Verfolgtenverbänden

Daher ist weiter die von den Verfolgtenverbänden als auch von den Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes seit Jahren angestrebte Alternativregelung zu verfolgen, die ­ analog zur Regelung für Haftopfer der Nazi-Diktatur im Bundesentschädigungsgesetz (BEG) ­ auf der Tatsachenvermutung basiert, dass bei einer gesetzlich zu bestimmenden Haftzeit eine Minderung der Erwerbsfähigkeit vorliegt.

Nur wenige abgelehnte Antragsteller bringen die Kraft für eine Klage vor den Sozialgerichten auf. Selbst wenn sie ermuntert werden, weil eine Erfolgschance zu erkennen ist, wird geantwortet: „Ich kann nicht mehr", „Bin ich nicht schon fertig genug?", „Diese Entwürdigung nicht noch einmal".

Hinsichtlich mit der Problematik vertrauter Gutachter herrscht in Berlin vergleichsweise eine gute Lage. So ist z. B. die Beratungsstelle „Gegenwind" hinzugekommen. Ebenso konnten Richter an den Sozialgerichten durch Fortbildungsveranstaltungen für das Problem der Haftfolgeschäden sensibilisiert werden.

Wenn der betroffene Personenkreis in die Beratung kommt, benötigt er allgemein einen recht langen Einstieg, um auf die Probleme zu kommen. Es überwiegen Scham und eine geringe Bereitschaft, vermeintliche Schwächen einzugestehen; Symptome (z. B. Angst, Vermeidungsverhalten) werden überspielt.

Leichter werden körperliche Beschwerden benannt, z. B. eine schmerzende Schulter als Folge von Schlägen oder/und als Folge zu schwerer Arbeit während der Haft. Dies wird häufig nur den Gutachtern vorgetragen. Diese sind dann angehalten, nach der „Kausalkette" zu forschen. Doch wer wegen der schmerzenden Schulter nicht jährliche Arztbesuche im SV-Ausweis oder eine entsprechende Krankenakte vorweisen kann, läuft Gefahr, durch das Raster zu fallen.

Beispiel: Herr K. ist als 16-jähriger Maurer-Lehrling 1960 wegen „Fluchtversuch und Nichtanzeigen eines Staatsverbrechens" (sein Bruder hatte Kontakte zum amerikanischen Geheimdienst) inhaftiert worden. Ihm sind in schlimmster Erinnerung geblieben die Verhöre, das schlechte Essen, Nahrungsentzug und katastrophale hygienische Bedingungen. Bei den Verhören (7 Monate beim MfS) ist er geschlagen und getreten worden. Als junger Mann hat er zu seinem heutigen Nachteil auf die periodisch auftretenden Schmerzen nichts gegeben, da er als Mann nicht „zimperlich" erscheinen wollte. Deshalb fehlt ihm der durchgängige Nachweis einer Kausalkette.

Heute leidet er unter ständigen Schulterschmerzen, die bereits mehrfach begutachtet wurden. Den bisherigen Gutachtern sind die bei Herrn K. klassisch ausgeprägten Symptome eine posttraumatischen Belastungsstörung (PTB) nicht aufgefallen. Erbost ist Herr K. über so unsensible Fragen wie etwa, an welcher Körperstelle bei den Verhörmethoden der Schmerz am größten gewesen wäre. Doch wie soll ein schon am Boden liegender Mensch, der von mindestens 3 Mann traktiert wird, noch unterscheiden können, wenn völlig wahl- und ziellos auf ihn eingeprügelt und getreten wird? Da schmerzen alle Stellen des Körpers und nicht bloß die heute besonderen Ärger machende linke Schulter. Die Tragik seines Falles ist, dass kein Gutachter ihn unter dem Gesichtspunkt körperliche Beschwerden als Folge seelischer Haftfolgeschäden untersuchte.

Es ist nicht immer leicht, Betroffenen zu vermitteln, dass ihre psychischen Haftfolgeschäden einer Behandlung bedürfen. Nicht selten bitten Angehörige darum, diesen Weg aufzuzeigen, da sie mit in den Leidensdruck einbezogen werden. Von den ehemaligen politischen Häftlingen, die sich einer Therapie gestellt haben, kam bisher nur eine positive Resonanz: Zu lernen, mit bedrückenden Situationen umzugehen, in Drucksituationen nicht gleich kopf- und hilflos zu werden, hilft, ein Stück Lebensqualität zurückzugewinnen.

