Spezialitätsgrundsatz

Derartige Konkurrenzfragen führen allerdings nicht nur im Informationsfreiheitsrecht zu Problemen, sondern sind auch in vielen anderen Rechtsgebieten ­ nicht zuletzt im Datenschutzrecht ­ Anlass zu juristischen Auseinandersetzungen. Die naheliegendsten Gesetzeskonkurrenzen können aber wie folgt gelöst werden: rung des IFG soweit als möglich durch gesetzliche Klarstellungen zu beseitigen.

Informationsansprüche des IFG treten hinter denen aus Spezialgesetzen für Betroffene, Beteiligte oder Dritte, soweit diese speziellen Vorschriften weitergehen (§ 3 Abs. 3 IFG) oder dem Anspruch aus dem IFG entsprechen, zurück. Hier greift der Spezialitätsgrundsatz.

Dieser Vorrang ist für den Antragsteller auch unschädlich, da es sich regelmäßig um die günstigere Anspruchsgrundlage handelt, bei der meist keine Gebührenpflicht besteht.

Ausdrücklich festgestellt ist in § 2 Abs. 2 IFG der ausschließliche Vorrang des UIG bei Umweltinformationen. Für diese ist die Anwendung des IFG ausgeschlossen.

§ 3 Abs. 3 ist nicht so zu verstehen, dass das IFG generell einen Mindeststandard für alle Informationsansprüche auch aus anderen Gesetzen setzt. Gleichwohl ist der Wille des Berliner Gesetzgebers, den Bürgerinnen und Bürgern einen umfassenden Informationszugang zu ermöglichen, bei der Ermittlung des Anspruchs auf Information und seiner Grenzen nach anderen Rechtsnormen zu berücksichtigen. Sehen andere Gesetze Aktenauskunfts- oder Akteneinsichtsrechte vor, die hinter denen des IFG zurückbleiben, so ist zu unterscheiden:

Die angeführten Beispiele zeigen eindringlich, wie schwierig im Einzelfall die auftretenden Konkurrenzfragen sein können. Richtig dürfte der Ansatz sein, dass das IFG nicht für Akten gilt, für die Einsichtsoder Auskunftsregelungen unabhängig vom Beteiligtenstatus bestehen. Hingegen ist in jenen Fällen, in denen ein Spezialgesetz lediglich die Einsichtnahme durch Verfahrensbeteiligte regelt, im Einzelfall zu prüfen, ob die getroffene Regelung abschließend ist und die subsidiäre Anwendbarkeit des IFG ausschließt oder nicht.

Informationsansprüche aus Bundesgesetzen sind in der Regel abschließend und können durch weitergehende Ansprüche aus dem IFG nicht verdrängt, wohl auch nicht ohne weiteres ergänzt werden, da der Bundesgesetzgeber in der jeweiligen Materie von seiner Gesetzgebungskompetenz Gebrauch gemacht hat. Gleichwohl ist zu prüfen, ob sie weitergehende Ansprüche nach dem IFG oder eine Sperrwirkung für landesgesetzliche Regelungen in der konkreten Materie darstellt. So ist in den Fällen, in denen Landesbehörden Bundesrecht ausführen, jedenfalls dann von der Geltung des IFG auszugehen, wenn es nicht um den materiellen Inhalt von Verwaltungsentscheidungen, sondern um die Ausgestaltung des Verwaltungsverfahrens geht, für die das Land zuständig ist.

§ 34 FGG regelt die Einsicht in Gerichtsakten für jeden, wenn er ein berechtigtes Interesse glaubhaft macht. Diese Vorschrift ist ­ unabhängig von § 2 Abs. 1 Satz 2 IFG ­ abschließend.

Das SGB X regelt die öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit der Behörden nach dem SGB (§ 1 SGB X). In § 25 trifft es Aussagen zur Akteneinsicht durch Beteiligte, welche an die Geltendmachung oder Verteidigung ihrer rechtlichen Interessen gebunden ist. Über eine Akteneinsicht von Unbeteiligten (ggf. in anonymisierter Form) macht es keine Aussage. Dies schließt zwar eine Einsicht in die Sozialakten selbst aus. Unterlagen zur Organisation der Berliner Sozialverwaltung sind dagegen sehr wohl zugänglich zu machen.

Informationsansprüche aus dem IFG bestehen in der Regel auch für die Materien, in denen andere Gesetze des Landes Berlin bereits begrenzt Akteneinsichts- und -auskunftsrechte vorsehen ­ zumeist Rechte der Betroffenen oder Beteiligten eines Verfahrens oder einer Datenverarbeitung. Für das Verwaltungsverfahren stellt dies § 4 a Abs. 4 Berliner Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfGBln) bereits ausdrücklich fest, ebenso § 4 Abs. 5 Pressegesetz für die Medien. Die Informationsansprüche spezieller Gesetze begrenzen die nach dem IFG nicht, soweit nicht tatsächlich der Spezialitätsgrundsatz betroffen ist. Da sich Spezialgesetze hinsichtlich der Akteneinsichts- und Aktenauskunftsrechte auf bestimmte Personengruppen, nämlich Beteiligte, Betroffene, Berufs- und Amtsgruppen, beziehen, bleibt hier Raum für das jedermann zustehende Informationsrecht des IFG, freilich mit den Einschränkungen der §§ 6­12 IFG. Der begrenzte Informationsanspruch von Angehörigen dieser Personengruppen kann nach Maßgabe des IFG durch die jedermann zustehenden Rechte des IFG ergänzt werden, dann allerdings auch nach den Maßstäben des IFG. Sehen spezialgesetzliche Regelungen für bestimmte Personengruppen (Beteiligte, Betroffene etc.) einen begrenzten Informationsanspruch vor, so muss im Einzelfall geprüft werden, ob diese Grenzen auch für einen Anspruch aus dem IFG bindend sind, weil ein umfassender Informationsanspruch dem Schutzzweck des Spezialgesetzes zuwiderlaufen würde.

