Jugendstrafanstalt

In Abwägung einerseits der Sorge um die Gesundheit der Mitarbeiter, der Belastung durch derartige Projekte im Vollzugsalltag durch zusätzlichen Kontrollaufwand und andererseits des nach wie vor nicht belegbaren infektionsprophylaktischen Nutzens sei der Gesamtpersonalrat gegen die Weiterführung des Projektes im Berliner Justizvollzug.

5. Berliner Vollzugsbeirat

Die Mehrzahl der Mitglieder des Berliner Vollzugsbeirats plädiert für eine Weiterführung der Spritzenvergabe, allerdings im Rahmen eines Gesamtkonzepts in geeigneten Vollzugseinrichtungen.

6. Senatsverwaltung für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz

Die Vertreterin der Landesdrogenbeauftragten hielt eine Weiterführung des Modells in der Justizvollzugsanstalt für Frauen Berlin für sinnvoll, zumal das dortige Personal bereits über langjährige Erfahrung mit drogenabhängigen Insassinnen verfüge. Die verschiedenen Bereiche dieser Anstalt seien den unterschiedlichen Situationen der Frauen, die eine Reihe von externen Angeboten wahrnehmen könnten, angepasst. So böte es sich hier an, die Infektionsprophylaxe als eine niedrigschwellige Gesundheits- und Überlebenshilfe für Drogenabhängige vorzuhalten.

Für die Justizvollzugsanstalt Plötzensee, Bereich Lehrter Straße, hielte sie eine isolierte Spritzenvergabe ohne Begleitangebote für nicht sinnvoll.

So sei die Installierung zusätzlicher geeigneter Angebote nur zum Teil gelungen, das dortige Personal sähe nach wie vor die Drogenabhängigen als eine sehr problematische Gruppe an.

Auch das Angebot der Drogenberatungsstellen für eine 14-tägige offene Sprechstunde hätte später auf einen vierwöchigen Rhythmus umgestellt werden müssen, da eine entsprechende Nachfrage ausgesprochen gering gewesen sei.

7. Berliner Aids-Hilfe e. V.

Die Vertreter der Berliner Aids-Hilfe e. V. vertraten die Überzeugung, dass die Vergabe von Spritzen nicht zwangsläufig zu einem Anstieg von Drogenkonsum führe und plädierten daher für eine Weiterführung des Modells Spritzenvergabe.

Ein positiver Aspekt der Spritzenvergabe sei die Erreichbarkeit von „Usern". Bei dem Austausch der Spritzenbestecke entwickelten sich teilweise sehr intensive Gespräche mit den Inhaftierten, bis hin zu deren Bestreben, „clean" werden zu wollen.

Allerdings sei auch aus ihrer Sicht neben der eigentlichen Spritzenvergabe bzw. dem Aufstellen von Spritzenautomaten stets ein Gesamtkonzept erforderlich, einschließlich Aufklärung und Schulung der Mitarbeiter des Vollzuges. Auch wenn es eine Vielzahl von Ausstiegsmöglichkeiten für Drogenabhängige gäbe, hielten sie es für wichtig, die Weiterführung des Projektes Spritzenvergabe zur Gesunderhaltung der Inhaftierten zu unterstützen.

IV Zusammenfassende Schlussfolgerungen und weitere Vorgehensweise

Die Auswertung der Pilotprojekte und ihrer Begleitforschung sowie der abschließenden Erörterungen führen zu folgender Schlussfolgerung:

Das Modellvorhaben ist vor allem unter dem Blickwinkel der Infektionsprophylaxe für die Gefangenen gerechtfertigt, nämlich aus der Erwartung, dass durch die Vergabe steriler Spritzbestecke Infektionen mit HIV und Hepatitiden vermieden werden können.

Es ist einerseits durchaus bemerkenswert, dass ab der zweiten Verlaufsuntersuchung von keinem Spritzentausch mehr berichtet wurde. Es erscheint auch plausibel, dass infektionsrelevantes Risikoverhalten durch die Benutzung steriler Spritzen eingedämmt werden kann. Indessen ist dies nicht zwangsläufig so, wie die Vollzugspraxis, auch in Bundesländern mit ähnlichen Modellprojekten, gezeigt hat. Dort sind Fälle bekannt geworden, in denen auch sterile, im Rahmen der Projekte ausgegebene Spritzen gemeinsam benutzt, verbotswidrig an andere Gefangene weitergegeben oder illegal gehortet worden sind. Dem entspricht der Umstand, dass sich während des hiesigen Modellprojekts mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Gefangener und möglicherweise sogar insgesamt vier Inhaftierte mit Hepatitis C infiziert haben. Da der Infektionsweg jedoch nicht ausschließlich mittels gebrauchter Spritzen verläuft, lässt er sich in diesen Fällen auch nicht ursächlich belegen. Andererseits konnten keine HIVund Hepatitis B­Neuinfektionen festgestellt werden.

Hinzu kommt, dass die Heroinfunde in der Justizvollzugsanstalt Tegel deutlich abgenommen haben, was als Indiz für einen entsprechend nachlassenden Konsum dieses Rauschmittels angesehen werden kann.

Aufgrund einer flächendeckenden Prophylaxe ist im übrigen unabhängig von dem Projekt bereits seit vielen Jahren ein erheblicher Rückgang an akuten Hepatitis B- und C- sowie an HIV-Infektionen unter der Berliner Gefangenenpopulation festzustellen.