Zivildeportierte:

Der Landesbeauftragte befindet sich seit einigen Jahren mit einer Gruppe von ehemals Zivildeportierten östlich von Oder und Neiße im Gespräch, die sich aus ca. 15 Frauen in Berlin und Brandenburg zusammensetzt. Auch in diesem Bericht ist es notwendig, wiederum auf sie aufmerksam zu machen. Die Betroffenen waren zwar nicht formell in Strafhaft wie die von sowjetischen Militärtribunalen Verurteilten oder Opfer der politischen Justiz der DDR. Doch ihr Schicksal und ihre Lebensbedingungen in den Quasi-Haftjahren waren in der Regel von noch größerer Härte und Zwangsarbeit geprägt.

Zwar sind seit dem 1. Januar 2000 die jährlichen Unterstützungsleistungen durch die Stiftung für ehemalige politische Häftlinge nach dem Häftlingshilfe-Gesetz (HHG) auf die Zivildeportierten jenseits von Oder und Neiße erweitert worden. Nach § 18

HHG kann im Einzelfall ­ unter Berücksichtigung von Einkommensgrenzen ­ eine finanzielle Unterstützung gewährt werden.

Doch warten sie noch immer auf eine ihr Leid anerkennende Form der Rehabilitierung und auf eine adäquate Entschädigung, die nicht an Einkommensgrenzen gebunden ist, sondern sie dem Anspruch nach mit sonstigen politischen Häftlingen gleichstellt.

Ein von der CDU/CSU-Fraktion des Deutschen Bundestages eingebrachter Gesetzesentwurf, auf den noch einzugehen ist, sieht ihre Einbeziehung in die angestrebte Entschädigungsregelung vor:

Beratung zur Rehabilitierung beruflichen und verwaltungsrechtlichen Unrechts

Im September 1999 ist im Land Berlin eine gesetzliche Regelung in Kraft getreten, die bisher einzigartig geblieben ist (Artikel III des Gesetzes zur Änderung des Dritten Gesetzes über die Vereinheitlichung des Berliner Landesrechts, GVBl. 1999, S. 529). Sie besagt: „Bewerber für die Einstellung in den öffentlichen Dienst des Landes Berlin, die eine politisch motivierte Verfolgung oder eine politisch motivierte berufliche Benachteiligung durch staatliche Organe oder Dienststellen in der ehemaligen DDR erlitten haben und diese nachweisen, sollen bei gleicher Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung bevorzugt eingestellt werden." Diese Regelung ist bei Betroffenen/Berechtigten auf eine erfreuliche Resonanz gestoßen, doch sind über ihre Wirksamkeit noch keine Aussagen möglich.

Auf Grundlage der in der Beratung gewonnenen Erkenntnisse galt es, unter Einbeziehung inzwischen vorliegender Gerichtsurteile alternative Lösungsmöglichkeiten zur Verbesserung der Entschädigung und des rentenrechtlichen Ausgleichs politisch Verfolgter aufzuzeigen. Als zunehmend problematisch erweist sich der ­ am Ergebnis gemessen ­ unverhältnismäßig hohe Arbeits- und Zeitaufwand der Antragsteller bei Rehabilitierungs- und Anspruchsbescheiden, die Widerspruchs- und Klageverfahren nach sich ziehen.

Im Berichtszeitraum sind folgende Defizite besonders hervorgetreten:

- Ablehnung der beruflichen und verwaltungsrechtlichen Rehabilitierung

- Beschränkung der Verfolgungszeiten auf die Haftzeiten und Befristungszeiten

- Schwierigkeiten bei Widerspruchs- und Klageverfahren

Ablehnung der beruflichen und verwaltungsrechtlichen Rehabilitierung

Die häufige Ablehnung der beruflichen Rehabilitierung ist eine Folge der angelegten Bewertungsmaßstäbe, bei denen zwischen so genannten Aufstiegs- und Abstiegsschäden differenziert wird.

Rehabilitierungsanträgen wird nur stattgegeben, wenn der Nachweis eines „Abstiegsschadens" vorliegt. „Aufstiegsschäden" allein sollen hingegen eine berufliche Rehabilitierung nicht begründen.

