Heilbehandlung

Zusammenfassend wird auf Grund der Befragung festgestellt, dass die therapeutische Versorgungslage der Sexualstraftäter während der Phase der Unterbringung im Maßregelvollzug bereits gegenwärtig sichergestellt ist, während der Justizvollzug seine Behandlungsaufgaben erst Ende 2002 mit der Schließung der bereits genannten Versorgungslücke vollständig erfüllen kann. Zu der Frage der Behandlung der entlassenen Sexualstraftäter machen die Justizvollzugsanstalten keine Angaben. Anders das Krankenhaus des Maßregelvollzuges: Zur Verbesserung der Rückfallprävention engagiert es sich seit Jahren entschieden für die Einrichtung einer forensisch-psychiatrischen Ambulanz.

Mit der Entlassung aus den genannten Einrichtungen wird die Klientel in der Regel den Sozialen Diensten der Justiz zur Bewährungshilfe und Führungsaufsicht unterstellt. Nach den vorliegenden Angaben kann davon ausgegangen werden, dass die Klientel der Sexualstraftäter, für die eine Heilbehandlung indiziert ist, in befriedigender Weise betreut und behandelt wird.6) Lediglich ein moderater weiterer Bedarf an externen Behandlungsplätzen wird angezeigt. Die Nachsorge für die übrigen unter Bewährungs- und Führungsaufsicht stehenden Sexualstraftäter erfolgt in unterschiedlicher Betreuungsdichte ausschließlich von den zurzeit stark überlasteten Bewährungshelfern. Weitergehende Angebote für therapeutische und pädagogische Behandlungen sind daher

­ soweit indiziert ­ auch aus der Sicht der Bewährungshilfe wünschenswert.

Hinsichtlich der Erforderlichkeit einer therapeutischen Ambulanz werden in den folgenden Abschnitten weitergehende Ausführungen gemacht.

B. Rückfallzahlen, Rückfallgründe und Effektivität von Behandlungsverfahren

Dem Berichtsauftrag entsprechend beziehen sich die nachfolgenden Ausführungen ausschließlich auf rechtskräftig verurteilte Sexualdelinquenten. Das Thema der Dunkelfeldkriminalität, das Wetzels (1997) und der erste periodische Sicherheitsbericht der Bundesministerien des Innern und der Justiz (2001) anhand von Opferbefragungen beleuchten, wird in diesem Kontext nicht behandelt, da der gesamte Bereich schon aus Gründen der Anonymität der Täter für therapeutische und andere präventive Interventionen ­ von ganz wenigen Einzelfällen abgesehen ­ unzugänglich ist.

I. Rückfallzahlen

Wie im Zwischenbericht vom 4. Juni 1999 dargelegt, sollten bei der Beantwortung der Fragen des Abgeordnetenhauses schwerpunktmäßig die Ergebnisse des Forschungsprojekts „Legalbewährung und kriminelle Karrieren von Sexualstraftätern" der Kriminologischen Zentralstelle Wiesbaden (KrimZ) zu Grunde gelegt werden. Das Bundesministerium der Justiz sowie mehrere Landesjustizverwaltungen hatten das Forschungsprojekt eigens mit Bezug auf das Gesetz über die Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26. Januar 1998 mit dem Ziel in Auftrag gegeben, aktuelle Erkenntnisse bereitzustellen, die zur Verbesserung der Rückfallprophylaxe beitragen können. Dazu sollten in erster Linie Aussagen über die Rückfallquote bei Sexualdelinquenten und über Risikofaktoren oder andere Anhaltspunkte für neuerliche Rückfälle, aber auch Hinweise auf die Effektivität von Behandlungsmaßnahmen gehören.

1. Allgemeine Rückfallzahlen

Die Zahlen zur einschlägigen oder sonstigen Rückfälligkeit von Sexualstraftätern, die auf der Grundlage von Bundeszentralregisterauszügen ermittelt wurden, veröffentlichte die KrimZ im ersten Forschungsteil bereits im Frühjahr 1999. Die wesentlichen Ergebnisse hat der Senat in seinem vorbezeichneten Zwischenbericht resümiert.

6) In diesem Kontext ist zu bedenken, dass die große Mehrheit dieser Probanden Entlassene aus dem Justiz- und Maßregelvollzug sind und dort bereits Behandlungsmaßnahmen durchlaufen haben.

