Arbeitsbegriff der „Mischarbeit"

Das Konzept der Mischarbeit dagegen nimmt alle Arbeiten einer Person und ihre wechselseitige Abhängigkeit in den Blick. Die nachhaltige Gestaltung von Mischarbeit erfordert die Aufwertung der produktiven, aber unbezahlten Arbeiten wie auch die Ermöglichung sinnvoller Kombinationen und Übergänge.

Daraus ergeben sich neue Perspektiven der Arbeits-Umverteilung (besonders von Erwerbs- und Versorgungsarbeit zwischen den Geschlechtern) mit dem Ziel von Teilhabe und sozialer Gerechtigkeit.

Der erweiterte Arbeitsbegriff der „Mischarbeit" trägt der Realität der aktuellen Entwicklungen Rechung, indem er die bisherige Fixierung auf Erwerbsarbeit relativiert und sie in einen Zusammenhang mit sozialen und ökologischen Kreisläufen stellt. Damit wird die fortwirkende Bedeutung von Erwerbsarbeit für unser gesellschaftliches Leben keineswegs negiert: Es handelt sich vielmehr um ein Konzept, das die in unserer Gesellschaft vorhandenen Arbeitsformen als einander notwendig ergänzend anerkennt und in ein zukunftsfähiges Gesamtkonzept der gerechten Arbeitsverteilung einfügt.

Der notwendige Strukturwandel wird nur möglich sein, wenn die Beteiligten auf die anstehenden Veränderungen in der Arbeitswelt und in allen anderen Lebenssphären vorbereitet sind, d.h. wenn sie selbstständig und selbstorganisiert die nötigen Kompetenzen erwerben können. Die Integration in Erwerbsarbeit (auch in Form von eigenständiger unternehmerischer Tätigkeit) und den gleichberechtigten Zugang zur beruflichen Aus- und Weiterbildung zu gewährleisten sowie der sozialen Ausgrenzung von bestimmten Personengruppen (allein Erziehende, gering Qualifizierte, Ältere) entgegenzuwirken, sind wesentliche Aspekte einer Nachhaltigkeitsstrategie in der Arbeitsmarkt- und Berufsbildungspolitik ­ und zugleich übergreifende gesellschafts-, wirtschafts- und sozialpolitische Ziele. Die Umsetzung des Nachhaltigkeitsgedankens in der Arbeits- und Berufsbildungspolitik erfordert das Zusammenwirken vieler unterschiedlicher Akteure im Land Berlin, im Bund und in der EU. Berlins Chancen liegen zum einen in der Entwicklung zu einem attraktiven Wissenschafts-, Kultur-, Medien- und Touristikzentrum, zum Standort für Bio-, Informations- und Kommunikationstechnologie sowie zur Drehscheibe zwischen West- und Osteuropa. Zum anderen bedarf es neuer Ansätze zur sozialen Stadtentwicklung, zur Weiterentwicklung lokaler sozialer Unternehmen und zu genossenschaftlichen Wirtschaftsformen. Arbeitsplätze in diesen Bereichen erfordern von den Arbeitskräften ein lebensbegleitendes Lernen, ohne das heute der Erwerb und die Entwicklung von Arbeitskompetenzen ­ und damit die Mitwirkung an einem zukunftsfähigen Berlin ­ nicht mehr denkbar sind.

Leitbild / Vision:

In unserer Stadt werden die Menschen einer Vielzahl befriedigender Beschäftigungen nachgehen. Gesellschaftlich anerkannt und sozial abgesichert sind aber nicht nur diejenigen, die einen festen und bezahlten Job haben. Wer seine Angehörigen versorgt, ehrenamtlich im Sportverein oder in der Nachbarschaftshilfe tätig ist, wer Teilzeit mit anderen Tätigkeiten kombiniert, wer sich für einen neuen Beruf qualifiziert ­ jede/r verfügt über ein gesichertes Mindesteinkommen und über Unterstützung in gemeinschaftlichen Infrastrukturen. Soziale Tätigkeiten sind gleichermaßen anerkannt wie Erwerbsarbeit und verbessern den Zugang zu bezahlter Arbeit.