Wie die folgenden Beispiele zeigen, benachteiligt der Ausschluss so genannter Aufstiegsschäden in kaum erträglicher Weise gerade Menschen, die infolge politischer Verfolgung keine Chance zum Einstieg in qualifizierte berufliche Positionen hatten. Anders formuliert: Es sind Menschen, die keinen Abstiegsschaden erleiden konnten, weil sie im Ergebnis politischer Verfolgung nie berufliche Positionen erworben haben, von denen man noch hätte tiefer fallen, d. h. absteigen können. Daher sollten gerechterweise als rehabilitierungswürdig auch solche ­ bisher unter dem Begriff Aufstiegsschaden subsumierte ­ Schäden aner kannt werden wie die politisch begründete Ablehnung von Qualifizierungsmaßnahmen, von regulären Verdienst- und Planstellenerhöhungen sowie andere, durch Verweigerungshaltungen verursachte Schäden (Ablehnung der Teilnahme an Wahlen, von Bekundungen zur Politik der SED-Führung, Verweigerung des Beitritts zur SED oder der Forderung, Westkontakte abzubrechen).

Die Grenzen der bisherigen Rehabilitierungsregeln zeigen exemplarisch die folgende Fälle.

Beispiel: Berufliche Diskriminierung wegen Westkontakten Frau T. hatte sich in einem größeren Volkseigenen Betrieb bis zur Abteilungsleiterin einer nicht sicherheitsrelevanten Querschnittsabteilung (u. a. Poststelle) „hochgearbeitet", mit ihrer Arbeit war man zufrieden (u. a. Gehaltserhöhung). Dies änderte sich 1972/73 schlagartig, als sie sich weigerte, die VVS-Verpflichtung (VVS = Vertrauliche Verschluss-Sache) wegen der sich daraus ergebenden Konsequenzen (Abbruch der Westkontakte aller im Haushalt lebenden Personen) zu unterschreiben. Mit dem Trick der VVS-Verpflichtung sollten die so genannten Westkontakte eingedämmt werden. Also wurden weit über den sachlich vertretbaren Bereich hinaus unzählige Beschäftigte VVS-verpflichtet. Auf Grund ihres Aufgabenbereiches und der Familiensituation ­ vier ihrer Geschwister lebten im Westen ­ lehnte sie die Unterschrift, trotz entwürdigender wöchentlicher Gespräche in der Kaderabteilung, konsequent ab. Nach ihrer Kenntnis war sie die einzige Mitarbeiterin in ihrem Betrieb, die dies wagte.

Bewusst wählte sie den ehrlichen Weg, „outete" sich damit als Gegnerin des SED-Regimes. Die Folge war ein mit „sanftem Druck" zustande gekommener Änderungsvertrag mit der Degradierung von der Position einer Abteilungsleiterin zur Sachbearbeiterin. Abgesehen vom sozialen Ansehen verlor sie 18 % ihres Einkommens. Die Rehabilitierungsbehörde hat ihren Antrag mit der Begründung abgelehnt, dass es sich um ein Gruppenschicksal handle. Aus dieser Perspektive dürften jedoch auch die Repressalien, denen Ausreisewillige ausgesetzt waren, nicht mehr als rehabilitierungsfähiges Einzelschicksal gewertet werden.

Beispiel: Facharbeiter in der niedrigen Qualifikationsgruppe (QG) 4 Sozialgesetzbuch