Folgende vollzugliche Nachteile, die mit der Spritzenvergabe verbunden sind, sprechen gegen deren Beibehaltung oder gar Ausdehnung auf andere Bereiche:

An erster Stelle ist nach wie vor der unauflösbare Widerspruch zu nennen, dem die Bediensteten der Justizvollzugsanstalten ausgesetzt sind. Einerseits haben sie den strafbaren Besitz von Drogen und deren Einfuhr zu bekämpfen; zum anderen müssen sie die Spritzbestecke tolerieren, die dem alleinigen Zweck des Drogenkonsums dienen.

Weiterhin ist eine konsequente Trennung von drogenabhängigen und nicht drogenabhängigen Gefangenen aufgrund der vollzuglichen Gegebenheiten nicht möglich. Es ist daher zu befürchten, dass nichtdrogenabhängige Gefangene von den Drogengebrauchern bedrängt werden, anlässlich von Lockerungen oder bei sonstigen Gelegenheiten, Drogen zu beschaffen. Zum anderen könnte sich aus der stetigen Verfügbarkeit sterilen Spritzbestecks eine Versuchungssituation ergeben, der auch bisher nichtdrogengebrauchende Gefangene erliegen könnten, um sich erstmals ­ scheinbar gefahrlos ­ Rauschgift injizieren zu können. Allerdings wurden im Bereich der Lehrter Straße keine Neu-Einstiege in den intravenösen Konsum beobachtet. Im Übrigen ist es auch zweifelhaft, ob der erstmalige intravenöse Konsum in der Justizvollzugsanstalt für Frauen tatsächlich auf das Spritzenaustauschprogramm zurückzuführen ist

Bei der Frage, ob die Spritzenvergabe in der Justizvollzugsanstalt für Frauen Berlin fortgesetzt werden sollte, ist auch Folgendes zu beachten: es handelt sich dort um einen relativ kleinen überschaubaren Bereich. Die dortigen Bediensteten sind erfahren im Umgang mit drogenabhängigen Inhaftierten. Sie sind in hohem Maße bereit, mit diesen im Rahmen des bestehenden Drogenbehandlungskonzepts zu arbeiten. Die dortige Spritzenvergabe ist somit in ein Gesamtkonzept eingebaut. Hierzu gehört auch, dass die inhaftierten Frauen auf ihren Stationen feste Ansprechpartner verschiedener Drogenberatungsstellen haben. Die Akzeptanz der Spritzenvergabe durch die Bediensteten einschließlich der Anstaltsleitung schafft ein Vollzugsklima, in dem die Spritzenvergabe ein kleiner Mosaikstein im Rahmen eines engen Beziehungsgeflechts sein kann, das möglicherweise die Bereitschaft zu einem Drogenentzug und einer -therapie fördern kann.

Die Spritzenvergabe sollte daher im Bereich der Justizvollzugsanstalt für Frauen Berlin, örtlicher Bereich Lichtenberg, fortgesetzt werden.

Keiner dieser Gesichtspunkte gilt hingegen für die Justizvollzugsanstalt Plötzensee ­ Bereich Lehrter Straße ­, so dass dort die Vergabe sterilen Spritzbestecks nach Beendigung des über vierjährigen Modellversuchs einzustellen ist.

Auch für eine etwaige Verlagerung der Spritzenvergabe in andere Justizvollzugsanstalten Berlins besteht unter den derzeitigen Bedingungen kein Anlass:

Gemäß Nr. 2 Abs. 1 lit. a) der bundeseinheitlichen Verwaltungsvorschriften zu § 10 des Strafvollzugsgesetzes sind in der Regel erheblich suchtgefährdete Gefangene für eine Unterbringung im offenen Vollzug ungeeignet, so dass eine Installierung von Spritzenvergabe im offenen Vollzug ohnehin nicht in Betracht kommt; angesichts deren erzieherischen Auftrags ebenso wenig im Bereich der Jugendstrafanstalt und der Jugendarrestanstalt. Auch die Justizvollzugsanstalt Charlottenburg, die als „drogenarme" Anstalt konzipiert ist, scheidet aus. Folgerichtig spricht sich auch keine dieser Anstalten für eine Spritzenvergabe in ihrem Bereich aus.

Für die Justizvollzugsanstalt Tegel gilt speziell Folgendes:

Eine entsprechende Spritzenvergabe würde tatsächlich zu der nicht hinnehmbaren Versuchungssituation führen, dass ein Gefangener, der in der Justizvollzugsanstalt Moabit während des Vollzugs der Untersuchungshaft den körperlichen Entzug hinter sich gebracht hat, nach seiner Verlegung in den dortigen Bereich eine Spritzenattrappe in seiner Zelle und darüber hinaus möglicherweise Spritzenautomaten vorfände. Ein wegen Drogengebrauchs aus dem offenen Vollzug abgelöster Gefangener würde sich in der Justizvollzugsanstalt Tegel mit der legalen Möglichkeit zur Beschaffung von Spritzen konfrontiert sehen. Diesem Gefangenen wäre seine Ablösung in der Tat kaum vermittelbar.

Die Vergabe von Spritzen in den Teilanstalten V, VI und der Sozialtherapeutischen Anstalt käme nicht in Frage, da diese Bereiche nur Gefangene mit „Cleannachweis" aufnehmen. Ähnlich verhält es sich mit dem A- und dem D-Flügel der Teilanstalt III und dem B-Flügel der Teilanstalt II. Würden jedoch Spritzen nur in Teilbereichen ausgegeben, so wäre ein erheblicher Druck auf die dort untergebrachten Gefangenen zu erwarten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Gefangenen erfahrungsgemäß Mittel und Wege finden würden, um die Spritzen in alle Bereiche zu transportieren.

Hinzu käme eine erhebliche Gefährdung der in der Substituiertenstation in der Teilanstalt II untergebrachten Gefangenen und des dort praktizierten Projekts.