Sozialhilfe

Die berufliche Rehabilitierung ist auch für den Antrag auf Ausgleichsleistung nach § 8 BerRehaG erforderlich. Diese von der wirtschaftlichen Lage des Antragstellers abhängigen monatlichen Leistungen sind nicht an Inhaftierungszeiten gebunden, wohl aber an den Nachweis einer Verfol gungszeit von mehr als drei Jahren und werden von den Sozialämtern ausgezahlt. Wer diese Kriterien erfüllt erhält, monatlich 184 ~ bzw. als Rentner 123 ~. Diese Leistungen dürfen nicht auf sonstige finanzielle Hilfestellungen angerechnet werden.

Des Öfteren kommen Bürger zur Behörde, die nicht volle 3 Jahre Verfolgungszeit nachweisen können und daher keinen Anspruch auf Ausgleichsleistungen haben, obwohl sie in ihrer wirt schaftlichen Lage zumeist auf Grund der politischen Verfolgung in der DDR besonders stark beeinträchtigt sind.

Zum Beispiel Herr K.: Hr. K. hatte einen Ausreiseantrag gestellt und sich danach um Hilfe an die Ständige Vertretung der Bundesrepublik gewandt. Nachdem er von seinem ehemaligen VEB-Betrieb die Kündigung erhalten und sich eine Hilfsarbeit gesucht hatte, wurde das MfS auf seine Kontakte zur Ständigen Vertretung aufmerksam. Daraufhin wurde Herr K. inhaftiert und zu 3 Jahren Haft verurteilt. Nach 2 1/2 Jahren erfolgte der Freikauf durch die Bundesrepublik.

Herr K. war 6 Monate in Isolierhaft und leidet bis heute an posttraumatischen Belastungs schäden. Strafrechtlich und beruflich ist er rehabilitiert - als Verfolgungszeit wurden 2 Jahre und 10 Monate anerkannt. Die psychischen Folgen der politischen Verfolgung verhinderten einen erfolgreichen beruflichen Einstieg in der Bundesrepublik. Fortbildungsmaßnahmen für den ehemaligen EDV-Techniker scheiterten wiederholt an verfolgungsbedingter Konzentrations schwäche und Vergesslichkeit. Herr K. bezieht seit 1995 eine kleine Rente.

Die bei einer aner kannten Verfolgungszeit von 3 Jahren möglichen 123 ~ Ausgleichszahlung wären für ihn eine wichtige Hilfe.

Sowohl die Verfolgtenverbände als auch die Berater aller Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes sprechen sich für eine Aufhebung des zeitlichen Limits für Aus gleichszahlungen im 2. SEDUnrechtsbereinigungsgesetz (UnBerG) aus. Als Voraussetzung sollte vielmehr die verfolgungsbedingt schlechte wirtschaftliche Lage gelten. Für Betroffene stellen die Ausgleichszahlungen eine wirksame existenzielle Hilfe dar, die ihnen auch bis zum gewissen Grad eine Unabhängigkeit von anderen Leistungen (wie Sozialhilfe) und damit auch von psychischer Belastung bringen kann. Der finanzielle Aufwand dürfte kaum ins Gewicht fallen, da im anderen Fall Sozialhilfe gezahlt werden müsste.

Nach Angaben des Landesamtes für Gesundheit und Soziales Berlin sind im Berichtsjahr 804 Anträge nach dem 2. UnBerG eingegangen. Im Vergleich zum Vorjahr ist ein Rückgang von 15 Prozent zu verzeichnen; in 1.093 Antragsverfahren wurden Entscheidungen gefällt.

Beim Berliner Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes (LStU) gab es 2004 knapp 1.000 Anfragen zum 2. UnBerG. Sie galten in erster Linie dem Beruflichen Rehabilitierungsgesetz (BerRehaG), während es zur verwaltungsrechtlichen Rehabilitierung (VwRehaG) nur wenige Beratungsfälle gab.

Besonders schwierig erweist es sich noch immer für Ausreiseantragsteller, die nicht selten mehr als ein Jahrzehnt um ihre Ausreise kämpften und in dieser Zeit drangsaliert wurden, ohne dass es zu einer strafrechtlichen Verurteilung kam, einen angemessenen Schadensausgleich zu erhalten. Das folgende Beispiel steht stellvertretend für viele gleichgelagerte Schicksale:

Zum Beispiel Herr H. (Jg. 1956):

