutz- und hilfebedürftig. Vernehmungen, Untersuchungen und zum Teil wiederholte Begutachtungen haben für die bereits durch die Straftat schwer geschädigten Kinder weiteren psychischen Druck und erhebliche Angst- und Unsicherheitszustände zur Folge. Der Umgang mit ihnen muss behutsam und kindgerecht gestaltet sein, damit weiterer Schaden vermieden werden kann. Der Jugend- und Rechtsausschuss des Abgeordnetenhauses von Berlin hat sich daher in den vergangenen Jahren eingehend mit der Situation von Kindern als Opfer und Zeugen von Straftaten befasst, die im Deutschen Bundestag verabschiedeten Reformansätze beraten und Maßnahmen für eine sachgerechte Umsetzung in Berlin beschlossen. Zur Verbesserung des Zeugenschutzes sexuell missbrauchter Kinder und Heranwachsender sollen z. B. kindgerechte Räume eingerichtet und eine psychologische Betreuung von Kindern als Zeugen während des Verfahrens sichergestellt werden.

Die Einrichtung adäquater Vernehmungs- und Aufenthaltsräume, die weder für die Öffentlichkeit noch für den Angeklagten zugänglich sind, verbunden mit der notwendigen Betreuung für die Kinder ist ein wesentlicher Bestandteil eines wirkungsvollen Zeugenschutzes. Das Abgeordnetenhaus von Berlin hat daher kürzlich in einer Sitzung des Ausschusses für Jugend, Familie, Schule und Sport eine Anhörung zu den Rechten von Kindern als Opfer und Zeugen im Strafprozess im Zusammenhang mit den hierzu vorliegenden Erfahrungen aus der Praxis der Jugendhilfe und der Polizei durchgeführt. Nach der Anhörung gibt es in Berlin derzeit ein Zeugenbegleitprogramm nicht. Als einen ersten Schritt beabsichtigt die Senatsverwaltung für Justiz, im Kriminalgericht Moabit in Kooperation mit dem Verein Opferhilfe e. V. einen Zeugenschutzbereich einzurichten. Dieses Vorhaben bezieht sich im Wesentlichen auf Erwachsene. Im Kriminalgericht gibt es ein „Kinderzimmer", in dem kindliche Opfer von einer Erzieherin betreut werden, eine kompetente Zeugenbegleitung für Kinder ist damit jedoch noch nicht sichergestellt. Als einen weiteren Schritt soll, sowie das Zeugenbegleitprogramm für Erwachsene installiert ist, auch die Zeugenbegleitung für Kinder intensiviert und qualifiziert werden. Hierzu hat die Senatsverwaltung für Schule, Jugend und Sport ihre Mitwirkung angeboten, um in Kooperation mit den beteiligten Institutionen Qualität und Verfahren zur Begleitung von betroffenen Kindern und Jugendlichen sicherzustellen.

3 Zur Regionalisierung der Krisenversorgung/Inobhutnahme in Berlin

Mit dem Zweiten Gesetz zur Reform der Berliner Verwaltung vom 25. Juni 1998 ist das Verhältnis von Haupt- und Bezirksverwaltung grundlegend verändert worden. Der Anstoß zur Umstrukturierung der Not- und Krisendienste zum jetzigen Zeitpunkt geht auf die Zuständigkeitsänderung im Allgemeinen Zuständigkeitsgesetz (AZG) zurück, nach der diese Aufgabe zum 1. Januar 2001 auf die Bezirke abgeschichtet wird.

In intensiver Zusammenarbeit mit den Bezirken, den Not- und Krisendiensten sowie freien Trägern hat das Landesjugendamt von April bis Mai 2000 ein Konzept zur regionalen Steuerung der Not- und Krisenversorgung in Berlin erarbeitet. Das Strukturkonzept und ein weitergehendes Feinkonzept zur Abschichtung der Notdienste sind dem Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses in Berichtsvorlagen zur Kenntnis gegeben worden (vgl. den Bericht vom 29. Juni 2000 über Notdienste ­ Strukturkonzept zur Abschichtung [rote Nr. 0501] und den Bericht vom 27. September 2000 [rote Nr. 0501 A]). Aus ihnen geht auch das Zahlenwerk der Abschichtung von Stellen auf die Bezirke Kreuzberg/Friedrichshain und Charlottenburg/Wilmersdorf als Standorte für die beiden zentralen Anlaufstellen sowie die künftige Ausstattung der Notdienste hervor.

