Sie sind auch sehr viel häufiger als Frauen mit Körper und Sinnesbehinderung von sexualisierter Gewalt betroffen

„Geistig behinderten und schwerst und schwerstmehrfach behinderten Frauen, die in Einrichtungen leben, werden Mutterschaft und Familie ­ für sie selbst sehr wichtige Dimensionen des Frauenlebens ­ verwehrt.

Sie sind auch sehr viel häufiger als Frauen mit Körper ­ und Sinnesbehinderung von sexualisierter Gewalt betroffen. Ein Drittel dieser Frauen wurde in der Jugend, überwiegend auf Betreiben der Eltern, sterilisiert."

Studien belegen, dass Mädchen und Frauen mit Behinderungen häufiger Opfer eines Sexualdelikts werden als nicht behinderte Mädchen und Frauen. Zu einer besonderen Risikogruppe gehören Mädchen und Frauen mit geistiger Behinderung. Sie sind potentielle Opfer, da sie in der Regel kaum über Außenkontakte verfügen und ein fremdbestimmtes Leben erlernt haben. Die Täter nutzen die behinderungsbedingte Schutzlosigkeit der Opfer aus und gehen davon aus, dass ihre Tat unentdeckt bleibt. Die Dunkelziffer ist hoch, da die wenigsten Taten bekannt bzw. polizeilich angezeigt werden.

Nach dem Ergebnis einer in Berlin durchgeführten Studie von Susanne Klein und Silke Wawrock aus dem Jahr 199, die in Einrichtungen der Behindertenhilfe durchgeführt wurde, hatte unter den 12 ­ 25 jährigen Bewohnerinnen jede 3. ­ 4. sexuelle Gewalt erlebt. Viele Bewohnerinnen hatten bereits vor ihrer Aufnahme in der Einrichtung sexuelle Gewalt in der Familie, ausgeübt von (Stief-) Vater, (Stief-) Bruder oder anderen nahen Angehörigen, erlebt. Sexuelle Gewalt findet auch in Einrichtungen statt. Täter können sowohl Mitarbeiter als auch Heimmitbewohner sein.

Wie aus der Studie hervorgeht, waren die befragten Einrichtungsleiterinnen und ­leiter häufig unsicher, ob eine Verhaltensänderung oder Gesundheitsverschlechterung der Betroffenen Folge einer stattgefundenen Gewalttat war oder durch ihre Beeinträchtigung bedingt ist.

Die Senatsverwaltung für Wirtschaft, Arbeit und Frauen hat ein Konzept zur Prävention und Intervention bei sexueller Gewalt in Einrichtungen der Behindertenhilfe und (in und außerhalb) der Familie erarbeitet.

Dabei geht es um die Aufnahme gewaltpräventiver Regelungen in die Qualitätssicherung der Einrichtungen der Behindertenhilfe zur Verhinderung sexueller Gewalt. Das Konzept bezieht sich im Wesentlichen auf die o. g. Studie von Klein/Wawrok und die Tatsache, dass der Heimaufsicht in den letzten 10 Jahren kein Fall sexueller Gewalt von den Einrichtungen gemeldet wurde, obwohl diese dazu verpflichtet sind.

Folgende Regelungen sollen in die Qualitätssicherung aufgenommen werden:

Sicherstellung der gleichgeschlechtlichen Pflege,

Sensibilisierung der Mitarbeiterinnen/Mitarbeiter durch Fort- und Weiterbildungen,

Dokumentation der sexuellen Übergriffe,

Strafanzeige, soweit das Opfer oder die gesetzliche Betreuerin/ der gesetzliche Betreuer das wollen,

Meldung des Vorfalls bei der Heimaufsicht, der Täter muss die Einrichtung verlassen.

In diesem Zusammenhang wird die Senatsverwaltung für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz die Landesarbeitsgemeinschaft der Werkstätten für Behinderte auf die Bekanntmachung und Einhaltung des § 2 Regelungen zur sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz ­ hinweisen.

