Die Jagd nach Blaumachern
Der Bundesmantelvertrag kann sich jedoch nur auf das Verhältnis zwischen den Vertragsärzten und den Krankenkassen beziehen. Er kann keine Eingriffsbefugnisse gegenüber Patienten schaffen.
Wie sich aus § 36 Abs. 2 BMV-Ä in Verbindung mit der Vordruckvereinbarung zu dieser Regelung ergibt, sind für die Erteilung von Auskünften einheitliche Vordrucke zu verwenden. Reichen die Vordrucke zur Klärung des Sachverhaltes nicht aus oder liegen keine Vordrucke vor, dürfen Krankenkassen die benötigten Informationen zwar ausnahmsweise auch auf nicht vereinbarten Vordrucken anfordern. Dabei ist allerdings anzugeben, nach welcher Bestimmung des Sozialgesetzbuches (SGB) oder welchen anderen Regelungen die Übermittlung der Information zulässig ist.
Nach den dortigen Regelungen ist die Arbeitsunfähigkeit vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) zu überprüfen und nicht durch Befragung bei den behandelnden Ärzten. Der MDK ist nach § 275 Abs. 1 Ziff. 3 SGB V zur Begutachtung im Auftrag der Krankenkassen verpflichtet, woraus sich zwar weitgehende Informationspflichten des MDK gegenüber den Krankenkassen ergeben. Die behandelnden Ärzte sind jedoch nur dem MDK gegenüber verpflichtet, Informationen über die Ursachen und Ausmaß der Arbeitsunfähigkeit im Rahmen des versicherungsrechtlichen Leistungsverhältnisses zu erteilen (vgl. § 276 Abs. 4 und 5 SGB V).
Die Jagd nach Blaumachern:
Wegen einer in der Öffentlichkeit zu erwartenden großen Resonanz wollte ein Fernsehsender über die „Jagd auf die Blaumacher", d. h. zu Unrecht arbeitsunfähig geschriebene Erkrankte, berichten. Er trat an eine gesetzliche Krankenkasse mit der Bitte heran, Berater von arbeitsunfähig geschriebenen Versicherten mit einem Kamerateam begleiten zu dürfen. Nach Angabe der Krankenkasse wurde versucht, vier Patienten in Begleitung des Kamerateams aufzusuchen. Von den vier Versicherten wurde nur eine Person angetroffen.
Das Kamerateam wurde von der Krankenkasse mit der Patientenadresse versorgt und darüber informiert, dass es sich um Patienten handele, die von einem Arzt krankgeschrieben worden waren, der wegen der Vielzahl erstellter Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen auffällig geworden war. Es bestünden Zweifel, ob die Arbeitsunfähigkeit richtig diagnostiziert worden sei.
Eine Mitarbeiterin der Krankenkasse habe das Kamerateam dann mit zur Wohnung genommen, an der Wohnungstür geklingelt und sich und ihr Anliegen der arbeitsunfähigen Person vorgestellt. Vor weiteren Fragen habe sie auf das Kamerateam verwiesen, das zu diesem Zeitpunkt noch nicht filmte, und gefragt, ob das Gespräch aufgenommen werden dürfe. Dem habe
Die Überprüfung einer Krankschreibung ist verbindlich geregelt und die gesetzlichen Krankenkassen müssen den im 275 SGB V vorgeschriebenen Weg einhalten.
Es ist unzulässig, die Anschrift und den Status „arbeitsunfähig" ohne vorherige Einwilligung des jeweiligen Versicherten an Fernsehsender oder sonstige Dritte zu übermitteln. Diese Rechtslage wurde der Kasse mit der Bitte um Beachtung mitgeteilt, die versicherte Person zugestimmt. Erst dann wurde das Gespräch aufgezeichnet, allerdings nicht gesendet.
Von der Krankenkasse wurde mitgeteilt, dass sie von dem Hausbesuch in Begleitung des Kamerateams unterrichtet gewesen sei und ihn unter der Bedingung genehmigt habe, dass die Aufzeichnung durch das Kamerateam nur mit Zustimmung der betroffenen Person stattfinden dürfe.
Die Überprüfung der Arbeitsunfähigkeit erfolgt nach § 275 Abs. 1 Ziff. 3 SGB V, der die Krankenkassen verpflichtet, bei Zweifeln eine gutachterliche Stellungnahme des Medizinischen Dienstes einzuholen. Krankenkassen können zwar im Rahmen ihrer Aufgabenerfüllung ihren Versicherten bei anhaltender Arbeitsunfähigkeit Beratung und Betreuung anbieten. Dazu mögen auch Hausbesuche unter geeigneten Umständen in Betracht kommen. Es mag auch sachlich gerechtfertigt sein, dass bei einem auffällig gewordenen Arzt in verstärktem Maße arbeitsunfähige Patienten angesprochen werden.
