Bezirksverordnetenversammlung

Die Senatsverwaltung für Inneres und Sport wird ermächtigt, das Bezirksverwaltungsgesetz, das Gesetz über die Zuständigkeiten in der allgemeinen Berliner Verwaltung und das Gesetz zur Ausführung des Baugesetzbuchs in der vom Inkrafttreten dieses Gesetzes an geltenden Fassung mit neuem Datum bekannt zu machen.

Artikel V: Inkrafttreten, Evaluation:

(1) Dieses Gesetz tritt zu Beginn der 17. Wahlperiode in Kraft.

(2) Der Senat wird beauftragt, dem Abgeordnetenhaus nach Anhörung der Bezirksverordnetenversammlungen zum 31. Oktober 2015 einen Bericht zur Wahrnehmung des Entscheidungsrechts der Bezirksverordnetenversammlungen vorzulegen und dabei insbesondere zur Einhaltung von Rechts- und Verwaltungsvorschriften Stellung zu nehmen.

Begründung:

a) Allgemeine Begründung

Mit dem Auslaufen der Übergangsregelung zur Bezirksamtsbildung nach § 99 VvB bietet sich eine umfassende Reform der bezirklichen Selbstverwaltung an.

Mit dem vorliegenden Artikelgesetz soll dem Rechnung getragen werden.

Wesentliche Kernpunkte sind

· die Einführung des politischen Bezirksamtes,

· eine Ausweitung der Entscheidungskompetenzen der Bezirksverordnetenversammlung auf alle bezirklichen Angelegenheiten,

· damit verbunden auch eine bindende Wirkung für das Bezirksamt bei all den Bürgerentscheiden, sofern sie sich auf die neuen Entscheidungskompetenzen der BVV beziehen,

· die gesetzliche Absicherung der BVV-Fraktionen,

· eine strukturelle Stärkung des Beteiligungsgremiums der Bezirke und dessen Umbenennung von Rat der Bürgermeister in Rat der Bezirksämter,

· die Einschränkung des Eingriffsrechts des Senats im Bau- und Stadtplanungsbereich analog zum geltenden Eingriffsrecht in anderen Bereichen.

Verbunden mit weiteren Initiativen, die neben diesem Gesetzentwurf auf den Weg gebracht werden, wie der Änderung des Abwahlquorums für Bezirksamtsmitglieder in der Verfassung von Berlin, der Abschaffung des Beamtenstatus auf Zeit für Bezirksamtsmitglieder, der Erstellung eines abschließenden Kataloges der bezirklichen Aufgaben als Ergänzung des Zuständigkeitskataloges zum Allgemeinen Zuständigkeitsgesetz (AZG) und einer umfassenden Reform der Zuweisung der Bezirksfinanzen auf Basis von Mindestqualitätsanforderungen für die bezirklichen Produkte, wird eine überfällige Reform der bezirklichen Selbstverwaltung vollzogen, die dem Gebot der dezentralen Fach- und Ressourcenverantwortung folgt und den Verschiebebahnhof der Verantwortung zwischen Senat und Bezirken ein Ende setzen soll.

A) Politisches Bezirksamt:

Die vom Abgeordnetenhaus zur Erarbeitung einer einheitlichen Verfassung am 26. September 1991 eingesetzte Enquete-Kommission hatte sich auf Empfehlungen zur Einführung des politischen Bezirksamts verständigt. Deren Umsetzung wurde in der Verfassung von Berlin jedoch immer wieder verschoben.

Das geltende Wahlverfahren auf Grund der Wahlvorschläge der Fraktionen entsprechend ihrem nach dem Höchstzahlverfahren (d?Hondt) berechneten Stärkeverhältnis in der BVV kombiniert mit Gewährung von Zählgemeinschaften für die Wahl des Bezirksbürgermeisters/der Bezirksbürgermeisterin wurde zunächst bis Ende der 13. Wahlperiode und dann bis Ende 2010 in § 99 VvB festgeschrieben. Eine erneute Verlängerung dieses Übergangsstatus entspräche nicht den Anforderungen an die Verantwortung in den Bezirken, die durch Abschichtungen von Aufgaben und die Abschaffung der Fachaufsicht in Verbindung mit der Bezirksgebietsreform einen Kompetenzzuwachs erfuhren.

Bedenken gegen das politische Bezirksamt werden u. a. mit der Bindung der Wahlperiode der BVVen an die Legislaturperiode des Abgeordnetenhauses und den damit verbundenen Schwierigkeiten, wenn es zu einem vorzeitigen Koalitionsbruch im Bezirk kommen sollte, begründet. Hier schafft eine Neuregelung Abhilfe, wonach die vorzeitige Abwahl eines Bezirksamtsmitgliedes zwangsläufig mit der Neuwahl eines Bezirksamtsmitgliedes verbunden sein muss. Im übrigen sei daran erinnert, dass bis 1971 die Bezirksverordnetenversammlung die Mitglieder des Bezirksamts mit (politischer) Mehrheit ins Amt wählte. Dies lässt der vorliegende Gesetzentwurf ausdrücklich wieder zu, erweitert jedoch die Handlungsoptionen der Bezirksverordnetenversammlung durch Stärkung ihrer organisationsrechtlichen Entscheidungskompetenzen und baut insoweit die Maximen der bezirklichen Selbstverwaltungsprinzipien aus.