2. Differenzierte Rückfallzahlen

a) Im zweiten Forschungsteil nimmt die KrimZ, wo es von der Fallzahl sinnvoll erschien, weitere Differenzierungen nach Tätertypen vor. Bei den nach § 176 StGB zu Jugend- und Freiheitsstrafen verurteilten Delinquenten zeigt sich:

Von den Inzesttätern (sexueller Missbrauch am leiblichen Kind oder am Kind der Partnerin) wird jeder 17. (= 6 %), von den Pädophilen (außerfamiliärer Missbrauch mit Körperkontakt) jeder 4. und von den Exhibitionisten (außerfamiliärer Missbrauch durch sexuelle Zurschaustellung vor Kindern) jeder 3. einschlägig rückfällig. Da von den Exhibitionisten nur sehr wenige (dann meist Jugendliche) im Verlaufe ihrer kriminellen Entwicklung auf gewalttätige Sexualdelikte umsteigen, ist die hohe Rückfallquote, zumindest unter dem Gesichtspunkt der Gefährlichkeit, nicht sehr beunruhigend.

Für den Maßregelvollzug führte eine Aufschlüsselung der durchschnittlichen Rückfallzahlen bei nach §§ 63 und 64 StGB verurteilten Sexualstraftätern zu folgenden Ergebnissen: Nowara (2001) ermittelt,

- dass Sexualstraftäter, die zu einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) verurteilt wurden, eine einschlägige Rückfalldelinquenz von 15 % aufweisen.

- dass Delinquenten, die zu einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) verurteilt wurden, deren Vollstreckung aber direkt zur Bewährung ausgesetzt wurde, etwa zu einem Viertel erneut einschlägige Straftaten begangen haben und

- dass Straftäter, die während der Aburteilung als besonders gefährlich angesehen wurden und bei denen deshalb auch die stationäre Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet wurde, nach der Entlassung in ca. 40 % der Fälle einschlägige Rückfalldelikte begingen. „Damit zeigt sich, dass die gemäß § 64 StGB abgeurteilten Täter, bei denen primär eine Alkohol- oder Drogenproblematik im Vordergrund stand, als besser behandelbar anzusehen sind, als die Täter, bei denen eine psychische Störung/ Erkrankung als ursächlich für das Delikt anzusehen war." (Nowara 2001)

b) Auch in zahlreichen weiteren Studien zeigt sich übereinstimmend die im Verhältnis zu den übrigen Deliktformen relativ günstige einschlägige und sonstige Rückfallquote bei Sexualdelinquenten. Hanson und Bussiere (1998), die 61 Studien mit nahezu 24 000 Sexualstraftätern zusammenfassend analysierten, stellen fest, dass „die allgemeine Rückfallrate bei Straftätern (insgesamt) bei 36,3 % (liegt), die für Sexualdelikte hingegen nur bei 13,4 % (Täter mit Kindesmissbrauch: 12,7 %; Täter mit Vergewaltigung: 18,9 %)". (Nach Lösel, 1999, Seite 283.)

Die populäre Annahme dramatisch hoher einschlägiger Rückfallzahlen bei verurteilten Sexualstraftätern hat danach keine Grundlage. Diese Feststellung kann als gesichert gelten.

3. Rückfallgeschwindigkeit

Die KrimZ betrachtet in ihrem abschließenden Forschungsteil einen spezifischen Aspekt bei der Rückfälligkeit, nämlich die Rückfallgeschwindigkeit von Sexualstraftätern nach ihrer Entlassung aus dem Justiz- oder Maßregelvollzug oder nach ihrer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe mit Strafaussetzung zur Bewährung. Die Studie stellt die Deliktgruppen „sexueller Missbrauch von Kindern" (§ 176 StGB) und „sexuelle Gewaltdelikte" (§§ 177, 178 StGB a. F.) getrennt dar und kommt dabei zu den folgenden Verläufen:

Rückfallgeschwindigkeit bei erneuter Sexualdelinquenz

Die Rückfallverläufe der erfassten Tätergruppen stellen sich in den ersten zwei Jahren sehr ähnlich dar. In dieser Zeitphase werden 55 % der Sexualdelinquenten wegen sexueller Gewalttaten bzw. 52 % der Sexualdelinquenten wegen Missbrauchs von Kindern erneut straffällig, wobei die Spitze im ersten Nachentlassungsjahr besonders auffällig ist. Bei den Gewaltdelinquenten kommt es nach dem Ablauf der beiden Krisenjahre zu einer deutlich, bei den Missbrauchern von Kindern zu einer zögerlicher einsetzenden Beruhigung.

