Erziehung

Die Fertigkeiten dazu sind in der Regel auch nicht vorhanden. Die unengagierte Beziehung und emotionale Distanz zu ihren Kindern manifestiert sich auch in der Sprache: Die Mütter nannten äußerst selten den Namen ihres Kindes, sagten nie „mein Kind" oder „meine Tochter", sondern „der Sohn", „die Tochter", „der da".

Das tatsächliche Verhalten und die tiefenpsychologische Motivationsstruktur der Mütter stehen im diametralen Gegensatz zu ihrer Selbstwahrnehmung. Sie sehen sich selbst als „Glucke" und treusorgende Mutter, die alles für ihre Kinder tut. Als solche präsentieren sie sich oft in Gesprächen mit anderen. Sie betonen, dass ihre Kinder einen großen Teil ihres Lebens und ihrer Freizeit einnehmen, ihr Lebensmittelpunkt, ihr „zweites Hobby" oder „eigentliches Hobby" seien. Dies ist sicher nicht strategische Täuschung des Gesprächspartners, sondern ihr unverstelltes Selbstbild, das allerdings ein Zerrbild der Wirklichkeit ist.

Standardisierte Konfliktrituale:

Die Kommunikation von Mutter und Kind ist von eingeschliffenen Ritualen geprägt, die standardisiert ablaufen und immer gleiche Konfliktsituationen erzeugen. Die Mütter wissen, wie sie auf Provokationen ihrer Kinder reagieren, dass verbale Auseinandersetzungen sich schnell aufschaukeln und mit einer Handgreiflichkeit der Mutter oder dem lautstarken Rückzug des Kindes enden. Dieses Ablaufschema kennen die Mütter und beklagen es, können aber daraus nicht ausbrechen: Zum einen wissen sie nicht wie, zum anderen ist es ihnen zu anstrengend.

Kinder als Bedrohung der eigenen Identität:

Was sind Ursachen für die große innere Distanz konsum-materialistischer Mütter zu ihren Kindern? Wir beobachten einerseits, dass sie ihre Rolle als Hausfrau und Mutter akzeptieren. Andererseits klagen sie, dass sie durch ihre Rolle darauf reduziert werden, zu funktionieren und nur für andere da zu sein. Sie sehen ihre eigene Persönlichkeit bedroht. Ein starkes Motiv der Orientierung innerhalb ihrer Tätigkeit für Haushalt und Kinder ist es, sich etwas „Eigenes" zu bewahren. Nicht nur für andere funktionieren, sondern sich Gutes tun, ist eine treibende Intention, aber auch die Legitimation, sich eine Auszeit zu nehmen. Dazu schaffen sie sich nicht nur zwischen den Haushaltsaufgaben und Kinderzeiten Inseln für sich, sondern reduzieren ihr Engagement auch in den Situationen, wenn die Kinder da sind. Sie klagen, dass sie in ihrer Rolle funktionieren müssen und es daraus keinen Ausweg gebe - und lösen ihr „Schicksal" durch Reduktion innerer Anteilnahme. Oberflächenpflege und gleichzeitige innere Distanz ist ihre wenig strategische und unbewusste Technik, Eigenständigkeit zu bewahren.

Traditionelle Rollenteilung: Zwischen Mann und Frau gibt es ein traditionelles Verständnis der Geschlechterrolle. Dieses soziokulturelle Setting gilt auch in der Erziehung, für die nahezu ausschließlich die Frau zuständig ist. Die Mütter reklamieren hier ihre alleinige Zuständigkeit und Kompetenz in Erziehungsfragen und grenzen den Mann aus. „Also den erzieherischen Part, den übernehm schon ich. Das ist ganz in meiner Hand, und ich versuch auch, alles alleine zu regeln."

Die traditionelle Arbeitsteilung wird von der Mutter als modernes und gleichberechtigtes Arrangement wahrgenommen. „Gleichberechtigung" hat in diesem Milieu eine eigene semantische Konnotation und geht selbstverständlich von asymmetrischen Zuständigkeiten aus: Für die Mutter sind Haushalt und Kinder erste Pflicht, für den Vater der Broterwerb ­ keiner redet dem jeweils anderen rein. Die innere

Landkarte, die Mann und Frau von einem partnerschaftlichen, familiären Zusammenleben haben, unterscheidet sich - trotz ähnlich verwendeter Begrifflichkeit ­ elementar von anderen modernen Milieus (z. B. von Hedonisten).

