Vielfalt fördern ­ Zusammenhalt stärken

Das Berliner Integrationskonzept Handlungsfeld II ­ Förderung einer Kultur des Respekts und Schutz der Demokratie

Die Anerkennung der Vielfalt der hier lebenden Menschen aus 180 Nationen ist eine zentrale Aufgabe der Antidiskriminierungspolitik des Senats. Ohne eine nachhaltige Prävention gegen Diskriminierungen aller Art und den Schutz vor Diskriminierung, werden auf Dauer weder Chancengleichheit noch Integration gelingen. Der Schutz vor Diskriminierung gehört zum Kernbestand einer funktionierenden Zivilgesellschaft, ihr Selbstverständnis ist davon grund legend berührt. Akzeptanz und gegenseitiger Respekt sind Grundbedingungen demokrati scher Konfliktaustragung. War es vor Jahren noch ausreichend formale Gleichberechtigung gesetzlich festzuschreiben, so geht es heute um staatliche Verantwortung für den Schutz vor Diskriminierung auch durch Private und dessen institutionelle Absicherung. Vorbehalte und Vorurteile gegenüber Migranten/-innen beeinträchtigen das alltägliche Zusammenleben und sind ein wesentliches Hindernis für ihre Integration. Daher geht es neben dem konkreten Schutz vor Diskriminierung und rassistischer Gewalt auch darum, eine Kultur des Respekts zu erzeugen und den Blick zu weiten für andere Lebensstile, andere Weltanschauungen und andere Formen des religiösen Bekenntnisses. Der Senat sieht in diesem Handlungsfeld ei nen wesentlichen Pfeiler einer Integrationspolitik, die auch auf eine starke und konfliktbe währte Zivilgesellschaft setzt. Eine Kultur des Respekts braucht weltoffene, neugierige und mutige Bürger/-innen, die den Gegenüber ernst nehmen und gleichzeitig für ihre unterschied lichen Interessen mit den rechtsstaatlich verbürgten Mitteln streiten. Die Förderung des bür gerschaftlichen Engagements, insbesondere auch unter Migranten/-innen, betrachtet der Senat als einen wichtigen Beitrag zur Stärkung der Zivilgesellschaft bei der Förderung einer Kultur des Respekts.

Für den Senat sind im Rahmen dieses Handlungsfeldes zwei Leitprojekte maßgeblich: Leitprojekt 6D ­ Landesstelle für Gleichbehandlung und gegen Diskriminierung

Bei der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales wurde mit Beginn des Jahres 2007 eine „Landesstelle für Gleichbehandlung ­ gegen Diskriminierung" (Antidiskriminie rungsstelle) eingerichtet. Sie ist bei der Staatssekretärin für Integration und Soziales als Stabstelle angesiedelt und führt die bisherige Leitstelle gegen Diskriminierung aus ethni schen, religiösen und weltanschaulichen Gründen (bisher beim Integrationsbeauftragten an gesiedelt) und den Fachbereich für gleichgeschlechtliche Lebensweisen (bisher angesiedelt bei der Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung) zusammen. Auf der Grundlage des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) werden alle Diskriminie rungsmerkmale bei der neuen Landesstelle bearbeitet, ausgenommen solche aus ge schlechtsspezifischen Gründen. Hier liegt die Zuständigkeit bei der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Technologie und Frauen. Oberstes Ziel der Landesstelle ist die Förderung einer Kultur der Wertschätzung von Vielfalt und gegen Diskriminierung. Operative Ziele sind

· die Sensibilisierung für Diskriminierungen und die Prävention von Diskriminierung in Ge sellschaft, Verwaltung und Politik,

· der Abbau struktureller Diskriminierungen und

· die Weiterentwicklung und Steuerung einer bedarfsgerechten, effizienten und netzwerk orientierten Selbsthilfe- und Beratungsinfrastruktur.

Um diese Ziele zu erreichen, wird die Landesstelle die Verwaltungen bei der Umsetzung des AGG beraten, sie wird zur Förderung einer Kultur der Vielfalt eine aktive Öffentlichkeitsarbeit betreiben sowie präventive Maßnahmen in Schulen, bei der Polizei und in Wohnungsbauge sellschaften durchführen. Zudem wird sie eine Koordination und Vernetzung der bereits be stehenden Beratungsangebote vornehmen und deren Beratungskompetenzen zum AGG 75"Vielfalt fördern ­ Zusammenhalt stärken" ­ Das Berliner Integrationskonzept stärken, um eine effiziente und kompetente Beratung sicherzustellen. Das Jahr der Chan cengleichheit 2007 wird vom Senat genutzt, das AGG einer breiteren Öffentlichkeit bekannt zu machen.