Nachhaltige Mischarbeit hat zu einer gerechteren Verteilung der verschiedenen Arbeiten geführt ­ zwischen den Geschlechtern wie auch zwischen den Generationen. Einerseits sind soziale Tätigkeiten aufgewertet, andererseits ist das „Arbeiten ohne Ende" eingeschränkt worden. Früher in der Arbeitswelt systematisch Benachteiligte - Frauen, Jugendliche, Ältere, Ausländer oder Leistungsgeminderte - werden gleichberechtigt in die Produktion, Reproduktion und Entwicklung der Gesellschaft einbezogen; sie erhalten zumindest Entgelte, die zur Deckung ihrer materiellen und sozialen Grundbedürfnisse ausreichen.

Das prioritäre Ziel der Arbeitsmarktpolitik, bestehende zukunftsfähige Arbeitsplätze zu erhalten und zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen sowie ein quantitativ ausreichendes und qualitativ hochwertiges Ausbildungsangebot zu sichern, ist realisiert worden. Integration in Erwerbsarbeit, Zugang zu beruflicher Aus- und Weiterbildung, Prävention und Abbau sozialer Ausgrenzung bestimmter Personengruppen sind als Schlüsselaspekte eines auf Nachhaltigkeit zielenden Konzeptes zur „Zukunft der Arbeit" umgesetzt.

Investitionen in die Ausbildung der jungen Generation stellen ein wesentliches Element einer Arbeitsmarkt- und Berufsbildungspolitik dar, die „nachhaltig" wirkt. Wie sich herausgestellt hat, reichen die im Rahmen der Erstausbildung vermittelten Kenntnisse nicht für ein ganzes Arbeitsleben. Sie werden deshalb fortlaufend ergänzt, aktualisiert und angepasst: Die Förderung des „lebensbegleitenden Lernens" ist Entwurf zur Berliner Lokalen Agenda 21 Stand 30.03.2004 S. 67 ein zentrales Element der nachhaltigen Arbeitmarkt- und Berufsbildungspolitik. Nur so gelingt es, die neuen Anforderungen erfolgreich zu meistern.

Im Rahmen einer auf Nachhaltigkeit orientierten Politik konnte die Arbeitslosigkeit durch die Schaffung hochproduktiver ­ sozial, gesundheitlich und ökologisch verträglicher ­ Arbeitsplätze reduziert werden.

Damit sind die Funktionsfähigkeit der sozialen Sicherungssysteme, die Finanzierung eines umfangreichen Angebotes an staatlichen Dienstleistungen und ein befriedigendes allgemeines Einkommensniveau gewährleistet.

Qualitätsziele und zielführende Strategien Soziale Ungleichheit, Armut und Ausschluss von der Teilhabe an der Gesellschaft sind in sozialer wie auch in ökologischer und ökonomischer Hinsicht kontraproduktiv und stehen somit einer nachhaltigen Entwicklung entgegen.

Angesichts dieser Sachlage ist das Prinzip der Mischarbeit von zentraler Bedeutung für jedes Konzept zukunftsfähiger Arbeit: Es erkennt an, dass Erwerbs-, Versorgungs-, Gemeinschafts- und Eigenarbeit gleichermaßen für die Reproduktion und Entwicklung der Gesellschaft und des Individuums erforderlich sind. Dementsprechend ist die Aufmerksamkeit auf eine neues Gleichgewicht von Leben und Arbeiten und die Förderung von bislang benachteiligten Gruppen zu legen, d.h. auf:

· die Eröffnung von Zugängen in den ersten Arbeitsmarkt bei Vereinbarkeit mit anderen Arbeitsformen;

· die Aufwertung informeller Tätigkeiten für die Versorgung, für die Gemeinschaft und für die individuelle und gesellschaftliche Qualifizierung ­ mit dem Ziel, die Lebensvielfalt und Lebensqualität der Einzelnen in der Gemeinschaft zu erhöhen;

· die Sicherung eines von Erwerbsarbeit unabhängigen Grundeinkommens;

· die Ermöglichung von Teilhabe und Qualifizierung (Elemente hierzu sind auch in den Handlungsfeldern „Bildung" und „Partizipation" enthalten).

