Irene Moessinger geboren 1950 lebte in ihrer Kindheit mit ihrer Mutter unter anderem in Spanien und

Berichtsentwurf des Ausschussbüros Anlage VI zum abweichenden Bericht

I. Entstehungsgeschichte Tempodrom

2. Abschnitt: Ermittelter Sachverhalt

A. Einleitung

I. Entstehungsgeschichte Tempodrom

Das Tempodrom begann als eigeninitiatives Kulturprojekt in einem ausgedienten Zirkuszelt und entwickelte sich rasch zum Berliner „Mekka der Alternativkultur."

Seine Existenz verdankte es dem finanziellen und ideellen Einsatz seiner Gründerin, Irene Moessinger.

Irene Moessinger, geboren 1950, lebte in ihrer Kindheit mit ihrer Mutter unter anderem in Spanien und Italien.

Presseberichten zufolge „floh" Moessinger „in die Besetzerszene nach Berlin", nachdem sie in München unter anderem Kulturpädagogik studiert hatte. Sie habe zunächst in einer Kommune mit 70 Mitbewohnern gelebt und politisch agitiert. Ihr Geld habe sie als Fabrikarbeiterin in verschiedenen Unternehmen verdient, bevor sie den Entschluss gefasst habe, Krankenschwester zu werden, und eine entsprechende Ausbildung absolviert habe. Von ihrem Vater habe die hiernach als Krankenschwester tätige Moessinger unerwartet 800 000 DM geerbt, die sie schließlich zu einem großen Teil, sie selbst sprach von 500 000 DM, in den Erwerb eines Zirkuszeltes und die Gründung der „Tempodrom Verleih von Zirkuseinrichtungen GmbH" investiert habe.

Am 1. Mai 1980 eröffnete das Tempodrom neben der Berliner Mauer am Potsdamer Platz. Es folgten eine Vielzahl unterschiedlichster Veranstaltungen, „märchenhafte Abende für Artisten, Musikfreaks und Theaterfans. [...] Dorthin ging die Szene, stand nach den Veranstaltungen im Staub oder im Matsch vor dem Zirkuszelt und vergnügte sich." „Damals haben die Briten uns einen Sandwall ums Zelt aufgeschüttet, und auf diesen Sandwall haben wir Bretter zum Sitzen gelegt", zitierte die Berliner Zeitung einen Mitarbeiter des Tempodroms und berichtet von Damen, die pikiert ihren Nerzmantel abschüttelten. Das restliche Publikum sei begeistert gewesen über Veranstaltungen, wie Rio Reisers „Twisten für Touristen", „Gänse und Politik" oder die „Rocky Horror Picture Show". Altes Tempodrom am Potsdamer Platz7

Die Welt, vom 30.8.2004, „Das Millionengrab Tempodrom".bundesrat.de/schaufenster/img/29-4.jpg.

Anlage VI zum abweichenden Bericht Berichtsentwurf des Ausschussbüros

A. Einleitung

Die Künstler seien Gaukler, Rockmusiker, Öko-Freaks und Alt-68er gewesen und nicht zu vergessen das Schwein Oskar, das den Ringelschwanz auf Moessingers Kommando gerade stellen konnte. „Das Gelände war wahnsinnig, wie bei Fellini, eine Wüste direkt an der Mauer. Hinzu kam auch die historische Dimension des Ortes, das Flair der zwanziger Jahre. Wir standen genau über Teilen des Potsdamer Bahnhofs und des Haus Vaterlands."

Ein wirtschaftlicher Erfolg stellte sich zunächst nicht ein. Nach drei Monaten war das Tempodrom bereits mit Schulden i.H.v. 400 000 DM belastet10 und machte Presseberichten zufolge 1981 Pleite, habe aber mit Benefizveranstaltungen und mit neuem Programm gerettet werden können.

Anwohnerbeschwerden über die Lautstärke und über den Geruch von Elefantenmist, die fast zur Zwangsschließung geführt hätten,12 führten schließlich dazu, dass das Tempodrom 1984 die Zelte abbrechen musste.

Der ehemalige Kultursenator Dr. Hassemer habe sich für den Erhalt des Tempodroms stark gemacht und diesem ein Jahr später die Wiedereröffnung im Tiergarten, auf Teilen des Parkplatzes neben der Kongresshalle/Haus der Kulturen der Welt ermöglicht.

Die Inanspruchnahme des neuen Standplatzes des Tempodroms im Tiergarten beruhte auf einem für die Dauer eines Jahres geschlossenen, sich später automatisch verlängernden Nutzungsvertrages zwischen der Senatsverwaltung für Wissenschaft und Kultur und der Tempodrom GmbH14 vom 22. Mai 1984. „[...] Für die Nutzung des Parkplatzes wird kein Entgelt erhoben. [...]

Die Nutzung des Parkplatzes durch Tempodrom setzt voraus, dass sich Tempodrom verpflichtet, hier kulturelle Veranstaltungen durchzuführen, insbesondere zirzensische Musik-, Tanz- und Theaterveranstaltungen. Die Nutzung des Parkplatzes zu anderen als den vorgenannten Zwecken ist nicht zulässig."

