Dennoch stellt sich hier die Frage wie der Senat mit der Neubauproblematik umgeht

Die folgende Formulierung des zuständigen Stabsleiters im Bundesbauministerium Rettig in einem Schreiben an die Senatskanzlei verdeutlicht semantisch die unauflösbare Gemengelage aus Initiative und Einverständnis, die im Nachhinein allen Beteiligten die Rechtfertigung erlaubte, man habe sich dem Wunsch der jeweils anderen Seite, das Tempodrom zu erhalten, nicht versperren wollen. „Sowohl SenWissKult als auch SenBWV haben sich mir gegenüber auch für den Fall des Nichtvorliegens von Entschädigungsansprüchen dafür eingesetzt, mit einer Mitfinanzierung der Verlagerung des Tempodroms aus der Entwicklungsmaßnahme einverstanden zu sein." „Zahlungen aus der Entwicklungsmaßnahme über die evtl. gesetzlichen Ansprüche des Tempodroms hinaus sind gegenwärtig von Berlin nicht ins Auge gefasst. Soweit der Bund einen entsprechenden Vorschlag unterbreitet, ist Berlin selbstverständlich zu einer Erörterung bereit."

Dennoch stellt sich hier die Frage, wie der Senat mit der Neubauproblematik umgeht. Eine „Entschädigung" aus dem Haushalt der Entwicklungsmaßnahme ­ sie ist dort entgegen der Behauptung von Frau Moessinger noch nicht berücksichtigt ­ hätte immerhin den Vorteil, dass formal der Bund zunächst mit 64% an der Finanzierung beteiligt wäre (soweit Mittel dann nicht im Sinne einer „Deckelung" an anderer Stelle gestrichen werden). BMBau ­ BMF sicher weniger ­ steht diesem Ansatz nicht von vornherein ablehnend gegenüber (BM Prof. Dr. Töpfer soll Frau Moessinger gewisse „Zusagen" gegeben haben).

An der Zeichnungsleiste über dem Schreiben findet sich zum Stellenzeichen III C die Anmerkung:

Das Antwortschreiben der Senatskanzlei stellte daraufhin klar, man sei gegebenenfalls einverstanden, habe sich bisher aber gerade nicht dafür eingesetzt:

Dieser Antwort lässt sich bereits die mit der Entschädigungsfrage unlösbar verknüpfte Anschlussfrage entnehmen, wer die Entschädigung ggf. zu welchem Anteil zahlen sollte. Den beteiligten Senatsverwaltungen war dabei bewusst, dass der Großteil einer solchen Finanzierung beim Bund liegen müsse und nicht zu einer Deckelung von Bundesmitteln führen dürfe.

In einem Vermerk aus der Senatskanzlei an den Regierenden Bürgermeister wird die Situation wie folgt zusammengefasst: „Die Entschädigungsforderung ist zwar nach bisherigem Erkenntnisstand nicht berechtigt (SenWissKult und DSK haben sie zu Recht zurückgewiesen), auch wenn das in dem Schreiben angesprochene Prozessrisiko nicht ganz auszuschließen ist [...].

Eine alternativ ins Gespräch gebrachte Finanzierung aus dem Hauptstadtkulturfonds wäre demgegenüber schon deshalb ungünstiger, da die Gesamtfördersumme des Bundes hier feststeht." „In Bezug auf die mögliche Teil-Finanzierung des Neubaus aus der Entwicklungsmaßnahme sollten politische (und nicht allein juristische) Erwägungen im Vordergrund stehen."

Eine handschriftliche Fußnote zur Neubaufinanzierung bringt die Situation auf den Punkt: „Fazit: Der Neubau ist nicht finanziert. Tempodrom kämpft um staatliche Mittel."

Schreiben Bundesbauministerium, Rettig, 14.5.1997, S 21, Bl. 147 (Hervorhebung d. Verf.).

Schreiben Skzl, Hinkefuß, 9.6.1997, S 21, Bl. 140 f.

Vermerk Skzl Schröter, 17.4.1997, R 1, Bd. 1, Bl. 228 f.

