Fremdkapital

Zu Einsparungen zulasten der Architektur seien die Bauherrn nicht bereit gewesen. Ob wegen der hohen UFP-V-Auflagen die Mittel den Aufwand gerechtfertigt haben, bezweifelte Zeuge Lux.

Nachbeauftragungen vieler bereits beauftragter Firmen infolge nachträglicher Festlegungen oder nachträglicher Änderungen und Umplanungen der Betreiber, aber auch das nachträgliche Einbringen von Veranstaltungstechnik seien auf den Zeitdruck zurückzuführen, verdeutlichten aber auch, dass es ein Versäumnis gewesen sei, sich bei dem eigentlichen Kerngeschäft auf Externe zu verlassen und selbst keine hinreichenden Planungen und Vorgaben vorzulegen. Hinsichtlich des Brandschutzes habe die zu kurze Planungs- und Genehmigungszeit zudem zu nachträglichen bauaufsichtlichen Anforderungen geführt.

Wegen der drohenden Insolvenz sei mit halber Kraft gearbeitet worden, was zu Kosten steigernden Beschleunigungsmaßnahmen und zum Teil auch zu Bürgschaftszusagen geführt habe.

Der Kostenansatz von 43,6 Mio. DM sei nach Einschätzung des Zeugen Lux zu gering gewesen, und es entstehe der Eindruck, man habe zunächst die Finanzierung sichern und mit dem Bau beginnen wollen. Die Kostensteigerungen seien der Bauherrin von der Projektsteuerung Specker Plantec regelmäßig avisiert worden, es sei dennoch gebaut worden, „bis die Liquidität nicht mehr ausreichte". Kalkulationsungenauigkeiten, die nicht als schadensersatzpflichtige Fehler nachweisbar seien, beliefen sich bei der Bauleitung auf etwa 5 Mio. DM, bei der Haustechnik auf etwa 2 Mio. DM. Toleranzen bei Kostenberechnungen ohne Budgetobergrenzen, die hier nicht vereinbart wurden, lägen nach geltendem Recht bei ca. 20-25 %, was bei der Finanzplanung nicht berücksichtigt worden sei.

Schließlich wären auch die 12,2 Mio. DM für das Liquidrom nur zu rechtfertigen, wenn die Einnahmenseite weit über dem Durchschnitt eines normalen Freizeitbades läge. Angesichts der hohen Betriebskosten und der Maximalauslastung mit 60 Besuchern erschien dies dem Zeugen fraglich.

II. Kostencontrolling

Die vorstehend dargestellte Kostenentwicklung des Bauprojekts Neues Tempodrom warf als einer der zentralen Punkte, denen der Untersuchungsausschuss nachgegangen ist, die Frage nach der Funktionsweise und Wirksamkeit des Kostencontrollings auf.

Im Teil D wurde bereits der Frage nachgegangen, wie die Projektmittelgeber (UFP, DKLB) und der Fremdkapitalgeber (LBB) ihren Mitteleinsatz kontrollierten. An dieser Stelle soll nun das Kostencontrolling der Bauherrin bzw. der von ihr eingesetzten Projektsteuerer dargestellt werden.

Erste Hinweise auf eine ungeordnete Buchungslage hatte bereits Zeugin Ellersiek zu Beginn des Projekts. Vor dem Untersuchungsausschuss sprach sie von einer „problematischen Buchhaltung [...], um das mal vorsichtig auszudrücken", die sie dazu veranlasste, den Leiter des Rechnungswesens der Specker-Gruppe um ein Gespräch mit Herrn Waehl zu bitten.

Auch Herr Steinijans prüfte im Rahmen des Baukostencontrollings für die LBB die bereits vorgenommenen Buchungen der Stiftung und stellte bei dieser Gelegenheit fest, dass eine klare Differenzierung der Buchung von Baukosten von sonstigen Kosten nicht vorgenommen worden war. Im Einvernehmen mit dem Stiftungsvorstand, zu diesem Zeitpunkt dem Zeugen Waehl, habe Zeuge Steinijans im November 2001 eine Kontenbereinigung „nach der Historie" durchgeführt. Baukostenentwicklung und Baukostencontrolling Abschlussbericht Baukosten und den Auszahlungsstand gegangen. Mit den übrigen laufenden Kosten habe Zeuge Steinijans nichts zu tun gehabt.

