Verbraucherschutz

Bericht des Berliner Beauftragten Stellungnahme des Senats für Datenschutz und Informationsfreiheit

Unsere Bewertung führte zu einem Ergebnis, das wir in einer gemeinsamen Presseerklärung mit dem Landesarchiv Berlin bekannt gegeben haben, um angesichts der öffentlichen Erörterung die rechtlichen Beurteilungsgrundlagen einvernehmlich zu beschreiben:

Das Patientengeheimnis unterliegt nach der ständigen Rechtsprechung der obersten Gerichte einem besonderen Schutz. Zwar enthält auch das Berliner Archivgesetz Regeln zum Schutz von Patientendaten. Sie standen hier aber einer Offenlegung der Krankengeschichte des Schauspielers nicht entgegen. Zum einen handelt es sich bei Klaus Kinski unzweifelhaft um eine Person der Zeitgeschichte. Zum anderen war in seinem Fall die ­ in Berlin besonders kurze ­ Schutzfrist von zehn Jahren nach seinem Tod abgelaufen.

Diese Regelung geht auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zurück, nach der die Schutzwirkung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung bei Verstorbenen mit zunehmendem Zeitablauf abnimmt. Dies wird auch für den postmortalen Persönlichkeitsschutz von Patientinnen und Patienten zu gelten haben. Hinzu kommt, dass Klaus Kinski selbst seine Erfahrungen in der Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik in seiner Biografie veröffentlicht hat.

Allerdings haben wir festgestellt, dass die Angaben über die Begleitumstände, insbesondere zur Beziehungsperson von Klaus Kinski, vor der Offenlegung der Akte hätten anonymisiert werden müssen. Patientenakten, an denen kein vergleichbares öffentliches Interesse besteht, dürfen auch künftig, selbst nach Ablauf der Schutzfristen, grundsätzlich nicht in personenbezogener Form genutzt werden. Darauf können die Patientinnen und Patienten vertrauen.

Wir werden uns für klarstellende gesetzliche Regelungen im Archivgesetz des Landes Berlin und im Landeskrankenhausgesetz einsetzen, die für vergleichbare Fälle in der Zukunft Rechtssicherheit schaffen können. Der Staatssekretär für Kulturelle Angelegenheiten unterstützt dieses Anliegen.

Im Hinblick auf die Anpassung der Rechtslage haben sich das Landesarchiv Berlin, der Berliner Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit sowie die Senatsverwaltung für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz bereits auf eine enge Zusammenarbeit verständigt. Ziel ist es, das Landeskrankenhausgesetz und des Archivgesetz zu ergänzen. Hierzu finden bereits Arbeitstreffen statt.

Zu den übermittelten Akten gehörten sog. „Euthanasie-Akten", also Patientenakten zu Menschen, die aufgrund ihrer psychischen Erkrankung im Dritten Reich ermordet wurden. Der Tatbestand des Mordes wegen einer psychischen Erkrankung ist, auch wenn der Tötung eine ärztliche Entscheidung zugrunde lag, keinesfalls geheimhaltungsbedürftig. Deshalb dürfen diese Akten der Öffentlichkeit nicht vorenthalten werden. Sie unterliegen ohne Einschränkung der zeitgeschichtlichen Forschung.

Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund. München 1975 (Kapitel „Erwachsenenhölle") Bericht des Berliner Beauftragten Stellungnahme des Senats für Datenschutz und Informationsfreiheit

Das Patientengeheimnis gilt auch über den Tod hinaus. Niemand, der in ärztlicher Behandlung war, muss befürchten, dass seine Krankengeschichte ohne seine Einwilligung der Forschung zugänglich gemacht oder veröffentlicht wird. Begrenzte Ausnahmen gelten für verstorbene Personen der Zeitgeschichte und Opfer von NS-Verbrechen. Der Landesgesetzgeber ist zu Klarstellungen im Archiv- und Krankenhausrecht aufgerufen.

Ein Täter und seine Opfer im „Dritten Reich"

Der Berliner Landesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (LStU) hat eine Biografie über Dr. Walter Linse herausgegeben. Er war 1952 vom Staatssicherheitsdienst der DDR illegal aus West-Berlin entführt und nach Verhören im Ostteil der Stadt von einem sowjetischen Militärtribunal zum Tode verurteilt und in Moskau erschossen worden. In der Biografie sollten Namen von Personen genannt werden, die Opfer der antisemitischen Arisierungspolitik im „Dritten Reich" geworden waren. Walter Linse war im Dritten Reich in Chemnitz für die Arisierung verantwortlich. Der LStU legte uns eine Namensliste mit den als Opfer ermittelten jüdischen Geschäftsleuten aus Chemnitz vor. Die Liste entstammte den archivierten Unterlagen des Gewerbeamtes Chemnitz, die nun vom Staatsarchiv Chemnitz verwaltet werden. Dieses hatte gegen die archivarische Nutzung keine Bedenken gehabt. In der Annahme, dass auch keine Auflagen zur Veröffentlichung erteilt worden waren, haben wir die Zulässigkeit der Publikation mit den Namenslisten rechtlich bewertet.

