Bedarfsgemeinschaften mit mehr als einem Leistungsberechtigten

In Fällen von Bedarfsgemeinschaften mit mehr als einem Leistungsberechtigten, in denen Ehegatten/Lebenspartner/Alleinerziehende Einkommen erzielen, wird die Summe des monatlich anrechenbaren Einkommens mit dem IT-Programm A2LL anteilmäßig auf alle Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft verteilt (Bedarfsanteilsmethode - horizontale Einkommensverteilung). Diese Art der Einkommensverteilung widerspricht den Grundsätzen des Unterhaltsrechts und dem Verfahren nach dem früheren BSHG. Sie führt im Ergebnis zu einer ungerechtfertigten Mehrbelastung des kommunalen Trägers und einer Entlastung der Bundesagentur über die Regelung des § 19 Satz 3 SGB II (T 135, 137) hinaus. Deshalb sollte sich das Land Berlin um eine Änderung bemühen.

Die stichprobenweisen Prüfungen des Rechnungshofs haben durchgehend erhebliche Mängel der Aktenführung in den „JobCentern" offenbart, die nicht allein auf Anlaufprobleme zurückzuführen sind. Vor allem war zu beanstanden, dass das IT-Programm A2LL auch zur „elektronischen Aktenführung" benutzt wird, obwohl es nur ein Berechnungsprogramm ist. Die Akten enthalten dadurch nicht alle Informationen. So werden in der Regel Bewilligungsbescheide nicht ausgedruckt und zur Akte genommen, sondern nur elektronisch gespeichert. Gleiches gilt für Nachweise zu den anerkannten Kosten der Unterkunft. Dabei gibt die Speicherung in A2LL kein chronologisches Bild des jeweiligen Verwaltungshandelns wieder, weil alte Angaben nicht gespeichert bleiben, sondern „überschrieben" werden. Für eine „elektronische Aktenführung" existiert hier im Übrigen keine Vorschriftengrundlage. Das gesamte Verwaltungshandeln muss sich aus der Akte ergeben.

Häufig fehlten vollständig ausgefüllte Erst- und Fortzahlungsanträge, entscheidungsbegründende Aktenvermerke und Berechnungsausdrucke, Schulbescheinigungen, Angaben über die Gegenstände der bewilligten Erstausstattung, Hinweise auf Beiakten (z. B. Unterhalt), Kunden- und Bedarfsgemeinschaftsnummern sowie Angaben, ob und mit welchem Ergebnis das Vorliegen einer eheähnlichen Gemeinschaft geprüft worden ist. Bei einer derart mangelhaften Aktenführung sind finanzielle Nachteile für das Land Berlin nahezu zwangsläufig. Der Rechnungshof erwartet, dass diese Mängel schnellstmöglich beseitigt werden.

Zusammenfassend beanstandet der Rechnungshof, dass die vorgeschriebenen haushaltsrechtlichen Kontrollen bei der Gewährung von Leistungen nach dem SGB II in Höhe von über 1,2 Mrd. jährlich nicht gewährleistet sind und durch gravierende Mängel und Fehler der „JobCenter" im Vollzug des SGB II erhebliche finanzielle Nachteile für das Land Berlin entstehen.

Der Rechnungshof erwartet, dass der Senat in Abstimmung mit den Bezirksämtern und „JobCentern" für eine Beseitigung der aufgezeigten Mängel sowie eine sachgerechte Lösung der systembedingten Probleme sorgt.

Rechnungshof von Berlin Jahresbericht 2007

2. Erhebliche Mehrbelastung des Landeshaushalts durch Anerkennung unangemessen hoher Unterkunftskosten bei der Umsetzung des SGB II („Hartz IV") infolge rechtswidriger Ausführungsvorschriften

Die für Soziales zuständige Senatsverwaltung hat Ausführungsvorschriften zur Ermittlung der angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung gemäß § 22 Abs. 1 SGB II erlassen, die in mehrfacher Hinsicht rechtswidrig sind und bewirken, dass Leistungsempfänger auch bei unangemessen hohen Aufwendungen nicht die Wohnung wechseln müssen. Dadurch kommt es zu ungerechtfertigten Leistungen und einer erheblichen Mehrbelastung des Landeshaushalts.