1. Der erste Projektsteuerer: Waldemar Poreike

Das Controlling der Baukosten betreibt jeder Bauherr aus Eigeninteresse, die Stiftung Neues Tempodrom hatte sich darüber hinaus gegenüber den Projektmittelgebern und gegenüber dem Fremdkapitalgeber zu einer ordnungsgemäßen Steuerung und Kontrolle des Bauvorgangs verpflichtet.

Die Aufgabe wurde stiftungsintern vom Bauausschuss übernommen, der die operative Arbeit an einen professionellen Projektsteuerer übergab, wie in Abschnitt 2.A.III (Organisationsstruktur) dargestellt worden ist. Der erste Projektsteuerer Waldemar Poreike brachte zunächst ab dem 4. Dezember 1997 als Mitglied des Bauausschusses seine Erfahrungen ein. Herr Poreike war in seiner beruflichen Laufbahn für die Specker Bauten AG tätig gewesen. Als angesehener Fachmann im Ruhestand wurde er durch die Überzeugungsarbeit von Roland Specker als Projektsteuerer für die Stiftung Neues Tempodrom gewonnen.

Er übernahm diese Funktion ehrenamtlich, erhielt allerdings die Auslagen für sein Büro erstattet und stellte der Stiftung 195 TDM Aufwandsentschädigung in Rechnung.

Vom 1. Juli 1999 bis zum 24.Januar 2000 hatte er diese Aufgabe gemeinsam mit Jürgen Scheele formell inne, die folgende Tätigkeiten enthielt:

b) Koordinierung der Planungsprozesse, einschl. Behörden

c) Mitwirkung bei den Verfahren, den Verhandlungen und Vertragsabschlüssen mit den Firmen,

Obwohl W. Poreike nur ein halbes Jahr als Projektsteuerer formell amtierte, hatte er einen beträchtlichen Einfluss auf den Bauablauf, da in dieser Zeit die Planung mit Hochdruck vorangetrieben wurde und am 28. Februar 2000 die Rodungsarbeiten auf dem Gelände am Anhalter Bahnhof begannen.

W. Poreike schied aus eigenem Ermessen aus seiner Funktion als Projektsteuerer aus. Die Gründe legte er in einem Brief an den Vorstand Moessinger dar: „Den Abschluss der dafür notwendigen Bauverträge [...] und den Beginn der Realisierungsphase dürfte nach meinem Verständnis der Bauausschuss nur dann freigeben, wenn eine Reihe von dafür notwendigen Voraussetzungen vorliegen. [...]:

1. geschlossene Finanzierung,

2. Planungs- und Kostensicherheit,

3. abgeschlossene Konzepte der Infrastruktur und

Soweit für mich erkennbar, ist keine der genannten Bedingungen für den Baubeginn erfüllt."

a) Vertragsabschlüsse mit Planern, Rechnungsprüfung der Planungsbeteiligten, Zahlungsabwicklung an Firmen nach einem festzulegenden Konzept.

4. vertraglich abgesicherte Betriebsstruktur. [...]

Auf den Vorhalt dieses Schreibens führte Zeuge Poreike näher aus, er habe in seiner Praxis immer darauf geachtet, dass die genannten Voraussetzungen erfüllt seien, bevor ein Projekt begonnen werde.

Im Fall Tempodrom habe er mit der Finanzierung zwar nichts zu tun gehabt, dafür zeichneten Frau Moessinger und Herr Specker verantwortlich, aber ihm sei aus Gesprächen bekannt gewesen, das die Gesamtfinanzierung noch nicht geschlossen war. Zudem sei ein Grundsatz des Zeugen gewesen, dass die wesentlichen Verträge des Vorhabens zumindest zu 75 bis 80 % vor Baubeginn vergeben und vertraglich fixiert waren. Da auch dies nicht gegeben gewesen sei, habe er sich gegen einen Baubeginn ausgesprochen. Im Bauausschuss sei seiner Argumentation nicht gefolgt worden, ohne dass es eine Abstimmung hierüber gegeben hätte. Der Zeuge Poreike sah daher keine andere Möglichkeit als seine Mitarbeit am Projekt Neues Tempodrom zu beenden.