Abschlussbericht I. „Vier-Säulen-Modell"

Auf welche Weise sich eine solche Mitfinanzierung förderrechtlich einkleiden ließ und inwieweit die beteiligten Senatsverwaltungen hierbei zur „kreativen Rechtsanwendung" aufgefordert waren, war auch zwischen den einzelnen Verwaltungen zunächst noch umstritten. In einem Gespräch mit Vertretern des Bundeskanzleramtes und des Bundesbauministeriums, der Senatsverwaltungen für Finanzen und Kultur sowie der Senatskanzlei am 26. Juni 1997 einigte man sich zunächst auf ein kompromissloses Vorgehen: Hintergrund des energischen Vorgehens war die Annahme, das Grundstück müsse im Herbst 1998 geräumt sein, um den Bau des Bundeskanzleramts nicht zu behindern.

Parallel dazu sollte allerdings die „vom Tempodrom angeschnittene Frage eines evtl. Anspruchs auf „Entschädigung" wegen der bevorstehenden Beendigung der Nutzungsüberlassung" vom Bund und von Berlin geprüft werden. In einem internen Vermerk der Senatsverwaltung für Finanzen heißt es dazu:

Den Fürsprechern einer Tempodromunterstützung genügte das Zugeständnis der erneuten rechtlichen Prüfung nicht, berücksichtigte es doch ihren politischen Unterstützungswillen nur am Rande. In einem Schreiben an Staatssekretär Arndt (SenBWV) forderte Staatssekretär von Pufendorf (SenWissKult) daher eine Umorientierung der in der Entschädigungsfrage federführenden Senatsverwaltung für Bauen. „Danach soll SenWissKult mit dem Tempodrom eine juristisch einwandfreie und sofort vollziehbare Regelung über den Zeitpunkt der Beendigung der Nutzungsüberlassung, die Räumung und die Herausgabe des z.Zt. genutzten Geländes treffen. Für den Fall, dass das Tempodrom diese Vereinbarung nicht unterzeichnen sollte, wird SenWissKult sofort mit allen juristischen Mitteln die Räumung für die Zeit nach dem Saisonende 1998 betreiben." „Bei Schlüssigkeit [der Auffassung RA Geulens, es sei ein Dauervertragsverhältnis entstanden, das Entschädigungsleistungen bedinge] hat der Bund in Aussicht gestellt, dieses Ergebnis zu akzeptieren mit der Folge einer Mitfinanzierung der Entschädigungsleistung. Zur Vermeidung eines Prozessrisikos und damit weiterer Verzögerungen soll auch die Zweckmäßigkeit eines Vergleichs geprüft werden." „Ich bin in Sorge um die weitere Behandlung des Problems „Tempodrom" nach unserer Konferenz vom 26.06.1997. [...] Dass man den vom Tempodrom-Anwalt Geulen aus § 185 BauGB abgeleiteten Rechtsanspruch mit bester Aussicht auf Erfolg ablehnen kann, ist eine hier schon lange bestehende Erkenntnis. Ich meine auch, wir können auf die Ablehnung kaum verzichten, wenn wir nicht die Interessen Berlins gefährden wollen, denn der Anspruch würde sich ja gemäß § 185 Abs. 2 BauGB gegen die Gemeinde, also gegen Berlin richten. Aber schließlich ging es bei unserer Besprechung vom 26.06.1997, wie der Gesprächsvermerk der Senatskanzlei richtig feststellt, um „eine mögliche Unterstützung" des Neubauprojekts, das ja sowohl in kultureller als auch in städtebaulicher Hinsicht für Berlin interessant ist ­ nicht umsonst haben, als die Stiftung Neues Tempodrom als Vehikel des neuen Projekts gegründet wurde, der Kultursenator, der frühere und der jetzt amtierende Stadtentwicklungssenator persönlich mitgefeiert. Wer nur die Möglichkeiten einer Ablehnung untersucht, missversteht die Aufgabe.

[...]

Wenn Frau Moessinger Herrn Minister Töpfer nicht völlig falsch verstanden hat, dann will er helfen; aber auch er kann natürlich ohne richtige Vorlage kein Tor schießen."

Vermerk Skzl, Schröter, 1.7.1997, S 21, Bl. 120.

Protokollvermerk SenFin II D, F 10, Bl. 96.

Protokollvermerk SenFin II D, F 10, Bl. 96.

Schreiben StS von Pufendorf, 31.7.1997, S 21, Bl. 98 f. (Hervorhebungen d. Verf.).

