Bildung und Erziehung

Im Grunde geht es doch um die Kernfrage: Welche Werte haben wir heute im Jahr 2003 in der Bildung und in der Erziehung, und können wir uns überhaupt noch in unserer pluralen Gesellschaft auf einen Wertekanon in Sachen Bildung und Erziehung einigen? Schulen, und das, glaube ich, ist auch Konsens, sind auf intakte Sozialformen angewiesen. In der Schule muss in der Tat eine angemessene Arbeitsatmosphäre herrschen. Für das vernünftige Miteinander sollten sich alle an der Schule Beteiligten verantwortlich fühlen.

Um überhaupt Regeln einhalten zu können, bedarf es eines Regelwerkes. Wir haben schon darüber geredet. Verschiedene Schulen erarbeiten einige Regeln mit den Schülern. Die Schüler unterschreiben das als Art Schulvertrag, und diese Regeln müssen von den Lehrerinnen und Lehrern, von den Schülerinnen und Schülern und zum Teil auch von den Eltern akzeptiert und unterstützt werden.

Bei dem Punkt möchte ich auch das Thema Schuluniform ansprechen. Ich glaube, Schuluniformen kann man nicht verordnen. Das eignet sich immer einmal wieder für eine Schlagzeile in der Zeitung, aber das muss ein Prozess von innen sein, den die Schülerinnen und Schüler mittragen. Es gibt einige Schulen, die Schüler darüber haben abstimmen lassen, ob alle künftig im gleichen Schul-T-Shirt zur Schule kommen wollen. Ich finde, das muss man den Schülerinnen und Schülern überlassen, aber das kann nicht Aufgabe eines Bildungssenators sein, die Schüler von Kopf bis Fuß gleich einzukleiden.

Zweitens, in der klassischen Halbtagsschule wie in Bremen bleiben die notwendige Sozialerziehung und die Persönlichkeitsbildung weitgehend auf der Strecke, weil der Fachunterricht fast 100 Prozent der zur Verfügung stehenden Zeit bindet. Erst die Ganztagsschule würde den Freiraum eröffnen, um Schule im ausreichenden Maß als soziales Gefüge wahrzunehmen. In einer Schule, der es nicht gelingt, eine Atmosphäre der Achtung und der Anerkennung zu schaffen, wird auch der Benimmunterricht, den Herr Lemke will oder der im Saarland gemacht wird, überhaupt nicht helfen und greifen. Wenn der Senat jetzt die Einführung der Ganztagsgrundschulen verzögert und das nicht als Priorität setzt, wird man da auch keine Trendwende erreichen, und man wird ganz schwer das Thema einer veränderten Kultur an der Schule umsetzen können. Ganztagsschulen sind für uns Grüne ein Schlüssel dafür, eine veränderte Schulkultur in Bremen zu erreichen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Diese Chance wird von der großen Koalition im Augenblick verschenkt. Ein Bildungssystem, das auf Selektion und Ausgrenzung statt auf gemeinsames Lernen setzt, schafft sich seine Probleme selbst. In skandinavischen Staaten ist Vandalismus an Schulen ein Fremdwort. Zwischen den Lehrkräften und den Schülerinnen und Schülern herrscht eine entspannte Atmosphäre, weil dort der oberste Grundsatz Niemand darf beschämt werden lautet.

Der Bildungssenator hat durchaus Recht, wenn er fordert, dass es darum gehen muss, Schule lebendiger zu gestalten und die Unterrichtsstruktur zu verändern. Aber wir Grünen bezweifeln ausdrücklich, dass die Rückkehr zum gegliederten Schulsystem da Schwung bringen wird, im Gegenteil! Noten und Auslese fördern nicht das Bewusstsein der Schüler, dass sie gern zur Schule gehen, im Gegenteil, Schüler werden dadurch demotiviert.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen) Viertens, Willi Lemke hat gesagt, dass die Elternund Großelterngeneration sich eingestehen müsse, dass die Reformoffensive der sechziger und siebziger Jahre in einer Sackgasse geendet sei, weil ein schlüssiger pädagogischer Gegenentwurf fehlt. Das mag teilweise so sein, aber ich glaube nicht, dass alle Kinder so lupenrein achtundsechzigermäßig erzogen wurden. Was stattgefunden hat, ist aus meiner Sicht unverzichtbar und richtig. Kinder werden als eigenständige Persönlichkeiten gesehen. Das hat sich seit den sechziger Jahren ganz massiv geändert. Schule braucht eine vernünftige Balance zwischen Autorität und Freiheit. Zur Professionalität einer Lehrkraft gehört auch, dass die Lehrer über Sozialkompetenzen Bescheid wissen und dass sie das Erlernen zum integralen Bestandteil des Unterrichts machen.

