Belange von Kindern, Jugendlichen und Familien

Mit welchen sichtbaren Ergebnissen vertritt die für Jugend zuständige Senatsverwaltung die Interessen der Kinder und Jugendlichen gegenüber den Planungen und Maßnahmen anderer Verwaltungen, insbesondere im Umwelt-, Stadtplanungs- und Verkehrsbereich; mit welchen sichtbaren Ergebnissen (bitte einige aktuelle Beispiele benennen)?

Zu 6.: Die Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung erhält als Träger öffentlicher Belange der Stadtentwicklungsplanung alle Vorlagen im Wege der Mitzeichnung zur Prüfung, so weit Belange von Kindern, Jugendlichen und Familien tangiert sind.

Aus den letzten Jahren sind keine Vorgänge bekannt in denen die Belange von Kindern, Jugendlichen und derer Familien berührt, aber nicht ausreichend berücksichtigt wurden.

7. Wie werden die Leitlinien für eine kinder- und jugendfreundliche Stadt auf Bezirks- und Landesebene umgesetzt und werden dabei die Interessen der Kinder in allen relevanten Politikbereichen berücksichtigt?

Warum wurde bisher noch keine Kinder- und Jugendfreundlichkeitsprüfung in Berlin oder wenigstens ­ wie bereits 2001 angekündigt ­ in einem Modellbezirk eingeführt?

Zu 7.: Bereits im Jahr 2002 hat der Senat in seinem Bericht über die Erfahrungen mit den „Leitlinien für eine kinder- und jugendfreundliche Stadt" (Drs. 15/391) an das Abgeordnetenhaus deutlich gemacht, dass die Leitlinien in allen Aufgabenfeldern des Landes Berlin nach wie vor von Bedeutung sind.

Der Senat hat erst kürzlich auf die Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen „Wie weiter mit den Leitlinien?" (Drs. 16/10344) dazu berichtet.

Im Hinblick auf die „Einführung von Kinder- und Familienverträglichkeitsprüfungen" hat der Senat bereits in seiner Mitteilung zur Kenntnisnahme an das Abgeordnetenhaus (Drs.13/3719 vom 11. Mai 1999) dargelegt, dass er bewusst auf die Einführung zentraler Prüfverfahren auf Landesebene verzichtet. Da es sich bei den zu prüfenden Aspekten vor allem um die Vertretung der tatsächlichen Interessen und Belange von Kindern und um die Mitgestaltung ihrer unmittelbaren Lebensbereiche in den Bezirken handelt, wird ein zentral verordneter formaler Weg nicht als der richtige angesehen.

Inzwischen hat die vom Landesjugendhilfeausschuss eingesetzte Landesarbeitsgemeinschaft nach § 78 SGB VIII „Mitbestimmung von Kindern und Jugendlichen" ihren Arbeitsauftrag „Entwicklung von spezifischen Prüfverfahren zur Kinder-, Jugend- und Familiengerechtigkeit" erfüllt und die Ergebnisse vorgelegt. Es wurde ein Projektplanungsbogen zur Beteiligung von Kindern und Jugendlichen beim Neubau und bei der Sanierung von Spielund Freiflächen in Zusammenarbeit mit Fachkräften der Spielplatzplanung der Bezirke entwickelt. Dieser soll nun in einem Bezirk exemplarisch erprobt werden.

II. Verantwortung und Partizipation:

8. Durch welche Maßnahmen unterstützen Senat und Bezirke die direkte Partizipation von Kindern und Jugendlichen in ihrer Lebenswelt (Familie, Kita, Schule, Wohnumwelt) und an politischen Entscheidungsprozessen in Berlin, insbesondere von Kindern aus sozial benachteiligten Verhältnissen und mit Migrationshintergrund?

9. Wie ist die Partizipation und Beteiligung von Kindern und Jugendlichen als Grundprinzip im Bildungsprogramm der Kindertageseinrichtungen und im Rahmenkonzept Schulqualität verankert; wie fördert und unterstützt der Senat die weitere Entwicklung von „demokratischen Schulen" in Berlin nach Auslaufen des BLK-Projekts „Demokratie leben und lernen"?

10. Welche konkreten Beispiele/gezielten Projekte zur Beteiligung von Kindern und Jugendlichen gibt es aktuell auf Landesebene bei der Jugendhilfe-, Bildungs-, Stadt- und Verkehrsplanung?

