Jede Straftat soll die Videoüberwachung rechtfertigen

Jede Straftat soll die Videoüberwachung rechtfertigen.

Die allgemeinen Regelungen zur Videoüberwachung im neuen Datenschutzrecht (§§ 6 b BDSG, 31 b BlnDSG) sehen unterschiedliche Schwellen für die bloße Beobachtung und die Speicherung bzw. Aufzeichnung der Daten vor. Im vorliegenden Entwurf werden Übertragung zur Beobachtung und zur Aufzeichnung gleichbehandelt.

Im Gegensatz zu den allgemeinen Regelungen in Datenschutzgesetzen sah der Entwurf keine Information der Betroffenen vor, wenn durch Videoüberwachung erhobene Daten einer bestimmten Person zugeordnet werden und gesetzliche Gründe dem nicht entgegenstehen. Der Entwurf lässt es zu, dass Videoaufzeichnungen über die zulässige Speicherungsdauer hinaus zur Aus- oder Fortbildung, zu statistischen Zwecken, im Interesse der betroffenen Person zur Behebung einer bestehenden Beweisnot oder zu wissenschaftlichen Zwecken sowie zur historischen Archivierung weiter genutzt werden dürfen. Bei den in Frage stehenden Aufzeichnungen spielen alle diese Zwecksetzungen keine Rolle. Vielmehr muss es dabei bleiben, dass die Aufzeichnungen vernichtet werden, soweit sie nicht zur Verfolgung von Straftaten benötigt werden.

Beide Mängel der Regelung wurden aufgrund unserer Stellungnahme beseitigt.

Dateienrichtlinien

Die Novellierung des Berliner Datenschutzgesetzes machte es erforderlich, dass die Dateien-richtlinien (Ausführungsvorschriften zu § 49 ASOG) angepasst werden mussten. Einvernehmen bestand mit der Senatsverwaltung für Inneres darin, dass nach dem ASOG für jede automatisierte Datei über personenbezogene Daten und solche nicht-automatisierten Dateien, aus denen personenbezogene Daten an andere Stellen übermittelt werden, jeweils eine Errichtungsanordnung zu erlassen ist. Das bedeutet, dass nicht nur die Polizeibehörde, sondern auch alle Ordnungsbehörden für diese Dateien mit personenbezogenen Daten Errichtungsanordnungen zu erlassen haben. Die alten Dateienrichtlinien waren zu eng, weil sie sich lediglich auf den Polizeipräsidenten in Berlin bezogen.

Die Darstellung ist zutreffend.

Die neuen Dateienrichtlinien sind am 17. Februar 2003 in Kraft getreten; sie wurden im Amtsblatt für Berlin Nr. 10 vom 07. März 2003 auf Seite 820 veröffentlicht.

Darüber hinaus ist unsere Anregung aufgegriffen worden, die Errichtungsanordnungen über die behördlichen Datenschutzbeauftragten zu leiten. Diese Errichtungsanordnungen treten an die Stelle der Dateienübersicht. Auch unsere Empfehlung, die Ergebnisse der vom behördlichen Datenschutzbeauftragten unter bestimmten Voraussetzungen durchzuführenden Vorabkontrolle in die Errichtungsanordnung aufzunehmen, wurde berücksichtigt.

Öffentlichkeitsfahndung im Internet

Auch in diesem Jahr kam es bei den Demonstrationen zum 1. Mai zu Ausschreitungen. Die Polizei hat ihre Videoaufzeichnungen, Fernsehaufnahmen und private Videobänder ausgewertet. Insgesamt wurden 53 Aufnahmen für die Öffentlichkeitsfahndung hergestellt.

Diese Bilder sind in das Internet eingestellt worden.

Nach § 131 b Abs. 1 StPO ist die öffentliche Fahndung mit Bildern unbekannter Straftäter bei Straftaten von erheblicher Bedeutung zulässig, wenn die Feststellung der Identität des Straftäters auf anderem Wege erheblich weniger Erfolg verspräche oder wesentlich erschwert wäre.

Die Veröffentlichung von Abbildungen eines Beschuldigten, der einer Straftat von erheblicher Bedeutung verdächtig ist, ist zulässig, wenn die Aufklärung einer Straftat, insbesondere der Feststellung der Identität eines unbekannten Täters, auf andere Weise erheblich weniger Erfolg versprechend oder wesentlich erschwert wäre (§ 131 b Abs. 1 stop).

Die Verpflichtung der Staatsanwaltschaft, ihr bekannt gewordene Straftaten aufzuklären, verlangt, dass sie von den ihr gesetzlich zustehenden Kompetenzen im vorgesehenen Umfang Gebrauch macht. Sie kann als Ausfluss des Legalitätsgrundsatzes nicht auf die ihr zur Verfügung stehenden, erfolgsversprechenden Aufklärungsmöglichkeiten verzichten.

Straftaten von erheblicher Bedeutung sind:

- Verbrechen und

- Vergehen, die aufgrund ihrer Begehensweise, ihrer Dauer oder Schwere geeignet sind, den Rechtsfrieden besonders zu stören (§ 17 Abs. 3 ASOG)

Der Beschuldigte ist möglichst genau zu bezeichnen und ­ soweit erforderlich ­ zu beschreiben. Die Tat, derer er verdächtig ist, Ort und Zeit ihrer Begehung sowie Umstände, die für die Ergreifung von Bedeutung sein können, können angegeben werden. Öffentlichkeitsfahndungen dürfen nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzug auch durch die Staatsanwaltschaft und ihre Hilfsbeamten angeordnet werden. Die richterliche Anordnung lag vor. Die andauernde Veröffentlichung in elektronischen Medien, also im Internet, ist damit grundsätzlich zulässig (§ 131 c Abs. 2 StPO).