Wenn aber Kinder Aggressionen von außen in die Schule mit hineintragen, dann werden auch gesellschaftliche Defizite deutlich, bei deren Behebung die Schulen, wir haben das hier schon oft diskutiert, überfordert sind. Es geht aber nicht um eine Schuldfrage, sind die Eltern schuld, ist die Schule schuld, sind die Schüler schuld, sondern es muss darum gehen, dass wir, Herr Rohmeyer hat das kurz angesprochen, darum ringen müssen, dass es Partnerschaften gibt. Wir machen in Bremen oder auch in Deutschland insgesamt den Fehler, dass es hier nicht um eine Kultur der Anerkennung geht, sondern es geht immer um das Zeigen auf den anderen und um die Frage, wer denn nun schuld ist, aber man selbst will es nicht sein. Eltern sind aber eben keine Maschinen, die gleichmäßig fehlerfreie Erziehungsleistungen abliefern können. Eltern brauchen auch Unterstützung. Die Schule kann sie liefern, und auch Eltern können der Schule, den Kindergärten wertvolle Impulse bieten.

Wenn wir als Politiker etwas verändern wollen, kann es nicht ausreichen, den anderen immer als Versager zu betiteln. Viel zu spät werden in unse 7. Sitzung am 25. 11. 03348 rem Bildungssystem die Eltern als ernst zu nehmende Partner zugelassen. In England, Dänemark und Schweden, das sind sehr erfolgreiche Länder, die gute Ergebnisse bei den Schulleistungen der Schülerinnen und Schüler vorweisen können, ist die Einbindung der Eltern integraler Bestandteil der pädagogischen Zusammenarbeit. Lehrer finden sich in unseren Schulen in wenig erfolgreichen Unterrichtsstrukturen wieder, sie sind Einzelkämpfer. Auch deshalb brauchen wir ein längeres gemeinsames Lernen für alle Kinder, gerade auch in Ganztagsschulen, und damit integrative Schulformen, damit auch Lehrer andere Unterrichtsformen wählen können und mit den Kindern anders pädagogisch arbeiten können.

Herr Lemke, ich bin jetzt gespannt, was Sie sagen, Sie sind ja in der Debatte schon ziemlich zurückgerudert! Wir dürfen nicht vergessen, bei der Pisa-EUntersuchung, das ist mir noch deutlich im Kopf, kam als ein Ergebnis heraus, die Bremer Schüler, so schlecht sie bei den Leistungen im naturwissenschaftlichen Bereich, im Lesen oder in den anderen Fächern waren, haben hervorragende soziale Kompetenzen. Jemand sagte, sie können nicht lernen, aber sie können reden, und die Bremer Schüler haben schon viele Wettbewerbe europaweit und auch bundesweit gewonnen. Ich finde, auch das muss ein Bildungssenator anerkennen und auch einmal sagen, dass es Schulen gibt, die in schwieriger Situation mit den Schülern, die sie haben, arbeiten und dort auch gute Ergebnisse erringen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Das Schwarze-Peter-Spiel zwischen SPD und CDU, ist das nun mein Ressort oder dein Ressort, kann ich hier irgendwie nicht verstehen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Es muss darum gehen, dass wir in Bremen ein Bildungssystem schaffen, das die Kinder in den Mittelpunkt stellt und nicht mit den Fingern immer auf den jeweils anderen zeigt. ­ Danke schön!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen) Vizepräsident Ravens: Als nächster Redner erhält das Wort der Abgeordnete Tittmann.

