Netzwerk zur Stärkung des Kinderschutzes

Der Senat legt mit den nachfolgenden Ausführungen Maßnahmen zur Stärkung des Kinderschutzes vor mit dem Ziel, durch Prävention, Früherkennung, Beratung, Krisenintervention und rechtzeitige Hilfegewährung der Vernachlässigung von Kindern und der Gewalt gegen Kinder durch Kindesmisshandlung und ­missbrauch entgegen zu wirken.

Wie bereits in der Drucksache 15/5016 (Konzept für ein Netzwerk Kinderschutz (Kinderschutz verbessern ­ Gewalt gegen Kinder entgegenwirken)) berichtet, arbeitet seit Januar 2006 die Arbeitsgruppe „Netzwerk Kinderschutz" unter Federführung der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport zum Gesamtkomplex Kinderschutz. Die Arbeitsgruppe setzt sich zusammen aus Vertretern/-innen der Senatsverwaltungen für Bildung, Jugend und Sport und für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz, der bezirklichen Jugendämter, der bezirklichen Kinder- und Jugendgesundheitsdienste, des Berliner Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit, des Polizeipräsidenten in Berlin sowie einem/r Vertreter/in der Liga der Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege.

Die Senatsverwaltung für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz hat nur für den Gesundheitsbereich eine spezielle unterstützende Arbeitsgruppe mit Vertretern/innen von Kliniken und medizinischen Berufsverbänden eingerichtet, um im Gesundheitsbereich Maßnahmen zur Früherkennung von Kindeswohlgefährdungen zu entwickeln.

Darüber hinaus hat der Senat zur Umsetzung des Konzepts für ein Netzwerk Kinderschutz weitere Arbeitsgruppen eingerichtet, an denen verschiedene Senatsverwaltungen teilnehmen. Er hat sich außerdem an einer Arbeitsgruppe auf Bundesebene beteiligt.

Bei der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport wurde die zeitweilige Arbeitsgruppe „Kooperation Jugendamt-Familiengericht" eingerichtet, in der die Jugendämter, Familienrichterinnen und -richter, die Senatsverwaltung für Justiz und die Senatsverwaltung für Bildung Jugend und Sport vertreten sind. Die Arbeitsgruppe erarbeitet derzeit Empfehlungen zur Zusammenarbeit zwischen Familiengerichten und Jugendämtern in Fällen von Kindeswohlgefährdungen unter besonderer Berücksichtigung des durch das Gesetz zur Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe eingeführten § 8a SGB VIII.

Daneben finden bei der Senatsverwaltung für Justiz weiterhin regelmäßige Gespräche zwischen Vertretern/innen von Jugendämtern, Familiengerichten, der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport sowie der Senatsverwaltung für Justiz statt, um aktuelle Probleme der Zusammenarbeit zu erörtern und zu lösen.

Beim Bundesministerium der Justiz tagte von März bis November 2006 die Arbeitsgruppe „Familiengerichtliche Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls", die zur Aufgabe hatte, die gesetzlichen Vorschriften zu gerichtlichen Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls (insbesondere §§ 1666, 1631b BGB, § 34 JGG) mit dem Ziel zu überprüfen, familiengerichtliche Maßnahmen hinsichtlich schwerwiegend verhaltensauffälliger, insbesondere straffälliger Kinder und Jugendlicher zu erleichtern. Die Arbeitsgruppe, in der Berlin durch die Senatsverwaltung für Justiz, die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport sowie einen Familienrichter vertreten war, hat in ihrem Abschlussbericht auch Vorschläge dazu unterbreitet, wie der Informationsfluss und die Zusammenarbeit zwischen dem Familiengericht und den beteiligten Behörden (Jugendamt, Schule, Polizei, Jugendstaatsanwaltschaft, Jugendgericht) weiter verbessert werden können."

Die Arbeitsgruppe „Netzwerk Kinderschutz" hat konkrete Maßnahmen für ein Netzwerk zur Stärkung des Kinderschutzes entwickelt. Dabei ist sie von den im Zwischenbericht zum Netzwerk Kinderschutz niedergelegten Erkenntnissen ausgegangen. „Eine Analyse der vorhandenen Maßnahmen und Kontrollmöglichkeiten hat trotz eines beachtlichen Hilfesystems bestehende Lücken oder Unzulänglichkeiten aufgezeigt". Ausgehend von den im Zwischenbericht aufgeführten vorhandenen Angeboten und Hilfemöglichkeiten zum Kinderschutz (s. Anlage 5) wurden als gravierende Mängel aufgeführt:

- Kooperationsdefizite zwischen Behörden

- Das Fehlen einer überregionalen Anlaufstelle

- Keine flächendeckenden Erstkontakte des Kinder- und Jugendgesundheitsdienstes

- Keine einheitliche indikationsspezifische Ausrichtung

- Fehlende einheitliche Handlungsmuster

- Lücken im Untersuchungssystem (U 1 ­ U 9, Kita- Aufnahmeuntersuchung)

- Das Fehlen eines Früherkennungs- und Interventionssystems.

Mit den folgenden Maßnahmen sollen diese Mängel beseitigt und das bestehende Hilfesystem effektiviert werden.

