Jugendamt

139Parlamentarischer Untersuchungsausschuss Kindeswohl lichen Zustands, die Polizei, falls der Zutritt zur Wohnung verwehrt wird, und/oder Fachkräfte anderer Institutionen, wenn diese zur Beurteilung der Gefährdungslage beitragen können (Ziffer 3.12 der Empfehlungen).

Unter Ziffer 3.21 heißt es sodann: ... Bei Risikoeinschätzungen in Bezug auf zukünftige Entwicklungen und Verhaltensweisen sind Beurteilungsprobleme immanent. Die Einhaltung fachlich qualifizierter Verfahrensstandards kann zwar aufgrund der Schwierigkeiten bei können aber minimiert werden, wenn die Risikoeinschätzung für die (Team)... oder nicht. Bei nicht bestehender Hilfeakzeptanz ist gemäß Ziffer 3.3.2 zu klären, ob dies mit Blick auf die Situation des Kindes hinnehmbar oder ob... das Familiengericht... anzurufen ist. Hier ist die Beratung durch die/den nächste/n Dienstvorgesetzte/n und/oder im kollegialen Team in Anspruch zu nehmen.

Andere Städte verfügen bereits seit geraumer Zeit über Handlungsanleitungen samt Checklisten, die im Einklang mit den Empfehlungen des Deutschen Städtetages stehen. Dies gilt zum Beispiel für die Verfahrensstandards des Jugendamtes in Essen sowie die Richtlinie des Amtes für Jugend und Familie der Stadt Bremerhaven.

Auffällig ist, dass dort die Standards jeweils relativ knapp und deutlich formuliert und mit Beispielenunterlegtwerden.Sprachlichunterscheidetsichdieserheblichvondenim Ambulanten Sozialdienst Junge Menschen bisher verwendeten eher komplizierten, theoretischen und etwas weitschweifenden Formulierungen.

Kindeswohlgefährdungenumgehen. vorzulegen.

es aber nicht zu haben. Zumindest erfolgte auf die Polizeimeldung nach dem Tod von Kevins Mutter im November 2005 keine in den Akten dokumentierte Reaktion der Stadtteilleiterin oder des Sozialzentrumsleiters. sich der Verdacht der Kindesmisshandlung ergibt, sind bisher in keinem Sozialzentrum den Vorgesetzten vorzulegen. Dies ist für den Ausschuss in Anbetracht der gibt z. B. Bremerhaven eine klar formulierte eindeutige Richtung vor: Gemäß Ziffer 3 der oben genannten Richtlinien müssen dort Mitteilungen über den Verdacht von werden. Der Mitteilung ist ein ausgefüllter Prüfbogen beizufügen, der vom zuständigen Sozialarbeiter nach Herstellung eines persönlichen Kontaktes zum Kind ob eine Kindeswohlgefährdung vorliegt. Falls ja, sind die festgestellten Probleme gegenüber den Sorgeberechtigten deutlich und verständlich zu formulieren. Im Anschluss sind mit ihnen Vereinbarungen zur Veränderung der Situation vorzunehmen.

Dies erfolgt gemäß Ziffer 7.2 der Richtlinien durch einen Kontrollvertrag, dessen Einhaltung von der Fachkraft zu darin festgelegten Terminen überprüft werden muss.

Weiter heißt es dort unmissverständlich:

Eine solch klare Regelung wäre gerade im Fall Kevin auch für Bremen wünschenswert gewesen.

In Essen, Nürnberg und Oldenburg sind die Vorgesetzten von Meldungen über eine Kindeswohlgefährdung in Kenntnis zu setzen. In Oldenburg sind deshalb die Fachdienstleiter mit Handys ausgestattet worden, damit sie jederzeit für die fallführenden Sozialarbeiter erreichbar sind.

Warum in Bremen all dies bisher nicht für notwendig angesehen wurde, ist

Nach Auffassung des Ausschusses hat jedoch gerade im Fall Kevin die Aufsicht nicht zwingend beteiligt werden müssen. Die Bremer Praxis der Alleinverantwortung des Casemanagers ohne Einschaltung der Vorgesetzten oder jedenfalls des Teams steht im klaren Widerspruch zu den Empfehlungen des positive Errungenschaft gesehen wird, so führt es dazu, dass die Casemanager in die Einzigen sind, die gegebenenfalls strafrechtlich zur Verantwortung gezogen Mitarbeiter der Fachabteilung oder die Amtsleitung wegen Unterlassens der Sicherstellung der nach § 8 a SGB VIII erforderlichen Rahmenbedingungen einschließlich konkreter Handlungsanleitungen. Gerade dieses Problem ist in den Empfehlungen und/oder Team zwingend vorgesehen worden (siehe oben Ziffer 3.2.1 der Empfehlungen).

Eine andere Möglichkeit, dem Vier-Augen-Prinzip und den Vorgaben des § 8 a SGB VIII gerecht zu werden, ist die von der Sachgebietsleiterin der Betreuungsbehörde, Frau Hähner, vorgeschlagene Einschaltung von Kinderschutzfachkräften beziehungsweise eines Fachdienstes Kinderschutz. Frau Hähner hat von 1992 bis 1998 federführend in einem Projekt des Amtes für Soziale Dienste zur Verbesserung des emotional misshandelten Kinder.