Der 1932 geborene Betroffene mit der beruflichen Qualifikation eines Facharbeiters (Fachverkäufer, zusätzliche Qualifikation: Handelskaufmann) wurde wegen Aufrechterhaltung des Kontaktes zu seinem Bruder, der 1960 wegen Spionage zu einer hohen Zuchthausstrafe verurteilt worden war und 1965 von der Bundesrepublik freigekauft wurde, politisch verfolgt. Das MfS leitete gegen ihn zwei Operative Personenkontrollen (OPK) ein, zunächst wegen seiner Kontakte zu Westverwandten (1972 bis 1974), später wegen des Verdachts eines Fluchtversuchs (1987 bis 1988). Die Folgen: 1972 bis 1988 berufliche Stagnation bzw. nur geringfügige Lohnerhöhung trotz belegter sehr guter fachlicher Arbeit. Elf Jahre lang erhielt er keine Lohnerhöhung. Von 1972 bis 1982 betrug sein Bruttolohn 552 Mark, danach bis 1985 nur 625 Mark. Zwischen 1986 und April 1990 wuchs sein Lohn von 680 auf 780 Mark. Erst im Oktober 1990, mit der Vereinigung, erhielt er 900 Mark. Wegen zu geringer Qualifikation wurde er in der Folgezeit arbeitslos, Qualifizierungslehrgänge zur beruflichen Fortentwicklung wurden ihm verweigert. Der im Juli 1994 gestellte Antrag nach dem BerRehaG und dem VwRehaG bei der Rehabilitierungsbehörde in Mecklenburg-Vorpommern wurde im Oktober 1996 abgelehnt. Die Begründung: Es handle sich hierbei um „Aufstiegsschäden". Im Januar 2000 stellte der Betroffene, ermutigt durch das „Zweite Gesetz zur Verbesserung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften..." einen neuen Antrag, der wegen Nichteinhaltung der Klagefrist abgelehnt wurde. Außerdem habe sich durch das Gesetz die Rechtslage im Hinblick auf das BerRehaG bis auf die Fristverlängerung nicht geändert. Im Juni 2000 folgte ein Antrag auf Wiederaufnahme nach dem BerRehaG über § 8 VwRehaG mit dem Begehren, die Verfolgungszeit für den Zeitraum der Stagnation des Verdienstes von 1972 bis 1982 anzuerkennen. Außerdem wurde ein hilfsweiser Antrag auf moralische Rehabilitierung nach § 1a VwRehaG gestellt. Dieser Antrag wurde mit der Begründung abgelehnt, dass die neuen beigebrachten Belege und Zeugenerklärungen zur Behinderung des beruflichen Fortkommens keine neuen Tatsachen darstellen. Die moralische Rehabilitierung gebe es nur ­ so heißt es zutreffend ­ im Bereich des VwRehaG, nicht aber im Bereich des BerRehaG.

Das Defizit besteht hier vor allem darin, dass auf Grund der niedrigen Qualifikation des Verfolgten eine berufliche Rehabilitierung nach dem BerRehaG von vornherein ausgeschlossen ist, weil nur „Abstiegsschäden" und keine „Aufstiegsschäden" rehabilitiert werden. Zieht man jedoch als Bewertungskriterium die berufliche Diskriminierung hinzu, so wird erkennbar, dass der Betroffene als politisch unzuverlässig galt. Eine andere Erklärung für die zehnjährige Stagnation des Verdienstes und die Behinderung der beruflichen Qualifizierung ist bei einem leistungsstarken Facharbeiter, der in der DDR auch ohne SED-Mitgliedschaft in der Regel beruflich gefördert wurde, nicht plausibel.

Die damit verbundene Einkommenseinbuße war, gemessen am Einkommen von Kollegen in vergleichbarer Tätigkeit, erheblich.

Geht man vom Ausgangsgehalt 550 Mark unmittelbar vor der Verfolgung aus und legt man die von diesem Wert ausgehende Gehaltsentwicklung zugrunde, so ergibt das eine Gehaltseinbuße im Zeitraum 1972 bis 1989 von ca. 20 000 Mark. Der damit verbundene Rentenverlust von 1993 bis 1999 beträgt insgesamt ca. 6 700 DM. Er macht gegenwärtig monatlich ca. 150 DM aus.

Beschränkung der Verfolgungszeit auf Haft- und Befristungszeiten Beschränkung auf Haftzeiten

Obwohl die Verfolgungszeit klar definiert ist, erweist sich die Festlegung ihrer Dauer in vielen Fällen als problematisch. Das trifft vor allem auf die beruflich Rehabilitierten der Qualifikationsgruppen 4 und 5 (Schüler und Niedrigqualifizierte) zu. Bei ihnen wird ausschließlich die Haftzeit als rechtlich relevante Verfolgungszeit behandelt. Die typischen nachteiligen Auswirkungen von Haft und politischer Verfolgung auf den weiteren beruflichen Werdegang werden ­ nur bei ihnen ­ nicht berücksichtigt, denn „Abstiegsschäden" kann es in ihren Fällen logischerweise nicht geben. Das Niedrighalten ihrer beruflichen Qualifzierungschancen gehörte jedoch zur politischen Verfolgung, die sie erlitten. Die Anwendung einer Definition von „Aufstiegsschäden", die in diesen Fällen die Entschädigung verhindert, widerspricht den Zielen der Rehabilitierungsgesetze.

