Heilbehandlung

Infektionen indiziert behandeln.

- Blut- und Urinabflussbehinderungen beheben.

- Je nach Beschneidungsgrad die Fähigkeit zum Geschlechtsverkehr (Kohabitationsfähigkeit) herstellen durch Öffnung des Scheidenausgangs unter Anästhesie (s. Punkt 5).

- Bei schwangeren beschnittenen Frauen mit engem Scheidenausgang kann eine erweiternde Operation bereits während der Schwangerschaft medizinisch indiziert sein, insbesondere wenn Vaginal- und Blaseninfektion während der Schwangerschaft aufgetreten sind. Wegen einer möglichen Traumatisierung soll eine geeignete Anästhesieform gewählt werden, um Erinnerungen an die Beschneidung zu vermeiden.

- Unter der Geburt soll durch Öffnung der Infibulation, durch kontrollierten Dammriss oder Episiotomie eine normale Geburt ermöglicht werden (s. Punkt 6).

5) Öffnung der Infibulation (Defibulation)

Eine Öffnung der Infibulation kann insbesondere bei entsprechenden Beschwerden (rezidivierenden Harnwegsinfektionen, Menstruationsstörungen), bei Sterilität im Zusammenhang mit der Unmöglichkeit zum Geschlechtsverkehr und bei Sexualstörungen (insbesondere Dyspareunie) medizinisch indiziert sein. Der Eingriff muss unter Anästhesie durchgeführt werden, um eine Erinnerung an ein mögliches Trauma zu vermeiden.

6) Öffnen der Infibulation vor oder unter der Geburt und anschließende Wundversorgung

In der Schwangerschaft soll durch den Geburtshelfer eingeschätzt werden, inwieweit die Beschneidung ein Geburtshindernis darstellen kann. Bereits zu diesem Zeitpunkt soll eine eventuell unter der Geburt notwendige Öffnung der Beschneidung (Defibulation) erörtert werden, wobei die medizinischen, psychischen und sozialen Aspekte sowohl der Öffnung als auch der Wundversorgung nach der Geburt besprochen werden müssen. Ziel dieses Gespräches soll es sein, dass bei der Wundversorgung nach der Entbindung der Scheidenausgang so wieder hergestellt wird, dass es nicht zu möglichen Problemen wie unter Punkt 5 beschrieben kommen kann.

Um nicht zweimal einen operativen Eingriff durchzuführen, soll die Defibulation möglichst nur unter der Geburt durchgeführt werden.

Die Wundversorgung nach der Entbindung basiert auf den mit der Patientin während der Schwangerschaft besprochenen Festlegungen des Öffnens der Infibulation und der Wundversorgung nach der Geburt. Es darf kein Genitalverschluss in der Form vorgenommen werden, dass medizinische Probleme, wie rezidivierende Blaseninfektionen, Stau des Menstruationsblutes oder Schwierigkeiten beim Sexualverkehr, zu erwarten sind.

7) Rechtliche und ethische Beurteilung der Wundversorgung Rechtlich ist zwischen den verschiedenen Formen der (primären) Genitalverstümmelung und der Wundversorgung zu unterscheiden. Während das Erste eine schwere Körperverletzung darstellt, ist das Zweite eine medizinisch notwendige Maßnahme. Die Wundversorgung nach der Entbindung hat zum Ziel, die geöffneten Narben sowie den Dammriss oder den Dammschnitt zu versorgen.

Wie jede andere Heilbehandlung ist diese nur mit Einwilligung der Patientin nach erfolgter Aufklärung zulässig. Der Aufklärung und Information kommen bei der Behandlung der betroffenen Frauen besondere Bedeutung zu. Das Aufklärungsgespräch hat neben der verständlichen Darstellung der medizinischen Behandlung in angemessener Weise die besondere Situation der Frau zu berücksichtigen.

Verlangen Frauen mit Infibulation nach erfolgter Aufklärung die Wiederherstellung des körperlichen Zustandes wie vor der Geburt, muss der Arzt die Behandlung dann ablehnen, wenn diese erkennbar zu einer gesundheitlichen Gefährdung der Frau führen würde, da dies ebenso wie eine Infibulation eine gefährliche Körperverletzung darstellt.

Der Arzt ist verpflichtet, die bestehenden Wunden so zu versorgen, dass keine gesundheitliche Beeinträchtigung der Frau entsteht. Ziel der Behandlung ist die Wiederherstellung des körperlichen und seelischen Wohlbefindens der Frau.

8) Psychosoziale Beratung von Frauen mit weiblicher Genitalverstümmelung Frauen mit weiblicher Genitalverstümmelung stellen eine relativ kleine Gruppe der Wohnbevölkerung in Deutschland dar. Die vorhandenen Beratungsstellen im psychosozialen Bereich haben wenig Ausbildung sowie Erfahrung mit den besonderen Problemen von Frauen mit weiblicher Genitalverstümmelung. Insbesondere in den Großstädten sollten daher entweder vorhandene Beratungsstellen (z. B. Migrantinnenberatung) für dieses Konfliktfeld ausgebildet werden oder neue Beratungsstellen, die sich auch dieser besonderen Problematik widmen, eingerichtet werden. Hierzu bedarf es eines Rahmens, der sowohl die staatlichen Beratungsstellen als auch die freigemeinnützigen Beratungsstellen einbezieht.

9) Prävention für die neugeborenen Töchter

Entsprechend ihrem kulturellem Hintergrund haben die werdenden Mütter mitunter den Wunsch, eine Beschneidung auch bei ihren neugeborenen Töchtern zu veranlassen.

Dies ist in jedem Fall zu vermeiden.

In der Beratung der Mütter sollen die medizinischen, psychischen und sozialen Folgen einer Beschneidung besprochen werden. Es bieten sich andere Riten der Aufnahme in die kulturelle Gemeinschaft an, sodass der Druck aufgrund des kulturellen Hintergrundes von diesen Frauen genommen werden kann. Die Entbindung in der Klinik kann die einzige Gelegenheit zur diesbezüglich rechtzeitigen oder präventiven Beratung sein. Sie ist deshalb im Interesse der neugeborenen Mädchen in jedem Fall zu nutzen.

10) Ausblick

Eine Beseitigung der Praxis der weiblichen Genitalverstümmelung wird in erster Linie nur durch politische und soziale Maßnahmen in den Herkunftsländern möglich sein.

Aufgabe der Ärztinnen und Ärzte und der psychosozialen Beratungsstellen in Deutschland ist es, den betroffenen Frauen eine Betreuung zu ermöglichen, die den kulturellen Hintergrund respektiert, einfühlsam reagiert und eine individuelle Lösung des Konflikts sucht.

Mitgliederverzeichnis des Arbeitskreises: Prof. Dr. med. Eggert Beleites Präsident der Landesärztekammer Thüringen Dr. med. Astrid Bühren Präsidentin des Deutschen Ärztinnenbundes und Mitglied des Vorstandes der Bundesärztekammer Dr. med. Schweizerische Empfehlungen für Ärztinnen und Ärzte, Hebammen und Pflegefachkräfte: "Patientinnen mit genitaler Beschneidung", http://www.sggg.ch/, www.iamaneh.ch, die ausführlich medizinische, psychologische und soziale Implikationen beschreiben. Die Empfehlungen dienten vorliegend als Arbeitsgrundlage.