Abg. Tittmann (DVU): Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Schmidtke, bevor man hier eine solche Rede hält, sollte man doch hinsichtlich einer Vorbildfunktion Ihre Fraktionsmitglieder einmal hinterfragen dürfen. Ich habe im Namen der Deutschen Volksunion hier in diesem Haus auch mit Zahlen und Fakten immer und immer wieder deutlich zum Ausdruck gebracht, dass die achtundsechziger Generation jegliche Regel- und Moralvorstellungen wie Achtung, Ordnung und Disziplin systematisch außer Kraft gesetzt hat. Die achtundsechziger Generation hat sich maßgeblich an der Zukunft unserer Kinder versündigt, als sie sich gegen Prinzipien der moralischen Grundordnung stellte. Sie hat einfach alles laufen lassen und dabei ganz vergessen, dass der Erhalt der elementaren Grundwerte wie zum Beispiel Achtung, Ordnung und Disziplin an Schulen und in der Familie nur möglich ist, wenn es von Anfang an klare und deutliche Spielregeln und Grenzen gibt, die von den Kindern und Jugendlichen eingehalten werden müssen. Diese Spielregeln sind das Grundelement des demokratischen Zusammenlebens. Diese Spielregeln haben die achtundsechziger Revoluzzer auf Kosten der Zukunft unserer Kinder gnadenlos und skrupellos außer Kraft gesetzt.

Dieser jahrzehntelang betriebene achtundsechziger Erziehungsstil war unverantwortlich, weil jeder junge Mensch in seiner Entwicklung Bezugspunkte und klare Spielregeln braucht, um sich orientieren zu können. Im Moment aber sind unsere Kinder und Jugendlichen zukunfts- und orientierungslos. Die achtundsechziger Revoluzzer, die damals diese Spielregeln und Moralwertvorstellungen skrupellos außer Kraft gesetzt haben, sind heute diejenigen, die am lautesten nach Moral und Ordnung schreien. Das ist schon komisch! Folge dieser achtundsechziger Erziehung und Bildungspolitik können Sie anhand der Pisa-Studie deutlich und schwarz auf weiß verfolgen.

Meine Damen und Herren, ich weiß nicht, ob Sie es mit dieser Großen Anfrage Mehr Werte, Disziplin und Ordnung an bremischen Schulen wirklich ernst meinen. Eine wichtige Grundvoraussetzung für die Wiedereinführung und das Erlernen von Disziplin und Ordnung an Schulen ist doch erst einmal die Wiedereinführung einer so genannten Kopfnote an bremischen Schulen. Diesen Antrag von der Deutschen Volksunion aber haben Sie damals abgelehnt.

Dass Sie jetzt hier und heute eine solch verspätete Große Anfrage einbringen, ist schon wirklich mehr als scheinheilig. Zwar hat unser Udo Lindenberg von Bremen, Herr Senator Lemke, öffentlich gesagt, deutsche Schüler sind unhöflich, unpünktlich und schlampig, hat dabei aber ganz vergessen zu erwähnen, dass gerade seine SPD, und das schon seit über 40 Jahren, für die Bildungspolitik in Bremen verantwortlich ist.

Herr Senator Lemke, unsere Schüler haben es weiß Gott nicht verdient, von Ihnen für etwas niederträchtig beschimpft und beleidigt zu werden, wofür Ihre SPD und zum Teil auch Sie selbst seit Jahren die Verantwortung tragen. Wenn Sie sagen, unsere Schüler sind unhöflich, schlampig, faul und unpünktlich, so sind das die schlimmen Folgen einer in jeder Beziehung gescheiterten SPD-Bildungspolitik und sonst gar nichts! Dafür tragen Sie die alleinige Verantwortung und nicht die Schüler.

Wissen Sie denn überhaupt, was die Lehrerinnen und Lehrer in der heutigen Zeit alles erdulden und ertragen müssen? Anscheinend nicht! Darum will ich jetzt einmal Klartext reden. Lehrer haben Angst vor ihren Schülern. Gewalt an Schulen wurde jahrelang verschwiegen oder verharmlost. Dem Lehrer schlägt die totale Gleichgültigkeit entgegen, Hausaufgaben werden selten gemacht, Schulbücher sind nicht dabei und so weiter, eine totale Disziplinlosigkeit! Die Hälfte des Unterrichts vergeht damit, die Schüler erst einmal, meistens erfolglos, zu disziplinieren. Drogen, Erpressung, Körperverletzung und so weiter sind an der Tagesordnung. In Bremen wurde sogar schon ein Sechstklässler erwischt, als er Ecstasy auf dem Schulhof verkauft hat.