Diese Ergebnisse decken sich weitgehend mit denen anderer Studien, sodass es nur konsequent ist, die Bewältigung dieser Krisenphase zu einer zentralen Aufgabe bei der Rückfallprävention zu machen.

Die Graphik zeigt darüber hinaus, dass 11 % der Rückfalltäter mit sexuellen Gewalttaten (= 9 Personen) und 5 % der Rückfalltäter mit sexuellem Missbrauch von Kindern (= 5 Personen) vermutlich Lockerungen aus dem Justiz- und Maßregelvollzug missbraucht haben. Diese Rückfälle geben besonderen Anlass, den Bereich der Prognoseerstellung mit Bezug auf die Risikominimierung einer intensiven Betrachtung zu unterziehen.

II. Rückfallgründe

Die Frage nach den Rückfallgründen bei Sexualstraftätern ist eng mit der Suche nach Ansatzpunkten zur Verbesserung der Rückfallprävention durch eine effektivere Differenzialdiagnostik, Behandlungsintervention und Verhaltensprognose verbunden. Es gibt ein gemeinsames Interesse von Justiz- und Maßregelvollzug einerseits und der Öffentlichkeit andererseits, alles Gebotene zu tun, damit nur die inhaftierten Sexualstraftäter gelockert, beurlaubt und vorzeitig entlassen werden, bei denen einschlägige oder sonstige Rückfälle mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden können.

Für die Entwicklung zielsicherer Prognoseinstrumente für Sexualstraftäter bedient sich die Forschung mehrheitlich eines zunächst großen Pools von wichtigen Merkmalen (Items) aus dem biographischen und kriminellen Werdegang von Delinquenten und prüft diese mittels statistischer Verfahren hinsichtlich der Häufigkeit und des Ausprägungsgrades ihres Vorkommens bei einschlägig, nicht einschlägig und nicht rückfälligen Tätern. Die für den Rückfalltäter signifikanten Items werden extrahiert und zu einer Liste zusammengefasst, die bei vergleichbaren Straftätern für ein hohes Rückfallrisiko spricht. Bei guter Datenabsicherung lassen sich auf dieser Grundlage Checklisten und ähnliche Testinstrumente entwickeln, mit deren Hilfe das künftige Rückfallrisiko auf einem errechenbaren Verlässlichkeitsniveau prognostiziert werden kann.

1. Ermittlung von Risikofaktoren:

Dieser Tradition folgt auch der im Mai 2001 veröffentlichte abschließende Forschungsbericht der KrimZ. Auf der Grundlage der Bundeszentralregisterauszüge und der Auswertung von Strafakten filtert Elz rückfallrelevante Merkmale und Merkmalsgruppen für Sexualdelinquenten heraus und gibt den Praktikern damit wichtige Hinweise auf Risikofaktoren und zugleich wichtige Entscheidungshilfen für diagnostische und therapeutische Fragestellungen an die Hand.

Die KrimZ untersucht die Deliktgruppen „sexueller Missbrauch von Kindern (§176 StGB)" und „Sexuelle Gewaltdelikte (§§ 177, 178 StGB)" gesondert und kommt zu folgenden Ergebnissen:

a) Für die wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern verurteilten Straftäter hat die Diskriminanzanalyse zu einer Gruppe von Merkmalsvariablen geführt, die 92,9 % der einschlägig rückfällig gewordenen Delinquenten in markanter Form charakterisieren und die bei sorgfältiger Anwendung geeignet sind, auf entsprechend hohem Wahrscheinlichkeitsniveau künftige Rückfälle zu prognostizieren, sofern nicht durch zwischenzeitliche therapeutische Maßnahmen oder andere gegensteuernde Interventionen und Entwicklungen prognoseverbessernde Korrekturen erfolgt sind. Für die vorbezeichnete Delinquenzgruppe sprechen folgende Variablen für ein hohes Rückfallrisiko:

- Keine Vorbeziehung zwischen Täter und Opfer

- Untersuchung auf psychische Störungen (Diagnose unerheblich)