Maßnahmen zur Prävention und Intervention für den Bereich der Familie werden in der „Interministeriellen Arbeitsgemeinschaft zur Umsetzung des Gesetzes zu Art. 11 der Verfassung von Berlin (Herstellung gleichwertiger Lebensbedingungen von Menschen mit und ohne Behinderung ­ LGBG)" im Rahmen der Umsetzung des § 10 LGBG (Förderung behinderter Frauen ­ Überwindung geschlechtsspezifischer Nachteile) beraten. Es geht dabei um die Sensibilisierung der Außenkontakte für die Wahrnehmung sexueller Gewalt und verständliche Sexualerziehung und ­aufklärung in Kindergärten und Schulen.

Frauengesundheitsbericht Deutschland, Seite 529 vgl. Monika Warndorff, Sexueller Missbrauch an Menschen mit geistiger Behinderung, in Schriftenreihe gegen sexuelle Gewalt, 1/200, S. 5 ff; Wölkerling, Udo, ..... in Wege aus dem Labyrinth, EJF, 1999, S. 195, Henschel, Angelika, Lebenslagen und Interessenvertretung behinderter Frauen, in BzgA FORUM 2/3 2001, S. 9ff.

Klein/Wawrock, Sexuelle Gewalt in der Lebenswirklichkeit von Mädchen und Frauen mit geistiger Behinderung ­ die Sicht der Betroffenen, Analyse bestehender Hilfsangebote und eine bedarfsorientierte Versorgungsplanung, Laufzeit: 1995 ­ 1997

Klein/Wawrock, a.a.O.

Klein/Wawrock a.a.O., vgl. auch Henschel, a.a.O., S. 9 ff

In der Interministeriellen Arbeitsgemeinschaft wurde klargestellt, dass sexuelle Gewalt gegen behinderte Mädchen und Frauen ein geschlechtsspezifischer Nachteil im Sinne des § 10 LGBG ist, auf dessen Beseitigung der Senat hinwirkt.

Auch der bei der Frauenverwaltung angesiedelte Expertinnen-Arbeitskreis zum Schutz (geistig) behinderter Mädchen und Frauen vor sexuellen Übergriffen entwickelt Maßnahmen zur Gewaltprävention. Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind Mitarbeiterinnen/Mitarbeiter der Beratungsstellen Pro Familia, Wildwasser e. V., Kind im Zentrum, Balance, Netzwerk behinderter Frauen e. V., Kassandra e. V., Strohhalm e. V., Vertreterinnen und Vertreter des Landeskriminalamtes, der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport und des Landesamtes für Gesundheit und Soziales sowie des Landesbeauftragten für Behinderte.

Vom Arbeitskreis wurde u. a. der kürzlich erschienene „Leitfaden für Kinderärzte und Allgemeinmediziner bei Gewalt gegen Kinder und Jugendliche" um den Themenbereich „Sexuelle Gewalt gegenüber geistig behinderten Mädchen und jungen Frauen" ergänzt mit dem Ziel, Ärzte und Ärztinnen für diesen Risikobereich zu sensibilisieren. Der Landesbeauftragte für Behinderte hat die Behindertenbeauftragten der Bezirke über das Tabuthema sexuelle Gewalt an weiblichen Behinderten informiert.

In Berlin werden speziell für Frauen mit Behinderungen von verschiedenen Organisationen Selbstbehauptungs- und Selbstverteidigungskurse angeboten.

Beratung und Therapie für von sexueller Gewalt betroffene Mädchen und junge Frauen bieten Pro Familia (zugänglich, keine barrierefreie Toilette), Kind im Zentrum (barrierefrei), Balance ­ Zentrum für Familienplanung und Sexualität (barrierefrei), Wildwasser e. V. und LARA an. Pro Familia bietet darüber hinaus Fortbildungen und Praxisberatungen für Mitarbeiter/innen an, die Behinderte betreuen. In den Broschüren „Sexualität und geistige Behinderung" und „Sexualität und Körperbehinderung" werden die Themen Gewalt und Kinderwunsch angesprochen.