Nach dem Berliner Datenschutzgesetz dürfen „die wissenschaftliche Forschung betreibenden öffentlichen Stellen personenbezogene Daten nur veröffentlichen, wenn dies für die Darstellung von Forschungsergebnissen über Ereignisse der Zeitgeschichte unerlässlich ist". Die Frage der „Arisierung" ist Gegenstand der zeitgeschichtlichen Forschung im Sinne dieser Regelung. Denn die Arisierung erfolgte während des Nationalsozialismus mit öffentlicher Wirkung aufgrund der Rassegesetze und hatte zur Folge, dass die Verfolgten aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit verschwanden, weil sie emigrierten, untertauchten oder später ermordet wurden. Die mit staatlichem Druck betriebene Arisierung beruhte auf einer menschenrechtswidrigen Verarbeitung und Nutzung besonders schutzwürdiger persönlicher Daten wie z. B. der Religionszugehörigkeit. Dieser staatliche Missbrauch und seine bekannten öffentlichen Auswirkungen können heute nur anhand wissenschaftlich überprüfbarer 74 § 30 Abs. 5 b) BlnDSG Bericht des Berliner Beauftragten Stellungnahme des Senats für Datenschutz und Informationsfreiheit

Namen (auch Namenslisten und Dateien) nachvollzogen werden. Die Wissenschaftlichkeit einer solchen Abhandlung ergibt sich daraus, dass hinsichtlich jeder einzelnen betroffenen Person nachvollziehbar wird, wer sie war. Eine anonymisierte Namensliste entspräche diesem unverzichtbaren Erfordernis nicht. Folglich ist die Veröffentlichung der Namensliste unerlässlich ­ um so eher, als auch künftig immer wieder mit Versuchen gerechnet werden muss, die Verbrechen des Nationalsozialismus pseudowissenschaftlich im Einzelfall oder in allgemeiner Form zu leugnen. Es ist zwar davon auszugehen, dass der Berliner Gesetzgeber die Schutzwürdigkeit von noch lebenden Einzelpersonen erkannt hat. Gleichwohl hat er im Vorhinein eine abstrakte Abwägung vorgenommen. Dies schließt den Schutz der im Einzelfall schutzwürdigen Einzelinteressen nicht aus. Solche Einzelfälle lagen hier jedoch nicht vor.

Die gesetzliche Regelung zur wissenschaftlichen Forschung und zum Datenschutz in § 30 Abs. 5 b) Berliner Datenschutzgesetz (BlnDSG) löst den Grundrechtskonflikt zwischen Forschungsfreiheit und schutzwürdigen Belangen der „Beforschten" in angemessener Weise, sodass sowohl dem Forschungs- und Publikationsinteresse als auch dem Schutzbedürfnis der Verfolgten des Nazi-Regimes Rechnung getragen werden kann.

10. Wissen und Bildung

Wissenschaft und Forschung „Mein" Genom im Internet George Church, Genetikprofessor an der Harvard Medical School in Boston, ist derzeit weltweit einer der gefragtesten Genetiker. Er arbeitet an DecodierRobotern, die rund sieben Millionen DNABausteine pro Minute lesen kön-nen. Damit wird es möglich, die Kosten für die Se-quenzierung eines persönlichen menschlichen Ge-noms bald von gegenwärtig einer Million Dollar auf lediglich tausend Dollar zu reduzieren.

Das internationale Humangenomprojekt (HGP) hatte die DNA von sechs verschiedenen Menschen gemischt und entschlüsselt. Mittlerweile weiß man, dass das Genom eines konkreten Menschen genauso individuell mit vielen Unterschieden ist wie das Äußere einer Person. Prof. Church schlug zunächst vor, von zehn Personen, darunter auch von sich selbst, die DNA zu entschlüsseln. Die rund drei Milliarden Bausteine der DNA von jeder dieser Personen nebst Informationen zu ihrem Gesundheitszustand und ihrem Lebensstil werden dann ins Internet gestellt.