Trotz dieser bewussten Rollenteilung beklagen die Mütter offen das geringe Interesse ihrer (Ex-) Partner an den Kindern. Sie seien in der Erziehung praktisch auf sich allein gestellt; ob mit oder ohne Partner seien sie Alleinerziehende. Gesundheitliche oder psychische Probleme ihrer Kinder besprechen sie daher meistens nicht mit ihrem Mann, sondern mit einer Freundin.

Konsum ersetzt Zuwendung: Zuwendung für die Kinder erschöpft sich meist in gelegentlichen Freizeitaktionen sowie in überbordendem Konsum: Sonntags geht man gemeinsam in den Freizeitpark oder den Zoo; zu Hause überschüttet man die Kinder mit Spielsachen, lässt sie aber alleine damit spielen. Gemeinschafts- oder Lernspiele, in die sie die Kinder einführen müssten oder die ihr Mitspielen erfordern, kaufen sie selten. Inspirieren lassen sie sich bei der Wahl der Spiele in der Regel von den Auslagen der Geschäfte, der Werbung im Fernsehen oder in Beilagen sowie vor allem von den Bedürfnissen ihrer Kinder.

Für konsum-materialistische Mütter ist Konsum persönliche Zuwendung. In ihrer Wahrnehmung ist es eine besondere Form der Liebe, ihrem Kind zu kaufen und zu gewähren, was es will. Fürsorge hat für sie oft nur die materielle und die gewährende Dimension. Es ist für sie eine plausible und einfache Form, ihre Zuneigung auszudrücken und sichtbar zu demonstrieren - vor sich selbst, den Kindern und dem sozialen Umfeld.

Wenn ihre Kinder fernsehen, am Computer spielen oder im Internet surfen, kontrollieren sie dies selten. Obwohl sie das Gefühl haben, ihre Kinder vor den Gefahren des Internet beschützen zu müssen, beschränken sie sich in der Regel darauf, die Beschäftigung mit dem Computer auf eine bestimmte Stundenzahl zu begrenzen. In der Praxis kontrollieren sie oft nicht, was ihr Kind am Computer oder im Internet tut. Aktiv und panisch werden sie nur dann, wenn sie zufällig bemerken, dass ihr Kind Horrorspiele hat, Gewaltvideos ansieht oder Sex-Homepages ansteuert.

Doch sie reagieren darauf, indem sie ihr Gefühl der Ohnmacht ausleben oder aber dem Kind dies autoritär verbieten, ohne es im Weiteren zu kontrollieren.

Stolz auf Talente der Kinder: Stolz wollen die Mütter auf ihre Kinder sein. Wenn der Sohn in der Fußballmannschaft ein Star ist oder ihr Kind eine andere, vor allem sportliche Begabung zeigt, entwickeln die Eltern selbst Ehrgeiz und spornen ihr Kind an, noch besser oder gar „der Beste" zu werden. Hier manifestieren sich Aufsteigerwünsche. Die Talente ihrer Kinder sind oft eine Projektion eigener Sehnsüchte, eine nostalgische Wiederbelebung der eigenen Hobbys aus der Kindheit. Es muss jedoch eine Sphäre sein, zu der sie selbst einen persönlichen Bezug haben und die sie verstehen. Wenn ihr Kind aber in der Schule in der Theatergruppe ist, klassische Gitarre spielt oder in einem Schulfach Leidenschaft und Begabung zeigt, nehmen sie dies wahr, aber es bleibt ihnen fremd und wird von ihnen nicht wirklich anerkannt und gefördert. Sie kommen selbst selten auf den Gedanken, dass ihr Kind durch kompetente Experten (Lehrer, Verein, außerschulischer Unterricht) angeregt werden und sich weiter entwickeln könnte. Doch auch wenn ihre Kinder Talente und Interessen aus ihnen vertrauten Sphären (Sport, Handwerk) haben, fördern sie diese nicht gezielt und nachhaltig, sondern überlassen dies dem Engagement der Lehrer.

