Die linksextremistische Szene in Berlin

Bei den politischen Aktivitäten ist eine Verschiebung der Schwerpunkte feststellbar: Nach Anti-Globalisierung und IrakKrieg hat das Thema Sozialabbau stark an Bedeutung gewonnen. Die Zahl der bundesweiten Anschläge von Linksextremisten auf symbolhafte Einrichtungen mit thematischem Bezug zur Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik stieg im Verlauf des Jahres 2003 an. Der Umbau der Sozialsysteme birgt für die nächste Zukunft ein hohes Agitationspotenzial für Linksextremisten, weil sich deren sozialrevolutionären Vorstellungen mit diesem Protest inhaltlich verbinden lassen.

Aktionsformen:

Militante Aktionen:

Die linksextremistische Szene in Berlin ist durch eine hohe Gewaltbereitschaft geprägt: Von den 2 480 Linksextremisten werden 1 280 Personen als gewaltbereit eingestuft; sie entstammen überwiegend dem autonomen Milieu.

Von den 531 politisch-motivierten Straftaten waren 157 Gewaltdelikte, die vielfach Ausschreitungen im Zusammenhang mit großen Demonstrationen zuzuordnen sind. Zu den Gewaltdelikten zählten auch 25 Brandstiftungen.

Gewalt gegen Sachen und Personen wird als Mittel des politischen Kampfes deklariert, öffentlich diskutiert und ausgeübt. So wurde die von einer „militanten gruppe (mg)"

() im November 2001 initiierte „Militanzdebatte" auch im vergangenen Jahr in dem Berliner autonomen Szeneblatt „INTERIM" () fortgesetzt. Sie wurde durch Brandanschläge und Sachbeschädigungen begleitet; fünf der im Jahr 2003 auch außerhalb Berlins verübten Brandanschläge stehen in ihrem Kontext. Zu vier Anschlägen bekannte sich die „militante gruppe (mg)", ein

Die „militante gruppe (mg)" trat erstmals im Sommer 2001 in Aktion, als sie an den damaligen Regierungsbeauftragten für die Entschädigung der Zwangsarbeiter, Otto Graf Lambsdorff, sowie an zwei Mitglieder der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft ein Drohschreiben mit der Überschrift „Auch Kugeln markieren einen Schlussstrich..." mit beigefügten Kleinkaliberpatronen schickte. Zeitnah hatte die „militante gruppe (mg)" einen Brandanschlag auf eine Berliner DaimlerChrysler-Niederlassung verübt und dabei einen PKW zerstört. Vgl.: Senatsverwaltung für Inneres, Verfassungsschutzbericht 2001.

Die „militante gruppe (mg)" strebt mit der Militanzdebatte eine Vernetzung und Koordinierung der verdeckt agierenden militanten Gruppen bundesweit an. Die Vernetzung soll auch durch gegenseitige Bezugnahme bei militanten Aktionen erfolgen. Neben der „militanten gruppe (mg)" und der „Militanten Antiimperialistischen Gruppe ­ Aktionszelle Pierre Overney" beteiligten sich in 2003 keine weiteren militanten Zusammenschlüsse oder sie äußerten sich ­ z. B. in Form von Vorworten in der „INTERIM" ­ tendenziell skeptisch. Ursprünglich hatten außer Berliner Gruppen auch eine „revolutionäre aktion carlo giuliani" und ein „kommando freilassung aller politischen gefangenen" aus Sachsen-Anhalt die Diskussion aufgegriffen.

Eine inhaltliche Weiterentwicklung der Militanzdebatte ­ wie sie die „militante gruppe (mg)" mit der Herausarbeitung einer „Militanten Plattform" gefordert hatte - hat nicht stattgefunden.