Über die mit der Aufgabenverlagerung vorgegebene Rahmensetzung hinaus wurden bei der Konzeptentwicklung ferner folgende fachliche Zielsetzungen berücksichtigt:

- Stärkung der regionalen, lebensweltbezogenen Jugendhilfe,

- Intensivierung der partnerschaftlichen Zusammenarbeit von Trägern der öffentlichen und freien Jugendhilfe,

- Qualifizierung des individuellen Hilfeplanverfahrens (§ 36 SGB VIII),

- langfristige Sicherung der Finanzierungsstruktur.

Grundlage des entwickelten Umstrukturierungskonzeptes bildet die auf der Basis der Berliner Kostensatzrahmenvereinbarung für den Jugendhilfebereich (KSRV) erstellte Leistungsbeschreibung zur Inobhutnahme (s. Anlage), die in ­ wie unter 2.1 beschrieben ­ einem umfassenden fachlichen Aushandlungsprozess zwischen Vertreter(inne)n von freien Trägern, den bezirklichen Jugendämtern, dem Landesjugendamt sowie dem ministeriellen Fachreferat der Senatsverwaltung für Schule, Jugend und Sport definiert worden ist. Sie wird nun in der Kostensatzkommission beraten, beschlossen, im Amtsblatt von Berlin veröffentlicht und bildet die Grundlage für die zukünftigen Verträge zwischen den freien Trägern und dem Landesjugendamt. Grundlegende Ziele dieser Leistungsbeschreibung stellen die Standardisierung der Regelleistung, Qualitätssicherung und -entwicklung sowie der Bezugsmaßstab für die anstehenden Leistungsvereinbarungen mit anerkannten Trägern der freien Jugendhilfe dar.

Mit der Standardsetzung dieser Leistung werden insbesondere klare Indikationsstellungen sowie zielgenauerer und kostengerechter Einsatz von (ambulanten, teilstationären und stationären) Hilfen in der Folge einer Inobhutnahme ermöglicht.

Mit der Leistungsbeschreibung wurden erstmalig in Berlin fachliche Empfehlungen und Standards für die Unterbringung infolge der Inobhutnahme/sozialpädagogischen Krisenintervention entwickelt und Strukturziele für diese Leistung benannt (vgl. Leistungsbeschreibung in der Anlage). Wesentliches Strukturziel der sozialpädagogischen Krisenintervention ist das rechtzeitige, verhältnismäßige und gezielte Hilfeangebot an Kind und Eltern.

Dadurch soll weiteren krisenhaften Zuspitzungen, Fehlplatzierungen und langfristigen Erziehungshilfekarrieren vorgebeugt werden. Besonders den kleinen Kindern müssen lange Unterbringungszeiten erspart werden. Die Verweildauer in den Not- und Krisendiensten soll durch eine schnelle Zielabklärung und gegebenenfalls Überleitung in andere Hilfeformen mit geeignetem Beziehungsangebot so kurz wie möglich gehalten werden. Säuglinge und Kleinkinder sollen dabei grundsätzlich im Rahmen individueller Organisationsformen betreut werden.

Ausgangssituation

Die zu Beginn der 80er Jahre entstandenen Kinder- und Jugendnotdienste sind als überregionale, rund um die Uhr erreichbare Anlaufstellen mit einem jeweils zentralen Beratungsdienst und einem Unterbringungsbereich konzipiert worden. Der Kindernotdienst und der Jugendnotdienst wurden zu den Anlaufstellen Berlins, in der Kinder und Jugendliche Hilfe finden und um Inobhutnahme (§ 42 SGB VIII) bitten können. Die Notdienste haben insgesamt die Aufgaben der jeweils örtlich zuständigen Jugendämter, Kinder und Jugendliche in Notsituationen zu beraten und vorläufig unterzubringen, übernommen. Sie haben als nachgeordnete Einrichtungen des Landesjugendamtes gesamtstädtische Aufgaben durchgeführt und zentral die Funktion der Inobhutnahme im Rahmen einer vorübergehenden stationären Unterbringung an vier Standorten überregional und rund um die Uhr ­ vor allem außerhalb der Erreichbarkeit der zuständigen Jugendämter ­ wahrgenommen. Als überbezirkliche Einrichtung der Berliner Jugendhilfe steht der Kinder- und Jugendnotdienst auch für nichtberliner Minderjährige, für die Polizei und andere, die sich verantwortlich um das Kindeswohl kümmern, zur Verfügung. Diese Funktion bleibt auch in der neuen Konstruktion erhalten.