Nicht jeder Antragsteller kann sich auf § 13 Abs. 5 Satz 1 IFG berufen. So hat ein Nicht-Verfahrensbeteiligter keinen Anspruch auf Herausgabe von Kopien von Prüfungsfragen einer Prüfungseinrichtung.

Sein Anspruch kann hier nicht weiter gehen als der des Prüflings. Die Vorschrift schützt nämlich die Wiederverwertbarkeit der Prüfungsfragen.

Akteneinsicht zur Prozessführung:

Die Komplexität und Vielschichtigkeit des IFG und die Konsequenzen für die Verwaltung seien an einem Beispiel dargestellt, bei welchem wir um eine rechtliche Bewertung gebeten wurden.

In einer vor dem Kammergericht anhängigen Schadensersatzklage einer GmbH, die als treuhänderischer Entwicklungsträger des Landes Berlin fungiert, gegen eine von ihr mit der Erstellung eines Wertgutachtens beauftragte Firma haben die Anwälte der Beklagten und Berufungsklägerin Akteneinsicht bei der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung beantragt. Eine Abteilung der Senatsverwaltung hatte die Plausibilitätsprüfung des von der Beklagten erstellten Gutachtens durchgeführt. Durch die Akteneinsicht erhofft sich die Beklagte eine Verbesserung ihrer Position im Berufungsverfahren.

Bericht des Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit Stellungnahme des Senats

Die in diesem Zusammenhang auftretenden Probleme betrafen die Anwendung des IFG im laufenden Gerichtsverfahren, warfen aber auch wiederum die Frage auf, ob die hier offensichtlich gegebenen Privatinteressen an der begehrten Information einem Einsichts- oder Auskunftsanspruch nach dem IFG entgegenstehen.

Unsere Prüfung kam zu dem Schluss, dass das IFG auch in Fällen wie diesem einen Einsichts- oder Auskunftsanspruch gewährt. § 2 Abs. 1 Satz 1 IFG regelt die Informationsrechte gegenüber den Behörden und sonstigen öffentlichen Stellen des Landes Berlin und unterscheidet dabei nicht zwischen privatrechtlicher und öffentlich-rechtlicher Tätigkeit der öffentlichen Stelle. Es trifft auch keine Aussage darüber, dass das Gesetz etwa im Fall einer anhängigen Klage nicht anwendbar sein soll. Danach musste das IFG auch hier umfassend gelten, so dass die bei der Behörde vorhandenen Unterlagen dem Informationszugang unterlagen.

Dies betraf jedenfalls diejenigen Unterlagen, die auch vor Klageerhebung vorhanden waren und für einen Informationszugang in Betracht gekommen wären.

Hätte es sich dagegen um Unterlagen gehandelt, die erst nach Klageerhebung im Hinblick auf den Prozess entstanden sind ­ etwa um solche, aus denen sich eine bestimmte Prozessstrategie für das Land Berlin ergibt und die deshalb nicht in den Prozess eingebracht werden -, so wäre ein Informationsanspruch nicht auf das IFG zu gründen gewesen. Der Ausschluss des Informationszuganges bei derartigem Aktenmaterial ergibt sich aus § 9 Abs. 1 Satz 1 l. Fall IFG. Danach besteht das Recht auf Akteneinsicht oder Aktenauskunft nicht, soweit und solange ein vorzeitiges Bekanntwerden des Akteninhaltes nach der besonderen Art der Verwaltungstätigkeit mit einer ordnungsgemäßen Aufgabenerfüllung unvereinbar ist. Die Vorbereitung und Begleitung eines Zivilprozesses durch Bedienstete oder Vertreter des Landes Berlin stellen eine Verwaltungstätigkeit dar, auch wenn das Land Berlin im Zivilprozess selbst die Rechtsstellung eines Privaten hat. Die Offenbarung dieser Tätigkeit durch Offenlegung des nach Klageerhebung angelegten Aktenmaterials, aus dem auch prozesstaktische Erwägungen hervorgehen können, ist unvereinbar mit der ordnungsgemäßen Aufgabenerfüllung, nämlich mit der möglichst erfolgreichen Führung des Zivilprozesses.

Zu diesem Ergebnis, das auf den Zeitpunkt und den Zweck der Entstehung der Unterlagen abstellt, muss man auch deshalb kommen, da dem Bürger nach Klageerhebung die auch vorher nach IFG bestehenden Rechte erhalten bleiben müssen. Würde man demgegenüber die Auffassung vertreten, dass nach Klageerhebung sämtliche zu der streitigen Angelegenheit existierenden Unterlagen unzugänglich sind, hieße dies, dass sich der Antragsteller - wenn er selbst Klage einreicht ­ in eine schlechtere Rechtsposition versetzt, als er sie vor Klageerhebung innehatte. Dann aber wäre ihm zu raten, jedes Mal vor Beschreiten des (Zivil-)Rechtsweges gegen das Land Berlin zunächst die Rechte nach dem IFG auszuschöpfen.