Hinzu kommt für die Lehrer der Stress, überfüllte Klassenzimmer; Schüler, die permanent versuchen, die Lehrkräfte zu provozieren, zu terrorisieren, zu reizen und zu beschimpfen; Lehrerinnen, die regelmäßig in Tränen ausbrechen, weil sie diese schrecklichen Tatsachen nicht mehr ertragen können; Lehrer, die vor Gewalt und Terror schon längst resigniert haben, die frustriert sind; Lehrkräfte, die einfach Angst haben! In diesem Zusammenhang möchte ich gern einmal die Aussage einer Lehrerin zitieren. Herr Präsident, ich darf zitieren: Jeder bei uns hofft, dass er vor seiner Rente hier noch heil herauskommt.

Meine Damen und Herren, das sagt doch wohl alles aus. Das sind die nackten Tatsachen einer verfehlten und gescheiterten SPD-Bildungspolitik. Dafür tragen Sie, Herr Senator Lemke, auch die Verantwortung! Das ist eine eindeutige Bankrotterklärung der Bremer Schulpolitik. Bei Ihrer missratenen Bildungs- und Schulpolitik fällt es doch überhaupt schwer, noch ein deutsches Schulsystem auch nur ansatzweise zu erkennen.

Wenn in einer Hamburger Grundschule der Ausländeranteil nachweislich bei über 98 Prozent liegt, dann, meine Damen und Herren, wundert mich überhaupt nichts mehr. Darum fordere ich Sie im Namen der Deutschen Volksunion dringend auf, hier nicht sinnlose, verspätete Große Anfragen einzubringen und große Schaufensterreden zu halten, sondern beschließen Sie schnellstens, aber allerschnellstens konkrete Maßnahmen, zum Beispiel die Wiedereinführung der so genannten Kopfnote an bremischen Schulen sowie die Sicherstellung von effektiven Maßnahmen zur zukünftigen Wertevermittlung, zum Beispiel Disziplin, Ordnung, Höflichkeit, Sauberkeit, Gewissenhaftigkeit, Achtung und Respekt gegenüber unseren älteren Generationen an Schulen und Kindergärten.

Meine Damen und Herren, für die Durchführung und Umsetzung geeigneter Maßnahmen einer dringend erforderlichen Wertevermittlung werden Sie immer, aber auch immer die uneingeschränkte Unterstützung der Deutschen Volksunion haben, also verschwenden Sie nicht Ihre kostbare Zeit damit, hier verspätete Anfragen einzubringen, sondern handeln Sie, und das schnell! Bringen Sie konkrete beschlussfähige Anträge ein, damit wir effektive und geeignete Maßnahmen beschließen und umsetzen können, denn wir haben keine Zeit mehr zu verlieren! Es geht um die Zukunft unserer Kinder, und die haben schon lange, viel zu lange, unter einer gescheiterten SPD-Bildungspolitik gelitten. Das haben unsere Kinder nicht verdient.

Meine Damen und Herren, linke Ideologen haben sich unendlich an der Zukunft unserer Kinder versündigt, linke Ideologen haben das Leitbild der Familie zerstört, linke Ideologen haben den Generationen- und Geschlechterkampf geschürt, und sie haben an unseren Kindern fatale Schulexperimente veranstaltet! Hier sage ich im Namen der Deutschen Volksunion: Schluss damit, es reicht! Handeln Sie schnellstens im Sinne der Zukunft unserer Kinder!

Präsident Weber: Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Rohmeyer.

Abg. Rohmeyer (CDU) : Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich bin doch einigermaßen fassungslos. Auf die letzte, völlig am Thema vorbeigehende Rede gehe ich jetzt gar nicht ein, (Abg. Tittmann [DVU]: Kann er auch gar nicht! Kann er auch gar nicht!) aber auf Ihre möchte ich eingehen, Frau Schmidtke.

Frau Schmidtke, was Sie hier gemacht haben! Wenn ich neutraler Beobachter von außen wäre, würde ich sagen, die SPD hat Lemke zum Abschuss freigegeben, denn das, was Sie hier gemacht haben, war ein totales In-den-Rücken-Fallen bei Ihrem eigenen Senator! Ich bin da völlig fassungslos und weiß auch nicht, ob Sie wissen, was Sie hier gesagt haben.

(Beifall bei der CDU) Unabhängig davon, was Sie hier zitiert haben, haben Sie aus einem Antrag zitiert, den es gar nicht gibt.