Als er zwölf Jahre alt war, heiratete seine Mutter einen MfS-Mitarbeiter. Dieser unterwarf neben den eigenen Kindern nun auch den Stiefsohn einer strengen ideologischen Schulung mit häusli chen „Polit-Stunden", die den Charakter einer regelrechten Dressur trugen. Die ungewohnte Verbindung von politischer Indoktrination mit häuslicher Erziehung entfremdete den Jugendli chen seiner Familie; die Situation wurde für ihn zu einer großen psychischen Belastung, die sich auch negativ auf seine schulischen Leistungen auswirkte. Mangels ausreichender Leistungen konnte er die gewünschte Lehre als Dekorateur nicht aufnehmen und begann eine Lehre im Tiefbau, für die er allerdings von der körperlichen Konstitution her ungeeignet war. Da der Kontakt mit dem Elternhaus quasi abgebrochen war, das Lehrgeld für einen eigenständigen Lebensunterhalt jedoch nicht ausreichte, gab er die Lehre auf und wurde Bühnenarbeiter. Um dem familiären und politischen Stress zu entgehen, stellte er 1975 einen Ausreiseantrag mit den üblichen Folgen der Bearbeitung durch das MfS einschließlich eines Anwerbungsversuchs als IM. Zweimal wurde er im Grenzgebiet beim Ausspähen von Fluchtmöglichkeiten gestellt und kam in Haft. Nach der Freilassung war er weiterhin der Verfolgung durch Polizei und MfS ausgesetzt. So wurde er zu Tag- und Nachtzeiten zu Verhören auf VPReviere gebracht, es gab Hausdurch suchungen und der Personalausweis wurde ihm entzogen. Unter solchen Umständen wurde er zum Einzelgänger, den bald jedes Klingeln erschreckte; Arbeitsverträge hob er wiederholt auf. Nach Ablauf einer angeordneten Arbeitsplatzbindung kündigte er, um dem Ausreisebegehren Nachdruck zu verleihen. Nach 13 Jahren schließlich durfte er ausreisen. Heute ist er körperlich und seelisch schwer geschädigt.

Bei der Beantragung der beruflichen Rehabilitierung hat sich als vorteilhaft erwiesen, nicht nur die Formularvordrucke auszufüllen, sondern ergänzend die einschlägigen Ereignisse des Lebens laufes chronologisch mit allen notwendigen Erklärungen und der Aufzählung aller erlittenen Diskriminierungen aufzuschreiben. Wenn sich die Betroffenen auf diese Weise noch einmal mit dem Geschehen als Gesamtkomplex auseinandersetzen, erinnern sie sich in der Regel an wesent lich mehr der entscheidungsrelevanten Details, die als Mosaik ein Gesamtbild ergeben. Auf dieser Basis erhalten die Mitarbeiter der Rehabilitierungsbehörde einen in sich abgerundeten Bericht, was den Vorteil hat, dass sich weniger Nachfragen und kaum weitere Recherchenotwendigkeiten ergeben und somit das gesamte Verfahren schneller entscheidungsreif wird.

Beratung zum Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz (StrRehaG)

Die Erwartung, dass die strafrechtliche Rehabilitierung 2004 so gut wie abgeschlossen sei, hat sich nicht bestätigt. Es kommen weiterhin Antragsberechtigte in die Beratung, wenn auch in abnehmender Größenordnung, die bisher ihre strafrechtliche Rehabilitierung oder die 10.4- Bescheinigung nach dem Häftlingshilfegesetz (HHG) noch nicht beantragt haben.

Ein Sonderfall sind Jugendliche, die in Jugendwerkhöfe der DDR eingewiesen wurden. Für sie hat die Rechtsprechung erst sehr spät eine klärende und positiv zu bewertende Entscheidung getroffen. Laut Gerichtsbeschluss (Kammergericht Berlin, 5 WS 169/04 REHA) wurde anerkannt, dass durch die Einweisung und Unterbringung im Jugendwerkhof Torgau „die Menschenrechte der betroffenen Jugendlichen regelmäßig schwerwiegend verletzt" worden seien. Deshalb seien die Einweisungen „unabhängig von den Gründen für die Anordnung mit wesentli chen Grundsätzen einer freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung unvereinbar", d.h., die Antrag steller zu rehabilitieren. Diese Rechtsprechung gilt bislang nicht für die Unterbringung in anderen Jugendwerkhöfen. Hier müssen die Betroffenen im Einzelnen glaubhaft machen, dass „haftähnli che Bedingungen" geherrscht haben. Außerdem wird häufig von Gerichten bestritten, dass die Einweisung als Maßnahme der politischen Verfolgung zu betrachten ist, wenn in den Unterlagen nur von massiven Disziplinschwierigkeiten die Rede ist. Was als „Disziplinfrage" aktenkundig wurde, war in der Realität jedoch häufig Ausdruck jugendlicher Revolte gegen das politische System; dies gilt zumal, wenn im weiteren Lebenslauf noch eine Haft aus politischen Gründen folgte. Die nähere Betrachtung von Lebensläufen Betroffener zeigt auch, dass diese von Torgau in andere Jugendwerkhöfe hin- und auch wieder zurückverlegt wurden und somit auf die anderen Jugendwerkhöfe als äquivalente Mittel der Repression neben Torgau zurückgegriffen wurde. Insofern legen die Erfahrungen aus der Beratung (wie im Übrigen auch die historische For schung) nahe, dass die für Torgau getroffene Bewertung zumindest für geschlossene Jugend werkhöfe generell zutrifft und mit den Betroffenen entsprechend verfahren werden sollte.