Anwaltssozietät

Wer einen einer Anwaltssozietät angehörenden Rechtsanwalt beauftragt, schließt den Anwaltsvertrag im Zweifel nicht, nur mit dem Rechtsanwalt ab, der seine Sache bearbeitet, sondern mit allen der Sozietät angehörenden Anwälten. Sie alle haften ihm auf Schadensersatz, auch wenn nur der Anwalt, der seine Sache bearbeitet, den Schaden verschuldet hat (Abweichung von BGH NJW 1963, 1301).

Anmerkung: Die Anwaltssozietät ist eine im Zunehmen begriffene Form anwaltlicher Tätigkeit, veranlasst vor allem durch die immer unumgänglicher werdende Spezialisierung (vgl. Rabe NJW 71, 1391). Die Sozietät ist dadurch gekennzeichnet, dass die Sozien - weit über eine bloße Bürogemeinschaft hinaus - ihren Beruf im Interesse und für Rechnung aller Sozien gemeinsam ausüben. Das Rechtsverhältnis ist durch keine Normen geregelt. Meist haben die Sozien ihr Innenverhältnis in einem eingehenden schriftlichen Vertrag niedergelegt. Auf dieses Innenverhältnis sind die Vorschriften der §§ 705 ff. BGB (bürgerlich- rechtliche Gesellschaft) anzuwenden (Nr. 23 zu § 705; Nr. 2 zu § 142 BEG) anzuwenden. Nach diesen Vorschriften muss auch das Außenverhältnis zum Mandanten, um das es im zu entscheidenden Fall ging, bestimmt werden, damit auch die Frage, ob dem Mandanten alle Sozien oder nur der Bearbeiter seiner Sache haften. Das RG hatte alle Sozien für haftbar erklärt, doch war der III. Zivilsenat des BGH davon in seinem Urteil vom 29. 4. 1963 (vorstehend Nr. 22), wenn auch nur in einer Hilfsbegründung, abgewichen. Die dadurch entstandene Unsicherheit hat der VI. Zivilsenat des BGH, der jetzt für Anwaltshaftung zuständig ist, in obigem Urteil behoben: er ist zum Standpunkt des RG zurückgekehrt.

I. Die Frage, ob alle Mitglieder der Sozietät dem Mandanten haften, lässt sich erst bejahen, wenn die Vorfrage bejaht ist, dass alle Mitglieder seine Vertragspartner sind. Das aber ist nach Auff. des BGH grundsätzlich der Fall. Nur in Ausnahmefällen - die im Urteil erörtert sind - beauftragt der Mandant nur einen der Anwälte einer Sozietät.

1. Der BGH weist eingehend nach, dass es nicht auf die Prozessvollmacht ankommen kann, die der Mandant ausgefüllt hat. Entscheidend ist vielmehr der Wille der Beteiligten. Der Anwalt aber, der in einer Sozietät einen Auftrag annimmt, verpflichtet regelmäßig nicht nur sich, sondern auch alle seine Sozien (vgl. § 714 BGB). Dahin geht auch der Wille des Mandanten - von den erwähnten Ausnahmefällen abgesehen. Nach der Verkehrsauffassung bietet eine Sozietät den guten Ruf, den sie als Sozietät genießt, dem Mandanten an; er vertraut auf diesen Ruf, der oft durch den bekannt gewordenen und erfahrenen Seniorpartner begründet worden ist und auch noch nach seinem Ausscheiden fortwirkt. Der Rechtsuchende will sich diese Vorteile, die ihm eine Sozietät bietet, zunutze machen. Freilich weiß auch er, dass grundsätzlich nur einer der Anwälte seine Sache bearbeitet und dass diese die Aufteilung der Mandate unter sich selbständig regeln. Das aber hält der BGH für kein ins Gewicht fallendes Gegenargument. Jedenfalls hat der Mandant die Gewissheit, dass stets hinter seinem Anwalt die Sozietät steht, u. U. also auch jenes andere Mitglied, das über große Erfahrung, Ansehen, Spezialkenntnisse u. dergleichen verfügt und das sein Anwalt dann, wenn es angezeigt ist, um Rat fragen wird. Eben diese dem Mandanten zugute kommenden Vorteile sind es, die die Anwälte veranlassen, sich über eine Bürogemeinschaft hinaus zu gemeinsamer Ausübung ihrer Praxis zu verbinden. Sie wissen, dass diese Vorzüge manchen Recht- suchenden bewegen, gerade diese Sozietät mit seiner Sache zu betrauen.

