Abwägungsrelevanz

Das BVerwG ging in seiner Entscheidung vom 9.11.1979 davon aus, ein Nachteil sei nur gegeben, wenn durch den Bebauungsplan private Belange beeinträchtigt werden, die der Gemeinderat in die Abwägung einstellen musste. Daraus folgte zwangsläufig, dass private Interessen, deren Betroffenheit durch den Bebauungsplan erst später eintrat oder zumindest erst später erkennbar wurde, nicht die Antragsbefugnis begründen konnten. Das BVerwG hatte im Beschluss vom 9.11. 1979 eine Ausnahme nur für möglich gehalten, wenn wegen veränderter Verhältnisse eine neue Abwägung geboten sei oder der Bebauungsplan sogar obsolet geworden sei. Diese Rechtsprechung hat das BVerwG im Urteil vom 11.11.1988 modifiziert. In dieser Entscheidung ging es darum, dass ein Ladengeschäft für Wolle in einen Sex-Shop umgewandelt werden sollte und der Bebauungsplan Vergnügungsstätten nicht zuließ. Das BVerwG hat dazu ausgeführt: Ein Nachteil im Sinne des §47 Abs. 2 VwGO ist nach der Rechtsprechung des Senats bereits dann gegeben, wenn ein abwägungsrelevantes persönliches Interesse verletzt wird. Abwägungsrelevant ist ein solches Interesse nur, wenn es sich der Gemeinde aufdrängen musste oder vom Betroffenen geltend gemacht worden ist. Damit sind die äußersten Grenzen der für eine Antragsbefugnis nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO vorausgesetzten persönlichen Betroffenheit abgesteckt. Um einen solchen Grenzfall geht es hier aber nicht. Die Antragstellerin beruft sich nicht auf ein individuelles Interesse, das für die Gemeinde im Zeitpunkt des Erlasses des Bebauungsplans möglicherweise nicht erkennbar war, sondern auf eine aktuelle Einschränkung der mit dem Grundeigentum verbundenen Nutzungsrechte, soweit sie ihr durch Mietvertrag übertragen worden sind. Dass eine solche Rechtsbeeinträchtigung zugleich ein Nachteil im Sinn von §47 Abs. 2 Satz 1 VwGO ist, liegt auf der Hand. Die Antragsbefugnis im Normenkontrollverfahren ist erheblich weiter gefasst als die Klagebefugnis nach §42 Abs. 2 VwGO und schließt Rechtsbeeinträchtigungen im Sinn dieser Vorschrift ohne weiteres mit ein.. Die Antragstellerin ist Adressatin eines auf den angefochtenen Bebauungsplan gestützten Nutzungsverbotes. Schon daraus wird deutlich, dass sie durch ihn in eigenen Rechten beeinträchtigt sein kann. Jäde hat dieser Entscheidung zutreffend entnommen, dass das BVerwG damit die frühere These aufgegeben habe, nur eine negative Beeinträchtigung solcher Belange, die bei der Aufstellung des Bebauungsplans zu berücksichtigen gewesen seien, könne einen Nachteil im Sinn des §47 Abs. 2 VwGO begründen. Diese Fortentwicklung der Rechtsprechung ist aber entgegen der Kritik von Jäde durchaus zu begrüßen, weil es damit nur noch auf die objektive Betroffenheit ankommt und zwar unabhängig davon, ob dieser Belang bei der Auslegung nach §3 Abs. 2 vorgebracht wurde oder sich von selbst aufdrängen musste. Es kann z.B. durchaus vorkommen, dass bestimmte private Interessen erst nachträglich erkennbar werden oder sogar erst nachträglich entstehen, wie der vom entschiedene Fall zeigt. Es ist ferner durchaus vorstellbar, dass private Interessen nur deswegen nicht im Rahmen der Offenlegung des Bebauungsplan geltend gemacht werden, weil der Träger dieses Belangs in Folge von Ortsabwesenheit, Krankheit, beruflicher Überlastung oder ähnlicher Umstände nicht in der Lage war, Anregungen und Bedenken vorzubringen. Da eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei der Frist des § 3 Abs. 2 nicht möglich ist, käme es damit zu einer vom Gesetzgeber nicht vorgesehenen Ausschlusswirkung der Frist des § 3 Abs. 2. Es ist freilich nicht zu bezweifeln, dass zwischen