Auflassungsvormerkung
Kauft jemand ein Grundstück, das den einzigen wesentlichen Vermögensgegenstand des Veräußerers ausmacht, dann tritt seine Haftung aus § 419 BGB nicht ein, wenn er erst nach Stellung des Antrages auf Umschreibung des Eigentums im Grundbuch oder auf Eintragung einer Auflassungsvormerkung Kenntnis von der Vermögensübernahme erhält (Abweichung von BGH NJW 1966, 1748).
Anmerkung: Die Kläger nahm den Beklagten nach § 419 BGB wegen ihrer Unterhaltsansprüche gegen ihren geschiedenen Ehemann in Anspruch. Der geschiedene Ehemann und Schuldner war zur Hälfte an einer Erbengemeinschaft beteiligt, deren Vermögen in einem Grundstück bestand. Der Erbanteil des Schuldners machte den wesentlichen Teil seines Vermögens aus. Die Erbengemeinschaft verkaufte das Grundstück an den Beklagten am 29.6. 1966 für 55 000 DM bei sofortiger Zahlung von 50 000 DM. Der Notar nahm in die Vertragsurkunde die Versicherung des Schuldners auf, er verfüge nicht über sein gesamtes Vermögen. Am 26. 8. 1966 wurde auf einen am 27. 7. gestellten Antrag eine Auflassungsvormerkung für den Beklagten eingetragen, der am 21. 11. 1966 die am 12. 10. beantragte Eigentumsumschreibung folgte. Am 7. 11. war dem Beklagten mitgeteilt worden, dass der Grundstücksanteil den einzigen wesentlichen Vermögensgegenstand des Schuldners darstelle.
1. Der BGH hatte zunächst eine verfahrensrechtliche Vorfrage zu entscheiden. Die Parteien hatten in der BerInstanz die Hauptsache für erledigt erklärt, nachdem die Kläger wegen des eingeklagten Teilbetrages befriedigt worden war. Vor Abgabe der Erledigungserklärungen in mündlicher Verhandlung hatte die Kläger im Wege einer (unselbständigen) Anschlussberufung die Feststellung weiterer Verpflichtungen des Beklagten begehrt. Die Zulässigkeit der Anschließung war in Zweifel gezogen worden. Die Zweifel ergaben sich aus der im Schrifttum vertretenen Ansicht, dass die Anschlussberufung in analoger Anwendung des § 522 Abs. 1 ZPO unzulässig sei, wenn die Parteien den Rechtsstreit in dem durch die Anträge des Rechtsmittelklägers bestimmten Umfang für erledigt erklärt haben (Habscheid-Lindacher, NYW 64, 2395; Stein- Jonas-Grunsley, ZPO 19, Aufl. § 522 Anm. I 3; Rosenberg-Schwab, Zivilprozessrecht, 10. Aufl., § 139 II 1 S. 725). Der BGH hat diese Bedenken nicht geteilt, sondern die Entscheidung des Oberlandesgerichts, die die Anschlussberufung für zulässig erklärt hat, bestätigt. Er hat damit die bisherige Rechtsprechung des BGH fortgesetzt (ebenso die ZPO-Kommentare von Baumbach-Lauterbach, 30. Aufl., Thomas-Putzo, 4. Aufl. und Zöller, (0. Aufl., sämtlich Anm. 1 zu § 522). Diese Rechtsprechung geht da- hin, dass die Anschlussberufung trotz Erledigung des Gegenstandes der Hauptberufung sowohl in dem Falle zulässig ist, in dem mit ihr ein in erster Instanz aberkannter Anspruch weiter verfolgt wird (BGHZ 34, 200), wie auch in dem Falle, in dem mit ihr ein neuer Anspruch geltend gemacht wird (BGH, NJW 64, (08 = Nr. 4 zu § 522 ZPO).
2. In der Sache könnte vorweg fraglich sein, ob § 419 BGB deshalb außer Anwendung zu bleiben hat, weil der Beklagte das Grundstück nicht von dem Schuldner, sondern von einer mit aus ihm bestehenden Erbengemeinschaßt gekauft und übertragen erhalten hat (§ 2040 Abs.1 BGB). Der BGH hat hierin keine Bedenken gesehen. Das entspricht wirtschaftlicher Betrachtungsweise. Es erscheint nicht erforderlich, dass der Erwerber das Vermögen auf Grund von Übertragungsakten oder Verfügungen des Schuldners erhalten hat. Entscheidend ist, ob er das gesamte Vermögen des Schuldners ohne Zwischenerwerb anderer Personen erhalten hat. So hat der BGH in einer früheren Entscheidung die Voraussetzungen des § 419 BGB mit der Übernahme des Gesellschaftsanteils eines ausscheidenden Gesellschafters durch den verbleibenden Gesellschafter als erfüllt angesehen, wenn dieser Anteil das gesamte Vermögen des ausscheidenden Gesellschafters darstellt, obwohl die Übernahme nicht in der Form von Übertragungsakten, sondern durch Anwachsen erfolgt (BGH, Betr. 54, 693 = Nr. 3 zu § 25 HGB). Ebenso erscheint die Annahme der hier besprochenen Entscheidung gerechtfertigt, dass der Erwerber eines Grundstücks das Vermögen des Schuldners im Sinne des § 419 BGB übernommen hat, wenn dieses in einem Erbanteil besteht und das Grundstück den einzigen wesentlichen Nachlassgegenstand bildet (a. A. aus Gründen einer zugegebenermaßen formalen Argumentation Koenig in Anm. NJW 71, 1174). Selbstverständlich haftet der Übernehmer nur in Höhe des Anteils, mit dem der Schuldner an dem Nachlass beteiligt war.