Die „Militante Antiimperialistische Gruppe - Aktionszelle Pierre Overney" bezeichnete in der „INTERIM" vom 18. September den „Plattformprozess" als „dahinschleichend". Den Aufbau einer militanten Plattform sieht sie nach über zwei Jahren Militanzdebatte weiterhin am Anfang: „Wir befinden uns weiterhin in einem Anfangsstadium der Organisierung militanter Zusammenhänge, da weder eine abschließende Diskussion über die Eckpunkte einer militanten Plattform erfolgt ist noch eine stabile gruppenmäßige Basis existiert, um diese offiziell auszurufen."

Der Maoist Pierre Overney wurde 1972 in Frankreich von einem bewaffneten Renault-Wachmann erschossen, als er vor dem Werkstor Flugblätter verteilte.

Neben der „militanten gruppe (mg)" und der „Militanten Antiimperialistischen Gruppe ­ Aktionszelle Pierre Overney" beteiligten sich „Autonome Gruppen", die „autonome miliz" (am) sowie eine „militante zelle" aus Berlin an der Militanzdebatte.

Die Positionen der „militanten gruppe (mg)" und der „Militanten Antiimperialistischen Gruppe ­ Aktionszelle Pierre Overney" waren dabei über weite Strecken deckungsgleich, während einige Gruppierungen, die 2002 an der Militanzdebatte teilnahmen, den Positionen grundsätzlich widersprachen.

Militante Antiimperialistische Gruppe ­ Aktionszelle Pierre Overney: Für eine inhaltlich konstruktive Militanzdebatte und praktisch erkämpfte militante Plattform. In: „INTERIM" Nr. 579, 18.9.2003, S. 12.Gegen Sozialabbau der Bundesregierung" am 1. November.

Mit der Übernahme der Verantwortung für vier Anschläge durch die „militante gruppe (mg)", hat sie in diesem Jahr mehr Anschläge als in ihrem zweijährigen Bestehen zuvor begangen.

Der erste Brandanschlag in der Neujahrsnacht auf das Finanzamt Neukölln-Süd verursachte erheblichen Sachschaden. Die „militante gruppe (mg)" setzte so nach ihrem Bekunden ihre „militante Linie gegen Institutionen der sozialen Verelendung und Deklassierung fort. In dem breit angelegten Angriff auf die untersten Segmente der Bevölkerung ist ein Netzwerk von repressiven und bürokratischen Einrichtungen entstanden, das für die zyklische Wirtschaftskrise des kapitalistischen Systems jene (haupt)verantwortlich machen will, die über die geringsten politischen und ökonomischen Einflußmöglichkeiten verfügen und chronisch am gesellschaftlichen Existenzminimum darben."

Den sich anbahnenden Irak-Krieg nahm die „militante gruppe (mg)" zum Anlass für einen Anschlag auf zwei Fahrzeuge der Bundeswehr am 26. Februar in Petershagen/Eggersdorf (Brandenburg). Der Sachschaden betrug ca. 100 000 Euro.

Ein Brandanschlag der „Militanten Antiimperialistischen Gruppe ­ Aktionszelle Pierre Overney" in der Nacht zum 28. April auf das Arbeitsamt Berlin Süd-West scheiterte, da sich die Brandsätze nicht entzündeten. Wenige Tage vorher hatte die „militante gruppe (mg)" in einer Presseerklärung zur „Revolutionären 1. Mai-Demonstration" mobilisiert.

Am 18. September verübte die „militante gruppe (mg)" einen Brandanschlag in Naumburg / Sachsen-Anhalt auf ein Dienstfahrzeug der dortigen Staatsanwaltschaft sowie auf den Eingang des Gerichtsgebäudes. Grund für den Anschlag sei - so die Selbstbezichtigung - der nahende Beginn eines Gerichtsverfahrens gegen drei Personen aus Magdeburg gewesen, die im November 2002 und April 2003 unter dem Verdacht festgenommen wurden, im Raum Magdeburg unter der Bezeichnung „revolutionäre aktion carlo giuliani" bzw. „kommando freilassung aller politischen gefangenen" Anschläge verübt zu haben.