Einen Kulturwirtschaftsbericht für Berlin!

Das Abgeordnetenhaus wolle beschließen:

Um die Zukunftspotentiale Berlins als Kulturstadt besser analysieren zu können, wird der Senat aufgefordert, dem Abgeordnetenhaus einen Kulturwirtschaftsbericht vorzulegen.

Darin soll die Berliner Kulturwirtschaft quantitativ und qualitativ nach ihren Teilmärkten

- Musikwirtschaft,

- Literatur-, Buch- und Pressemarkt,

- Kunstmarkt (einschließlich Design und Kunsthandwerk),

- Film- und TV- und Videowirtschaft,

- Darstellende Kunst und unterhaltungsbezogene Kunst aufgeschlüsselt daraufhin untersucht werden, welche Wirtschaftskraft (Umsätze, Steueraufkommen) und Beschäftigungswirkung sie entfaltet und wie bedeutsam sie im Relation zu anderen Wirtschaftsbranchen Berlins ist.

Darüber hinaus sind ­ soweit möglich ­ die Interdependenzen zwischen dem öffentlich geförderten Kulturbetrieb und der privatwirtschaftlichen Kulturwirtschaft darzustellen (z.B. Beschäftigungswechsel, Kooperationen, Inputs des öffentlichen Kulturbetriebs in die Kulturwirtschaft).

Der Bericht soll in dreijährigem Rhythmus erstellt werden. Der erste Bericht ist bis zum 30.06.2005 vorzulegen.

Begründung:

Die „Kulturwirtschaft", als ausdifferenzierte Gruppe von oft miteinander verflochtenen Wirtschaftsbranchen, umfaßt im engeren, weiteren und ergänzenden Sinne alle Wirtschaftsbetriebe und erwerbswirtschaftlichen Aktivitäten, die für die Vorbereitung, Schaffung, Erhaltung und Sicherung von künstlerischer Produktion, Kulturvermittlung und/oder medialer Verbreitung Leistungen erbringen oder Produkte herstellen oder veräußern.

Abgeordnetenhaus Berlin ­ 15. Wahlperiode Drucksache 15/ 2876

Zentrales Kriterium dieser Definition von Kulturwirtschaft ist der „erwerbswirtschaftliche Zweck", also die Zugehörigkeit einer kulturbezogenen Tätigkeit zum privaten Wirtschaftssektor in den Teilmärkten „Musikwirtschaft", „Literatur- und Buchmarkt", „Kunstmarkt", „Film/TV-Wirtschaft" sowie „Darstellende Kunst und Unterhaltungskunst". Die Kulturwirtschaft umfaßt also nicht die von der öffentlichen Hand getragenen oder geförderten Kultureinrichtungen. Allerdings steht sie mit diesem Sektor in Verbindung und es bestehen erhebliche Interdependenzen.

Die Kulturwirtschaft erzielt bedeutsame Umsätze und Beschäftigungswirkungen. Sie ist zudem in weiten Teilen arbeits- und personalintensiv. Durch ihren hohen Grad an Teilzeitbeschäftigung bietet sie flexible Beschäftigungsmöglichkeiten. Die Kulturwirtschaft ist zukunftsorientiert ausgerichtet, da sie Produkte und Dienstleistungen für einen langfristig bestehenden Markt erbringt. Wegen der hierzu notwendigen kontinuierlichen Innovation von Dienstleistungen und Produkten erfordern viele Tätigkeiten ein hohes Maß an Kreativität, Wissen und Qualifikation. In Teilbereichen trägt sie damit gleichzeitig zur Förderung lokaler und regionaler kreativer Milieus sowie des Kulturlebens bei. Die Investitionskosten zur Schaffung von Arbeitsplätzen sind in zahlreichen Teilmärkten der Kulturwirtschaft vergleichsweise gering. Nicht zuletzt kann die Kulturwirtschaft auch die mit den Kürzungen der öffentlichen Haushalte verbundenen Einschränkungen von Kulturangeboten teilweise auffangen, ohne damit den Anspruch zu verknüpfen, öffentliche Kulturangebote ersetzen zu wollen.

Über diese offenkundigen wirtschaftlichen Effekte hinaus erbringt die Kulturwirtschaft wichtige Leistungen für andere Branchen. Sie ist zum Beispiel inhaltlicher Impulsgeber (z.B. für Design-Innovationen in der Modewirtschaft), Lieferant von Produkten und Leistungen (z.B. "Content" für die Medien- und Informationsbranche) oder deren Abnehmer (z.B. als Nutzer in Spezialimmobilien) oder sie ist Mehrwertlieferant (z.B. Musikveranstaltung als Frequenzerzeuger für die Tourismusbranche). Die damit verbundenen Wertschöpfungsbeiträge der Kulturwirtschaft "im Netz der Branchen" waren bislang kaum bekannt und sie werden häufig - statistisch wie auch in der Wahrnehmung von Managern und Politikern - unterschätzt.

Je nach "Kulturnähe" kann zwischen der Kulturwirtschaft "im engeren Sinne" (z.B. selbstständige Künstler oder Privattheater), "im weiteren Sinne" (z.B. Designbüros, Antiquitätenhandel oder Buchbindereien) und nach "ergänzenden Branchen" (z.B. Kunsthandwerk, Werbung) unterschieden werden. Auch lassen sich weitere angrenzende Branchen, etwa der Kulturtourismus mit in eine solche Rahmendefinition von Kulturwirtschaft einbeziehen.

Die wirtschaftliche Relevanz der Kulturwirtschaft für die Regional- und Landesentwicklung wurde inzwischen im In- und Ausland in zahlreichen Untersuchungen nachgewiesen. So liegen bereits für die Bundesländer Bremen, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt Kulturwirtschaftsberichte oder vergleichbare Studien vor, in Schleswig-Holstein und Thüringen werden sie derzeit erarbeitet.

Für Berlin werden Standortcharakteristika wie Kultur, Medien, Tourismus, Kreativmarkt und intellektuelle Wertschöpfungen immer bedeutsamer. Fast jeder am öffentlichen Diskurs über die Zukunft der Stadt Beteiligte hebt diese Merkmale besonders hervor. Eine gezielte Ausrichtung der Politik auf dieses Feld ist dagegen bislang noch nicht in ausreichendem Maße erfolgt. Hierfür soll der Kulturwirtschaftsbericht die Grundlage legen, indem erstmals ermittelt wird, welche Rolle die Berliner Kulturwirtschaft wirklich spielt und welche Bedingungen und Parameter für sie wesentlich sind.