Erschließungsbeitragsgesetz nicht als erstmalig endgültig hergestellt galten

T 210:

Der Rechnungshof hat in seinem Jahresbericht 2000 (T 420 bis 429) darauf hingewiesen, dass die bezirklichen Tiefbauämter für eine Vielzahl von Erschließungsanlagen Erschließungsbeiträge in Millionenhöhe nicht berechnen und erheben, weil tatsächliche und rechtliche Voraussetzungen nicht erfüllt sind. Das Abgeordnetenhaus hat daraufhin die Erwartung geäußert, dass die Bezirksämter möglichst kurzfristig bestehende Hemmnisse bei der Erhebung von Erschließungsbeiträgen gezielt beseitigen, damit Berlin mögliche Einnahmen aus Erschließungsbeiträgen rechtzeitig und vollständig erheben kann (Auflagenbeschluss des Abgeordnetenhauses vom 28.06.01, Plenarprotokoll 14/30). T 211:

Das damalige Bezirksamt Marzahn hat im Jahr 2000 zur Erhebung von Erschließungsbeiträgen für eine noch nicht auf voller Länge erstmalig endgültig hergestellte Straße die Bildung eines Abrechnungsabschnitts gemäß § 130 Abs. 2 Baugesetzbuch (BauGB) beschlossen. Das für die Berechnung und Erhebung von Erschließungsbeiträgen zuständige bezirkliche Tiefbauamt hat für den gebildeten Abschnitt Erschließungsbeiträge berechnet und den Anliegern die Beitragsbescheide zugestellt. Es hat dabei unberücksichtigt gelassen, dass auf einer Teillänge dieses Abschnitts die Gehwege nur mit Zementbeton befestigt waren und damit nach § 133 Abs. 2 BauGB i. V. m. § 15 Abs. 3 Erschließungsbeitragsgesetz nicht als erstmalig endgültig hergestellt galten. Da die Beitragspflicht erst mit der erstmaligen endgültigen Herstellung der Erschließungsanlage insgesamt oder eines Abschnitts entsteht, war der gebildete Abschnitt nicht abrechnungsfähig. Die Anlieger haben sich mit unterschiedlichen Begründungen gegen diese Beitragserhebung gewandt.

T 212:

Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung hat dem ehemaligen Bezirksamt Marzahn daraufhin verschiedene Möglichkeiten aufgezeigt, wie der Fehler bei der Abschnittsbildung berichtigt werden kann. Eine Möglichkeit bestand darin, den Abrechnungsabschnitt um die Teillänge zu kürzen, auf der die Gehwege mit Zementbeton befestigt, also noch nicht erstmalig endgültig hergestellt waren. Das bezirkliche Rechtsamt hat diese Vorgehensweise befürwortet und dem Tiefbauamt empfohlen, den Anliegern neu gefasste Bescheide auf der Basis eines geänderten Abrechnungsabschnitts zuzusenden.

Das nach der Bezirksgebietsreform gebildete Bezirksamt Marzahn-Hellersdorf ist den Empfehlungen der Senatsverwaltung und des Rechtsamts nicht gefolgt. Es hat die Beitragsbescheide aufgehoben, den Anliegern insgesamt 10 000 Anwaltskosten erstattet und bereits eingenommene Erschließungsbeiträge von 1 Mio. für den abrechnungsfähigen und 0,4 Mio. für den nicht abrechnungsfähigen Teilabschnitt, also insgesamt 1,4 Mio., zurückgezahlt.