Das Konzept der nachhaltigen Mischarbeit enthält folglich wesentliche Elemente, die im Rahmen der Lissabonner Strategie der Europäischen Union ­ und insbesondere in der Europäischen Beschäftigungspolitik ­ bereits gefordert und gefördert werden: Humankapitalentwicklung; Integration möglichst vieler Menschen in produktive, unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten optimierte Erwerbstätigkeit; Aufbau langfristig funktionierender sozialer Sicherungssysteme bzw. Ressourcenumverteilung zwischen Erwerbsfähigen und Nichterwerbsfähigen.

Inhalt und Qualität der Ausbildung sowie die Berufsstruktur müssen vorausschauend an den gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und technologischen Wandlungsprozessen orientiert werden: Die Modernisierung der Berufsausbildung muss auf die Heranbildung eines Fachkräftepotenzials ausgerichtet sein, das in Qualität, Quantität und Struktur den Bedarfsanforderungen einer nachhaltig orientierten Berliner Wirtschaft entspricht und eine breite Einsetzbarkeit ermöglicht.

Ein gesichertes Mindesteinkommen in Verbindung mit der Unterstützung von gemeinschaftlichen Infrastrukturen ist ebenfalls ein wichtiger Eckpunkt des o.g. Leitbildes: Die nötigen Gelder für ein solchen Mindesteinkommens können sich aus dem speisen, was gegenwärtig bereits im Rahmen von Sozialhilfe, Arbeitslosenhilfe und kommunalen Dienstleistungen ausgegeben wird. Auch wenn es hier im Wesentlichen um ein Thema für den Bundesgesetzgeber und u.U. auch die Tarifvertragsparteien geht, sollten auf lokaler Ebene alle Gestaltungsspielräume bzgl. eines „gesicherten Mindesteinkommens" genutzt werden.

Entscheidend ist, dass es bei den Perspektiven nachhaltiger Arbeit um einen integrierten Ansatz geht, d.h. um die Einbeziehung der wichtigsten Handlungsfelder, die für das Alltagsverhalten der Menschen bedeutend sind.

Soziale Nachhaltigkeit hat Gesamtkontexte und nicht nur einzelne Parameter ­ wie z. B. die aktuelle Beschäftigungsfähigkeit ­ im Blick. Diese integrierte Betrachtung gilt nicht nur für die Begründung des Handlungsfeldes, sondern auch für die exemplarische Auswahl konkreter Maßnahmen und Projekte und die Kriterien ihrer Bewertung.

a) Perspektiven der Bezirklichen Bündnisse für Wirtschaft & Arbeit:

Die Bezirklichen Bündnisse für Wirtschaft und Arbeit (BWA) zielen auf die Verknüpfung von Projekten, Maßnahmen und Netzwerken, um mittels der hervorgerufenen Synergieeffekte die Entwicklung des jeweiligen Bezirks zu fördern und insbesondere das Arbeits- und Ausbildungsplatzangebot zu erhöhen und die lokale Wirtschaft zu stärken. Bestandteil der BWA ist auch die Entwicklung neuer Projektideen. Die Bürger/innen waren und sind aufgerufen, sich zu beteiligen und eigene Projekte einzubringen.

Auf eine stärkere Einbeziehung von lokalen Akteuren in die Erschließung von lokalen Beschäftigungspotenzialen und die Erhöhung der Beschäftigungsfähigkeit ist auch die Umsetzung des ESF-Politikfeldes „Lokales Soziales Kapital" gerichtet. Akteure auf lokaler Ebene werden durch kleine Förderbeträge in die Lage versetzt, vor Ort vorhandenes Potenzial zur Beschäftigtenentwicklung und zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt zu mobilisieren. Das im Programm „Lokales Kapital für soziale Zwecke" enthaltene Potenzial ist geeignet, der gesellschaftlichen Ausgrenzung bestimmter Personengruppen zu begegnen. Seine Zielgruppe sind Personen, denen es aufgrund besonderer Vermittlungshemmnisse nicht gelingt, ohne entsprechende Förderung ihre Beschäftigungsfähigkeit zu verbessern.