- (Auch) männliche Opfer

- Vorstrafen

- Kein Geschlechtsverkehr bei Bezugstat

- Kein abgeschlosssener oder laufender Schulbesuch

- Geständnis

- Geringes Alter bei erstem (Sexual)delikt bzw. Bezugsdelikt

- Geringe Altersdifferenz zwischen Täter und (jüngstem) Opfer

- Keine Partnerschaft

Die Treffsicherheit bei der Prognose von einschlägigen Rückfällen lässt sich nach der KrimZ-Untersuchung noch geringfügig steigern, wenn zusätzliche 10 Variablen, die allerdings sehr ausprägungsschwach sind, in die Checkliste aufgenommen werden. Wegen des unbedeutenden Erkenntnisgewinns wird auf die Wiedergabe der Items an dieser Stelle verzichtet.

b) Für die wegen sexueller Gewaltdelikte (§§ 177, 178 StGB) verurteilten Rückfalltäter wurde ebenfalls eine Gruppe von Merkmalen aus dem Datenpool herausgefiltert, die 91 % der einschlägigen Rückfalldelinquenten eindrücklich charakterisierten und die damit Rückfälle auf einem Wahrscheinlichkeitsniveau von 91 % zu prognostizieren erlauben, sofern nicht zwischenzeitlich gegenläufige Veränderungen eingetreten sind. Die Tatsache, dass die Diskriminanzanalyse keine Unterscheidung nach einschlägig und sonstig Rückfälligen erbrachte, ist nach Auffassung der Autorin „ein Hinweis darauf, dass weniger die Sexual- als die Delinquenz an sich die Täter bindet." Für eine hohe Rückfallgefahr sprechen bei dieser Gruppe danach insbesondere:

- Geringes Alter beim ersten (Sexual)delikt bzw. Bezugsdelikt

- Keine Partnerschaft

- Geringe Altersdifferenz zwischen Täter und (jüngstem) Opfer

- Keine Vorbeziehung zwischen Täter und Opfer

- Abgebrochene Schulbildung

- Mehrere Vorstrafen

- Frühere therapeutische Maßnahmen7)

Eine unbedeutende zusätzliche Steigerung der Treffsicherheit bei der Erstellung von einschlägigen Rückfallprognosen ließe sich auch hier erzielen, wenn weitere 21 extrem ausprägungsschwache Variablen in die Analyse einbezogen würden. Auf die Darstellung dieser Items wird wegen des geringen Erkenntniswertes verzichtet.

c) Bei Sexualstraftätern, bei denen eine Maßregel nach § 63 StGB (Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus) und § 64 StGB (Unterbringung in einer Entziehungsanstalt) angeordnet wurde, waren nach der KrimZ-Studie die folgenden Merkmale eng mit einer einschlägigen Rückfälligkeit verbunden und gelten damit bei dieser Klientel bei deutlicher Anhäufung als Hochrisikofaktoren:

- Höhere Vorbelastung mit schweren Sexualdelikten und allgemeinen Straftaten

- Jüngeres Alter bei Anlassdelikt (durchschnittlich 6 Jahre)

- Aufwachsen bei Eltern oder einem Elternteil bis zum 14. Lebensjahr, danach Heimaufenthalte

- Höheres Maß an Gewalterfahrungen in der Familie

- Mehrere Opfer; sowohl weibliche als auch männliche Opfer; fremde Opfer; häufige körperliche Gewalt gegenüber den Opfern

- Täter mit sexueller Deviation; Oligophrene

- Keine Behandlungsmotivation; Bagatellisierungstendenzen; häufiger Abbruch von Therapiemaßnahmen; längere Behandlungsdauer im Maßregelvollzug

- Erneute Straftaten bei Lockerungen (Gewalt- und Sexualdelinquenz)

- Bei späteren Prognosebegutachtungen seltener Feststellung spezifischer Veränderungen

- Entlassung häufiger in stationäre oder komplementäre Einrichtungen.

2. Verbesserte Einschätzung des Rückfallrisikos Checklisten der oben genannten Art wurden in den letzten Jahrzehnten in größerer Anzahl und in weit reichender Übereinstimmung hinsichtlich der ermittelten Risikofaktoren entwickelt.

Zielgruppen sind insbesondere Gewalt- und Sexualdelinquenten.

