Arbeitskraft

Nicht der Wegfall der Arbeitskraft als solcher ist ein Schaden im haftungsrechtlichen Sinne, sondern der dadurch entstandene Ausfall der Arbeitsleistung. Daher kann ein Unternehmer, bei dem sich der wirtschaftliche Wert seiner Arbeitsleistung nach dem Erfolg seiner Tätigkeit bestimmt, seinen Schaden nicht in Höhe des Gehalts einer gleichwertigen Ersatzkraft bestimmen.

Anmerkung: Ein Dipl.-Chemiker, Inhaber einer pharmazeutischen Fabrik kleinerer Ordnung, war durch Verschulden der Beklagten verletzt worden und einige Zeit arbeitsunfähig. Er verlangte Ersatz seines Erwerbsschadens. Dessen Höhe lässt sich bei abhängigen Beschäftigten leicht feststellen: ihr Schaden ist der ihnen entgangene Lohn usw., mag er ihnen auch fortgezahlt worden sein. Anders bei Freiberuflichen: ihr Verdienst, also auch ihr Verdienstausfall wird von ihren individuellen Fähigkeiten bestimmt, ist, vom Unternehmerrisiko bedroht, erfolgsabhängig. Der Klägerin konnte nicht nachweisen, dass sich sein Ausfall im Betrieb durch Rückgang des Gewinns oder Ausbleiben zu erwartender Steigerungen bemerkbar gemacht hatte. Er machte auch nicht geltend, dass seine Angestellten für ihn hätten einspringen müssen. Er argumentierte, er hätte, wenn er eine Ersatzkraft eingestellt hätte, für diese tägl. 200 DM zahlen müssen, und verlangte diesen Betrag als seinen normativen Schaden. Dem ist der BGH nicht gefolgt.

Das Urteil legt an Hand zahlreicher schon entschiedener Beispiele dar, dass nach der bisherigen Auff. der Wegfall der Arbeitskraft allein noch kein Schaden ist, sondern erst der dadurch bewirkte Ausfall der Arbeitsleistung und damit der Ausfall an Verdienst. Bekanntlich ist im Haftpflichtrecht - anders als im Recht der Sozialversicherung - die Arbeitsfähigkeit kein objektiver, daher ohne weiteres zu ersetzender Vermögenswert. Wer nur von seiner Rente, wer nur von seinem Vermögen lebt, wer ohnehin nicht arbeitet, kann nicht abstrakt den Wert seiner Arbeitsfähigkeit als Schaden geltend machen.

Erst wenn sich der Ausfall der Erwerbsfähigkeit konkret und sichtbar im Verdienst ausgewirkt hat, entsteht ein Vermögensschaden. Arbeitskraft ist eine Eigenschaft der Person, die haftungsrechtlich mit dem Recht Unversehrtheit und der Gesundheit verbunden ist. Deren Verletzung löst aber für sich allein noch keine Ersatzpflicht aus, sondern erst dann, wenn daraus ein Vermögensnachteil entstanden ist. Die Fähigkeit zum Erwerb ist daher für sich allein noch kein Vermögenswert. Insofern ähnelt das Problem der neuerdings viel erörterten Frage, ob auch Freizeit an sich, Urlaubstage Vermögenswert haben können.

Der bald ein Jahrhundert alte Begriff des Schadens scheint ins Wanken zu kommen. Man spricht von der Abkehr von der Differenzmethode und vom objektiven, vom normativen Schaden. Ohne Erfolg hat die Rev. diese Gedanken für ihren Standpunkt ins Feld geführt.

Seit BGHZ 40, 345 ist zwar anerkannt, dass schon die bloße Möglichkeit, ein Kfz. zu nutzen, ein Vermögenswert ist, so dass dessen Entziehung auch dann einen Schaden bedeutet, wenn nichts für ein Ersatz-Kfz aufgewandt worden ist. Der BGH hält es aber für unrichtig, damit die Entziehung der personalen Arbeitskraft zu vergleichen. Der Nutzungswert eines Kfz. oder eines Hauses lässt sich nämlich nach objektiven Maßstäben messen, weil sich hier ein Marktpreis gebildet hat; oft lässt sich hier sogar ein objektiver, gemeiner Wert ermitteln. Bei der Ermittlung des Wertes einer Arbeitskraft kann dies aber nur in Betracht kommen, soweit sich im Verkehr anerkannte objektive Maßstäbe gebildet haben. Doch könnte sich auch hier noch fragen, ob der Wert einer Arbeitskraft wirklich stets mit dem gleichzusetzen ist, was der Geschädigte in seinem Fall zum Schadenszeitpunkt für eine Ersatzkraft ausgeben müsste.