Die Bündnisse für Wirtschaft und Arbeit wurden in ihrer Anfangsphase durch die Zusammenlegung von Bezirken und das Fehlen einer eigenen Finanzierung behindert. Die Konstellationen zwischen Bezirksverwaltungen, Servicegesellschaften, lokalen Projekten und Netzwerken sind je nach Bezirk sehr unterschiedlich. Hier bedarf es einer Klärung der Zuständigkeiten und einer Verstärkung der nötigen Ressourcen und Qualifikationen. Neben einer verbesserten Effizienz der Organisations- und Verwaltungsprozesse sollten daher die qualitativen Ziele von Beschäftigungsförderung im Rahmen nachhaltiger Entwicklung im Vordergrund stehen. Das Verhältnis zwischen den in die BWA eingebrachten Zeit- und Energieressourcen einerseits und den erzielten Ergebnissen andererseits sollte verbessert werden. Bei der künftigen Umsetzung der BWA-Strategie sollten Aufwand und Nutzen in einem sinnvollen Verhältnis stehen.

Die derzeitige Arbeitsmarkt-Strategie ist vor allem auf ökonomische und weniger auf ökologische und soziale Dimension zugeschnitten. Das dokumentiert sich u.a. in der Namensänderung der Beschäftigungsbündnisse in „Bündnis für Wirtschaft und Arbeit" (BWA) wie auch in einem unterschiedlichem Verständnis von „Nachhaltigkeit": So wird im Arbeitsmarkt- und berufspolitischen Rahmenprogramm des Landes Berlin (ARP) unter „nachhaltig" in der Regel nur „dauerhaft" verstanden.

Die bisherige Strategie bezirklicher Beschäftigungsbündnisse sollte künftig durch die Einbeziehung des Konzepts „nachhaltiger Arbeit in der Region" erweitert werden, dessen Beitrag zur Existenzsicherung, zur Versorgung und zum sozialen Zusammenhalt der Gemeinschaft zu prüfen wäre. Darüber hinaus gilt es zu berücksichtigen, welche Veränderungen durch die gewandelten politischen und finanziellen Rahmenbedingungen im Programm selbst eintreten werden. Die Beschäftigung mit den Perspektiven der BWA unter dem Aspekt nachhaltiger Arbeit lohnt sich auch in Zukunft. Dazu bedarf es allerdings eines Ausbaus der Kooperation zwischen der Senatsverwaltung, den Akteuren in den bezirklichen Bündnissen und dem Potenzial der bürgerschaftlich Engagierten in Berlin.

b) Tendenzen und Auswirkungen der Arbeitsmarktpolitik des Bundes:

Die Strategien der Agenda 2010 sind ­ trotz gegenteiliger Bekundungen ­ eher eindimensional und kurzfristig angelegt. Die nächsten Schritte einer langfristigen Beschäftigungspolitik müssen daher die ökologisch-soziale Dimension stärker einbeziehen und einseitige Sichtweisen korrigieren. Zu hinterfragen sind insbesondere folgende Annahmen: dass geringere Lohnkosten und Deregulierung zu mehr Arbeitsplätzen führen; dass Arbeitslose durch die Verschärfung der Zumutbarkeitsregeln zu mehr Flexibilität und Eigenaktivität gebracht werden müssen; dass jede geringfügige Erwerbsarbeit in der Privatwirtschaft besser und wichtiger sei als alle Tätigkeiten auf dem zweiten und dritten Arbeitsmarkt oder in der Selbstversorgung.

Demgegenüber ist ein erweiterter Arbeitsbegriff zu fördern. In Berlin müssen Experimente ermöglicht werden, in denen die in großem Umfang vorliegenden Erkenntnisse aus Wissenschaft und Forschung unterschiedlicher Ressorts in die Praxis überführt werden. Dies bezieht Maßnahmen der Arbeitszeitverkürzung und -flexibilisierung sowie die Kombination mit sog. informellen Arbeiten mit ein: Es bedarf der Freiräume zur Ermöglichung von Experimenten wie auch einer Verknüpfung von Förderprogrammen aus unterschiedlichen Fachressorts zur Schaffung neuer Arbeitsplätze (im Sinne neuer Organisationsformen und Arbeitsinhalte).

Zur Unterstützung dieses Ansatzes bietet sich eine Mitarbeit des Agenda-Fachforums im vorgesehenen Beirat zur Steuerung der Arbeitsförderung an, insbesondere unter Bezug auf Modul 13 des HartzEntwurf zur Berliner Lokalen Agenda 21 Stand 30.03.2004 S. 69.