Frau Moessinger habe bestürzt reagiert, sei dem Zeugen später berichtet worden, im Übrigen habe ein Kontakt mit dem Bauausschuss nicht mehr stattgefunden.

Die ihm nachfolgende Projektsteuerin, die Zeugin Hannelore Ellersiek, befand Poreikes Kriterien als zu hoch angesetzt. Tatsächlich würden nur in wenigen Bauprojekten eine Auftragsvergabe von 75 % erreicht.

Auch der projektleitende Architekt des Büros gmp, der Zeuge Schütz, hielt den Planungsstand vor Baubeginn für ausreichend.

Dagegen gab der Bauleiter, der Zeuge Scheele, der die Ereignisse des zweiten Halbjahres 1999 aus eigener Anschauung kannte, Poreike Recht.

Zeuge Scheele: Das ist vollkommen korrekt. Wenn man ein Kostenlimit einhalten will ­ gerade bei solch einem komplizierten Gebäude ­ ­ Wir haben uns da immer nur um 5 % gestritten. Eigentlich sollte man 80 % fest vergeben haben, also fest submittiert haben, bevor man startet, wenn man ein Kostenlimit einhalten will. Bei uns war es aber nun ganz anders.

Wir hatten ja nicht einmal eine Baugenehmigung. Wir haben die Baugenehmigung in vier Schritten bekommen: Baugrube und dann etagenweise. Es lag nicht einmal eine genehmigungsfähige Planung vor. Insofern hat der Herr Poreike da völlig recht gehandelt.

Diese Einlassung des Zeugen Scheele verwundert, wenn man bedenkt, dass er neben Herrn Poreike im Bauausschuss der Stiftung Neues Tempodrom für den Bereich Planungs- und Kostenkontrolle zuständig war. Zeuge Poreike gab indes an, mit seiner Ansicht im Bauausschuss allein gewesen zu sein. Es ist nicht nachvollziehbar, dass gerade Zeuge Scheele dessen Auffassung geteilt haben soll, ohne dass dies dem Zeugen Poreike bekannt geworden wäre. Auch hätte Zeuge Poreike dem Untersuchungsausschuss mit Sicherheit von einem gemeinsamen Versuch beider Projektsteuerer im Bauausschuss berichtet, die Bauherrin vom frühen Baubeginn abzubringen, wenn es diesen Versuch denn gegeben hätte.

Aus dem Gesamtzusammenhang kann nur geschlossen werden, dass Zeuge Scheele es nicht als seine Aufgabe ansah, auf die Einhaltung der vom Zeugen Poreike genannten Parameter zu achten. Die an ihn herangetragene Aufgabe der Bauleitung beschränkte sich offenbar darauf, die Beschlüsse der Bauherrin nach den Maßgaben der Projektsteuerung umzusetzen.

Die harschen Worte, mit denen er den auch nach seiner Ansicht verfrühten Baubeginn rügte, stehen dennoch in einem gewissen Widerspruch zu seiner vormaligen Stellung als beratender Bausachverständiger im Bauausschuss der Stiftung Neues Tempodrom. So führte Zeuge Scheele auf den Vorhalt, Zeugin Ellersiek habe es als üblich dargestellt, bereits vor einer so weitgehenden Submittierung mit dem Bau zu beginnen, aus: Zeuge Scheele: Es ist katastrophal, das als üblich zu beschreiben. Die HOAI ­ ich habe es eben geschildert ­ ist ganz einfach aufgebaut. Sie ist additiv aufgebaut. Eigentlich darf man erst ausschreiben, wenn die Ausführungsplanung fertig ist. D. h., die Leistungsphase 5 ist fertig, dann kommt die Leistungsphase 6.