Der Rechnungshof hat sich parallel zu den Prüfungen zur Umsetzung des neuen SGB II - Grundsicherung für Arbeitsuchende - („Hartz IV") in vier Bezirksämtern und Arbeitsgemeinschaften („JobCentern"), über die in T 125 bis 142 berichtet wird, auch mit den Vorgaben der für Soziales zuständigen Senatsverwaltung zur Ermittlung der angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung befasst. Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Für diese Leistungen ist das Land Berlin als kommunaler Träger zuständig (vgl. T 125). Die Ausgaben beliefen sich im Jahr 2005 auf 1,176 Mrd. ; hieran hat sich der Bund mit 29,1 v. H. beteiligt. Die Zahl der leistungsberechtigten Bedarfsgemeinschaften ist von zunächst 270 776 im Januar 2005 auf 354 516 im Juni 2006 angestiegen, sodass noch höhere Ausgaben angefallen sind. Nach statistischen Daten der Bundesagentur für Arbeit waren in Berlin im Dezember 2006 332 946 Bedarfsgemeinschaften (606 120 Personen) leistungsberechtigt.

Angesichts dieser finanziellen Dimensionen kommt einer zeitnahen Überprüfung der tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung auf Angemessenheit und der gesetzeskonformen Festlegung von Angemessenheitskriterien eine besondere Bedeutung zu.

Der Bund hat von seiner in § 27 Nr. 1 SGB II vorgesehenen Ermächtigung, durch Rechtsverordnung zu bestimmen, welche Aufwendungen für Unterkunft und Heizung angemessen sind und unter welchen Voraussetzungen die Kosten für Unterkunft und Heizung pauschaliert werden können, bislang keinen Gebrauch gemacht. Infolge fehlender bundeseinheitlicher Kriterien verfahren alle kommunalen Träger nach jeweils eigenen Vorgaben. Die Senatsverwaltung hat insoweit nicht auf ihre für den Bereich des BSHG erlassenen Ausführungsvorschriften (AV-Unterkunft) zur Definition angemessener Unterkunftskosten zurückgegriffen, die ausgehend von der Nettokaltmiete nach personenzahlbezogenen Wohnungsgrößen in Quadratmetern und Mieten im Alt- und Neubau sowie im sozialen und frei finanzierten Rechnungshof von Berlin Jahresbericht 2007

Wohnungsbau differenzierten. Sie hat vielmehr neue Ausführungsvorschriften zur Ermittlung angemessener Kosten der Wohnung gemäß § 22 SGB II (AV-Wohnen) erlassen. Diese stellen nur noch auf Bruttowarmmieten, gestaffelt nach der Anzahl der Personen eines Haushalts, ab und legen folgende Richtwerte fest:

Bei jeder weiteren Person im Haushalt erhöht sich die monatliche Bruttowarmmiete um 50,00. 145 Bei der Überprüfung, wie es zur Festsetzung dieser Angemessenheits-Richtwerte gekommen ist, hat der Rechnungshof ermittelt, dass es der Senatsverwaltung primär darum ging, den Leistungsempfängern einen Wohnungswechsel auch bei hohen Mieten so weit wie irgend möglich zu ersparen. Sie hat die Angemessenheits-Richtwerte so hoch festgesetzt, dass 80 v. H. der Mieten des Berliner Wohnungsbestandes abgedeckt werden. Internen Berechnungen lag insoweit eine monatliche Nettokaltmiete von ca. 5 /m² zuzüglich durchschnittlicher Betriebskosten von 2,22 /m² zugrunde.

Zur vergleichbaren Rechtslage nach dem früheren BSHG hatte das Bundesverwaltungsgericht ausgeführt, Ausgangspunkt für die angemessene Höhe der Unterkunftskosten sei die abstrakt zu ermittelnde personenzahlabhängige Wohnungsgröße, sodass sich die angemessene Höhe der Unterkunftskosten als Produkt aus der für die Hilfeempfänger abstrakt angemessenen Wohnungsgröße und dem nach den örtlichen Verhältnissen angemessenen Mietzins pro Quadratmeter bestimme. Bei der Beurteilung der Angemessenheit der Mietaufwendungen für eine Unterkunft seien die örtlichen Verhältnisse zunächst insoweit maßgeblich, als auf die im unteren Bereich der für vergleichbare Wohnungen am Wohnort der Hilfebedürftigen marktüblichen Wohnungsmieten abzustellen und auf dieser tatsächlichen Grundlage die sozialhilferechtlich maßgebliche Mietpreisspanne zu ermitteln sei. Sodann sei zu prüfen, ob dem Hilfeempfänger eine andere bedarfsgerechte, kostengünstigere Wohnung konkret verfügbar und zugänglich sei (vgl. zuletzt BVerwG DVBl. 2005, 1326).