Das ist für die Betroffenen von besonderer Bedeutung, weil sie wegen relativ kurzer Verfolgungszeiten (bis zu drei Jahren) von Ausgleichsleistungen in wirtschaftlich schwieriger Lage ausgenommen werden.

Da Haftzeiten als rentenrechtliche Ersatzzeiten gewöhnlich höhere Entgeltpunkte erbringen, könnte man sich die ganze Prozedur des Antrages auf berufliche und verwaltungsrechtliche Rehabilitierung und die damit verbundenen Enttäuschungen ersparen ­ es sei denn, man hat die Hoffnung, mit der haftzeitbedingten beruflichen Rehabilitierung die Voraussetzung für den Anspruch auf Ausgleichsleistungen in Höhe von 300 bzw. 200 DM monatlich erfüllen zu können.

Zu den hiervon negativ betroffenen Personen sind auch die verfolgten Schüler zu zählen, für die zwar eine Verfolgungszeit festgestellt wird, aber eine berufliche Rehabilitierung mit Anspruch auf Leistungen nach den Abschnitten 3 und 4 des BerRehaG nicht infrage kommt.

Beispiel: Kurzfristig inhaftierter Arbeiter ohne Ausbildungsabschluss (QG 5).

Der 1936 geborene Betroffene konnte auf Grund der politischen Verfolgung im Jugendalter keinen Facharbeiterabschluss erreichen und blieb bis zur Rente ungelernter Arbeiter. Er wurde am 17. Juni 1953 im Alter von 17 Jahren verhaftet, weil er sich nicht ausweisen konnte. Unter Misshandlungen und Tötungsdrohungen wurde er 14 Tage lang verhört und musste danach wegen Mangels an Beweisen freigelassen werden. Im Oktober 1953 wurden gegen ihn operative Maßnahmen des MfS wegen des Verdachtes der staatsfeindlichen Hetze eingeleitet. Im April 1965 wurde er wegen staatsfeindlicher Hetze verhaftet und zu einer einjährigen Haftstrafe verurteilt. Im Dezember 1965 wurde er aus dem Gefängnis nach Aussetzung der Haftstrafe auf Bewährung entlassen. Auf der neuen Arbeitsstelle wurde ein vom Abteilungsleiter vorgeschlagener Meisterlehrgang aus politischen Gründen abgelehnt. Auch wurde er von Lehrgängen zur Facharbeiterqualifizierung trotz guter bis sehr guter Beurteilungen ferngehalten.

Im Mai 1999 stellte er einen Antrag auf Rehabilitierung, der im September 1999 unter Anerkennung einer Verfolgungszeit vom 28. April 1965 bis 5. Dezember 1965 bewilligt wurde. Der Betroffene legte dagegen Widerspruch ein und forderte, die Verfolgungszeit bis zum 2. Oktober 1990 als Meister für Energieerzeugung anzuerkennen. Die Ablehnung durch die Berliner Rehabilitierungsbehörde wurde damit begründet, dass nicht realisierte berufliche Weiterentwicklungswünsche durch das BerRehaG nicht erfasst seien. Im Juli 2000 folgte ein Ergänzungsantrag mit dem Begehren, zusätzlich den Zeitraum vom 17. Juni bis 25. Juni 1953 nach dem StrRehaG und für den Zeitraum ab 25. Oktober 1953 nach § 1 a VwRehaG zu rehabilitieren.

Wertung: Auch hier ist wieder auf Grund der niedrigen Qualifikation eine berufliche Rehabilitierung nach der Haftzeit praktisch ausgeschlossen. Dadurch beschränkt sich die Verfolgungszeit auf die Haftzeit. Da diese Haftzeit vor dem 2. Oktober 1990 endete und nicht mehr als drei Jahre betrug, gibt es trotz schwieriger wirtschaftlicher Lage keinen Anspruch auf Ausgleichsleistungen.

