Massen-DNA-Test

Bericht des Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit Stellungnahme des Senats ergehen könne. Das haben wir zur Kenntnis genommen, auch wenn wir die rechtliche Begründung nicht teilen können. Um so wichtiger ist es dann, die Betroffenen umfassend entsprechend den datenschutzrechtlichen Vorschriften über die Einwilligung (§ 6 Abs. 3 bis 5 BlnDSG) auf den tiefen Eingriff in ihre Rechtsgüter aufzuklären. Wegen der datenschutzgerechten Gestaltung der Formulare sind wir mit den Senatsverwaltungen für Inneres und Justiz im Gespräch.

Bei molekulargenetischen Reihenuntersuchungen liegt die rechtsstaatliche Problematik in der faktischen Umkehr der Beweislast und in einer Durchbrechung der Unschuldsvermutung im Strafverfahren. Die Strafverfolgungsorgane müssen den Teilnehmern ­ soweit sie nicht Beschuldigten-Status haben ­ bis auf ganz allgemeine Kriterien wie vermutete Altersgruppe und Wohnort keine Tatnähe im Sinne eines Verdachtsgrades nachweisen. Vielmehr können sich die angesprochenen Personen veranlasst sehen, sich durch freiwillige Teilnahme am Reihentest aus dem Blickfeld der Ermittler zu bringen, um weitere polizeiliche und justizielle Maßnahmen abzuwenden. Viele Bürger nehmen nach einem spektakulären Verbrechen in ihrer Region offenbar gern an einem solchen Test teil, um die Polizei einem Aufklärungserfolg durch kriminaltechnischen Ausschluss der Nicht-Täter und damit der Eingrenzung weiterer Ermittlungen näher zu bringen. Eine Reihenuntersuchung verfolgt neben dieser Eingrenzungsfunktion auch das Ziel, dass der Täter an ihr teilnimmt und durch sie unmittelbar identifiziert wird.

Die Strafverfolgungsbehörden schaffen mit dem Massen-DNA-Test eine Situation für den Täter, in der er sich aufgrund einer faktischen Drucksituation einer dem Geständnis gleichwertigen Selbstbelastung nicht mehr entziehen kann. Deshalb dürfen kriminaltechnische Reihentests nur bei herausragenden Fällen durchgeführt werden. Ihre Legitimation erhalten sie nur aufgrund des öffentlichen Interesses an der Aufklärung der Straftat ­ und nicht etwa aufgrund eines Interesses der Nicht-Täter an dem Nachweis, als Spurenverursacher ausgeschlossen zu werden.

Da mit den vorhandenen gesetzlichen Grundlagen DNA-Reihenuntersuchungen nicht gerechtfertigt werden können, sie andererseits aber im Einzelfall bereits heute ­ wie der zugrunde liegende Fall belegt ­ unverzichtbar sein können, müssen rechtsstaatliche Mindestanforderungen beachtet werden. Es wäre rechtsstaatlich nicht hinnehmbar, wenn ­ unabhängig von der Schwere der aufzuklärenden Tat und den sonstigen herkömmlichen Ermittlungsmöglichkeiten ­ immer häufiger von Massen-DNA-Tests Gebrauch gemacht würde, soweit es die Kostenbelastung für die Polizei zulässt. Die Aufforderung an unverdächtige Personen, sich selbst zu entlasten, darf nicht zu einem Standardfall der Strafermittlungen abschleifen.

Bei freiwilligen Massen-DNA-Tests ist die Einhaltung folgender Kriterien erforderlich:

Bericht des Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit Stellungnahme des Senats:

- Massen-DNA-Tests stellen einen staatlichen Eingriff weit im Vorfeld eines Anfangsverdachtes dar.

Sie können den Täter zu einer massiven, nur eingeschränkt freiwilligen Selbstbelastung veranlassen. Deshalb müssen sie die ultima ratio der strafprozessualen Ermittlungen bleiben. Es müssen erst alle in dem konkreten Fall einsetzbaren, gesetzlich vorgesehenen Ermittlungsinstrumente ausgeschöpft worden sein, die einen kleineren Kreis von Personen als den der potenziellen Teilnehmer eines Massen-DNA-Tests belasten.

- Die Ermittlungen müssen schwere Straftaten zum Gegenstand haben, in denen die Schutzgüter Leib und Leben verletzt oder zumindest gefährdet worden sind. Eine einfache Körperverletzung kann keine DNA-Reihenuntersuchung rechtfertigen. Der Katalog der strafprozessualen Rasterfahndung (§ 98 a StPO), einer im weitesten Sinn mit der DNAReihenuntersuchung vergleichbaren Maßnahme, kann als Vorbild dienen, enthält aber Straftaten, für die eine DNA-Untersuchung bei NichtBeschuldigten unverhältnismäßig wäre.