Der öffentliche Träger auf der Ebene der bezirklichen Jugendämter bleibt auch weiterhin für die Erfüllung der Schutzaufgabe insgesamt verantwortlich, eine Beteiligung von anerkannten Trägern der freien Jugendhilfe ist jedoch gemäß § 76 SGB VIII möglich und erwünscht. Daher sind in Berlin bereits freie Träger an der Durchführung der Inobhutnahme beteiligt worden. So sind neben den Not- und Krisendiensten eine Anzahl überregionaler Unterbringungsangebote entstanden, die spezialisierte und zielgruppenspezifische Hilfen zum Problembereich von Gewalt gegen Kinder anbieten und die in ein differenziertes Netzwerk von ambulanten Beratungsangeboten eingebunden sind. Zu diesen Projekten zählen zurzeit folgende Träger:

- Kinderschutz-Zentrum Berlin e. V., Beratungsstelle für Kinder und Familien bei Kindesmisshandlung und Kinderwohngruppe für vernachlässigte, misshandelte und/oder missbrauchte Kinder und Jugendliche

- NEUhland ­ Hilfen für suizidgefährdete Kinder und Jugendliche e. V. Beratungsstelle und Krisenwohnung

- Türkisch-Deutscher Frauenverein e. V., Krisenwohnung für türkische Mädchen mit Gewalterfahrungen

- Wildwasser ­ Arbeitsgemeinschaft gegen sexuellen Missbrauch von Mädchen e. V., Beratungsstelle und Krisenwohngruppe

- Frauenselbsthilfe ­ Frauen gegen Gewalt an Frauen und Mädchen e. V. mit dem „Autonomen Mädchenhaus"

- Berliner Jugendclub e. V. mit der Übernachtungseinrichtung der Kontakt- und Beratungsstelle für Trebegänger (KuB) und dem Sleep In.

Neben diesem System von spezialisierten, überregionalen Unterbringungseinrichtungen sind in den letzten Jahren in Kooperation mit verschiedenen Bezirksjugendämtern regionale Kriseneinrichtungen entstanden. Aufgrund der wachsenden Notwendigkeit, kurzfristig Problemlagen klären zu müssen sowie schnelle und intensive Hilfe bereitzustellen, waren die Jugendämter bestrebt, Angebote der Krisenintervention stärker in den sozialen Lebensraum der betroffenen Kinder und Jugendlichen zu verlagern. Mit der räumlichen Orientierung sollte die Zusammenarbeit bei der Mitwirkung im Rahmen der Hilfeplanung mit allen Beteiligten sowie anderen Jugendhilfeträgern, auch im Sinne einer Vernetzung vorhandener Hilfeangebote in einer Region, verbessert werden. In Abstimmung mit den jeweils zuständigen Jugendämtern haben z. B. die Treberhilfe e. V. mit der „Villa Chance" im Bezirk Köpenick und Aktion 70 Jugendhilfe im Verbund e. V. mit der Kriseneinrichtung „Nogat 7" im Bezirk Neukölln regionale Krisenplätze zur kurzfristigen Unterbringung eingerichtet.

Das Arbeitsfeld der Krisenintervention verlangt von den Mitarbeiter(inne)n der Kinder- und Jugendhilfe rasche Reaktionen sowie ein hohes Maß an fachlicher Kompetenz und Flexibilität.

Unterbringungen im Verlauf von Kriseninterventionen erfordern schnelle Arbeitsprozesse und zeitnahe Entscheidungen im Rahmen der Hilfeplanung (§ 36 SGB VIII) des verantwortlichen bezirklichen Jugendamtes. Werden Krisensituationen nicht rechtzeitig angenommen und bearbeitet, besteht die Gefahr, dass sich die betroffenen Minderjährigen in ihrer Situation allein gelassen fühlen und das Vertrauen in die Ernsthaftigkeit von Beziehungsangeboten verlieren.

In der bisherigen Konstruktion der Not- und Krisendienste konnte eine schnelle Beendigung der vorläufigen Unterbringung sowie ein zeit- und zielgenauer Einsatz geeigneter Anschlusshilfen nicht in allen Fällen erreicht werden. Erhebliche Teile der Aufgaben der örtlich zuständigen Jugendämter im Rahmen der Inobhutnahme wurden zwar bisher von den Notdiensten über einen längeren Zeitraum in Funktion eines gesamtstädtischen Jugendamtes wahrgenommen, was allerdings nicht verhindern konnte, dass den von den Notdienstmitarbeiter(inne)n vorbereiteten Entscheidungen von den Jugendämtern nicht immer gefolgt wurde. In diesen Fällen entstanden Reibungsverluste, die insbesondere bei Minderjährigen in besonderen Problemlagen zu langen Verweildauern in der Kriseneinrichtung führten, sich nachteilig auf die Planung von Hilfen auswirkten und „Drehtüreffekte" innerhalb der Berliner Kriseneinrichtungen in Gang setzten. Kosten für die Unterbringung entstanden den Jugendämtern nicht, so dass sich bei den Bezirken die Tendenz abzeichnete, Kinder und Jugendliche in den zentralen Notdiensten länger zu belassen, während sie bei den regionalen ­ kostensatzfinanzierten ­ Einrichtungen um eine zügige Beendigung der Inobhutnahme bemüht waren.

