In den Stellungnahmen wurde ferner argumentiert dass Personalbetreuung Kosten verursache

Wenn Sie für den Landschaftsverband Westfalen-Lippe sprechen, können Sie uns vielleicht auch sagen, wie viele Kliniken der Landschaftsverband Westfalen-Lippe insgesamt unterhält und wie viele Kliniken davon die Videoüberwachung anwenden.

In den Stellungnahmen wurde ferner argumentiert, dass Personalbetreuung Kosten verursache. Der Landschaftsverband Rheinland ist hierauf eingegangen und hat selbst erklärt, Personalnot sei kein hinreichender Grund für den Einsatz von Videoüberwachung. In diesem Zusammenhang hat er die Novellierung der Bundespflegesatzverordnung angeführt. Durch die Umsetzung des vorliegenden Gesetzentwurfs entstünden dem Land Nordrhein-Westfalen natürlich keine Kosten. Deshalb haben wir das in unserem Gesetzentwurf auch so aufgeführt. Selbstverständlich ist Personalbetreuung in psychiatrischen Kliniken aber teurer als Videoüberwachung. Vor diesem Hintergrund wüsste ich von den Psychiatrie-Erfahrenen, den Angehörigen und den ärztlichen Vertretern gerne, ob aus ihrer Sicht dann, wenn der Gesetzgeber jetzt nicht einen Riegel vor die Videoüberwachung schiebt, vielleicht in Zukunft aus Kostengründen ­ ich erinnere daran, dass der Kostendruck im Gesundheitssystem insgesamt ansteigt; das zeigen auch die vielen Ausnahmen, die heute schon bestehen ­ die Gefahr droht, dass mit der Videoüberwachung ein Weg beschritten werden kann, um Personalkosten einzusparen, was letztendlich dazu führt, dass die Qualitätsstandards in den psychiatrischen Kliniken deutlich vermindert werden.

Peter Preuß (CDU): Ich möchte den Verfahrensvorschlag des Vorsitzenden etwas abwandeln und meine Frage an denjenigen richten, der sich auf die folgende Frage hin melden wird: Gibt es unter den Sachverständigen irgendjemanden, der das Verbot der Videoüberwachung in ein Gesetz schreiben würde?

Meine nächste Frage geht an die Vertreter der LWL-Klinik Lengerich. Ist die Annahme richtig, dass man bei der Frage, ob die Videoüberwachung nun anzuordnen ist oder nicht, unter den strengen gesetzlichen Voraussetzungen natürlich immer differenziert ­ also auf den Einzelfall bezogen ­ betrachtet, ob die Videoüberwachung einen therapeutischen Nutzen hat bzw. ob sie notwendig ist oder nicht?

Vom Vertreter des Landschaftsverbands Rheinland wüsste ich gerne, wie hoch der Personalaufwand wäre, wenn man durchgängig eine Sitzwache anordnen würde.

Elisabeth Veldhues (SPD): Meine Damen und Herren, ich bedanke mich für Ihre äußerst umfangreichen Stellungnahmen. Wir haben gemerkt, dass Sie sehr sensibel an dieses Thema herangehen. Diesem Ausschuss ist schon in anderen Befragungen und Anhörungen sehr deutlich geworden, dass gerade eine Fixierung für die Patientinnen und Patienten sowie für das Personal oft ein traumatisches Erlebnis ist. Daher danke ich Ihnen für diese Sensibilität.

Von den Vertretern der beiden Landschaftsverbände sowie Herrn Drevermann und Herrn Prof. Beine wüsste ich gerne, ob es möglich ist, die Statistik über notwendige Fixierungen getrennt nach PsychKG und nach Betreuungsrecht zu führen. Meine große Sorge ist nämlich, dass ältere Menschen, die nach dem Betreuungsrecht untergebracht werden, immer durch den Rost fallen. Keiner richtet den Fokus auf diese Personen. Da nach der Statistik jeder Vierte von uns im Alter davon betroffen sein wird, sollten wir uns meines Erachtens jetzt darum kümmern und nicht erst, wenn wir so weit sind. Dann ist es wahrscheinlich zu spät. Kann man das also statistisch separat erfassen?

Außerdem wüsste ich gerne, ob man statistisch erfassen kann, in welcher Form bei Anordnung einer Fixierung die Betreuung des Patienten oder der Patientin erfolgt.

Das müsste doch möglich sein, obwohl es in der ersten Vorlage des Ministeriums vom 22. Dezember 2010 heißt, das könne man nicht, weil die Kliniken geltend machten, dass sie dafür jede Krankenakte wälzen müssten. So etwas würde ich als „EDV zu Fuß" bezeichnen. Da die Fixierungen erfasst werden, müsste man meines Erachtens auch erfassen können, welche Betreuung des Patienten ­ eine Sitzwache oder im Einzelfall eine Videoüberwachung ­ der Arzt angeordnet hat. Dann könnte man sofort darauf zurückgreifen und „Ausreißer" ­ in Anführungszeichen ­ schneller erkennen, also feststellen, ob die eine oder andere Klinik aufgrund mangelnder Personalressourcen zu dieser technischen Überwachung hin tendiert.

Ich danke Ihnen vom LVR auch für die Anregung, das Wort "Sitzwache" durch "Monitoring" zu ersetzen; denn für eine Sitzwache kann man auch eine Aushilfskraft, einen Auszubildenden oder irgendjemanden aus der Bereitschaft einsetzen. Dann erfolgt gerade nicht das, was wir alle wollen, nämlich eine Fortsetzung des therapeutischen Prozesses. Ich kenne das noch aus alten Zeiten. Vor 20 Jahren habe ich im entsprechenden Ausschuss beim LWL erfahren, dass für Sitzwachen irgendwelche Leute aus der Rufbereitschaft eingesetzt wurden, die gar nicht in den therapeutischen Prozess eingebunden waren. Das war weder für den Patienten noch für das therapeutische Klima auf der Station gut.