Die politische Unterstützung, die das Tempodrom bereits in dieser Zeit erfuhr und die es den Betreibern ermöglichte, manchem Verfahrenshindernis zum Trotz ihre Ziele zu erreichen, veranschaulicht ein Vermerk der Deutschen Stadt- und Grundstücksentwicklungsgesellschaft (DSK) zu den für den Standort im Tiergarten erforderlichen Baugenehmigungen.2.2003, S. 3; vgl. dazu Anlage 1.

Geschäftsführer: Irene Moessinger und Norbert Waehl. Öffentliche Förderung

Aus der chronologischen Zusammenstellung dieses Vermerks wird deutlich, dass die beantragte Baugenehmigung für die Errichtung „Fliegender Bauten" im Sinne von § 93 Abs. 1 BauO Bln20 vom zuständigen Bezirksamt zunächst abgelehnt wurde, da sie den Festsetzungen des Bebauungsplanes „Öffentlicher Parkplatz/Öffentliche Grünflächen" widersprach. Auf den ablehnenden Bescheid folgten Widerspruch des Tempodroms und auf diesen ein dem Widerspruch nicht abhelfender Widerspruchsbescheid des Bezirksamtes. Wenig später wies der damalige Senator für Bau- und Wohnungswesen, Klaus Franke, das Bezirksamt an, die Baugenehmigung aus politischen Gründen zu erteilen, ohne dies näher zu begründen. Auf die Stellungnahme des Bezirksamtes hin, der Weisung nicht nachkommen zu wollen, nahm die Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen ihr Eintrittsrecht nach § 7 Abs. 2 Nr. 3 ASOG21 wahr und erteilte die beantragte Baugenehmigung selbst.

Es folgten jährlich der Antrag beim Bezirksamt Tiergarten auf Baugenehmigung für ein weiteres Jahr und dem entsprechend die auf ein Jahr befristete Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplanes und die begehrte Baugenehmigung. Als das Bezirksamt die Genehmigungen für 1989 mit der Ankündigung versah, einem Folgeantrag für 1990 nicht mehr zuzustimmen, da die Stellplätze im Bereich der Kongresshalle nun bebauungsplangemäß in Anspruch genommen werden sollten, intervenierte die Senatsverwaltung für Kultur erfolgreich.

So wurden die Genehmigungen auch für 1990 erteilt. In den Folgejahren entschloss sich das Bezirksamt, nachdem seine Maßgaben wiederholt am politischen Widerstand von Senatsverwaltungen gescheitert waren, das Genehmigungsverfahren „zur Verkürzung und Vereinfachung" durch eine bauaufsichtliche Bauabnahme durch Feuerwehr, TÜV und Bauaufsicht zu ersetzen.

Der politische Rückhalt des Tempodroms war stark, wie Frau Moessinger in der Presse jener Zeit selbst verwundert feststellte: „Durch die Aktionen der Politiker und vieler Einzelner wird mir erst mal klar, wie beliebt das Tempodrom tatsächlich ist."

Für den Zeugen Buchholz, der sehr viel später als kaufmännischer Vorstand der Stiftung Neues Tempodrom die Fertigstellung und die ersten Betriebsmonate des neuen Tempodroms am Anhalter Personenbahnhof begleitete, waren diese Jahre prosperierender, politisch und finanziell geförderter Szene-Kultur der Ur-Grund für die auch später nicht abgelegten Erwartungen der TempodromBetreiber und damit für den weiteren Verlauf der Entwicklungen: Zeuge Buchholz: Das ist jetzt vielleicht ­ wie soll ich sagen? ­ einfach die Mentalität der 70er/80er Jahre gewesen. Das ist so gelaufen. Wenn ich mir überlege: Ich habe 1987 an der 750-Jahr-Feier Westberlins mitgearbeitet im Kulturprogramm. Wir hatten mal locker 100 Millionen zusätzlich im Etat nur für diese eine Feier. Das war halt so, und so sind sie halt auch groß geworden in ihrem System mit ihrem Zelt.

II. Öffentliche Förderung

Über die finanzielle Ausstattung des Tempodroms in den ersten zehn Jahren seines Bestehens (1980 1990) lagen dem Ausschuss nur sehr lückenhafte Informationen vor. Von einer weiteren Beweiserhebung hierzu wurde abgesehen, da diese Phase der Spielstätte durch den

Fliegende Bauten sind bauliche Anlagen, die geeignet und bestimmt sind, an verschiedenen Orten wiederholt aufgestellt und zerlegt zu werden und deren Aufstellungsdauer an einem Ort zeitlich begrenzt ist (§ 66 Abs. 1 S. 1 BauO Bln geltender Fassung (Genehmigung Fliegender Bauten)).

Fassung vom 1. Juli 1984.

Entspricht § 10 Abs. 3 Nr. 3 ASOG Bln geltender Fassung (Fachaufsicht).

Baugenehmigung vom 25.6.1984, S 21, Bl. 266.

Berliner Zeitung, 8.7.1994, S. 25.

Wortprotokoll, 33. Sitzung, 23.9.2005, S. 37.