Wohnungslose Frauen

Nach der Quartalsstatistik der Senatsverwaltung für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz waren im 1. Quartal 2002 bei den Bezirken 756 alleinstehende Frauen und 170 alleinerziehende Frauen mit Kindern unter 18 Jahren als wohnungslos gemeldet. Die Zahl der Kinder lag bei 211. Der Anteil wohnungsloser Frauen an allen wohnungslosen Personen beläuft sich damit auf 14,4 % (Gesamtzahl der Wohnungslosen: 6.451). Zusätzlich weist die Statistik auf wohnungslose verheiratete Frauen sowie Frauen in eheähnlichen Verhältnissen mit und ohne Kinder hin, deren genaue Zahl allerdings nicht gesondert ausgewiesen und bekannt ist. Sie wird auf mindestens 200 Personen geschätzt. Somit sind mindestens 17 ­ 18 % aller registrierten Wohnungslosen bzw. 1.126 Personen in Berlin weiblichen Geschlechts im Alter über 18 Jahren.

Die Entwicklung der Wohnungslosigkeit seit 1995 macht deutlich, dass zwar die absolute Zahl wohnungsloser Frauen rückläufig ist, jedoch der Rückgang nicht so stark ausfällt wie bei den Wohnungslosen insgesamt. Im Ergebnis ist damit der Anteil der Frauen (hier wiederum nur alleinstehend und alleinerziehend) an allen Wohnungslosen in der Zeit von 1995 ­ 1999 von 11,8 % auf 14,4 % gestiegen, während ihre absolute Zahl von 1.242 auf 926 gefallen ist.

Die offiziellen Zahlen spiegeln allerdings nicht das tatsächliche Ausmaß an Frauenwohnungslosigkeit wider. Die Erfahrungen von freien Trägern der Wohnungslosenhilfe sowie Erkenntnisse aus bundesweiten Modellprojekten haben deutlich gemacht, dass bei den Frauen von einer verdeckten Wohnungslosigkeit in größerem Umfang auszugehen ist. Aufgrund geschlechtsspezifischer Sozialisationsmuster treten Frauen weniger deutlich mit ihrer Notlage in Erscheinung. Sie schreiben sich häufig selbst die Schuld für ihre soziale Lage zu. Wohnungslosigkeit stellt sich für sie ausschließlich als individuelles Versagen dar und sie schämen sich ihrer Notlage. Sie wenden sich daher erst im äußersten Notfall an das Hilfesystem. Stattdessen suchen sie zunächst Unterschlupf bei männlichen Partnern und begeben sich in Abhängigkeitsverhältnisse zu Männern bis hin zur Prostitution, wodurch sie wiederum verstärkt Gewaltsituationen ausgesetzt sind.

Aus diesem Grund hat die Senatsverwaltung für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz eine Bedarfsanalyse zu den wohnungslosen Frauen in Auftrag gegeben, in der schwerpunktmäßig der qualitative und quantitative Bedarf an einer niedrigschwelligen Notübernachtungseinrichtung für Frauen, die auf der Straße leben, präzisiert werden sollte. Die Analyse wurde im Dezember 2001 vorgelegt. In Befragungen der freien Träger wurde ein hoher Anteil psychisch beeinträchtigter Frauen an allen Wohnungslosen bestätigt, häufig in Kombination mit Suchterkrankungen und Gewalterfahrungen.

Ratgeber für behinderte Mädchen und Frauen, S. 180 ff.

Die vorhandenen medizinischen Angebote richten sich grundsätzlich an Wohnungslose beiderlei Geschlechts. Es werden insgesamt drei Arztpraxen für Wohnungslose angeboten im Umkreis der Bahnhöfe Zoologischer Garten, Ostbahnhof und Lichtenberg, eine Krankenstation mit 20 Betten und ein Arztmobil, das die Straßentreffpunkte und niedrigschwelligen Einrichtungen anfährt. Darüber hinaus findet in den Arztpraxen an den Bahnhöfen Ostbahnhof und Lichtenberg eine ergänzende zahnärztliche Versorgung für Wohnungslose statt.