Über die Abprüfung der Risikofaktoren werden zunächst Basisdaten errechnet, die dem Fachmann den Grad der allgemeinen und zumeist auf zeitlich zurückliegenden Daten beruhenden Rückfallgefahr anzeigen. Danach schließt sich eine systematische und sorgfältige Einzelfallprüfung an, die alle aktuellen dynamischen Einflussgrößen erfasst, zu denen z. B. auch alters-, therapie- und umweltbedingte Veränderungen gehören. Das Gesamtergebnis kann dazu führen, dass ein mit zahlreichen Risikofaktoren belasteter Sexualstraftäter infolge einer zwischenzeitlich sehr günstigen Entwicklung eine gute Sozial- und Kriminalprognoseentwicklung erhält, wohingegen ein bezüglich der Risikofaktoren unauffälliger Täter infolge einer negativen Entwicklung oder aktuellen Krise mit einer negativen Verhaltensvoraussage bedacht wird.

7) Maßnahmen wie frühere Behandlungen, Begutachtungen, Bewährungsaufsicht an sich stellen selbstverständlich keine Risikofaktoren dar. Da aber besonders gestörte Menschen in erhöhtem Maße und mit begrenztem Erfolg betreut, diagnostiziert oder behandelt werden, wirft die Datenverarbeitung entsprechende Verbindungen aus.

Solche rückfallpräventiven Risikokalkulationen, die zumeist aus angloamerikanischen Ländern übernommen und an die hiesigen Verhältnissen angepasst wurden, sind bereits in einzelnen Einrichtungen des Justiz- und Maßregelvollzugs eingeführt und erprobt worden. Bewährt haben sich dabei z. B. die Prüfsysteme von Nedopil (2000), die in der Praxis in Kombination mit spezifischen Prognosebeurteilungsbögen für Gewalt- und Sexualstraftäter (HCR-20 und SVR-20, Müller-Isberner et al., 1998, 2000) zur Anwendung kommen.

Von Bedeutung ist auch die „kriterienorientierte strukturierte Risikokalkulation", die Dittmann publiziert hat und die seit Januar 2000 als verbindliches Beurteilungsinstrument aller Fachkommissionen im Strafvollzugskonkordat in Teilen der Schweiz eingeführt wurde. Danach werden für jeden Straftäter systematisch und detailliert prognoserelevante und statistisch abgesicherte Merkmalsbereiche erforscht und hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf Rückfälligkeit oder nicht Rückfälligkeit gewichtet.

Für Sexualstraftäter ist das Rückfallrisiko besonders hoch, wenn folgende Merkmale zusammentreffen:

- Fixierte sexuelle Devianz (Perversion, Paraphilie)

- Sexuelle Seriendelikte, besonders hohe Tatfrequenz

- Progrediente deviante Phantasien und Handlungen

- Sadistische Phantasien und Handlungen

- In der Phantasie oder konkret lange vorgeplante Handlungen

- Massive Gewaltanwendung bei der Tat, Verletzung des Opfers, Waffengebrauch

- Früher Beginn sexueller Delinquenz

- Verschiedenartige Sexualdelikte

- Fremde Opfer

- Bagatellisierung oder Leugnung

- Projektion des Fehlverhaltens auf das Opfer

- Geltend gemachte Berechtigung zu sexueller Befriedigung ohne Einwilligung

- Deliktfördernde Grundhaltung („Frauen wollen das!" „Sexualität schadet Kindern nicht!")

- Unfähigkeit, angemessene stabile Partnerschaften einzugehen

- Falsche Selbsteinschätzung bezüglich Risikosituationen Dittmann sichert seine Prognosen je nach Lage des Einzelfalles zusätzlich durch die Prüfung von Merkmalen ab, die für eine dissoziale Persönlichkeitsstörung (ICD-10) oder für eine psychopathische Störung (PCL nach Hare) sprechen. Beide Störungen sind eng mit hoher Rückfallwahrscheinlichkeit und schwerer Therapiezugänglichkeit verbunden.

Dittmann schlussfolgert: „Mit der neuen Methode dürfte unter optimalen Bedingungen eine durchschnittliche Richtigkeit (bei der Prognoseeinschätzung) von etwa 90 % erreichbar sein, insbesondere, wenn die Beurteilung wie in unseren Fachkommissionen in einem interdisziplinären Team erfolgt, was ein ganz erheblicher Fortschritt gegenüber dem Einzelgutachten ist." (Seite 78)

Die neuen Prüfverfahren liegen etwa 20 % über der geschätzten Treffsicherheit konventionell erstellter Prognosen.