Nach § 35 SGB I hat aber jeder Anspruch darauf, dass seine Sozialdaten von den Leistungsträgern nicht unbefugt erhoben, verarbeitet oder genutzt oder gar übermittelt werden (Sozialgeheimnis). Das Sozialgeheimnis erlaubt es nicht, Daten von Versicherten (Sozialdaten) an Fernsehsender zu übermitteln. Genau dies war nach Darstellung der Krankenversicherung allerdings geschehen.
Zwar verwies die Krankenkasse darauf, dass die zu Hause angetroffene Person sich mit den Dreharbeiten einverstanden erklärt habe. Dies kann jedoch die zuvor unzulässig erfolgte Übermittlung der Anschriften und des Gesundheitsstatus „Arbeitsunfähig" nicht heilen.
Ende eines Konflikts:
Das Bundessozialgericht hat einen Schlussstrich unter eine jahrelange Auseinandersetzung zwischen Krankenkassen und Krankenhäusern gezogen. Es ging um die Anforderung der Krankenhausentlassungsberichte bei den Krankenhäusern. Die Krankenkassen wollten die Wirtschaftlichkeit und Angemessenheit der Krankenhausaufenthaltsdauer überprüfen. Um die Krankenhäuser zur Offenbarung dieser Informationen zu zwingen, wurde in Tausenden von Behandlungsfällen die Zahlung verweigert.
Die zuständige Senatsverwaltung hat den landesweiten Berliner Kassen mitgeteilt, unverzüglich die Konsequenzen aus der genannten Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 23. Juli 2002 zu ziehen und medizinische Unterlagen von den Krankenhäusern nur noch dem Medizinischen Dienst der Krankenkassen zu übermitteln.
Das Bundessozialgericht hat nunmehr pflichtet, im Einzelfall den Krankenkassen auf Verlangen Auskunft zu erteilen, soweit es für die Durchführung ihrer Aufgaben nach dem SGB erforderlich und gesetzlich zugelassen ist. Die Übermittlung von Behandlungsunterlagen wird nach Auffassung des Gerichts hiervon aber nicht erfasst. Denn der Begriff „Auskunft" ist bereits seinem Wortsinn nach etwas anderes als „die Herausgabe der Unterlagen". Dies zeige auch die Regelung des § 276 Abs. 1 Satz 1 SGB V, wonach die Krankenkassen verpflichtet sind, dem MDK für die Beratung und Begutachtung erforderliche Unterlagen vorzulegen und Auskünfte zu erteilen. Eine Vorschrift, die eine Übermittlung der Behandlungsunterlagen an die Krankenkassen ausdrücklich vorschreibt, sei nicht ersichtlich.
§ 301 SGB V stelle aus datenschutzrechtlichen Gründen abschließend auf, welche Angaben den Krankenkassen bei der Krankenhausbehandlung ihrer Versicherten zu übermitteln sind. Dazu gehören die Stammdaten der Versicherten, die Institutionskennzeichen von Krankenkasse und Krankenhaus, Detaildaten über Aufnahme, Verlegung, Art der Behandlung und Entlassung einschließlich der Angabe des einweisenden Arztes mit Einweisungsdiagnose, Aufnahmediagnose und Änderung von Diagnosen, die medizinische Begründung für die Verlängerung der Verweildauer sowie Datum und Art der durchgeführten Operationen und Prozeduren nicht aber die Behandlungsunterlagen der Versicherten, die in § 301 SGB V keine Erwähnung finden.
Auch wir hatten der Arbeitsgemeinschaft der Krankenkassen empfohlen, auf die Anforderung des Krankenhausentlassungsberichtes zu verzichten, weil der Wortlaut des SGB, die „Aushändigung von Behandlungsunterlagen" nicht vorsieht. Wir gehen davon aus, dass nach dieser Entscheidung die Informationsflüsse zwischen Krankenkassen und Krankenhäusern geklärt sind und zu keinen Reibungsverlusten mehr führen.
Der Schadensgutachter oder: „Klein ist die Welt!"
Nach einem Unfall erteilte ein Petent eine Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht für die Schadensregelung durch die gegnerische Versicherung. Die Stellungnahmen der behandelnden Ärzte gefielen dem Sachbearbeiter dieser Versicherung offenbar nicht.
Ohne den Petenten zu befragen, übermittelte er die ärztlichen Stellungnahmen mit persönlichen und medizinischen Daten, Arztrechnungen und dem KfzUnfallgutachten sowie Teilen der Korrespondenz an einen Gutachter. Dieser Gutachter war, so wollte es der überraschende Zufall, der Ausbilder des Betroffenen.
Nachdem wir unsere Bedenken vorgebracht haben, hat sich die Versicherung bereit erklärt, ein Verfahren einzuführen.