Die Internet-Fahndung hat insgesamt 53 Verfahren betroffen. Unter den 53 Verfahren gab es mehrere Fälle, in denen es um Plünderungen i.S.d. §125a S.2

Nr.4 StGB ging. Der besonders schwere Fall des Landfriedensbruchs gem. § 125 a StGB ist eine Straftat von erheblicher Bedeutung im Sinne von § 131 b StPO; als Regelstrafrahmen ist daher eine Mindestfreiheitsstrafe von 6 Monaten vorgesehen.

Bei den neuen Regelungen zur Öffentlichkeitsfahndung ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu berücksichtigen. Durch die Erörterung von Ermittlungsverfahren und die Einstellung von Bildern in den Publikationsorganen entsteht die Gefahr einer erheblichen Rufschädigung. Das gilt insbesondere für Unschuldige. Diese Gefahr ist bei der Qualität der Bilder von besonderer Bedeutung. Mit zunehmender Verbreitung des Internet gilt dies in wachsendem Maße auch für die Nutzung dieses elektronischen Mediums zu Fahndungszwecken.

Die spätere Resozialisierung des Täters oder der Täterin kann durch unnötige Publizität des Falles schon vor der Fahndung erschwert werden. Eine Bloßstellung oder Schädigung der Tatverdächtigen muss nicht nur in deren Interesse, sondern auch im Interesse der Strafrechtspflege möglichst vermieden werden.

Da es sich bei § 125 a StGB um ein Regelbeispiel handelt, ist zwar immer im Rahmen des Gesamtgeschehens zu prüfen, ob das konkrete Tatbild die Indizwirkung des Regelbeispiels bestätigt bzw. Umstände vorliegen, die den Sachverhalt als atypische Fallkonstellation erscheinen lassen. Solche Anhaltspunkte haben sich weder für den Dezernenten der Staatsanwaltschaft noch für das Amtsgericht Tiergarten, welches in allen Fällen gemäß § 131 c StPO die Öffentlichkeitsfahndung angeordnet hat, ergeben.

Daher ist stets zu prüfen, ob den Tatverdächtigen oder anderen Betroffenen drohende Nachteile dadurch vermindert werden können, dass nur Medien von geringerer Breitenwirkung in Anspruch genommen werden, dass andere Formen der Öffentlichkeitsfahndungen wie Plakate, Handzettel oder Lautsprecherdurchsagen gewählt werden oder dass die Fahndungshilfe örtlich oder in anderer Weise, etwa durch Verzicht auf die Verbreitung von Bildern der Gesuchten, beschränkt wird. Bei der Nutzung des Internet zu Fahndungszwecken ist außerdem zu berücksichtigen, dass die im Internet eingestellten Daten weltweit abrufbar sind. Sobald das Fahndungsziel erreicht ist oder die Ausschreibungsvoraussetzungen aus sonstigen Gründen nicht mehr vorliegen, ist die Nutzung des Internet zu Fahndungszwecken unverzüglich zu beenden.

Das Berliner Abgeordnetenhaus hat zur Sicherstellung der Verhältnismäßigkeit in einem Beschluss zu unserem Jahresbericht 1998 festgestellt, dass Öffentlichkeitsfahndungen im Internet eine noch stärkere Eingriffsintensität als herkömmliche Fahndungsmaßnahmen aufweisen. Dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit muss aus diesem Grund in besonderem Maße Rechnung getragen werden. Daher hat das Abgeordnetenhaus den Senat aufgefordert ­ wenn schon auf Personenfahndung im Internet als ultima ratio nicht verzichtet werden kann ­, folgende Kriterien einzuhalten:

- Anordnung nur bei Schwerstkriminalität,

- Ergreifung erscheint auf andere Weise aussichtslos,

- Anordnung durch die Staatsanwaltschaft und

- Schaffung einer sicherheitstechnischen Infrastruktur, die die Unverfälschbarkeit der veröffentlichten Daten sicherstellt (Verwendung von digitalen Unterschriften und digitalen Wasserzeichen sowie Überprüfungsmöglichkeiten durch InternetBenutzer) und Zugriffsschutzmechanismen vorsieht.

Im vorliegenden Fall hatte die Ermittlungsgruppe Video der Polizei das jeweils beste Bild zu den Bildsequenzen der einzelnen Straftäter ausgesucht.

Zusammen mit einem einheitlichen Vorblatt und einer Beschreibung des Geschehenablaufs wurden sie an die Staatsanwaltschaft übermittelt. Diese beantragte beim Amtsgericht Tiergarten eine Öffentlichkeitsfahndung (§§ 131 b, 131 c StPO), die in allen Fällen angeordnet wurde.

Auf Anweisung der Staatsanwaltschaft wurden daraufhin die Bilder aller Straftäter unabhängig von der einzelnen Straftat und der Bildqualität ins Internet eingestellt. Dies wurde damit begründet, dass in allen Fällen der Tatbestand des besonders schweren Landfriedensbruchs (§ 125 a StGB) erfüllt sei.