Baugebietsüberschreitend

Der Bebauungsplan gewährt nicht nur den Grundstückseigentümern im Bebauungsgebiet einen Abwehranspruch bei Verletzung von Festsetzungen, die ihrem Schutz dienen sollen. In Rechtsprechung und Literatur wird auch ein sog. baugebietsüberschreitender Nachbarschutz anerkannt. Bei der Aufstellung eines Bebauungsplans sind nämlich nicht nur die Belange der unmittelbar vom Bebauungsplan betroffenen Grundstückseigentümer in die Abwägung nach §1 Abs. 6 einzustellen, sondern auch die Interessen der Grundstückseigentümer in der angrenzenden Nachbarschaft des Baugebiets. Dies gilt insbesondere für die Ausweisung von Gewerbe- und Industriegebieten, weil die von gewerblichen Anlagen ausgehenden Emissionen nicht an der Grenze des Baugebiets aufhören. Wenn z.B. zum Schutz einer angrenzenden Wohnbebauung in einem Gewerbegebiet eine Gliederung der zulässigen Nutzung gemäß §1. Abs.4 BauNVO festgesetzt ist, dann werden die Bewohner des Wohngebiets in ihren Rechten verletzt, wenn eine gewerbliche Nutzung im Widerspruch zu der Baugebietsgliederung genehmigt wird. Ein baugebietsüberschreitender Nachbarschutz kommt ferner bei der Festsetzung der Geschoßzahl in Betracht. So kann eine im Bebauungsplan festgesetzte Begrenzung der Geschoßzahl dem Schutz eines benachbarten Wohngebiets dienen, um diesem die Aussicht auf die freie Landschaft zu erhalten oder die Belüftung und Besonnung zu gewährleisten. Freilich lässt sich in derartigen Fällen nicht von einem Austauschverhältnis im eigentlichen Sinn sprechen, weil der den Grundstückseigentümern im Plangebiet im Interesse der Nachbarschaft auferlegten Beschränkung kein entsprechender Vorteil gegenübersteht. Es handelt sich aber gleichwohl um eine Festsetzung, der eine Ausgleichsfunktion zukommt, weil ein Ausgleich zwischen den widerstreitenden Interessen der verschiedenen Baugebiete bewirkt werden soll. Daraus folgt, dass diejenigen Grundstückseigentümer in der Umgebung des Plangebiets, deren Belange durch die Festsetzung des Bebauungsplans gewahrt werden sollen, einen Abwehranspruch geltend machen können, wenn in die ihnen durch den Bebauungsplan gewährte geschützte Rechtsstellung eingegriffen wird, indem eine vom Bebauungsplan abweichende Bebauung genehmigt wird. Als Ergänzung dieser Belastung der Grundstücke im Plangebiet mit Nutzungsbeschränkungen zum Schutz der umgebenden Grundstücke außerhalb des Plangebiets wird man freilich auch den Eigentümern der Grundstücke im Plangebiet einen Abwehranspruch gegen eine Beeinträchtigung der nach dem Bebauungsplan zulässigen Nutzung durch eine Bebauung oder sonstige Nutzung außerhalb des Plangebiets einräumen müssen. Schlichter weist zu Recht darauf hin, dass es für den Nachbarschutz nicht nur auf die die Baugenehmigung tragende Norm ankommt, sondern auch die Rechtstellung des betroffenen Nachbarn zu berücksichtigen ist. Ein Ausgleich der unterschiedlichen Interessen im Randbereich zweier unterschiedlicher Baugebiete wird von der Rechtsprechung dadurch bewirkt, dass bei der Ermittlung der zulässigen Emission- und Immissionswerte nicht allein auf die im Bebauungsplan festgesetzte Nutzungsart, sondern auch auf die außerhalb des Plangebiets zulässige Nutzungsart abgestellt wird. In einem solchen Grenzbereich ist der Mittelwert der jeweils zulässigen Immissionswerte maßgebend.

