Sozialgesetze: Anpassung der Regelsätze jetzt!

Der Senat wird aufgefordert, sich im Rahmen einer Bundesratsinitiative für einen unverzügliche Änderung der Sozialgesetze SGB II und XII einzusetzen, bzw. entsprechende Initiativen im Bundesrat zu unterstützen mit dem Ziel, dass

1. umgehend das SGB II und das SGB XII mit einem Mechanismus zur regelmäßigen jährlichen Anpassung der Regelsätze ausgestattet werden, der an den Preisindex für die Lebenshaltungskosten ausgewählter Waren und Leistungen der privaten Haushalte gekoppelt ist. Die jetzige Fortschreibung anhand des Rentenwertes ist zu beenden.

2. in die Wege geleitet wird, dass die Berechnungsgrundlage der Regelsätze nach SGB II und SGB XII grundlegend überprüft wird. Eine Neuermittlung der Regelsätze soll in einem transparenten Verfahren erfolgen und sich nicht mehr allein am Verbrauchsverhalten der unteren Einkommensgruppen orientieren, sondern die Bedarfsdeckung und die Sicherung gesellschaftlicher Teilhabe berücksichtigt.

Dem Abgeordnetenhaus ist darüber bis zum 30.04.2008 zu berichten.

Begründung:

Mit der Einführung des SGB II und des SGB XII zum 1.1. 2005 wurden die sozialhilferechtlichen Grundlagen zur Festlegung und Gewährung der Grundsicherung bei Erwerbslosigkeit sowie im Alter und bei Erwerbsminderung neu festgelegt. Ein neuer pauschalierter Regelsatz bestimmt seither Niveau und Struktur von Sozialhilfe (Hilfe zum Lebensunterhalt) und Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld.

Die Regelsätze müssen so bemessen sein, dass der Bedarf des notwendigen Lebensunterhalts gedeckt werden kann. Daher müssen bei der Bemessung der Stand und die Entwicklung von Nettoeinkommen, Verbraucherverhalten und Lebenshaltungskosten berücksichtigt werden.

An der Ausgestaltung der neuen pauschalierten Hilfegewährung und an der Ermittlung des zugrunde zu legenden Bedarfs zur Abdeckung des sozioökonomischen Existenzminimums und gibt es seit Einführung der Gesetze deutliche Kritik.

Die Ableitung der regelsatzrelevanten Anteile aus den Verbrauchssätzen der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) wird seit langem von den Wohlfahrtsverbänden als willkürlich, nicht transparent und nicht bedarfsgerecht kritisiert. In einer bereits im Jahr 2004 veröffentlichten Expertise stellte der Paritätische fest, dass die bei den einzelnen Ausgabepositionen in der Regelsatzverordnung vorgenommenen prozentualen Abschläge zum Teil kaum, zum Teil außerordentlich sachfremd und fehlerhaft begründet wurden. Im Ergebnis kam die Expertise zu dem Schluss, dass der durch diese Regelsatzverordnung für das Jahr 2005 angesetzte Regelsatz, dem Statistikmodell folgend, um 19 Prozent zu niedrig angesetzt war, um tatsächlich von einer sachgerechten Umsetzung des Statistikmodells sprechen zu können. Statt 345 Euro für einen Erwachsenen hätte der Regelsatz danach 412 Euro betragen müssen.

Darüber hinaus wird die jährliche Anpassung anhand des Rentenwertes vorgenommen, der zwischen 2003 und 2009 voraussichtlich nicht mehr steigen wird.

Dies führt zu einem Absinken des Realwertes der Regelsätze. Der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband hat für die Jahre 2003 bis 2009 einen Verlust von jährlich 5,5 Prozent errechnet. Mit weitgehender Pauschalierung können besondere krankheitsbedingte Belastungen z. B. von chronisch Kranken, aber auch die entwicklungsbedingten Bedarfe von Kindern nun nicht mehr über Leistungen nach dem Sozialhilferecht ­ Hilfe in besonderen Lebenslagen ­ ergänzend zum Regelsatz gewährt werden. Zur Bekämpfung von Kinderarmut haben wir deshalb in einem gesonderten Antrag korrigierende Maßnahmen für eine armutsfeste, kindergerechte und elternunabhängige Grundsicherung gefordert.

Zudem lässt diese Festlegung die Entwicklungen durch die steigenden Verbrauchs- und Energiepreise außer Acht. So wurden weder die in den letzten Jahren enorm gestiegenen Strompreise noch die Preissteigerungen durch die Mehrwertsteuererhöhung berücksichtigt, ebenso blieben die Kostensteigerungen im Gesundheitsbereich unberücksichtigt.

Gerade die Erhöhung der Mehrwertsteuer auf 19 Prozent belastet einkommensschwache Haushalte relativ zu ihren Einkommen stärker, weil sie einen höheren Anteil ihres Einkommens als Konsumausgaben direkt ausgeben müssen und eine geringere bzw. keine Sparquote haben. In Relation zu den ausgabefähigen Einkommen und Einnahmen müssen die unteren 20 Prozent der Haushaltseinkommen einen langfristigen Einkommensverlust von bis zu knapp zwei Prozent hinnehmen. Dies hat einen kontinuierlichen Kaufkraftverlust zur Folge. Kerngedanke der Reform war eine bedarfsgerechte pauschalierte Grundsicherung, die das sozioökonomische Existenzminimum auf der Grundlage eines transparenten Herleitungssystems abdecken sollte. Dies wird durch die derzeitige Ableitung der regelsatzrelevanten Anteile aus den Verbrauchssätzen der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) nicht gewährleistet, weil nur alle fünf Jahre eine Überprüfung und ggf. Anpassung der Höhe und Struktur vorgenommen werden kann. Um eine bedarfsgerechte pauschalierte Grundsicherung, die das sozioökonomische Existenzminimum abdeckt zu garantieren, müssen - entgegen der jetzigen Praxis - zukünftig Kostensteigerungen (z.B. steigende Gesundheitskosten, Energiepreise, Mehrwertsteuererhöhungen etc.) durch die Anhebung der Regelleistung ausgeglichen werden. Einmalige Hilfen wie zum Beispiel für die Babyerstausstattung sind beizubehalten. Atypische Bedarfe bei Krankheit oder anderen Ereignissen müssen in Zukunft angemessen berücksichtigt werden.