Forschung

Abgeordnetenhaus von Berlin Teil A Drucksache 16/1100

Dieses Ergebnis ist als unstreitig anzusehen und wird überzeugend unterlegt durch die Forschungsergebnisse in einem im Auftrag der Erbin H. durch Herrn Rechtsanwalt Gunnar Schnabel und Frau Dr. Monika Tatzkow, Historikerin, erstellten Gutachten, das dem Ausschuss in seiner Sitzung am 25. Mai 2007 zur Verfügung gestellt wurde.

Der Ende März 2007 erteilte Gutachtenauftrag beinhaltete die Prüfung der historischen und juristischen Grundlagen zur Rückgabe des Gemäldes „Berliner Straßenszene" von Ernst Ludwig Kirchner durch das Land Berlin.

Damit stellt sich der Weg des Gemäldes nunmehr wie folgt dar: Zwischen 1919 und 1922 Erwerb der Berliner Straßenszene von Ernst Ludwig Kirchner durch Alfred Hess.

Sommer 1933 Versendung mit ca. 100 weiteren Kunstwerken an die Kunsthalle Basel im Auftrag von Thekla Hess.

07. ­ 29.10.1933 Gezeigt in der Ausstellung „Moderne deutsche Malerei aus Privatbesitz" des Kunstmuseums in Basel.

01.06.1934 Versendung anscheinend fast der gesamten an Basel verliehenen Werke inklusive der „Berliner Straßenszene" an das Kunsthaus Zürich ergänzt durch einige weitere Aquarelle, die in Zürich und Paris deponiert waren (Eingang dort: 07.06.1934). Nicht mitgeschickt wurden vier Bilder der Sammlung Hess, die im Mai 1934 zum Verkauf nach Erfurt geschickt wurden. bis 15.07.1934 Ausstellung „Neue deutsche Malerei" im Kunsthaus Zürich, darunter auch die „Berliner Straßenszene" (1913). Der Großteil der in Zürich befindlichen Sammlung wurde nach Abschluss der Ausstellung dort deponiert.

04.09.1936 Versand eines Teils der Bilder an die Versandfirma Bronner in Basel zwecks Weiterleitung an den Kölnischen Kunstverein; darunter auch die „Berliner Straßenszene". Ende 1936/Anfang 1937 Erwerb der „Berliner Straßenszene" durch den Frankfurter Sammler Carl Hagemann, wahrscheinlich vom Direktor des Kölnischen Kunstvereins, Herrn Dr. Walter Klug.

Nach den Ermittlungen von Schnabel/Dr. Tatzkow müsste es sich um den Zeitraum zwischen dem 15.12.1936 und dem 07.02. gehandelt haben.

Das Gutachten ist mittlerweile auch im Internet veröffentlicht.

Gutachten Schnabel / Dr. Tatzkow, S. 30

Gutachten, S. 42, 44

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20.11.1940 Tod des Sammlers Carl Hagemann. Danach Lagerung der Hagemann-Sammlung im Städel Frankfurt am Main auf Anregung des damaligen Direktors des Städel, Ernst Holzinger.

1948 Nach Angaben der Witwe von Ernst Holzinger schenkte diesem die Familie Hagemann die „Berliner Straßenszene" als Dank dafür, dass er in der NS-Zeit als „entartet" verfemte Werke der Hagemannschen Sammlung gerettet habe.

Nach 1945 Präsentation der „Berliner Straßenszene" auf diversen Ausstellungen.

1980 Ankauf der „Berliner Straßenszene" durch das Land Berlin von der Witwe Holzingers für 1,9 Millionen DM.

Damit sind die Identität und die Provenienz des Kunstwerks als geklärt anzusehen.

Sie wurden auch von Herrn Hüneke, der von der Kulturverwaltung eingebunden worden war, bestätigt.

Die Berechtigung bzw. Rechtsnachfolge der Anspruchstellerin wurde am 12. April 2005 durch Vorlage der beglaubigten Kopie eines Erbscheins durch Anwälte von Frau H. belegt, wodurch sie als rechtmäßige Erbin von Hans Hess ausgewiesen wurde.