Der Anteil der Patientinnen in diesen Einrichtungen liegt über die Jahre konstant je nach Einrichtung bei 11 ­ 21 % und entspricht damit in etwa dem Anteil wohnungsloser Frauen an der Gesamtzahl Wohnungsloser. Es handelt sich überwiegend um nicht krankenversicherte Patientinnen, die in der Regel nicht die regulären kassenärztlichen und kassenzahnärztlichen Angebote aufsuchen. Des weiteren sind dies Frauen über 18

Jahre, die Leistungsansprüche nach dem Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) haben.

In den vergangenen Jahren hat die Zahl der älteren wohnungslosen Frauen (über 40 Jahren) zugenommen sowie die Zahl der Frauen mit psychischen Beeinträchtigungen und Störungen. Wohnungslosigkeit führt nicht selten zu einem rapiden Verlust an persönlichen Ressourcen, d.h. Verlust an Selbstbewusstsein und Selbstwert sowie der Fähigkeit zur selbstverantwortlichen Lebensführung.

Die Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe sind nicht selten überfordert im Umgang mit psychisch beeinträchtigten Frauen. Aus diesem Grund hat die Senatsverwaltung für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz gemeinsam mit einigen Bezirksämtern ein Modellvorhaben zu „Wohnungslosen mit starken psychischen Beeinträchtigungen und Suchtproblemen" initiiert, um Bedarf und Angebot für die Zukunft besser abgleichen und ggf. Konsequenzen für das Psychiatrieentwicklungsprogramm ziehen zu können. An dem Modellversuch waren die Bezirksämter Mitte, Friedrichshain-Kreuzberg, Spandau, Tempelhof-Schöneberg und Neukölln beteiligt. Es wurden ressortübergreifende Facharbeitsgruppen, bestehend aus den jeweiligen sozialen Wohnhilfen, den sozialpsychiatrischen Diensten und den Psychiatriekoordinatoren gebildet. Die Ergebnisse des Modellvorhabens werden derzeit ausgewertet.

Die gesundheitliche Situation wohnungsloser Frauen in Berlin wird angesichts ihrer zunehmenden Bedeutung innerhalb der Gruppe der Wohnungslosen künftig noch stärker als bisher zu berücksichtigen sein.

Migrantinnen

Die ausländische Bevölkerung ist keine homogene Gruppe ­ im Gegenteil: In Berlin leben rund 180 verschiedene Nationalitätengruppen. Diese multikulturelle Vielfalt hat viele Facetten ­unterschiedliche kulturelle und religiöse Hintergründe, verschiedene Werte- und Normensysteme spielen dabei eine Rolle. Mit mehr als 436.000 Personen ­ davon rund 203.000 Frauen ­ (Stichtag 30.06.2001) stellt die ausländische Bevölkerung rund 13 % der Gesamtbevölkerung von Berlin. Einige ausgewählte Zahlen verdeutlichen die starken Unterschiede der einzelnen Nationalitätengruppen.

Melderechtlich registrierte Ausländerinnen und Ausländer in Berlin am 30.06.2001 am Ort der Hauptwohnung nach Staatsangehörigen Ausländer insgesamt : 436 182 davon Frauen: 202 584

Davon afrikan. Berliner/innen insgesamt: 15 890 davon Frauen: 5 230

Davon amerik. Berliner/innen insgesamt: 19 343 davon Frauen: 9 415

Davon austr./ozean. Berl./innen insgesamt: 1 083 davon Frauen: 535

Davon asiat. Berliner/innen insgesamt: 60 917 davon Frauen: 29 606

Davon europ. Berliner/innen insgesamt: 324 651 davon Frauen: 152 099

(Quelle: Statistisches Landesamt Berlin)

Schon diese Übersicht zeigt die großen zahlenmäßigen Differenzen zwischen den einzelnen Nationalitätengruppen; noch akzentuierter wird das Bild bei einem Blick auf die drei größten in Berlin vertretenen ausländischen Nationalitätengruppen: Türkische Berliner/innen insgesamt: 126 050 davon Frauen: 58 049