Vor dem Untersuchungsausschuss wurde dem Zeugen von Pufendorf dieses Zitat in Auszügen durch Frau Abg. Kolat (SPD) vorgehalten, die es mit den Worten kommentierte: Also hier hört man wirklich auch noch einmal heraus, dass Ihnen die rechtliche Grundlage irgendwann egal war, ob ein Anspruch besteht oder nicht, sondern der politische Wille (zählte). [...] D.h. hier war der politische Wille bestimmend, und alle sollten die Prüfungen so zu einem Ergebnis führen, dass es dann zu einer Entschädigung kommt, ungeachtet der rechtlichen Lage.

Frau Abg. Kolat (SPD): Herr von Pufendorf! Wir würden Ihnen jetzt gern Ihr Schreiben vom 21. Juli 1997 (gemeint: 31. Juli 1997) vorlegen. ­ [Dem Zeugen wird das oben zitierte Schriftstück vorgelegt.] ­ Zeuge von Pufendorf: Frau Abgeordnete! Ich verbitte mir, mir Dinge zu unterstellen, die ich nicht gemacht habe. Der Text ist hier nicht herauszulesen, und ich weise das strikt zurück.

Frau Abg. Kolat (SPD): Hier geht es nicht um Parteien, Herr von Pufendorf, sondern um die Nachvollziehung: Was ist damals wie passiert?

Dieser „entschiedene Widerspruch" des Zeugen vermag indes nur wenig zu überzeugen, ging es ihm doch mit dem Schreiben gerade darum, das Augenmerk der rechtlichen Prüfung auf weitere Möglichkeiten zu richten, eine Entschädigungsfinanzierung aus Mitteln der Entwicklungsmaßnahme zu erreichen. Hintergrund des Schreibens war die bei dem genannten Gespräch verabredete Zeuge von Pufendorf: Also, dass der politische Wille maßgeblich war, habe ich von Anfang an gesagt, und Sie bestätigen das mit dem Zitat, das Sie gerade geäußert haben. Aber dass ich Anweisung gegeben hätte, dass ergebnisorientiert eine Prüfung stattzufinden habe, dem muss ich entschieden widersprechen.

[...] Zeuge von Pufendorf: Ich kann aus diesem Text nicht erkennen, dass eine zielorientierte, rechtliche Überprüfung stattzufinden hat. Das muss ich bestreiten, das ist nicht der Fall. Ich habe nur von Anfang an immer wieder gesagt, man sollte sich politisch ­ im Übrigen war ich da gerade mal den zweiten Monat wieder im Amt ­ klar dazu äußern und nicht ­ das war immer meine Auffassung ­ mit rechtlichen Argumenten hantieren, sondern sich politisch dazu stellen. Wenn man das Projekt wollte, dann sollte man es auch deutlich sagen und dafür dann die entsprechenden Maßnahmen treffen.

Frau Abg. Kolat (SPD): Ihnen war bekannt, dass die juristische Auffassung von allen Seiten war, dass es keinen Anspruch darauf gibt, aber trotzdem schreiben Sie diesen Brief.

Frau Abg. Kolat (SPD): Das Gutachten war Ihnen aber bekannt?

Zeuge von Pufendorf: Selbstverständlich! Dieses ist auch streitig diskutiert worden. ­ Ich bin höchst erstaunt, mit welcher kritischen Sonde ausgerechnet von der SPD-Fraktion an diesen Punkt herangegangen wird.

Zeuge von Pufendorf: Ja, das war ganz eindeutig der Wille der SPD-Fraktion, mit Herrn Strieder an der Spitze, der das mit großer Energie betrieb und ­ wenn es Bedenken gab ­ den deutlichen Hinweis gab, dass das aber politisch so gewollt sei. Ich war davon überzeugt, dass das Projekt richtig war, wenn es im finanziellen Rahmen bliebe.

Wortprotokoll, 25. Sitzung, 6.6.2005, S. 6.

Gemeint war das Gutachten der Senatskanzlei vom 15.7.1997, R 1, Bd. 3, Bl. 196 ff., das zu dem Ergebnis kam, ein gewisses Prozessrisiko sei zwar nicht ausgeschlossen, ein rechtlicher Anspruch auf Härteausgleich (§ 181 BauGB) sei nicht weiterführend und im Übrigen bestehe ein Entschädigungsanspruch nicht.