Die grundlegenden Tatbestandsvoraussetzungen der Gemeinsamen Erklärung hinsichtlich der Identität des Kunstwerks und der Berechtigung bzw. Rechtsnachfolge der Anspruchstellerin waren damit erfüllt. Geklärt war zugleich auch, dass das Gemälde der Sammlung Hess durch Rechtsgeschäft entzogen wurde. Für den für eine Herausgabe weiter erforderlichen Nachweis der Umstände der Verfolgungsbedingtheit und deren Kausalität für den Vermögensentzug griff nunmehr eine doppelte Vermutung:

(a) Bezogen auf die Person: Für jüdische Geschädigte spricht in der Zeit zwischen dem 30.01.1933 und dem 08.05.1945 die Vermutung der Kollektivverfolgung.

Die Familie Hess war unstreitig jüdischer Herkunft und gehörte damit zu dieser Personengruppe.

(b) Hinsichtlich des Entziehungstatbestandes: Bei Verlusten aufgrund eines Rechtsgeschäfts besteht die Vermutung, dass Vermögensverluste von NSVerfolgten im Verfolgungszeitraum ungerechtfertigte Entziehungen waren.

Anlage V a der Handreichung ­ Erläuterungen zum Prüfraster mit Verweis auf die Rechtsprechung des Obersten Rückerstattungsgerichts Berlin.

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Auch dies war hier erfüllt.

Damit war von der Verfolgungsbedingtheit des Bildverkaufs und dessen Kausalität für den Vermögensentzug auszugehen. Die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine „faire und gerechte Lösung" waren damit grundsätzlich gegeben, sofern diese Vermutungen nicht widerlegt werden konnten. Die Beweispflicht für die Widerlegung oblag der Senatsverwaltung für Wissenschaft, Forschung und Kultur (s. u.

Teil 3.b).

b) Widerlegen der Verfolgungsvermutungen der Washingtoner und der Gemeinsamen Erklärung

Nach dem Vorliegen der Voraussetzungen der Washingtoner und der Gemeinsamen Erklärung war zu prüfen, ob die aus den ermittelten Tatsachen folgende Verfolgungsvermutung widerlegt werden konnte. Durch die Verfolgungsvermutung oblag die Beweispflicht der Senatsverwaltung für Wissenschaft, Forschung und Kultur. Nach Punkt cc) des Prüfrasters könnte die Vermutungsregelung durch den Nachweis widerlegt werden,

- dass der Veräußerer einen angemessenen Kaufpreis erhalten hat und

- dass er über ihn frei verfügen konnte und (bei Veräußerungen ab dem 15.09.1935)

- dass der Abschluss des Rechtsgeschäftes seinem wesentlichen Inhalt nach auch ohne die Herrschaft des Nationalsozialismus stattfand oder die Wahrung der Vermögensinteressen des Verfolgten in besonderer Weise und mit wesentlichem Erfolg vorgenommen wurde, z. B. durch Mitwirkung bei einer Vermögensübertragung ins Ausland.

Da der Verkauf Ende 1936/Anfang 1937 stattgefunden haben muss, musste im vorliegenden Fall auch dies nachgewiesen werden.

aa) Angemessenheit des Kaufpreises

Über die Höhe des Kaufpreises, seinen Empfänger und den Käufer gibt es keine Akten beim Kölnischen Kunstverein. Ein konkreter Hinweis auf einen von Carl Hagemann 1936/1937 gezahlten Kaufpreis ergab sich aus der Antwort eines Neffen von Carl Hagemann, Herrn Hans Delfs,14 der von Frau Professor Dr. Moeller um Auskunft hinsichtlich eines möglichen Sammlerstempels von Carl Hagemann gebeten worden war. In diesem Zusammenhang schrieb er, „dass Hagemann das Anlage V a der Handreichung ­ Erläuterungen zum Prüfraster mit Verweis auf Artikel 3 REAO (Anordnung BK/O (49) 180 der Alliiertenkommandantur Berlin). der Mitherausgeber o. g.