Mit der Verlagerung der Aufgabe in die Bezirke übernehmen die Jugendämter künftig sofort die Verantwortung für die unmittelbaren Hilfen infolge der Inobhutnahme und die damit einsetzende Hilfeplanung. Damit können die jeweiligen Schutzmaßnahmen rascher und differenzierter mit der weiteren Hilfeplanung in den Jugendämtern verbunden werden.

Strukturkonzept zur regionalen Steuerung der Krisen- und Notdienstversorgung in Berlin

A. Zentrale Anlaufstelle in bezirklicher Gesamtverantwortung

Das neue System der Krisenversorgung wird ­ weiterhin wie das bisherige ­ rund um die Uhr zur Verfügung stehen. Es wird personell, zeitlich und strukturell in der Lage sein, zu allen Zeiten des Tages und der Nacht kurzfristig, schnell und intensiv betroffene Kinder und/oder Eltern in der Krise zu beraten. Die bestehenden Notdiensteinrichtungen für Kinder in Kreuzberg/Friedrichshain und für Jugendliche in Charlottenburg/Wilmersdorf bleiben dabei regional als Anlaufstellen erhalten und werden künftig von den Standortjugendämtern in bezirklicher Gesamtverantwortung betrieben. Die vorhandenen Personal- und Sachmittel folgen der Aufgabe und werden ­ wie in den Berichten an den Hauptausschuss dargelegt ­ in einem Umfang von 114 Stellen auf die Bezirke umverteilt. Die Stellenausstattung des Kindernotdienstes mit 45 Stellen und des Jugendnotdienstes mit 41 Stellen ist nach der Neukonzeptionierung ausreichend für die Erfüllung der Aufgabe.

Die beiden zentralen Notdienste führen im Auftrag aller 12 Bezirke in einem Rund-um-die-Uhr-Dienst Erstberatung und Interventionen (gegebenenfalls vor Ort in Familien) durch. Sie treffen Entscheidungen zur Inobhutnahme und nehmen folgende weitere Aufgaben wahr:

- Grundversorgung (Hygiene, Ernährung, Wäschewechsel, Kleidungsausstattung),

- Aufnahme polizeilich zugeführter Minderjähriger, Abholung aufgegriffener Minderjähriger von der Polizei oder anderer Institutionen,

- Entscheidung zur qualifizierten Unterbringung, direkte Unterbringung bei bezirklichen Vertragseinrichtungen zu ungünstigen Zeiten, Kurzversorgung in eigener Notbettenkapazität,

- Zusammenwirken mit den zuständigen Jugendämtern und freien Trägern (Unterbringung)

- Inobhutnahme nichtberliner Kinder und Jugendlicher, Kontaktaufnahme zum Heimatjugendamt, Zuständigkeitsentscheidung für eventuelle Anschlusshilfen in Berlin, Organisation der Rückführung, Kosteneinziehung.

Die zentralen Anlaufstellen werden künftig nur noch eine sehr geringe Kapazität für Kurzunterbringung von Kindern und Jugendlichen vorhalten und mit regionalen Unterbringungseinrichtungen freier Träger in den zuständigen Bezirken zusammenarbeiten. Der zentrale Teil der bisherigen Unterbringungskapazität wird durch kostensatzfinanzierte Plätze bei freien Trägern ersetzt. Neben vereinbarten Kapazitäten bei regionalen Trägern soll das vorhandene Netz von Krisenangeboten und Inobhutnahmeeinrichtungen genutzt und ausdifferenziert werden. Die bezirklichen Jugendämter schließen daher mit anerkannten Trägern der freien Jugendhilfe Vereinbarungen über den Umfang der Beteiligung bzw. Übertragung der Aufgabe (gemäß § 76 SGB VIII) ab. Bei allen Einzelfallentscheidungen wird jetzt sofort die bezirkliche Zuständigkeit und die Kostenträgerschaft geklärt.