2. Tritt aber so die Sozietät dem Mandanten gegenüber als Einheit auf, so muss sie ihm auch als Einheit, nämlich als Sozietät, also gesamtschuldnerisch, haften.

In der Praxis wird diese Frage nach der Haftung aller Mitglieder der Sozietät meist keine besondere Rolle spielen, weil der Mandant seinen Schadensersatzprozess faktisch mit dem Haftpflichtversicherer seines Anwalts führt, der in aller Regel ohnehin die Sozietät insgesamt deckt. In dem vom BGH zu entscheidenden Fall war die Frage nur deshalb streitig geworden, weil sich der beklagten RA gegenüber den Vorwürfen des Klägers auf seinen Sozius als Zeugen berufen und daraufhin der Kläger diesen ebenfalls mit der Klage überzogen hatte. Mag daher auch das Anliegen dieses Kläger der Sache nach wenig gewichtig gewesen sein, so musste ihm der BGH entgegen der Ansicht der Vorinstanzen Recht geben.

Das ergab sich zwar nicht schon kurzerhand aus dem Standpunkt, dass alle Anwälte seiner Sozietät vom Mandanten beauftragt und, ihm daher gesamtschuldnerisch auf Erfüllung haften. Denn aus § 714 BGB kann nicht gefolgert werden, dass dann, wenn der eine Gesellschafter seine Pflichten verletzt, sich daher ersatzpflichtig macht, er auch den anderen Gesellschafter zum Schadensersatz verpflichtet hat. Nach § 425 Abs. 2 BGB wirkt an sich Vertragsverletzung nur gegen den Gesamtschuldner, der sie begangen hat. Das Gesetz erkennt indes an, dass sich aus dem Schuldverhältnis ein anderes ergeben kann (§ 425 Abs. 1 BGB). Das aber hat der BGH - entgegen dem im früheren Schrifttum wiederholt vertretenen gegenteiligen Standpunkt - bejaht. Das RG hatte (RGZ 85, 306) angenommen, dass der Anwalt einer Sozietät, der die Sache bearbeitet, dem Mandanten im Namen seiner Sozien zusage, dass bei einem Fehler nicht nur er, sondern auch seine Sozien hafteten. Dieser Konstruktion war das Schrifttum überwiegend gefolgt, indes wurden auch Zweifel laut. Der BGH ist dieser dogmatischen Frage nicht weiter nachgegangen. Allein das vom RG gefundene Ergebnis entspricht der Interessenlage und der Verkehrsauffassung. Schon das RG konnte sich auf eine angesehene Stimme aus der Anwaltschaft selbst stützen, nämlich die Ausführungen Friedländers in seinem Kommentar zur Rechtsanwaltsordnung zu den richtigen Auffassungen von den Pflichten des Anwaltsstandes. Der BGH sagt deutlich: Es würde einer Sozietät schlecht anstehen, dem Mandanten gegenüber als eine Sozietät, der er besonderes Vertrauen entgegenbringen darf, aufzutreten, dann aber, wenn es um die Wiedergutmachung eines dem Mandanten zugefügten Schadens geht, diesen auf den jeweiligen Bearbeiter seiner Sache zu verweisen, auf dessen Auswahl er keinen Einfluss hat und den er u. U. nie kennengelernt hat.

II. Gegenüber dem Urteil des BGH vom 29. 4. 1963 kann die neue Entscheidung des BGH als eine Änderung der Rechtsprechung angesehen werden. In letzter Zeit ist mehrfach die Frage aufgeworfen worden, ob die Gerichte befugt (gar verpflichtet) sind, ihre neue Rechtseinsicht rückwirkend auf Fälle zur Anwendung zu bringen, die sich noch unter der Herrschaft der früheren Rechtsprechung ereignet haben (vgl. Karlsruher Forum 1971). Das hat den B9H veranlasst, seinem neuen Urteil folgende Sätze anzufügen: Es bestehen keine Bedenken dagegen, die oben aufgestellten Rechtsgrundsätze auch schon auf den vorl. Fall anzuwenden. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Parteien ihre vertraglichen Beziehungen so haben ordnen wollen, wie dies jenes Urteil vom 29. 4. 1963 im Zweifel für richtig gehalten hat.

Mit diesem Zusatz hat der Senat nicht anerkennen Wollen, dass er eine Rückwirkung geänderter Rechtsprechung grundsätzlich für unzulässig hielte und sieh nur deshalb für berechtigt angesehen hat, die von ihm jetzt als allein richteerkannte Auslegung der §§ 705, 425 BGB rückwirkend anzuwenden, weil er im Streitfall in der Lage war, auf den Willen der Vertragschließenden abzustellen.