Zu den Fragen 8. bis 10.: Die UN-Kinderrechtskonvention sieht in Artikel 28 das Recht auf unentgeltlichen Schulbesuch und Regelungen der Schulpflicht vor. Dem wird durch die allgemeine Schulpflicht sowie durch die Unentgeltlichkeit des Schulbesuches in den Ländern der Bundesrepublik Deutschland und somit auch in Berlin entsprochen. Darüber hinaus haben sich die Kultusministerinnen und Kultusminister und Senatorinnen und Senatoren der Länder auf eine gemeinsame Erklärung zur Umsetzung des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes verständigt und sich damit zu den umfassenden Bildungs-, Teilhabe- und Fürsorgerechten des Kindes für den Bildungsbereich bekannt (siehe Anlage: Erklärung der KMK vom 03.03.2006). Partizipation junger Menschen gehört zu den Prinzipien in den Einrichtungen der Jugendhilfe und zu den Zielen schulischer Bildung.

So ist für Kindergartenkinder geregelt, dass sie entsprechend § 1 des Kindertagesförderungsgesetzes Mitwirkungsmöglichkeiten bei der Gestaltung des Kita-Alltags erhalten.

In Übereinstimmung mit aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen beschreibt das „Berliner Bildungsprogramm für die Bildung, Erziehung und Betreuung von Kindern in Tageseinrichtungen bis zu ihrem Schuleintritt" frühkindliche Bildung als einen aktiven Prozess, in dem das Kind vom ersten Atemzug an aus eigenem Antrieb sich selbst und seine Welt entdeckt, erforscht und gestaltet. Frühkindliche Förderung hat die Aufgabe, diese eigenständige Bildungstätigkeit des Kindes und seine Neugier auf die Welt nach Kräften zu unterstützen. Partizipation als die Möglichkeit und Herausforderung, mit den eigenen Kompetenzen Einfluss auf die eigene Lebenssituation zu nehmen und selbstgesetzte Ziele zu erreichen, ist ein Grundprinzip frühkindlicher Förderung im Sinne des Berliner Bildungsprogramms.

Senat und Bezirke fördern Familienbildungsprojekte, die sowohl Kenntnisse zu kindlicher Entwicklung und Erziehung vermitteln als auch Möglichkeiten praktischer Erfahrung im Miteinander von Eltern und Kindern und zu einer jeweils altersgemäßen Partizipation von Kindern an Entscheidungen über den Familienalltag geben. In diesem Zusammenhang sind auch die Elternbriefe des Arbeitskreises Neue Erziehung (ANE) zu nennen, die Berliner Eltern durch das Land Berlin kostenfrei zu Verfügung gestellt werden.

Auch im Rahmen der Qualitätsentwicklungsvereinbarungen der Hilfen zur Erziehung werden mit den Leistungserbringern - insbesondere im stationären Bereich - Methoden der Beteiligung der Kinder und Jugendlichen an der Qualitäts- und Wirksamkeitsbeurteilung der Hilfen entwickelt und erprobt.

An der Hilfeplanung sind die Kinder und Jugendlichen immer auch selbst - altersgerecht beteiligt.

Zu den Qualitätsbereichen und -merkmalen guter Schulen im Sinne des Rechts auf Bildung (als einem Bestandteil der Menschenrechtsbildung bzw. der Kinderrechtskonvention), gehören neben den Maßnahmen zur Gestaltung von Lehr- und Lernprozessen gleichberechtigt unterstützende Maßnahmen zur Förderung der Schülerinnen und Schüler, die in Folge ihrer sozialen oder kulturellen Herkunft, aber auch in Folge einer Behinderung oder anderer Benachteiligungen einer besonderen Fürsorge und Förderung bedürfen.

Ein dafür besonders relevanter Aspekt, der in jüngster Zeit auf dem Prüfstand steht, ist die Schulkultur, zu der das soziale Klima in Schule und Klassenzimmer, die Gestaltung der Schule als Lebensraum mit der Beteiligung der Schülerinnen und Schüler sowie der Eltern am Schulleben und an der Schulentwicklung, aber auch ­ und dies ist neu für deutsche Schulen ­ die Öffnung von Schule gegenüber ihrem Umfeld, einhergehend mit der in Berlin verpflichtenden Kooperation mit außerschulischen Partnern zählen.

Diese Öffnung von Schule gegenüber ihrem Umfeld geschieht im Interesse der vielfältigen Förderung der Schülerinnen und Schüler durch außerschulische Lern- und Unterstützungsmaßnahmen bis hin zur Förderung durch berufs- und ausbildungsrelevanten Angebote, denn diese Qualitätsbereiche sind als wesentlich für die Gewährleistung erfolgreicher Lernprozesse und damit für die Realisierung des Rechtes auf Bildung erkannt worden. Sie werden daher in die Qualitätsüberprüfung von Schulen inzwischen einbezogen.