- Es muss aufgrund einer Fall-Analyse hinreichende Anhaltspunkte für die Eingrenzung des Teilnehmerkreises geben, die Massentests „ins Blaue hinein" ausschließen. Verhältnismäßig wäre ein Vorgehen in konzentrischen Kreisen, wonach Gruppen von Betroffenen je nach potenzieller Tatnähe gebildet und bei Erfolglosigkeit des Abgleichs die jeweils tatfernere Personengruppe einbezogen wird.

- Die Einwilligungsformulare und die hierzu gegebenen schriftlichen Erläuterungen zum Verfahren müssen sorgfältig gestaltet werden und die Freiwilligkeit der Teilnahme zweifelsfrei belegen. Gegenüber einer unmittelbaren, persönlichen Ansprache des Betroffenen ist die vorherige postalische Zusendung des Formulars erforderlich, damit die Betroffenen sich in Ruhe mit der Frage der Teilnahme befassen können.

- Die Daten dürfen nur streng zweckgebunden für den molekulargenetischen Abgleich mit der Täterspur in demselben Strafverfahren verwendet werden. Sie dürfen nicht mit der DNA-Analyse-Datei bei dem Bundeskriminalamt (BKA) abgeglichen oder gar in diese eingestellt werden und müssen spätestens mit der rechtskräftigen Verurteilung des Täters vernichtet werden. Eine Verwendung für die Aufklärung nachfolgender Verbrechen in demselben regionalen Bereich noch während dieser Aufbewahrungsdauer ist unzulässig. Auch die Regelungen zur zweckdurchbrechenden Nutzung von Daten aus Strafverfahren (§§ 474 ff. Eine zwangsweise Anordnung der Abgabe einer Speichelprobe und deren molekulargenetische Untersuchung kommt nur gegenüber Personen mit Beschuldigten-Status in Betracht. Die Verweigerung des Einverständnisses darf nicht als verdachtsbegründend gewertet werden. Da dem Teilnehmerkreis der Reihenuntersuchung kein BeschuldigtenStatus zuerkannt werden kann, verfügen Polizei und Staatsanwaltschaft über keine rechtliche Möglichkeit (§§ 81 c, 81 e, 81 f. StPO), das DNAProfil der Verweigerer zu erlangen und abzugleichen; sie können lediglich Vorermittlungen zur Klärung, ob ein Anfangsverdacht vorliegt, durchführen, nicht jedoch Ermittlungen, die einen solchen Verdacht nach der StPO voraussetzen. Wenn eine Reihenuntersuchung tatsächlich als ultima ratio durchgeführt wird, wird sich ein Anfangsverdacht gegenüber Verweigerern allerdings in diesem Stadium vielfach kaum mehr begründen lassen. Das Vorgehen in konzentrischen Kreisen bedingt, dass erst die Frage der Maßnahmen gegenüber Verweigerern geprüft wird, bevor der nächste weitere Kreis von Teilnehmern des Speicheltestes angesprochen wird.

- Um eine gerichtliche und datenschutzrechtliche Nachprüfbarkeit zu ermöglichen, ob und mit welchen rechtlichen und tatsächlichen Erwägungen der dargestellten Vorgehensweise im konkreten Fall gefolgt wurde, sind die Verfahrensschritte in der Strafverfahrenakte hinreichend zu dokumentieren.

- Solange keine gesetzlichen Grundlagen für Reihenuntersuchungen vorhanden sind, sollte unsere Dienststelle ­ begleitend zur Durchführung eines Massen-DNA-Tests ­ über die beabsichtigten Verfahrensschritte unterrichtet werden.

Die Finanzierung für die Probenbestimmung muss feststehen.

Diese Kriterien wurden bei der ersten DNAReihenuntersuchung im Wesentlichen berücksichtigt.

Insbesondere wurde nach umfangreichen Informationen über die Hintergründe und die weitere Vorgehensweise eine schriftliche Einwilligung eingeholt. Die Verarbeitung erfolgte streng zweckgebunden. Ein Abgleich mit der DNA-Analyse-Datei bei dem BKA wird nach Mitteilung der Polizei nicht durchgeführt. Ebenso werden die Daten ­ mit Ausnahme denen des Täters ­ nicht in die DNA-Analyse-Datei bei dem BKA eingestellt. Zum Zeitpunkt unserer Prüfung hatte noch keine Person die Mitwirkung an der DNA-Reihenuntersuchung verweigert.