Im Rahmen dieses Projektes wurden große Unsicherheiten bei allen Beteiligten im Umgang mit Gewalt- und Missbrauchsverdacht festgestellt. Aufgrund dieser Unsicherheit und des Fehlens klarer mit der Behauptung zurückgewiesen worden, die Beweise reichten Erschwert worden sei die Arbeit dadurch, dass die betreffenden Kinder unter einem familieninternen Schweigegebot stünden und in entsprechende Familiengeheimnissysteme eingebunden seien. Dennoch sei festgestellt worden, dass Kinder sehr wohl Hinweise und Signale geben, und zwar meist an vertraute Personen, oft die Lehrerin oder Kindergärtnerin. Umso fataler sei es daher, wenn diese sich an das Jugendamt wendeten und dort kein Gehör fänden. Das Projekt sei zu dem Ergebnis ausreiche, um die genannten Probleme zu lösen. Vielmehr sei die Einrichtung eines Fachdienstes für Kinderschutz für notwendig erachtet worden. Zur Aufgabe dieses Fachdienstes sollte unter Anderem gehören:

- eine Meldestelle für Risikomeldungen,

- die Entwicklung von Handlungsmustern für den Umgang mit Verdacht auf Kindesmisshandlung und Kindesmissbrauch,

- die Analyse und Hilfestellung beim Abbau von Handlungsblockaden und so genannten blinden Flecken bei den Mitarbeitern der Sozialen Dienste, ­ gemäß der Antwort auf die Umfrage des Ausschusses

Protokoll der öffentlichen Sitzung am 7. März 2007, S. 113 ff.

141Parlamentarischer Untersuchungsausschuss Kindeswohl

- verbindliche Unterstützung des zuständigen Sozialarbeiters bei der Fallbearbeitung und

- die Entwicklung von Fortbildungskonzepten für alle Mitarbeiter.

Auch das Thema Fehlermanagement und Schutz des einzelnen Sozialarbeiters bei Unsicherheitensolltedanachgenügendbeachtetwerden,dennschützenkönnenur, wer geschützt sei. flächendeckende Qualifizierung sämtlicher Mitarbeiter als ausreichend angesehen habe. Die Erfahrungen während des Projekts hätten jedoch gezeigt, dass allein die Teilnahme an einer Fortbildungsveranstaltung und das Vorhandensein von theoretischen Handlungsmodellen nicht automatisch dazu geführt habe, dass die Kollegen auch danach gehandelt hätten.

Vielmehr hätten Casemanager rückgemeldet, dass die Unterstützung durch Mitarbeiter des Projektes für sinnvoll erachteten. der Kindesvernachlässigung, Kindesmisshandlung und sexuellen Missbrauch spezialisierten Fachdienstes für erwägenswert. Ob hier ein zentraler Dienst eingerichtet wird oder aber Mitglieder dieses Fachdienstes als Kinder- und Jugendschutzfachkräfte in jedem Sozialzentrum installiert werden,1000 sollte sorgfältig geprüft werden.

Für beide Alternativen gibt es gute Argumente. verbindlich in die Fallbearbeitung einzubeziehen sind. Frau Hähner hält dies für zwingend erforderlich, da ansonsten die Gefahr bestehe, dass nur wenige Casemanager das Spezialwissen der Fachkräfte nutzen werden.

Nur so sei auch ein einheitliches Vorgehen in allen Sozialzentren zu gewährleisten. Prof. Blandow, der das damit verbundenen hohen Personaleinsatz sowie der Gefahr einer weiteren Bürokratisierung.

Auf keinen Fall dürfte eine Parallelinstitution entstehen. Nach Auffassung des Untersuchungsausschusses ist eine qualitative Verbesserung der Arbeit mit Risikofällen zwingend erforderlich. Wie Prof. Blandow an anderer Stelle1003 selbst betont hat, kann dies nicht allein durch allgemeine Fortbildungsmaßnahmen Hürde abgetan werden.

Richtig ist sicherlich, dass hier keine Parallelinstitution aufgebaut werden darf, zu der sich dann eine ähnliche Distanz entwickelt wie zur Fachabteilung Junge Menschen und Familie. In Hamburg stand man nach dem Fall der toten Jessica vor einer in etwa dem, was die Sachgebietsleiterin in der Betreuungsbehörde, Frau Hähner, für den Fachdienst Kinderschutz vorgetragen hat.

Interne und externe Zusammenarbeit Wichtige Schritte des Casemanagements sind neben der Bedarfsermittlung und sowie deren Koordinierung und Steuerung, Bewertung und Kontrolle. Dies erfordert eine intensive Zusammenarbeit mit allen am Hilfeprozess Beteiligten. Bezogen auf den Fall Kevin ist bereits an verschiedenen Stellen des Berichts auf Mängel in der Zu­

Protokoll der öffentlichen Sitzung am 7. März 2007, S. 116 a. a. O., S. 117

So der Vorschlag von Frau Hähner, a. a. O., S. 112 wie von der Innenrevision der senatorischen Behörde vorgeschlagen ­ siehe Akte 180, Blatt 82 f.

1001 a. a. O., S. 121 a. a. O., S. 144

Protokoll der öffentlichen Beweisaufnahme 16/2956 siehe Antwort der Freien und Hansestadt Hamburg auf die Umfrage des Ausschusses