der Abwägung nach § 1 Abs. 6 und dem Nachteil nach §47 Abs. 2 VwGO ein enger Zusammenhang besteht. Private Belange, die zum notwendigen Abwägungsmaterial gehören, begründen stets die Antragsbefugnis, sofern sie durch den Bebauungsplan negativ betroffen werden. Dagegen ist der Umkehrschluss, dass nämlich ein Nachteil im Sinn des §47 Abs. 2 VwGO von vornherein nicht gegeben sein könne, wenn bestimmte private Interessen nicht zum notwendigen Abwägungsmaterial gehörten, aus den angeführten Gründen nicht zulässig. Das BVerwG hat im Beschluss vom 11. 11. 1988 zu Recht entschieden, dass ein Nachteil stets dann vorliegt, wenn der Bebauungsplan eine bestimmte Nutzung nicht zulässt, auch wenn das Interesse des Antragstellers an dieser Nutzung seines Grundstücks für den Gemeinderat - und eventuell sogar für den Grundstückseigentümer selbst - im Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses nach § 10 nicht erkennbar war. Hätten solche Belange, sofern sie bekannt gewesen wären, bei der Abwägung berücksichtigt werden müssen, dann stellt ihre Beeinträchtigung einen Nachteil im Sinn des §47 Abs. 2 VwGO dar. Dies steht entgegen der Behauptung von Jäde auch nicht im Widerspruch zu §214 Abs. 3 Satz 1, wonach es für die Abwägung auf den Zeitpunkt der Beschlussfassung über den Bebauungsplan ankommt. Ein Bebauungsplan weist zwar sicher keinen Abwägungsfehler auf, wenn er private Interessen nicht berücksichtigt hat, die für den Gemeinderat nicht erkennbar waren. Er kann aber gleichwohl aus anderen Gründen fehlerhaft und damit nichtig sein. Der Träger eines objektiv beeinträchtigten Belangs hat ein berechtigtes Interesse daran, dass dies in einem Normenkontrollverfahren gerichtlich festgestellt wird. Der unter Rn.194 dargelegte Grundsatz, dass auch erst nach dem Satzungsbeschluss erkennbar gewordene Umstände die Antragsbefugnis begründen können, gilt nicht nur für eine Einschränkung der Bebaubarkeit oder Nutzbarkeit des Grundstücks des Antragstellers durch den Bebauungsplan, sondern ebenso auch dann, wenn es um eine Beeinträchtigung durch die nach dem Bebauungsplan zulässige Nutzung eines Nachbargrundstücks geht. Jäde hat zutreffend darauf hingewiesen, dass dies die zwingende Konsequenz aus dem Beschluss des BVerwG vom 11.11.1988 ist. Das BVerwG hat dies bisher allerdings noch nicht zum Ausdruck gebracht, sondern stellt bei sog. Nachbaranträgen weiterhin darauf ab, ob das Interesse des Antragstellers bei der Abwägung als privater Belang zu berücksichtigen war. Freilich hat dem BVerwG bisher wohl auch kein Fall vorgelegen, in dem zwar eine objektiv relevante Beeinträchtigung des Antragstellers wegen der Nutzung eines Nachbargrundstücks gegeben war, dies aber für den Gemeinderat bei der Aufstellung des Bebauungsplans nicht erkennbar war. Ein Nachteil ist jedenfalls dann stets zu bejahen, wenn der Nachbar die Bebauung ohne den Bebauungsplan verhindern könnte. Da die Antragsbefugnis aber nicht eine Verletzung von Rechten des Antragstellers voraussetzt und damit erheblich über die Klagebefugnis nach §42 Abs. 2 VwGO hinausgeht, muss die Antragsbefugnis auch dann bejaht werden, wenn zwar keine Rechte des Antragstellers betroffen werden, sich aber die bestehende Situation durch den Bebauungsplan in städtebaulich relevanter Weise zum Nachteil des Antragstellers verändert und die Gemeinde diese Veränderung bei der Aufstellung des Bebauungsplans berücksichtigen musste bzw. hätte berücksichtigen müssen, falls sie ihr bekannt gewesen wäre. Auch insoweit kommt es nur auf die objektive Beeinträchtigung der privaten Belange, nicht auf ihre Erkennbarkeit im Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses nach § 10 an.