T 213:

Der Rechnungshof hat beanstandet, dass das Bezirksamt Marzahn-Hellersdorf den Abschnitt, für den Erschließungsbeiträge erhoben werden können, nicht entsprechend den Empfehlungen der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung sowie des Rechtsamts neu gebildet und den betroffenen Anliegern neu gefasste Erschließungsbeitragsbescheide zugestellt hat. Es hat damit nicht das Rundschreiben II D 31 vom 16. Januar 1997 der damaligen Senatsverwaltung für Bauen, Wohnen und Verkehr (vgl. Senatsbeschluss 570/97 vom 14.01.97) beachtet, in dem dringend empfohlen wird, im Interesse einer frühzeitigen Beitragserhebung die Möglichkeiten der Abschnittsbildung und der Kostenspaltung verstärkt zu nutzen. Auch hat es den Auflagenbeschluss des Abgeordnetenhauses ignoriert, wonach die Bezirksämter möglichst kurzfristig bestehende Hemmnisse bei der Erhebung von Erschließungsbeiträgen gezielt beseitigen sollten, damit Berlin mögliche Einnahmen aus Erschließungsbeiträgen rechtzeitig und vollständig erheben kann.

Das Bezirksamt Marzahn-Hellersdorf hat in einer Stellungnahme vom Mai 2005 ausgeführt, es hätte die Erschließungsbeitragsbescheide zulässigerweise aufgehoben, da eine Abschnittsbildung nach § 130 Abs. 2 BauGB nicht zwingend vorgeschrieben sei. Die Ausführungen des Bezirksamts treffen zwar zu. Sie ändern aber nichts daran, dass das Bezirksamt bis zur Änderung des Erschließungsbeitragsgesetzes am 9. März 2006 mögliche Einnahmen aus Erschließungsbeiträgen nicht erhoben und damit gegen § 34 Abs. 1 LHO, wonach Einnahmen rechtzeitig und vollständig zu erheben sind, verstoßen hat. Dadurch ist dem Land Berlin nunmehr ein Schaden von 1 Mio. entstanden.

Zu T 210 bis 213:

Die Darstellung des Rechnungshofs ist zutreffend und begegnet weder von Seiten des Bezirksamtes Marzahn-Hellersdorf noch von Seiten des Senats Bedenken.

T 214:

Der Rechnungshof beanstandet, dass das Bezirksamt Marzahn-Hellersdorf mögliche Einnahmen aus Erschließungsbeiträgen von 1 Mio. nicht erhoben hat.

Zu T 214:

Der Senat hat sich mit dem Bezirksamt Marzahn-Hellersdorf über den Inhalt der Stellungnahme abgestimmt. Der fachliche Dissens zwischen den Beteiligten lässt sich im Rahmen der Stellungnahme jedoch nicht lösen.

Das Bezirksamt Marzahn-Hellersdorf vertritt die Auffassung, in Abwägung aller Umstände mit der Rücknahme der Bescheide die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Die Entscheidung sei geboten und rechtmäßig gewesen. Sie resultiere einerseits aus Aspekten die der Örtlichkeit geschuldet seien und berücksichtige andererseits die „massiven" Widersprüche der Betroffenen sowie entsprechende Anträge und Beschlüsse der Bezirksverordnetenversammlung, von der Erschließungsbeitragserhebung abzusehen bzw. die Bescheide zurückzunehmen.

Insbesondere sei den Betroffenen nicht nachvollziehbar, dass Gehwege aus Beton (fachgerecht ausgeführt) nur ein Provisorium darstellten. Das Bezirksamt hätte sich daher mehrfach für eine Änderung des Erschließungsbeitragsgesetzes eingesetzt. Des Weiteren hätten durch die Herausnahme des kostengünstig hergestellten Abschnitts die Beitragspflichtigen des allein abrechnungsfähigen Abschnitts mit höheren Erschließungsbeiträgen rechnen müssen. Wegen des identischen Erschließungsvorteils jedoch, seien unterschiedlich hohe Beiträge nicht zu rechtfertigen.

Das Bezirksamt prüft indes, ob eine spätere Beitragserhebung unter Berücksichtung der geänderten Rechtlage beim Erschließungsbeitrag und des am 25.03.2006 in Kraft getretenen Straßenausbaubeitragsgesetzes möglich ist.

Der Senat erachtet die Beanstandung des Rechnungshofs als begründet.

Die bezeichneten Widerstände der Beitragspflichtigen als auch die Beschlusslage der Bezirksverordnetenversammlung alleine rechtfertigen nicht, dass explizite Auflagenbeschlüsse des Senats und des Abgeordnetenhauses unbeachtet blieben. Die Sach- und Rechtslage zum Erschließungsbeitrag ist zumindest vermittelbar.