Verdrängung von Verhaltensstörungen: Verhaltensauffälligkeiten ihrer Kinder (ADS, Hyperaktivität, Legasthenie u.a. treten in diesem Milieu auffallend oft auf) registrieren die Mütter, verharmlosen diese jedoch lange vor sich selber und anderen. Erst wenn sie von Lehrern, Bekannten und Freunden wiederholt auf die Probleme ihres Kindes angesprochen werden, gehen sie zum Arzt oder Therapeuten. Dieser Gang ist für sie schwer: Zum einen wollen sie um jeden Preis ein „normales" Kind und fürchten die Diagnose „verhaltensgestört". Zum anderen sind diese Arztbesuche ein zusätzlicher Aufwand, der ihnen lästig ist.

Sobald sie vom Arzt irgendein noch so schwaches Signal bekommen, das den Abbruch der Behandlung rechtfertigt, brechen sie diese Initiative ab und erklären das Kapitel für beendet. Sie legitimieren dies damit, dass auch der Arzt nichts gefunden habe und ihr Kind im Grunde ganz normal sei, oder aber im Gegenteil, dass ihr Kind ein hoffnungsloser Fall sei und keine Therapie eine sichtbare Verbesserung erzielen würde. Äußerungen von Ärzten und Therapeuten werden Wochen, Monate und Jahre später noch wiedergegeben oder auch erfunden, um das eigene Verhalten zu rechtfertigen. Wenn der Arzt formuliert: „Wir können für Sie im Moment nicht mehr tun", dann ist das für die Mutter das endgültige Urteil: ein aussichtsloser Fall.

In ihrer Wahrnehmung meint sie, alles für ihr Kind versucht und mehr als ihre Pflicht getan zu haben.

Abwehr von pädagogischer Unterstützung: Mütter aus konsum-materialistischen Lebenswelten sind gegenüber pädagogischen Anregungen wenig aufgeschlossen und an Erziehungskonzepten kaum interessiert.

So wie sie mit ihren Kindern weitgehend unreflektiert umgehen, zeigen sie kaum Motivation, sich mit „Experten" über Erziehung zu unterhalten. Entsprechend schwierig ist es für Pädagogen, hier überhaupt einen Zugang zu finden. Auf der einen Seite delegieren die Mütter große Teile der Erziehung an andere Instanzen; auf der anderen Seite reagieren sie aggressiv, wenn diese von den Eltern Engagement fordern. Wird eine Mutter von einem Pädagogen zur Initiative aufgefordert, reagiert sie mit Abwehr und wirft ihm nicht selten mangelnde fachliche Kompetenz vor. Jede Störung im Tagesablauf (der Sohn muss nachsitzen; die Mutter wird zum Lehrer zitiert) ist für sie primär eine Belästigung. Für diese Mütter ist es eine Hilfe und Erleichterung, wenn man ihnen die Kinder abnimmt.

c) Zusammenfassung Hedonisten Mütter aus dem hedonistischen Milieu leben im ständigen massiven Konflikt zwischen der eigenen Grundorientierung und ihrer neuen Lebenslage mit Kind. Durch den Alltag mit Kindern können sie ihren erlebnisorientierten Lebensstil nicht mehr (aus)leben. Zugleich schränkt das Leben mit Kindern ihren engen finanziellen Spielraum weiter ein. Sie werden von ihren Eltern wieder sozial und materiell abhängig, und sie sind mitunter auf Unterstützung durch das Sozialamt angewiesen. Vom Alltag mit Kind und den Erziehungsaufgaben fühlen sich hedonistische Mütter massiv überfordert. Die hermeneutische Analyse zeigt, dass ihr Umgang mit Kindern durchaus von hedonistischem Pragmatismus geprägt ist. Die Mütter delegieren ihre Verantwortung für das Kind meist latent, zum Teil aber auch bewusst, an Ärzte, Erzieher, Lehrer, die Gesellschaft - oder das Kind selbst.

Subjektiv lieben sie ihre Kinder „über alles" und verorten sie im Zentrum ihres Lebens.