Leitprojekt 6E ­ Landesprogramm gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Anti semitismus

Der Senat wird 2007 ein Landesprogramm zur Förderung von Demokratie sowie Bekämp fung des Rechtsextremismus, des Rassismus und des Antisemitismus vorlegen, das die viel fältigen Aktivitäten in diesem Handlungsfeld bündelt. Teil des Landesprogramms ist die Ein richtung eines "Ratschlages für Demokratie", mit dem maßgebliche Organisationen der Zivil gesellschaft und engagierte Persönlichkeiten die Arbeit gegen Rechtsextremismus, Rassis mus und Antisemitismus begleiten sollen.

Eine wesentliche Basis des Landesprogramms ist das bereits seit 2003 bestehende Förder programm zur Unterstützung von Initiativen gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Anti semitismus, das mit 1,2 Mio. Landesmitteln ca. 30 Projekte finanziert. Das Landespro gramm setzt auf die Stärkung zivilgesellschaftlicher Kräfte als Garanten einer wehrhaften Demokratie. Es berücksichtigt, dass ethnische und kulturelle Minderheiten sowohl potenzielle Opfer von Übergriffen sind, als auch Ausgangspunkt demokratiefeindlicher Erscheinungen sein können. Dabei findet die Bekämpfung antisemitisch motivierter Diskriminierungen und Gewalttaten eine stärkere Beachtung.

Schwerpunkte der Arbeit sind:

· die mobile Beratung und die Bildung antirassistischer Netzwerke,

· die Stärkung von Nachbarschaften durch Präventionsarbeit in Kooperation mit lokalen Initiativen und Einrichtungen,

· die Opferberatung sowie

· die Recherche über und Dokumentation von rechtsextremen, rassistischen und antisemi tischen Übergriffen und Straftaten.

Handlungsfeld III ­ Gender und Integration: Recht auf Selbstbestimmung durchsetzen Anerkennung von Vielfalt bedeutet auch selbstbestimmte Lebensentwürfe für beide Ge schlechter sicher zu stellen. Rollen- und Familienmodelle ändern sich mit veränderten ge sellschaftlichen Bedingungen. Für Mädchen und Jungen, Männer und Frauen muss der Staat die Möglichkeit unterschiedlicher Lebensformen garantieren, solange sie mit dem Grundge setz übereinstimmen. So stehen Initiativen für beide Geschlechter im Mittelpunkt dieses Handlungsfelds.

Die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Mädchen mit Migrationshintergrund und deren Möglichkeiten, ein eigenständiges, selbstbestimmtes Leben zu führen, gehören zu den zentralen Zielen der Gleichstellungs- und Integrationspolitik des Senats. Die Situation von Migrantinnen in Berlin ist von zwei Tendenzen gekennzeichnet. Einerseits wächst eine Gene ration selbstbewusster Frauen heran, die die unterschiedlichen kulturellen Kontexte, in de nen sie sich bewegen, als Bereicherung empfinden und sich offen zu ihnen bekennen. Viele dieser jungen Frauen sind erfolgreicher in Schule und Ausbildung als männliche junge Migranten, sie kommen oft aus stabilen und intakten Familienverhältnissen und möchten selbst berufstätig sein. Trotz dieser positiven Entwicklung der vergangenen Jahre bedeutet die enge Familienbindung für viele Frauen auf der anderen Seite eine erhebliche Einschrän kung. Nicht wenige erfahren zu Hause Unterdrückung und Gewalt. In diesem Spannungsfeld zwischen Bildungserfolg und neuem Selbstbewusstsein und der Behinderung des Rechts auf 76"Vielfalt fördern ­ Zusammenhalt stärken" ­ Das Berliner Integrationskonzept Selbstbestimmung und Gewalterfahrungen von Migrantinnen liegen die Aufgaben dieses Handlungsfeldes.