Im Gesetzgebungsverfahren zum Erschließungsbeitragsgesetz vom 12.07.1995 (GVBl. S. 444), zuletzt geändert durch Gesetz vom 16.03.2006 (GVBl. S. 274) wurde die Bauweise der Gehwege in Zementbeton aus bautechnischen Gründen, die auch heute noch fortgelten, als Merkmal der endgültigen Herstellung ausgeschlossen. Auch wäre eine rückwirkende Änderung der Merkmalsregelung zugunsten der hier beanstandeten Erschließungsbeitragserhebung nicht zulässig gewesen.

Wenn durch eine Berichtigung der Abschnittsbildung und der Beitragsbescheide für den abrechnungsfähigen Abschnitt höhere Erschließungsbeiträge entstanden wären, begegnete dies keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Der Erschließungsbeitrag begründet sich auf einem Erstattungsanspruch und dient der anteiligen Refinanzierung der Erschließungsmaßnahmen. Die Erschließungsbeitragspflicht entsteht (abstrakt) in einer feststehenden Höhe, die erst durch Abrechnung zu ermitteln ist. Über den Erschließungsbeitrag ist nur das einzufordern, was rechtlich zwingend und zulässig ist. Es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass die berücksichtungsfähigen Kosten der erstmaligen Herstellung des abrechnungsfähigen Abschnitts erheblich höher liegen, als die des noch verbleibenden Abschnitts, zumal der verbleibende Abschnitt zum entscheidungsrelevanten Datum im rechtlichen Sinne noch nicht endgültig hergestellt worden war.

G. Wirtschaft, Arbeit und Frauen

1. Finanzielle Nachteile durch späte Anträge auf Erstattungen aus EU-Mitteln

Die Senatsverwaltung für Wirtschaft, Arbeit und Frauen hat Mittel aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung mit erheblichen zeitlichen Verzögerungen bei der Europäischen Kommission abgerufen. Der späte Abruf belastet die Finanzlage Berlins, weil Berlin für die aus diesem Fonds finanzierten Maßnahmen zunächst in Vorleistung gehen muss. Weitere Zinsbelastungen lassen sich nur vermeiden, wenn die Senatsverwaltung künftig zeitnah Erstattungsanträge stellt.

T 215:

In der Förderperiode 2000 bis 2006 stehen zur anteiligen Finanzierung der mit der EU abgestimmten Fördermaßnahmen insgesamt 766 Mio. aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) im Haushalt der EU für Berlin bereit. Die Ausgaben werden von der Europäischen Kommission auf Antrag erstattet. Dabei ist nachzuwei116 sen, dass entsprechende Ausgaben getätigt worden sind. Nach den Vorschriften der EU sollen die Erstattungsanträge möglichst zusammengefasst dreimal jährlich bei der Europäischen Kommission eingereicht werden. Um einen Antragsstau zu vermeiden, hat es die Europäische Kommission darüber hinausgehend freigestellt, Anträge laufend einzureichen. Wegen der späten Programmgenehmigung durch die EU konnten erste Erstattungsanträge erst von 2001 an gestellt werden.

Zu T 215:

Mit der Einführung des Erstattungsprinzips in der Strukturfondsperiode 2000 bis 2006 ist das zeitliche Auseinanderfallen von Ausgaben in der Region und Erstattung der EU-Anteile an den getätigten Ausgaben systemimmanent und insoweit der „normale" Ablauf der Strukturfondsförderung. Das Erstattungsverfahren für die EFRE-Mittel entspricht Art. 32 VO (EG) Nr. 1260/99.

Der 7 %-Vorschuss ermöglichte die Vorfinanzierung bis zur ersten und allen weiteren Erstattungen, wodurch gerade eine Belastung des Landeshaushalts weitgehend vermieden werden konnte.