Auf Grund der auf die Haftzeit beschränkten Verfolgungszeit wird auch § 13 BerRehaG nicht wirksam, wonach für Verfolgungszeiten als Beitragsbemessungsgrundlage die aus den Anlagen 13 und 14 SGB VI sich ergebenden und um 20 % erhöhten Durchschnittsverdienste berücksichtigt werden. Dies ist für diese Personengruppe deshalb von besonderer Bedeutung, weil die Betroffenen nach der Haft den Beitritt zur Freiwilligen Zusatzrentenversicherung (FZR) aus Protest oder in der Absicht der Übersiedlung in den Westen gewöhnlich verweigerten. Das führt nun wiederum dazu, dass ab 1971 jährlich nur maximal 7 200 Mark für die Rentenberechnung angerechnet werden. Entsprechend gering fällt heute die Monatsrente aus. Sie beträgt gegenwärtig ca. 1 700 DM Brutto. Wäre der Betroffene nicht verfolgt gewesen und der FZR beigetreten, so würde er heute eine um ca. 340 DM höhere Bruttorente und eine Rentennachzahlung in Höhe von 16 000 DM erhalten. Der gleiche Leistungsanspruch käme auch dann in Betracht, wenn durch die Anerkennung längerer Verfolgungszeiten die FZR-Regelung § 13 SGB VI zum Tragen kommen würde.

Bei Anerkennung der Aufstiegsschäden als Verfolgungszeiten im Zeitraum vom 3. März 1971 bis 2. Oktober 1990 würde sich eine um 150 DM höhere Monatsrente und eine Nachzahlung von ca. 6 700 DM ergeben.

Um im Sinne dieser Verfolgtengruppe zu verfahren, sollten Aufstiegsschäden infolge einer nachweislichen Behinderung von Qualifizierungsmaßnahmen und/oder die Benachteiligung in der allgemeinen Lohnentwicklung beruflich rehabilitiert werden. Der Beginn des Verfolgungszeitraumes wäre mit dem Zeitpunkt der Verweigerung von Qualifizierungsmaßnahmen oder dem Beginn der aus politischen Gründen erfolgten Abkoppelung von der normalen Bruttoverdienstentwicklung festzulegen. Die Verfolgungszeit sollte erst dann als beendet gelten, wenn der politisch Verfolgte in der Rentenversicherung einer vergleichbaren Person, die nicht politisch verfolgt wurde, gleichgestellt ist.

Beispiel: Verfolgte Schüler

Der 1943 geborene Betroffene wurde im Vorfeld des 13. August 1961 wegen angeblichen Landfriedensbruchs verhaftet. Kurz vor seiner Festnahme war ihm das Abiturzeugnis ausgehändigt und mündlich eine feste Zusage zu einem Studium an einer Technischen Hochschule gegeben worden. Nach der Inhaftierung wurde das Abitur aberkannt und bis zum Februar 1965 entzogen. Entlassen aus der Haft, bekam er einen Lehrplatz für Schlosser zugewiesen. Anschließend war er kurze Zeit als Schlosser tätig und nahm 1965 ein Studium an einer Ingenieurschule auf. Bis 1968 arbeitete er als Ingenieur, 1974 schloss er ein Fernstudium ab. Bis 1988 arbeitete er als Ingenieur in einem VEB, danach als Selbstständiger.

Im Dezember 1999 stellte er einen Antrag auf verwaltungsrechtliche und berufliche Rehabilitierung mit dem Begehren, für den Zeitraum der Freiheitsentziehung vom 1. August 1961 bis 15. Juni 1962 und darüber hinaus bis 1988 die berufliche Rehabilitierung anzuerkennen. Der Antrag wurde im Mai 2000 von der Rehabilitierungsbehörde Mecklenburg-Vorpommern mit der Begründung abgelehnt, dass die Aberkennung des Reifezeugnisses zwar rechtsstaatswidrig und der Betroffene Verfolgter nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 BerRehaG und verfolgter Schüler nach § 3 Abs. Nr. 4 gewesen sei sowie die Verfolgungszeit vom 1. September 1961 bis zum 29. Februar 1964 andauerte und die Dauer der verfolgungsbedingten Ausbildungsunterbrechung den Zeitraum vom 1. September 1963 bis 2. Oktober 1990 umfasste. Gleichwohl sei er nur als verfolgter Schüler i. S. des § 3 Abs. 1 Nr. 4 BerRehaG zu rehabilitieren.