Gewichtiger war der Hinweis der Rev. auf BGHZ 50, 304 = Nr. 15 zu § 845 BGB m. Anm. Hauß, wo es heißt: Hiernach steht einer Ehefrau wegen Behinderung in der Haushaltführung ein Schadensersatzanspruch unabhängig davon zu, ob sie tatsächliche Aufwendungen für die Entlohnung einer Ersatzkraft hat, und wo die Rede ist vom normativen Schadensbegriff, wie er sich inzwischen in Abkehr von der reinen Differenzhypothese auch anderweit durchgesetzt habe. Der BGH lehnt es jedoch in dem hier zu besprechenden Urteil ab, aus dieser neuerdings oft - zuweilen allzu unbesehen - angeführten Lehre vom normativen Schadensbegriff dem Klägerin einen Ersatzanspruch zuzubilligen.

Vom normativen Schaden spricht erstmalig BGHZ 43, 381, 383, nämlich bei Lösung des Problems Brutto- oder Netto-Lohnersatz, das dann auftaucht, wenn der Verletzte seinen Lohn usw. weiterbezogen hat, das BGB waren auch hier von der Differenzmethode ausgegangen, hatten aber deren unbilliges Ergebnis dadurch korrigiert, dass die Lohnfortzahlung als ein Vorteil angesehen wurde, dessen Anrechnung der Schädiger nicht verlangen konnte. Diese Methode führte nun insoweit, als es um die vom Arbeitgeber abgeführten Steuern, Sozialversicherungsbeiträge usw. ging, zu dogmatischen Schwierigkeiten. Sie löste der BGH nicht mehr mit versagter Vorteilsausgleichung, sondern mit wertender Betrachtung. Diese am Gesetzeswerk orientierte Betrachtung führe, indem sie die Leistung des Dritten nicht mehr wegdenkt, sondern durchaus in die Bestimmung des Schadens einbezieht, zur Bejahung eines normativen Schadens. Dieser Begriff war bei der Lösung der Probleme entwickelt worden, die entstehen, wenn in die Schadensberechnung ein Dritter einbezogen werden null: bei Vorteilsausgleichung und Drittschadensliquidation. Das war auch das Problem in BGHZ 38, 55 = Nr. 1 zu § 842 BGB m. Anm. Hauß: Hat die verletzte Ehefrau etwa deshalb keinen Schaden, weil ihr Ausfall intern durch ihre Familie aufgefangen wird? Das hat der BGH schon damals verneint und darauf baut BGHZS 50, 304 = Nr. 15 zu § 845 BGB auf, wobei er, seine Argumentation unterstützend, auf den in der neueren Rechtsprechung entwickelten normativen Schadensbegriff hingewiesen hat.

Im Fall des neuen BGH-Urt. ging es jedoch nicht eigentlich darum, ob Drittleistungen dem Schädiger zugute kommen, so dass schon deshalb der Klägerin sich auf normativen Schaden nicht berufen konnte - insofern lag der Fall anders als der vom BArbG, JZ 71, 380 entschiedene. Daher hat der BGH auch keinen zureichenden Anlass gesehen, abschließend zur Lehre vom normativen Schaden Stellung zu nehmen. Ob sie die in langer Praxis im wesentlichen bewahrten Denkfiguren des Schadensersatzrechts befriedigend zu ersetzen vermag, dürfte noch offen sein; so hat auch Selb bekannt, dass die Definition des normativen Schadens noch nicht voll gelungen ist. Auch das Schrifttum hat Vorbehalte. Auch das Urteil BGHZ 54, 82, 85 = Nr. 8 zu § 249 m. Anm. d. Verf. lässt vorsichtige. Zurückhaltung erkennen.

Die Lehre vom normativen Schaden will den Begriff des Schadens aus rein rechnerischer naturalistischer Betrachtung lösen und den Schaden im Rechtssinne von vorneherein so verstehen, dass er den Normen und Zwecken des Haftungsrechts ohne die bisher entwickelten Hilfskonstruktionen dienstbar wird. Dazu gehört wohl auch das Bestreben, den Schaden zu objektivieren, nämlich von den individuellen Besonderheiten des Geschädigten zu lösen und auch insoweit die Berechnung mittels bloßer Differenzrechnung wertend zu korrigieren. Auch Wussow hat in diesem Sinne den objektivierten Schaden dem normativen gleichgesetzt. Nun hat allerdings BGHZ 45, 212, 218 = vorstehend Nr. 18 zur Höhe des Nutzungsausfalls eines Kfz. ausgeführt, der Geschädigte brauche, wenn nur ein einzelnes Vermögensgut verletzt worden sei, nicht eine z. Z. der letzten mdl. Verhandlung bestehende Differenz in seinem Gesamtvermögen nachzuweisen; vielmehr könne er den objektiven Wert des Verlustes verlangen. Diese Erwägung auch hier beim Verlust der Arbeitskraft zuzulassen, lehnt indes der BGH ab. Den Nutzungswert eines Kfz. bewertet die Verkehrsauffassung seit Jahren nach objektiven, allgemein anerkannten Maßstäben. Hinsichtlich der Arbeitskraft eines Freiberuflichen gibt es aber einen solchen Markt nicht; er arbeitet nicht für ein festes, vom Erfolg seiner Mühen unabhängiges Entgelt, sondern um Gewinn.