Neben einer Fülle schulischer Veranstaltungen, Projekttagen, Aufführungen u.ä., bei denen die Schülerinnen und Schüler jeweils altersgemäß in die Gestaltung einbezogen werden, ist das übergreifende Projekt „Grün macht Schule" als landesweites Projekt von Bedeutung. Die Pädagogische Beratungsstelle „Grün macht Schule" der Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung koordiniert das Programm „Vom Schulhof zum Spielhof". Ziel des Programms ist die Umgestaltung von Schulgeländen in Eigeninitiative und die Partizipation von Kindern und Jugendlichen an Entscheidungsprozessen. Seit vier Jahren werden jährlich 50-70 Beteiligungsprojekte im Rahmen dieses Programms gefördert. Außerdem führt dieses Jahr die Beratungsstelle „Grün macht Schule" in Kooperation mit dem Deutschen Kinderhilfswerk zusätzlich den Ideen-Wettbewerb „ReCreate ­ Deine Idee macht den Unterschied" zur jugendgerechten Umgestaltung des Schulgeländes an Oberschulen durch.

Die bisher im BLK-Versuch an 20 Schulen entwickelten Projekte werden auf insgesamt 50 Schulen in Berlin ausgeweitet. Außerdem werden im LISUM Berlin-Brandenburg zur Zeit Moderatorinnen und Moderatoren qualifiziert, damit die weitere Entwicklung und Betreuung zusätzlicher Schulen ermöglicht werden kann. Für alle interessierten Schulen findet jährlich der Wettbewerb „Demokratisch Handeln" statt.

Bei allen Beteiligungsaktivitäten mit Kindern und Jugendlichen sollte immer ein Minimum an Erfolgsaussicht für die jeweilige Aktion bestehen, denn nichts ist nachhaltiger als ein Misserfolg bei einem ersten ernsthaften Engagement eines jungen Menschen, der erkennen muss, dass es nie eine Chance auf Erfolg gab. Sein politisches, soziales Engagement wird für immer „verloren" sein. Deshalb muss es sich um Projekte handeln, die aus dem unmittelbaren Lebensumfeld von Kindern und Jugendlichen stammen und die eine Realisierungschance haben. Der Senat sieht seine Aufgabe deshalb in erster Linie darin, Beteiligungsaktivitäten von Kindern und Jugendlichen „vor Ort" zu unterstützen.

Im Auftrag des Landes Berlin begleitet, unterstützt und berät die Landeskoordinierungsstelle „Drehscheibe Kinder- und Jugendpolitik" die Berliner Bezirke bei der Umsetzung der Mitwirkung und Mitgestaltung von Kindern und Jugendlichen vor Ort.

Der Senat hat im Jugend - Rundschreiben Nr.: 5/2005 zu „Koordinierungsstellen und Beteiligungsbüros der Kinder- und Jugendmitbestimmung" die Bezirksämter von Berlin darauf hingewiesen, dass es gemäß § 5 des Ausführungsgesetzes zum Kinder- und Jugendhilfegesetz eine gesetzliche Verpflichtung für die Bezirke gibt, die Mitwirkung und Mitgestaltung von Kindern und Jugendlichen an allen sie betreffenden kommunalen Planungen und Entscheidungen sicherzustellen.

Darüber hinaus wurde den Bezirken empfohlen, bei der Einrichtung von Koordinierungsstellen und Beteiligungsbüros die vom Landesjugendhilfeausschuss beschlossenen Standards zugrunde zu legen. Zurzeit existieren in neun Bezirken Anlaufstellen für Kinder und Jugendliche.

Zum landesweiten Beteiligungsforum entwickelt sich das im Rahmen des Aktionsprogramms „respectABel - Jugend für Toleranz und Verantwortung" im Abgeordnetenhaus stattfindende Berliner Jugendforum. Hier und bei den vorbereitenden Veranstaltungen treffen Jugendliche mit Politikern und Politikerinnen zusammen, zu einem konstruktiven, oft temperamentvollen Meinungsaustausch über das, was junge Menschen bewegt, was sie verändern wollen. Viele der Anregungen aus dem Berliner Jugendforum wurden für politische Entscheidungen aufgegriffen. Das Jugendforum ist ein gutes Mittel, um Partizipation zu leben und der angeblichen Politikverdrossenheit junger Menschen entgegen zu wirken.