Meine Frage lautet also, ob man die Statistik so vervollständigen kann, dass sie nach Betreuungsrecht und PsychKG differenziert ist und die Form der Betreuung, also im Einzelfall eine mögliche Videoüberwachung, enthält ­ damit wir das auch chronologisch nachvollziehen können.

Die Klinikvertreter frage ich, ob es überall Standard ist, nach einer Fixierung dann, wenn der Patient oder die Patientin einigermaßen genesen ist, eine Nachbetrachtung durchzuführen. In einer Stellungnahme war auch von einer ethischen Nachbetrachtung die Rede. Hier geht es darum, dass der Patient wahrgenommen wird und dann, wenn es seine Situation wieder zulässt, auf gleicher Augenhöhe mit dem Personal diskutieren kann: Wie haben Sie die Fixierung erlebt? Wie hat das Personal sie erlebt? Was kann man verbessern? Wer sollte gerufen werden? Was war das gestern ­ oder wann auch immer ­ für eine Situation? Wie sind wir gemeinsam damit umgegangen? Wie kann man sie ein anderes Mal, sofern es notwendig sein sollte, anders gestalten?

Mit Interesse habe ich den in einer Stellungnahme enthaltenen Vorschlag zur Kenntnis genommen, dass es erfahrenem Pflegepersonal möglich sein sollte, selbst die Fixierung zu lockern, ohne erst den Arzt zu rufen. Wie schätzen Sie das aus ärztlicher Sicht ein? Ich finde es problematisch, wenn ein Patient oder eine Patientin erfährt, dass er oder sie allein deshalb noch einige Stunden länger fixiert bleiben muss, weil der Arzt gerade nicht erreichbar ist. Wie sieht das im Klinikalltag aus? Ist es naiv, zu glauben, dass erfahrene Pflegekräfte ­ insbesondere in den Nachtstunden ­ eine solche Lockerung vornehmen könnten, ohne dass der Arzt den Patienten noch einmal sieht?

Abschließend darf ich Ihnen versichern, dass wir mit der heutigen Diskussion keine Einschränkungen in Bezug auf die Ausgestaltung Ihres therapeutischen Auftrags vornehmen wollen. Wir als Politik haben aber auch den Auftrag, die Freiheitsrechte der Patienten zu wahren. Auf diesem dünnen Eis bewegen wir uns. ­ Ich bedanke mich daher für Ihre Sensibilität bei der Beantwortung und hoffe sehr, dass wir im Interesse der Patienten einen gemeinsamen Weg beschreiten können.

Arif Ünal (GRÜNE): Die Videoüberwachung wird von vielen Sachverständigen sehr kritisch gesehen. Zahlreiche Gutachter gehen davon aus, dass eine Videoüberwachung sehr sensibel und auf den Einzelfall bezogen von den Ärzten angeordnet wird.

Aus der Vorlage des Ministeriums vom 18. März 2011 geht hingegen hervor, dass in ungefähr 31 % der Fälle eine Videoüberwachung angeordnet wurde. Von einem sensiblen Umgang kann also keine Rede sein. Das ist fast der Regelfall. Daher muss man hinter diese Annahme mindestens ein großes Fragezeichen setzen. ­ Nun komme ich zu meinen Fragen.

Erstens. In sehr vielen Berichten heißt es, dass die Videoüberwachung ein Bestandteil des Therapiesettings oder Behandlungssettings ist. Das wird auch damit begründet, dass die Patienten die Nähe einer Sitzwache eventuell als Stress und Überlastung empfinden könnten. Von welcher Patientengruppe reden Sie, wenn Sie auf diese Stressfaktoren abstellen? Sind das die F60-Patienten nach ICD-10, also Patienten mit spezifischer Persönlichkeitsstörung? Oder über welche Patientengruppen sprechen Sie, wenn Sie diese Begründung anführen?

Zweitens. Häufig wird davon ausgegangen, dass fast alle Videoüberwachungen mit Zustimmung der Patienten durchgeführt werden. Gibt es irgendwelche Zahlen darüber, wie viele Überwachungen mit Zustimmung des Patienten erfolgen und wie viele Überwachungen ohne Zustimmung des Patienten angeordnet werden?

Drittens. Sollte eine Videoüberwachung, die ärztlich angeordnet worden ist, vom Pflegepersonal wieder aufgehoben werden können? Dort spielen natürlich innerbetriebliche Konflikte eine Rolle, sodass eine solche Möglichkeit Vor- und Nachteile hat. Deswegen wäre es gut, wenn zumindest die Vertreter der Kliniken dazu Stellung nehmen könnten.

Wolfgang Zimmermann (LINKE): Meine ersten beiden Fragen richten sich an die Vertreterinnen und Vertreter der Krankenhäuser sowie des Landesverbandes Psychiatrie-Erfahrener NRW. ­ Wenn ich sehe, dass in lediglich 16 Kliniken eine Videoüberwachung vorgenommen wird, stellt sich für mich die Frage, ob aus der Videoüberwachung überhaupt irgendein therapeutischer Nutzen zu ziehen ist. Warum machen die anderen Kliniken das nicht? Meines Wissens ist die Personalsituation in fast allen Kliniken relativ gleich, nämlich schlecht. Daher wüsste ich gerne, warum in diesen 16 Kliniken die von Herrn Ünal eben erwähnten 31 % der Patientinnen und Patienten mindestens einmal in ihrer Behandlungszeit durch Video überwacht worden sind.