B) Rat der Bezirksämter:

Dem Paradigmenwechsel zu einer politischen Homogenität der durch die Mehrheit der BVV gewählten Verwaltungsspitze ist auch im Vertretungsgremium der Bezirke Rechnung zu tragen. Von einem Organ, dass allein den BezirksbürgermeisterInnen offen steht, ist daher Abstand zu nehmen. Die Bezirke immerhin zwölf „Großstädte" innerhalb des Landes - werden zukünftig im Rat der Bezirksämter durch die Vollmitgliedschaft der fünf Mitglieder des jeweiligen Bezirksamts adäquat repräsentiert. Dagegen ist auf eine Mitgliedschaft der Landesregierung zu verzichten. Zum neuen Selbstverständnis des Rats der Bezirksämter, der mit einem gestärkten Vetorecht ausgestattet wird, soll auch gehören, nicht nur auf Senatsvorlagen zu reagieren, sondern eigenständig Initiativen zu ergreifen und in einen horizontalen Austausch über das bezirkliche Verwaltungshandeln zu treten. Zudem ist im Zuge der Übertragung von Verwaltungsaufgaben an die Bezirke und durch Regionalisierung von einzelnen Bezirksaufgaben der Abstimmungs- und Koordinierungsbedarf deutlich gestiegen. Erforderliche Verfahrensvorschriften gewährleisten die Arbeitsfähigkeit des neu bezeichneten Organs, was sich insbesondere auf die Ansiedlung einer aus den Bezirksverwaltungen gebildeten Geschäftsstelle erstreckt.

C) Erweiterung der Kompetenzen der Bezirksverordnetenversammlung

Mit der Einführung des politischen Bezirksamtes muss gleichzeitig auch die Stärkung der BVV als demokratisch gewähltes Beschluss- und Kontrollorgan einhergehen. Der Ausbau der bezirklichen „Allzuständigkeit" ist dabei nun konsequent weiter zu entwickeln, in dem der Bezirksverordnetenversammlung die Möglichkeit zur Entscheidung bei Bezirksaufgaben übertragen wird. Damit geht automatisch eine mögliche Ausweitung der bindenden Wirkung von Bürgerentscheiden einher, sofern sie sich auf Bezirksaufgaben beziehen, was eine erhebliche Stärkung der direkten Demokratie bedeutet. Durch weitere verfahrensrechtliche Vorschriften wird die Arbeitsfähigkeit der Bezirksverordnetenversammlung verbessert.

D) Anpassung des Eingriffsrechts im Bereich Bau und Stadtentwicklung an die übrigen Bereiche.

Das Eingriffsrecht des für Bauen und Stadtentwicklung zuständigen Senatsmitglieds wird auf das Niveau der übrigen Senatsmitglieder zurückgeschraubt und damit an das Eingriffsrecht nach § 13 a des Allgemeinen Zuständigkeitsgesetzes angepasst. Will der Senat einen bezirklichen Bebauungsplan an sich ziehen, bedarf es eines Senatsbeschlusses. Außerdem wird der Vorgang der Aufstellung eines Bebauungsplans vereinfacht, in dem die bis zu zweimonatige Schlussprüfung des Senats nach Abschluss des Verfahrens im Bezirk entfällt.

Zur Vorgeschichte: Mit der Abschaffung der Fachaufsicht und der gleichzeitigen Einführung des Eingriffsrechts des Senats 1998 wurde das Eingriffsrecht des Senats im Ausführungsgesetz des Baugesetzbuches abweichend vom Allgemeinen Zuständigkeitsgesetz weiter gefasst. Demnach kann das zuständige Senatsmitglied ohne Rücksprache mit der Bezirksaufsicht in die Belange der Bebauungsplanerstellung der Bezirke eingreifen. Es kann auch das ganze Verfahren an sich ziehen, ohne dazu einen Senatsbeschluss herbeiführen zu müssen. Die Liste von möglichen Fällen von dringendem Gesamtinteresse im AGBauGB wurde 1999 ausgeweitet.

Neben diesen Eingriffsmöglichkeiten führt die Regelung, dass alle bezirklichen Bebauungspläne vor der Festsetzung einer nochmaligen bis zu zweimonatigen Prüfung durch die Senatsverwaltung unterzogen werden, zu Verzögerungen und Doppelarbeiten. Durch die Abschaffung dieser Schlussprüfung durch den Senat und eine Anpassung des Eingriffsrechts an die Grundsätze des Art. 13 a des Allgemeinen Zuständigkeitsgesetzes werden die Bezirke in ihrer Eigenständigkeit gestärkt und gleichzeitig ein Beitrag zur Entbürokratisierung geleistet.

b) Einzelbegründung

I. Zu Artikel I:

Zu 1. (§ 5 Abs. 3)

Diese besonderen Aufgaben der Fraktionen in der repräsentativ strukturierten Kommunalpolitik rechtfertigen eine eigene Vorschrift. Rechtssystematisch ist deswegen die Regelung über die Mitgliederzahl, die Wahl und Auflösung der Bezirksverordnetenversammlung von der Legaldefinition einer Fraktion zu trennen.

Zu 2. (§ 5a)

Die Norm über die Zusammensetzung einer Fraktion ist darüber hinaus zu ergänzen. Im Vollzug traten durch Aus- und Übertritte von Bezirksverordneten verbunden mit einer Änderung der Mehrheits- und Stärkeverhältnisse unerwünschte Rechtsfolgen ein, die eine Klarstellung erforderlich macht. Löst sich eine Partei oder Wählergemeinschaft auf, die bei Wahlen zumindest drei Sitze in der Bezirksverordnetenversammlung errungen hat, werden diese Bezirksverordneten fraktionslos. Es entspräche nicht dem Wählerwillen, wenn sie durch Beitritt in eine Partei oder Wählergemeinschaft, die bei den Wahlen nicht kandidiert hat, eine (andere) Fraktion bilden dürften.