Jegliche Gewalt gegenüber Frauen, auch in Form von Zwangsheirat, ist unvereinbar mit den Menschenrechten, dem Grundgesetz und der dort festgeschriebenen Gleichstellung von Mann und Frau. Die Achtung der Menschenwürde ist unabdingbar, der Senat sieht seine vorrangige Aufgabe darin, diese zu schützen. Wenn auch das Problem der häuslichen Ge walt gegenüber Frauen primär kein ethnisches Problem ist, so erleben Migrantinnen den noch mehr häusliche Gewalt als deutsche Frauen. Der Schutz der Frauen vor häuslicher Gewalt ist daher eine der Kernaufgaben im Rahmen dieses Handlungsfeldes.

Der Senat unterstützt eine Vielzahl von Projekten für Migrantinnen. Sie haben das Ziel, die Kompetenzen der Zielgruppe zu erhöhen und ihre spezifischen Ressourcen zu stärken. Zu dem sollen die Voraussetzungen zur beruflichen Integration verbessert und die gleichberech tigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglicht werden. Das Bildungsangebot umfasst Kurse zum Spracherwerb, Maßnahmen zur Vorbereitung auf Schulabschlüsse, berufsorien tierende Maßnahmen und ausbildungsbegleitenden Unterricht. Das Beratungsangebot orien tiert sich an den individuellen Bedürfnissen der Frauen und umfasst alle Bereiche des tägli chen Lebens, insbesondere jedoch soziale, familiäre und aufenthaltsrechtliche Fragen. Die meisten Einrichtungen sind gleichzeitig auch Anlaufstellen für Klientinnen, die Opfer von (häuslicher) Gewalt geworden sind. Neben der Unterstützung in besonders kritischen Le benssituationen werden Informations- und Aufklärungsarbeit zu unterschiedlichen Themen und kulturelle Veranstaltungen angeboten. Sie dienen dem Erfahrungsaustausch und der informellen Weitergabe von Informationen.

Neben den ausgewiesenen Migrantinnenprojekten stehen weitere Frauenprojekte wie AntiGewalt-Beratungsstellen, Frauenhäuser und Zufluchtswohnungen sowie die Frauenzentren Migrantinnen offen und werden von diesen genutzt.

Der Schutz von Migrantinnen vor häuslicher Gewalt ist ein Schwerpunkt in der Anfang 2006 beschlossenen Fortschreibung des Berliner Aktionsplans zur Bekämpfung von häuslicher Gewalt.

Zielgruppe dieses Handlungsfeldes sind auch männliche jugendliche Migranten. Es ist die Auffassung des Senats, dass im Hinblick auf diese Zielgruppe innovative Konzepte und Betreuungsstrategien erprobt werden müssen, die auf die Entwicklung alternativer männli cher Rollenbilder und einen kritischen Umgang mit Gewalt als Mittel der Auseinandersetzung zielen.

Die Arbeit mit männlichen jugendlichen Migranten steckt noch in den Anfängen. Gerade sie stehen jedoch verstärkt im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit, oft im Zusammenhang mit Gewalttaten in Stadtteilen oder Schulen. Das Gefühl, in unserer Gesellschaft nicht akzep tiert zu sein, gepaart mit schlechten Aussichten auf dem Arbeitsmarkt, führt bei Jungen und Jugendlichen mit Migrationshintergrund häufig zu Perspektivlosigkeit und Demütigungserfah rungen. Aufgrund hoher Erwartungen an die Männerrolle wird für männliche Jugendliche in der Pubertät die Suche nach ihrer Identität besonders schwierig. Altersbedingt suchen sie nach Möglichkeiten, ihre männlichen Stärken unter Beweis zu stellen und auszuprobieren.

Dabei fehlen oft positive und stabilisierende männliche Vorbilder, die Wertschätzung und Anerkennung geben. Die tradierte Autorität der Väter oder der männlichen Bezugspersonen wird durch die wirtschaftlich oft schwierige Situation der Familien und die häufig auftretende Arbeitslosigkeit der Väter und Brüder in Frage gestellt. Normen und Verhaltenserwartungen der Leistungsgesellschaft können unter diesen Umständen oft nicht mehr überzeugend ver mittelt werden. Die Enttäuschung der Eltern über die vermeintliche Erfolglosigkeit der Söhne, die der tradierten Rolle, die „Altersvorsorge" ihrer Eltern zu übernehmen, nicht mehr nach kommen können, führt zusätzlich zu innerfamiliären Auseinandersetzungen.