Zweifellos ist es richtig, dass es zu Beginn der Förderperiode zu teilweise größeren Verzögerungen bei der Beantragung von Erstattungen aus dem EFRE gekommen ist. Die Gründe hierfür sind vielfältig.

Zum einen wurden die EFRE-Programme der laufenden Förderperiode erst sehr spät genehmigt (Ziel 1: Dezember 2000 / Ziel 2: Dezember 2001). Wenngleich die Strukturfondsverordnungen die Zulässigkeit von Ausgaben ab dem Zeitpunkt der Antragstellung bei der EUKommission (Einreichung des Operationellen Programms) vorsehen, standen die getätigten Ausgaben zu Lasten dieser Programme zunächst unter dem Vorbehalt der Genehmigung durch die EU und lagen damit im alleinigen Risiko des Landes. Erstattungsanträge konnten erst nach Programmgenehmigung gestellt werden. Bis Ende 2001 überwogen im Landeshaushalt deshalb auch aus diesem Grund eindeutig die Ausgaben zu Lasten der Förderperiode 1994 bis 1999. Zudem ist darauf hinzuweisen, dass durch die Schlussabrechnung der abgelaufenen Förderperiode, die sich bis in den März 2003 erstreckte, die personellen Kapazitäten der Fondsverwaltung weitgehend gebunden waren.

Zum anderen war dies der Umstellung vom bisherigen Vorschusssystem auf das Erstattungssystem und den erheblich gestiegenen Anforderungen an die Verwaltungs- und Kontrollsysteme geschuldet, die eine Neustrukturierung und klare Aufgabentrennung zwischen Verwaltungsbehörde und Zahlstelle bei der Verwaltung und letztlich bei der Abrechnung der getätigten Ausgaben, verbunden mit einem deutlich erhöhten Prüfaufwand auf allen Ebenen, verlangen. Die neue Abrechnungsmethodik erforderte einen umfangreichen Lernprozess aller Beteiligten, der wegen der Komplexität der Materie mehr Zeit in Anspruch genommen hat als wünschenswert gewesen wäre. Zur Optimierung der Abrechnungsprozesse hat die Fondsverwaltung nach Abschluss der Förderperiode 1994 bis 1999 im Juli 2003 deshalb eine ganztägige Informationsveranstaltung zu „Anforderungen an die Erstellung der Unterlagen für Zahlungsanträge an die EU-Kommission" durchgeführt. Ziel war die Vereinheitlichung des Informationsstandes und die Erläuterung von Handlungsanleitungen der Fondsverwaltung. Dies hat wesentlich zur Qualitätssteigerung und auch zur zeitlichen Straffung der Abrechnungsprozesse beigetragen. Gleichwohl verbleibt bei der Fondsverwaltung die Gesamtverantwortung für die Programmdurchführung und somit für die ordnungsgemäße Abrechnung gegenüber der EU. Grundsätzlich stimmt die Senatsverwaltung für Wirtschaft, Arbeit und Frauen mit dem Rechnungshof überein, die Zeit zwischen Vorfinanzierung durch das Land und Erstattung durch die EU so weit wie möglich zu begrenzen. Die umfangreichen Plausibilitätsprüfungen der Fondsverwaltung nehmen aber nach wie vor einige Zeit - wenn auch deutlich weniger als anfänglich - in Anspruch. An dieser Praxis wird die Fondsverwaltung auch in Zukunft festhalten, da Fehler in den Erstattungsanträgen an die Kommission im Zweifel bei einer späteren Prüfung durch EU-Organe zu Finanzkorrekturen und damit zu erheblichen Risiken für den Landeshaushalt führen können.

Dass das Land Berlin ab Beginn der Förderperiode im Jahr 2000 zunächst die Ausgaben in Erwartung späterer Erstattungen der EU-Anteile vorfinanzieren musste, hing mit der späten Programmgenehmigung zusammen, die die Voraussetzung für a) die Zahlung des 7 %igen Vorschusses und b) für weitere Zahlungsanträge war. Diese Verzögerungen beim Programmstart sind nicht der Verwaltungsbehörde anzulasten.