Dagegen erhob der Betroffene Klage, weil sich während seiner Haftzeit die Zulassungsbestimmungen für das Studium verändert hatten. In einem Schreiben der Technischen Hochschule Magdeburg war ihm mitgeteilt worden, dass für die von ihm gewählte Fachrichtung im Jahre 1963 keine Zulassungen vorgesehen seien.

Zugleich wurde er gebeten, bis zum 31. Januar 1963 zwei neue Fachrichtungswünsche mitzuteilen. Dieses Schreiben erhielt der Betroffene erst nach der Haftentlassung. Außerdem erhielt er am 2. Februar 1963 ein Schreiben der Hochschule, in dem er darüber informiert wurde, dass er für das Jahr 1963 vorimmatrikuliert sei, jedoch noch Eignungsprüfungen stattfänden. Nachzureichen wären eine Beurteilung des Betriebes, das Reifezeugnis und die Begründung der Berufswahl. Das Rehabilitierungsamt lehnte die berufliche Rehabilitierung mit einer Verfolgungszeit von 1963 bis 1990 ab, weil 1. die Vorimmatrikulation nicht mit einer Studienzulassung ­ als Voraussetzung für die Rehabilitierung nach § 1 Abs. 1 BerRehaG ­ gleichzusetzen sei und 2. selbst im Falle der mündlichen Zustimmung zum Studium in der Studienrichtung Kolbenmaschinen der Betroffene auch ohne Verfolgungstatbestand durch das Schreiben vom 3. Januar 1962 sich hätte neu bewerben müssen. Schließlich komme 3. auch unter Berücksichtigung der Aberkennung des Reifezeugnisses eine Rehabilitierung nach § 1 Abs. 1 BerRehaG nicht in Betracht, weil er laut Schreiben vom 3. Januar 1962 seine Studienbewerbung hätte erneuern müssen.

Der Rentenschaden wurde sinngemäß mit den Worten abgetan, dass der Rentennachteil keinen Maßstab dafür darstelle, ob bzw. dass jemand nach § 1 BerRehaG beruflich rehabilitiert werde und der Gesetzgeber das Rehabilitierungsverfahren bewusst zweistufig geregelt habe, damit die Behörden frei von materiellen Erwägungen die Anspruchsvoraussetzungen prüfen können. Im Januar 2001 erhob der Betroffene Klage.

Wertung: Allein schon die Aberkennung des Abiturs sowie die mit einem Berlin-Verbot verbundene Lehrstellenzuweisung nach der Haft machen deutlich, dass dem Betroffenen von vornherein jegliche Chance genommen wurde, die im Schreiben vom 3. Januar 1962 angebotene Möglichkeit der Wahl neuer Fachrichtungen wahrzunehmen. Unter diesen Umständen ist es nicht plausibel, warum die Rehabilitierungsbehörde einen verfolgungsbedingten Eingriff gemäß § 1 Abs. 1 BerRehaG nicht zu erkennen vermag. Wenn es im Rehabilitierungsbescheid vom 12. Mai 2000 heißt, dass ein solcher Eingriff nicht vorliegt, weil das objektive Kriterium des subjektiven Berufswunsches fehlt, so dürfte das objektive Kriterium ­ abgesehen von der Frage über die Zulassung zum Studium ­ schon allein im Entzug des Abiturs gegeben sein. Ohne diesen Beleg war für den Betroffenen der Zugang zum Hochschulstudium bis zur Rückgabe des Abiturs im Jahre 1965 versperrt.

Durch die Verfolgungsmaßnahmen wurde der Betroffene nicht nur am vorgesehenen Hochschulstudium mit der Folge verminderter Verdienst- und Aufstiegsmöglichkeiten gehindert, sondern er wird heute noch rentenrechtlich erheblich geschädigt. Sein Rentenanspruch liegt gegenwärtig monatlich um ca. 740 DM niedriger als bei voller Rehabilitierung.

Die Position der Rehabilitierungsbehörde, dass die als Ergebnis politischer Verfolgung entstandenen Verluste bei den Rentenansprüchen keinen Maßstab dafür darstellen, ob bzw. dass jemand nach dem § 1 BerRehaG beruflich rehabilitiert wird, ist grundsätzlich zu bezweifeln.