Die Erschließung des Bauvorhabens. Die gesicherte Erschließung des Bauvorhabens ist nach allen planungsrechtlichen Vorschriften Voraussetzung für die Erteilung einer Baugenehmigung. Diese Anforderung dient zum einen den Interessen der Bewohner des Bauvorhabens an einer angemessenen Zufahrtsmöglichkeit sowie einer Versorgung mit Frischwasser und Strom und einer Beseitigung des Abwassers, zum anderen soll die Allgemeinheit vor Gefahren geschützt werden, die dadurch entstehen können, dass das Gebäude von Rettungs- und Versorgungsfahrzeugen nicht erreicht werden kann oder aber infolge fehlender Versorgungs- oder Entsorgungsleitungen hygienische bzw. wasserwirtschaftliche Missstände entstehen. Die gesicherte Erschließung wird also nicht zum Schutz der Nachbarn verlangt, zumal diese von einer unzureichenden Erschließung in aller Regel gar nicht betroffen werden. In Rechtsprechung und Literatur wird deswegen durchweg angenommen, dass ein Nachbar nicht in seinen Rechten verletzt wird, wenn in seiner Umgebung ein nicht genügend erschlossenes Bauvorhaben genehmigt wird. Eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass die Nachbarklage nicht auf eine fehlende Erschließung des Bauvorhabens gestützt werden kann, hat das BVerwG nur dann anerkannt, wenn der Bauherr nach Errichtung des genehmigten Bauwerks ein Notwegrecht nach §917 BGB über das Nachbargrundstück in Anspruch nehmen könnte; dieser unmittelbar auf Art.14 Abs. 1 GG gestützter Abwehranspruch des Nachbarn ist auch auf das ebenfalls aus §917 BGB bzw. den entsprechenden Vorschriften der landesrechtlichen Nachbarrechtsgesetze abgeleitete Recht auf Führung einer Wasser- oder Abwasserleitung durch das Nachbargrundstück zu erstrecken. Es lässt sich freilich nicht in Zweifel ziehen, dass bei der Erschließung eines Bauvorhabens durchaus eine Beeinträchtigung der Nachbarn eintreten kann und zwar dann, wenn durch das genehmigte Bauvorhaben eine Oberlastung der vorhandenen Erschließungsanlagen eintritt, etwa die ohnehin enge Zufahrtsstraße durch die Fahrzeuge eines genehmigten Speditionsunternehmens ständig verstopft wird oder es in der Abwasserleitung durch die Zulassung einer Autowaschanstalt zum Rückstau kommt. Gleichwohl kann in derartigen Fällen den Vorschriften über die Erschließung keine nachbarschützende Wirkung zuerkannt werden. Denn eine Vorschrift, die ihrer Zielrichtung nach nicht dem Schutz der Nachbarn dient, kann nicht aufgrund besonderer Verhältnisse des Einzelfalls nachbarschützende Wirkung entfalten. In den oben dargelegten Fällen, in denen die mangelnde Erschließung eines Bauvorhabens zu einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Nachbarn führt, kann daher nur mit Hilfe des Gebots der Rücksichtnahme ein nachbarliches Abwehrrecht gewährleistet werden. Das Gebot der Rücksichtnahme kann aber nur dann zugunsten des Nachbarn Rechtswirkungen entfalten, wenn es sich um eine schwerwiegende Beeinträchtigung handelt, die die erforderliche Erschließung des Nachbargrundstücks auf Dauer in Frage stellt. Soweit die Inanspruchnahme der vorhandenen Erschließungsanlagen durch ein weiteres Bauvorhaben nur zu einem Verlust an Bequemlichkeit für Benutzer der Anlage führt, ohne dass die angemessene Grundstücksnutzung wesentlich erschwert wird, können die Eigentümer der vorhandenen Gebäude sich nicht mit Erfolg auf das Gebot der Rücksichtnahme berufen; in derartigen Fällen kann von einem rücksichtslosen Verhalten des Bauherrn regelmäßig nicht gesprochen werden.