2. Die Leitlinien des Netzwerks Kinderschutz:

Die Verbindungslinien zwischen den verschiedenen schon vorhandenen Hilfeangeboten, Maßnahmen und Projekten, die im vorigen Bericht aufgeführt wurden, und den neuen Maßnahmen lassen sich am besten in Leitlinien für den Kinderschutz zusammenfassen.

Prävention durch Frühwarnsystem und Frühförderung

Um Vernachlässigungs- und Misshandlungsfälle zu vermeiden, bedarf es der frühzeitigen Identifikation von Risikofaktoren und der Einleitung von Hilfen.

Wie im Zwischenbericht des Senats zu den Ursachen von Vernachlässigung und Misshandlung bereits dargelegt, resultieren diese in der Regel aus Belastungssituationen, für die die Familienkonstellation über keine adäquaten Lösungsmöglichkeiten verfügt. Damit rückt die gesamte Bandbreite familiärer Situationen von der Zeit vor der Geburt eines Kindes bis zur alltäglichen Lebensbewältigung mit den Kindern in den Fokus.

Früherkennung durch einheitliche Indikatoren/Risikofaktoren für Kindeswohlgefährdung Einheitliche Indikatoren für Risikogefährdungen schaffen klare Handlungs- und Kommunikationsgrundlagen durch Objektivierung subjektiver Einschätzungen und sie ermöglichen Früherkennungs- und Frühförderungssysteme ohne flächendeckende Kontrollsysteme.

Schnelle unbürokratische Intervention in Krisenfällen Betroffene, Nachbarschaft, Lehrerkräfte, Erziehungspersonal, Polizei usw. müssen niedrigschwellig, schnell und unbürokratisch kompetente Ansprechpartner/-innen erreichen können. Dafür bedarf es einer entsprechenden Anlaufstelle und fester verantwortlicher Ansprechpartner/innen in den Ämtern.

Verbindliche Handlungs-, Informations- und Dokumentationsmuster

Durch einheitliche verbindliche Handlungsanweisungen lassen sich Fehler minimieren.

Vorgegebene Informationswege vermeiden Informationsverluste und die Dokumentationspflicht bindet Verantwortlichkeiten und erlaubt in der Auswertung realistische Erkenntnisse über die quantitative Dimension des Problems.

Verlässliches Zusammenwirken durch Kooperationsvereinbarungen Wirksamer Kinderschutz erfordert ein abgestimmtes Handeln aller Beteiligten. Dieses ist am besten durch Kooperationsvereinbarungen zu gewährleisten, in denen die jeweiligen Aufgaben festgelegt sind und die damit die Gewähr abgestimmten Handelns bieten.

3. Die Maßnahmen

Das soziale Frühwarnsystem

Mit diesem Modell soll Schwangeren oder jungen Müttern/Familien, die sich in schwierigen Lebenssituationen befinden, möglichst frühzeitig Hilfeangebote gemacht werden. Selbstverständlich führt das Vorhandensein nicht eines jeden einzelnen der aufgelisteten Indikatoren ohne Weiteres zu einer Gefährdung des Kindeswohls. Jedoch wird das Risiko für Kinder, das Opfer einer Vernachlässigung oder Misshandlung zu werden, bei Vorliegen vor allem mehrerer dieser Indikatoren statistisch erhöht, so dass ein allgemein besonderes Augenmerk auf diese Umstände gerechtfertigt ist. Das „Abhaken" der Faktoren ersetzt daher keinesfalls das Gespräch, das von den betreuenden Personen (Gynäkologen/innen, Hebammen, Mitarbeiter/innen von Beratungsstellen oder Geburtskliniken usw.) mit den Frauen/Familien geführt werden muss. Aus dem Gespräch können sich weitere Erkenntnisse ergeben, die entweder die Wahrnehmung, dass Hilfe erforderlich ist, verstärken oder Umstände deutlich machen, die erkennen lassen, dass die Familie sozial/familiär eingebunden und finanziell abgesichert ist.

Einige der genannten Faktoren sind bereits dem Mutterpass in seiner jetzigen Form zu entnehmen ­ vorausgesetzt, er wird von allen Beteiligten sorgfältig ausgefüllt.

Um die Informationen erweitern zu können, wurde von der Arbeitsgruppe ein Einlegeblatt für den Mutterpass entwickelt, das sich deutlicher auf die soziale und familiäre Situation bezieht (s. Anlage 6).

Die Senatsverwaltung für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz wird die Kassenärztliche Vereinigung bitten, den Einlegebogen vor Verteilung der Mutterpässe an die Gynäkologen etc. bereits hinzuzufügen. Das Ausfüllen erfolgt nur mit Einverständnis der Frau und diese entscheidet auch, ob ein weiterer Betreuender (z.B. die Geburtsklinik) Einsicht in diesen Bogen erhält.

Ein weiteres neu entwickeltes Instrument zum Auffinden von Frauen/Familien in schwierigen Situationen ist der „JA-BITTE-Bogen". Dieser Bogen enthält eine Reihe von Fragen, durch deren Beantwortung sich die Frau darüber klar werden kann, ob sie sich in einer bisher nicht erkannten Problemsituation befindet. Es kann Hilfebedarf im persönlichen, finanziellen oder gesundheitlichen Bereich ermittelt werden.

Geplant ist, diesen Bogen in allen Institutionen auszulegen, die mit Schwangeren Kontakt haben (Gynäkologen/innen, Hebammen, Beratungsstellen usw.).