3. Das vom BGH entschiedene Grundsatzproblem betrifft die subjektive Seite der Vermögensübernahme. Übernimmt jemand das Vermögen eines, anderen mit dem Erwerb eines einzelnen Grundstücks, so tritt anerkanntermaßen seine Haftung aus § 419 BGB nur ein, wenn er weiß, dass es sich bei dem Grundstück um das ganze oder so gut wie das ganze Vermögen des Veräußerers handelt. Das Erfordernis der Kenntnis ist in diesem Falle einfach eine Folge davon, dass ein einzelner Gegenstand keinen Vermögensinbegriff darstellt und man vernünftigerweise dem Erwerber grundsätzlich keine Erkundigungspflicht aufbürden kann in der Richtung, ob es sich bei der Übertragung des Gegenstandes um die Veräußerung des gesamten Vermögens handelt (RGZ 134, 121, 125; Enneccerus-Lehmann, Recht der Schuldverhältnisse, 15. Bearb., § 86 II). Streitig ist, auf welchen Zeitpunkt für die Kenntnis des Erwerbers abzustellen ist. Der VI. Zivilsenat hat in der Entscheidung vorstehend Nr. 19 = NJW 66, 1748 den Zeitpunkt der sachenrechtlichen Vollendung des Grundstückserwerbs für maßgeblich erklärt, also die Eintragung des Eigentumsübergangs im Grundbuch. Das bedeutet eine weitgehende Berücksichtigung des mit § 419 BGB bezweckten Gläubigerschutzes. Der entgegengesetzte Standpunkt ginge dahin, dass die Kenntnis als ein den Erwerber schützendes Merkmal beim Abschluss des schuldrechtlichen Vertrages vorliegen muss. Von dieser Ansicht scheint das RG ausgegangen zu sein (RGZ 134, 121, 126; 160, 7, 14f.). Sie rechtfertigt sich, wenn man in der Anwendung des § 419 BGB auf den Erwerb eines einzelnen Gegenstandes eine Analogie zuungunsten des Erwerbers sieht. Dann erscheint es folgerichtig, die Kenntnis davon, dass ein Vermögen übernommen wird, für den gleichen Zeitpunkt zu verlangen, zu dem sie in dem Regelfall vorliegt, in welchem ein Vermögen als solches erworben wird. In diesem Falle ist der Erwerber bereits bei Vertragsschluss auf Grund der Kenntnis des Vertragsgegenstandes über den Sachverhalt unterrichtet, der seine Haftung aus § 419 BGB auslöst. Er kann die Gefahr, wegen der Schulden des Veräußerers in Anspruch genommen zu werden, bei seiner Entschließung, ob er sich auf den Vertrag einlassen will, oder bei Bemessung seiner Gegenleistung in Rechnung stellen. Diese Möglichkeit, so könnte man argumentieren, müßte auch dem, der mit einem einzelnen Gegenstand das Vermögen eines anderen erwirbt, offen stehen, wenn man ihm nicht ein nicht zu übersehendes Risiko aufladen will.
Der IV. Zivilsenat hat in der hier besprochenen Entscheidung in Übereinstimmung mit neuerdings im Schrifttum laut gewordenen Stimmen (Lenzen, NJW 67, 555; eingehend Reiniche, NJW 67, 1249ff Esser, Schuldrecht I, 3. Aufl. S. 422 Fußn. 32; Fihentscher, Schuld- recht 2. Aufl. S. 351) einen mittleren Standpunkt bezogen, der versucht, den von § 419 BGB bezweckten Gläubigerschutz mit den Inter- essen des Erwerbers und den Erfordernissen des Grundstücksverkehrs in Einklang zu bringen. Er hat danach auf den Zeitpunkt abgestellt, zu dem nach allgemeinen Grundstücksrecht der Kaufpreis entrichtet werden kann ohne dass der Käufer Gefahr läuft das Grundstück nicht Oder mit nicht bekannten Belastungen zu erhalten. Das ist zufolge der Schutzvorschriften der §§ 878, 883 Abs. 2, 892 Abs. 2 BGB LV. m. § 17 GBO der Zeitpunkt, zu dem der Antrag auf Eigentumsüberschreibung oder auf Eintragung einer Auflassungsvormerkung gestellt wird. Zu diesem Zeitpunkt, so hat der IV. Zivilsenat ausgeführt, muss der Käufer, wenn der gewöhnliche Grundstücksverkehr nicht unnötig gefährdet oder erschwert werden soll, den Kaufpreis auch ohne Gefahr einer Haftung nach § 419 BGB entrichten können. Andernfalls wäre er gehalten, vor Zahlung des Kaufpreises Nachforschungen nach den Vermögensverhältnissen des Veräußerers anzustellen, also das zu tun, was gerade mit der Aufstellung des Erfordernisses der Kenntnis vermieden werden sollte. Hinzu kommt, dass sonst auch die von dem Erwerber unbeeinflussbare Dauer der Bearbeitung der Anträge durch das Grundbuchamt entscheidend werden könnte. Hier war die Eigentumsumschreibung am 12. 10. beantragt und am 7. 11., als der Beklagte von den Vermögensverhältnissen des Schuldners erfuhr, noch nicht erfolgt. Ob der Käufer im Einzelfall, wie hier, den Kaufpreis schon vor Einreichung des Eintragungsantrags zahlt, ist ohne Belang.
Mit dieser Entscheidung ist der IV. Zivilsenat von der oben genannten Entscheidung des VI. Zivilsenats abgewichen, der auf Anfrage erklärt hat, an seiner abweichenden Auffassung nicht festzuhalten.