Disziplinarmaßnahmen

Gegen die Untersuchungsgefangenen können unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 Disziplinarmaßnahmen angeordnet werden. Dem steht die Unschuldsvermutung nicht entgegen.

Disziplinarmaßnahmen bezwecken die Aufrechterhaltung der Sicherheit und des geordneten Zusammenlebens in der Anstalt. Es werden die Verstöße abschließend aufgezählt, die eine Disziplinarmaßnahme nach sich ziehen können. Dies hat den Vorteil, dass den Untersuchungsgefangenen deutlich gemacht wird, dass das dort genannte Verhalten auf keinen Fall geduldet wird, sondern ernste Konsequenzen nach sich zieht. Eine Disziplinarmaßnahme setzt ein rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten der Untersuchungsgefangenen voraus.

Nach Nummer 2 ist Anordnungsgrund auch ein rechtswidriger und schuldhafter Verstoß gegen verfahrenssichernde Anordnungen. Da der Vollzug der Untersuchungshaft der Durchführung eines geordneten Strafverfahrens dient, ist es Aufgabe der Anstalt, die Einhaltung verfahrenssichernder Anordnungen gegebenenfalls auch disziplinarisch durchzusetzen.

Nummer 4 umfasst auch die Fälle, in denen Untersuchungsgefangene das Anstaltsgelände verschmutzen, indem sie Lebensmittel oder andere Gegenstände aus den Haftraumfenstern werfen und damit die Ordnung der Anstalt stören. Das Einschmuggeln verbotener Gegenstände wie zum Beispiel Waffen nach Nummer 6 stellt eine Gefährdung der Sicherheit der Anstalt dar.

Nach Nummer 7 werden das Entweichen und der Versuch des Entweichens disziplinarrechtlich geahndet. Dies ist auch unter Berücksichtigung der Tatsache sinnvoll, dass eine strafrechtliche Ahndung nicht erfolgt. Straf- und Disziplinarrecht unterscheiden sich nach Rechtsgrund und Zweckbestimmung. Das strafrechtliche Delikt liegt in der Verletzung eines von der Rechtsordnung allgemein geschützten Rechtsguts, das disziplinarwürdige Vergehen in der Störung der besonderen, nur einem bestimmten Kreis von Bürgern auferlegten Ordnung. Die Disziplinarmaßnahme bezweckt die Aufrechterhaltung eines geordneten Anstaltsbetriebs. Vor diesem Hintergrund ist das Entweichen aus der Anstalt disziplinarwürdig, da die Untersuchungsgefangenen gehalten sind, den Entzug der Freiheit zu dulden. Nach Nummer 8 kann eine Disziplinarmaßnahme verhängt werden, wenn die Untersuchungsgefangenen in sonstiger Weise wiederholt oder schwerwiegend gegen die Hausordnung verstoßen oder das Zusammenleben in der Anstalt stören. Die Voraussetzung „wiederholt oder schwerwiegend" stellt sicher, dass die Disziplinarmaßnahme nur als Reaktion auf eine qualifizierte Pflichtverletzung verhängt werden kann. Absatz 2 ist Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Bei geringfügigen Pflichtverstößen wird in der Regel eine Verwarnung genügen. Im Gegensatz zum Verweis (§ 61 Abs. 1 Nr. 1) stellt die Verwarnung keine Disziplinarmaßnahme dar.

Grund für die Regelung in Absatz 3 ist das Bedürfnis, Pflichtverstöße rasch zu ahnden. Dabei ist die Verhängung einer Disziplinarmaßnahme bei einer späteren strafrechtlichen Verurteilung zu berücksichtigen.

61. Zu § 61 (Arten der Disziplinarmaßnahmen) Absatz 1 regelt abschließend die zulässigen Disziplinarmaßnahmen. Diese orientieren sich im Wesentlichen an der bisherigen Rechtslage. Allerdings sieht die Bestimmung nicht mehr die Beschränkung oder den Entzug des Lesestoffs als Disziplinarmaßnahme vor, da dies ­ auch vor dem Hintergrund der Empfehlungen des Europarats zum Untersuchungshaftvollzug Rec (2006)13 ­ nicht mehr angezeigt erscheint. Entfallen ist auch die nicht mehr zeitgemäße Rechtsfolge der Beschränkung oder des Entzugs der verlängerten Haftraumbeleuchtung. Die Disziplinarmaßnahme der Beschränkung von Außenkontakten ist ebenfalls nicht übernommen worden. Soweit nicht der Kontakt mit der Außenwelt aus verfahrenssichernden Gründen ohnehin eingeschränkt ist, ist er im Untersuchungshaftvollzug von besonderer Bedeutung und unter dem Geschichtspunkt der Aufrechterhaltung sozialer Bindungen im Rahmen des Möglichen zu fördern.

Hinzugefügt wurde die Möglichkeit der Beschränkung oder des Entzugs von Annehmlichkeiten nach § 19 bis zur Dauer von zwei Monaten (Nummer 3).

Die in Absatz 1 Nr. 1 bis 7 aufgeführten Disziplinarmaßnahmen bilden keine Rangfolge, wenn auch regelmäßig der Verweis (Nummer 1) die geringste und der Arrest (Nummer 7) die schwerste Sanktion darstellen wird.

In Absatz 3 sind die erhöhten Anforderungen geregelt, die an eine den Arrest nach sich ziehende Verfehlung zu stellen sind.

Nach Absatz 4 Satz 1 sind bei der Auswahl der Disziplinarmaßnahmen Grund und Zweck der Haft sowie die psychischen Auswirkungen der Untersuchungshaft und des Strafverfahrens auf die Untersuchungsgefangenen zu berücksichtigen. Satz 2 hebt hervor, dass die Anordnung und der Vollzug einer Disziplinarmaßnahme die Durchführung des Ermittlungs- bzw. Strafverfahrens nicht behindern dürfen.