Baugrenzen und Baulinien

Für die Festsetzung von Baugrenzen und Baulinien lässt sich eine generelle Aussage über ihren Nachbarschutz nicht machen, weil diese Festsetzungen sehr unterschiedlichen Zwecken dienen können. Bei der Prüfung der Frage, ob und in welchem Umfang eine Baulinie oder Baugrenze nach dem Willen des Plangebers nachbarschützend sein soll, kommen zunächst die oben unter Rn. 88 dargelegten Grundsätze zur Anwendung. Es ist also zu prüfen, welchen Zweck die Festsetzung einer Baugrenze oder Baulinie verfolgt. In der Rechtsprechung wird allerdings aufgrund der bereits erwähnten Tendenz, eine nachbarschützende Wirkung einer bebauungsplanmäßigen Festsetzung nur dann zu befahren, wenn diese Zweckbestimmung eindeutig erkennbar ist, vielfach angenommen, Baugrenzen und Baulinien seien in der Regel nicht nachbarschützend. Der Nachbarschutz von Baugrenzen und Baulinien hängt dabei maßgeblich von der Art der Baugrenze bzw. Baulinie ab. Man unterscheidet üblicherweise zwischen vorderen, seitlichen und hinteren Baugrenzen/ Baulinien. Vordere Baugrenzen/Baulinien beziehen sich auf die zur Straße hin gelegene Grundstücksgrenze, hintere Baugrenzen/Baulinien auf die von der Straße abgelegene Grundstücksgrenze, an die sich dann eine größere, in der Regel gärtnerisch genutzte Freifläche anschließt. Seitliche Baugrenzen beschränken die Bebauung in Bezug auf die beiden Seitenwände des Gebäudes. Dieses Modell passt aber nicht für Grundstücke, bei denen die dahinter gelegene Fläche mit einem ähnlichen Abstand wie die seitlichen Grundstücke bebaut werden können. Hier muss auch die von der Straße abgewandte Baugrenze/Baulinie nach den Grundsätzen einer seitlichen Baugrenze/Baulinie behandelt werden, da sie dieselbe Funktion erfüllt. Eine seitliche Baugrenze ist also immer dann anzunehmen, wenn auf der anderen Seite der Grenze in einem etwa gleich großen Abstand ebenfalls die Errichtung eines Gebäudes zulässig ist. Das unterirdische Überschreiten der Baulinie oder Baugrenze stellt keine Verletzung von Rechten des Nachbarn dar. Vordere Baugrenzen und Baulinien, d. h. solche, die die Bebauung zur Straße hin abgrenzen, sollen meistens eine einheitliche Vorgartenfläche schaffen, zum Teil dienen sie auch zur Sicherung des für eventuelle Straßenausbaumaßnahmen benötigten Geländes. In beiden Fällen ist ein Schutz der Nachbarn nicht bezweckt. Ein Nachbarschutz der vorderen Baugrenze ist allerdings zu bejahen, wenn dadurch ein Abstand zum Wohngebäude auf der gegenüberliegenden Straßenseite gewährleistet werden soll; dies kommt vor allem bei schmalen Straßen und Wegen in Betracht.

Hintere Baugrenzen werden häufig festgesetzt, um den rückwärtigen Grundstücksteilen eine durchgehende Grünfläche zu schaffen; dies ist besonders dann anzunehmen, wenn es sich um ein Straßenviereck handelt, bei dem jeweils die rückwärtigen Grundstücksflächen von der Bebauung freigehalten werden. Eine dadurch geschaffene durchgehende Grünzone dient neben allgemeinen städtebaulichen Belangen auch den Bewohnern des Baugebiets, denen ein Blick ins Grüne und damit ein freieres Wohngefühl sowie eine bessere Besonnung und Belüftung ermöglicht wird; in einem derartigen Fall ist ein Nachbarschutz zu bejahen. Wenn freilich durch eine hintere Baugrenze oder die Festsetzung einer Bebauungstiefe bewirkt werden soll, dass nur die an der Straße gelegene Grundstücksfläche bebaut wird, damit eine Ausdehnung der Bebauung in das bisher noch nicht bebaute Gelände im hinteren Teil der Grundstücke verhindert wird, dann dient diese Festsetzung erkennbar lediglich öffentlichen Belangen.

Seitliche Baugrenzen sollen in der Regel ein aufgelockertes Wohnen bewirken und dienen damit dem Schutz der Bewohner des Baugebiets. Demgegenüber wird teilweise eingewandt, dass das Interesse der Bewohner an einem hinreichend großen Abstand bereits durch die bauordnungsrechtlichen Vorschriften über den Grenzabstand Rechnung tragen werde. Dem kann nicht zugestimmt werden, denn der gesetzliche Grenzabstand stellt nur den Mindestabstand dar, der in der Regel kein völlig oder zumindest weitgehend ungestörtes Wohnen gewährleistet. Der darüber hinausgehende seitliche Abstand durch entsprechende Baugrenzen hat gerade den Zweck, die benachbarten Gebäude auseinanderzurücken und damit die Möglichkeit von wechselseitigen Störungen zu reduzieren. Derartige Festsetzungen dienen damit dem Ausgleich nachbarlicher Interessen und sind nachbarschützend. Der Nachbarschutz beschränkt sich freilich auf den seitlichen Angrenzer; nur wenn ein Bauen auf Lücke bezweckt wird, ist auch der Hinterlieger geschützt. Die Festsetzung einer Bebauungstiefe nach §23 Abs.4 BauNVO hat dieselbe Funktion wie eine hintere Baugrenze. Es gelten daher auch für den Nachbarschutz dieselben Grundsätze. Soweit der Bebauungsplan baugestalterische Festsetzungen enthält, etwa eine bestimmte Dachform, Dachneigung oder Gebäudestellung vorschreibt, haben diese in der Regel keine nachbarschützende Wirkung. Ein Nachbarschutz ist aber z.B. möglich, wenn durch die vorgeschriebene Gebäudestellung erreicht werden soll, dass der Nachbar in seinem Ausblick nicht beeinträchtigt wird.