Baurechtlichen Verfahren

Im baurechtlichen Verfahren zur Erteilung einer Baugenehmigung geht es zwar auch um die Feststellung, ob ein Grundrecht, nämlich die in Art.2 Abs.1, 14 Abs. 1 GG verankerte Baufreiheit in Anspruch genommen werden kann; ebenso dient das Verfahren aber auch dem Schutz der vom Bauvorhaben betroffenen Nachbarn, die in ihrem Recht aus Art. 14 GG auf eine angemessene Nutzung ihres Grundstücks beeinträchtigt sein können. Ferner sollen Belange des Allgemeinwohls geschützt werden. Aus dieser mehrpoligen Zweckbestimmung des baurechtlichen Verfahrens folgt zwangsläufig, dass nicht jeder Verstoß gegen die Verfahrensvorschriften einen Eingriff in die Rechtsstellung des Nachbarn bedeuten kann. Es wäre allerdings mit Art. 14 GG nicht zu vereinbaren, wenn der Nachbar durch die Ausgestaltung des baurechtlichen Verfahrens daran gehindert wäre, seine sich letztlich aus Art. 14 Abs. 1 GG ergebenden Abwehrrechte wirksam geltend zu machen. Davon kann jedoch keine Rede sein. Nach allen Landesbauordnungen ist die Beteiligung der Eigentümer angrenzender Grundstücke jedenfalls dann vorgeschrieben, wenn sie durch das Bauvorhaben betroffen werden; einige Landesbauordnungen gewähren darüber hinaus jedem Betroffenen, andere jedem Angrenzer ein Beteiligungsrecht. Außerdem sind die Nachbarn gemäß § 13 Abs. 2 Satz 2 VwVfG zu benachrichtigen und gegebenenfalls auf Antrag zu beteiligen, soweit die Entscheidung der Behörde rechtsgestaltende Wirkung für sie hat. Wenn die erforderliche Beteiligung des Nachbarn unterbleibt, liegt hierin zwar ein Verstoß gegen die verfassungsrechtlich Betone verfahrensmäßige Sicherung des Eigentumsrechts des Nachbarn. Dieser Verstoß hat aber regelmäßig keine Rechtsfolgen. Entweder wird die Baugenehmigung vom Nachbarn nicht angefochten; dann ist sie zwar rechtswidrig, aber nicht nichtig und damit wirksam. Falls der Nachbar aber Widerspruch einlegt, greift §45 Abs. 1 Nr.3 VwVfG ein, wonach die unterbliebene Anhörung im Widerspruchsverfahren nachgeholt werden kann.

Nachbarschutz bei Verstoß gegen das Planungserfordernis. Eine Verletzung von nachbarschützenden Verfahrensvorschriften kommt ferner dann in Betracht, wenn ein Bauvorhaben - etwa ein Großprojekt wie eine Klinik, eine Hochschule, ein Sportstadion - zu dessen Verwirklichung gemäß § 1 Abs. 3 ein Bebauungsplan erforderlich wäre, ohne Bebauungsplan im Wege einer Einzelgenehmigung nach §§30 ff. genehmigt wird. Das BVerwG hat dies verneint mit der Begründung, eine Rechtsverletzung des Nachbarn infolge der unterliebenen Aufstellung eines Bebauungsplans scheide schon deshalb aus, weil es nach §2 Abs.3 keinen Anspruch auf Aufstellung eines Bebauungsplans gebe. Übereinstimmend damit hat das BVerwG im Urteil vom 29.7. 1977 festgestellt, §1 vermittelte kein subjektives Recht auf gerechte Abwägung. In der Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte ist demgegenüber wiederholt die Rechtsansicht vertreten worden, der Nachbar werde in seinem Recht auf Beteiligung an der Bauleitplanung verletzt, wenn ein an und für sich planungsbedürftiges Großvorhaben ohne vorherige Bauleitplanung genehmigt werde.

Das BVerwG hat im Beschluss vom 3.8. 1982 einen Widerspruch seiner Rechtsprechung zu der Mülheim-Kärlich-Entscheidung des BVerfG vom 20.12. 1979 in Abrede gestellt mit der Begründung, das BVerfG habe ausgeführt, im atomrechtlichen Verfahren gehe es vorrangig um den Schutz von Leben und Gesundheit; demgegenüber diene das Verfahren zur Aufstellung von Bebauungsplänen dazu, die bauliche und sonstige Nutzung der Grundstücke vorzubereiten und zu leiten. Diese Begründung überzeugt nicht, denn auch die Bauleitplanung greift in grundrechtlich geschützte Positionen ein, nämlich Art. 14 GG sowie eventuell auch Art. 2 Abs. 2 GG. Zwischen der Genehmigung eines Atomkraftwerks nach §7 Atomgesetz und der Aufstellung eines Bebauungsplans für eine kerntechnische Anlage besteht hinsichtlich der Schutzwürdigkeit der Nachbarschaft kein wesentlicher Unterschied. Zwar erlaubt der Bebauungsplan noch nicht die Errichtung der Anlage, vielmehr bedarf es hierfür noch einer Baugenehmigung. Die planerische Abwägung zwischen den Belangen des Betreibers und der Nachbarschaft findet aber bei der Aufstellung des Bebauungsplans statt, im Baugenehmigungsverfahren wird der Bebauungsplan nur noch vollzogen. Daher ist aus der unter Rn. 70 angeführten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts der Schluss zu ziehen, dass der Nachbar in seinen Verfahrensrechten aus §3 verletzt wird, wenn ein planungsbedürftiges Großvorhaben ohne Bauleitplanung genehmigt wird. Diese Ansicht steht nicht im Widerspruch zu der Regel des §2 Abs. 3, wonach es keinen Anspruch auf Aufstellung eines Bebauungsplanes gibt. Denn es geht nicht darum, dem Grundstückseigentümer einen Anspruch auf den zur Verwirklichung seiner Bauabsichten notwendigen Bebauungsplan einzuräumen, vielmehr soll lediglich verhindert werden, dass der Grundstückseigentümer durch eine faktische Bauleitplanung, d. h. eine Planungsentscheidung im Wege einer Einzelgenehmigung, seiner Mitwirkungsrechte nach §3 Abs. 1 u. 2 verlustig geht, die ihm nicht nur im öffentlichen Interesse, sondern auch zur Wahrnehmung seines Eigentumsrechts eingeräumt worden sind. Das Mitwirkungsrecht nach §3 Abs. 1 u. 2 stellt in Verbindung mit dem Abwägungsgebot nach §1 Abs. 6 eine grundlegende Sicherung des Eigentums im Rahmen der Bauleitplanung dar. Ein Verstoß gegen diese verfahrensmäßige Sicherung des Eigentumsrechts stellt deshalb nach den Grundsätzen des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 25.2. 1981 zugleich eine Verletzung von Rechten der betroffenen Grundstückseigentümer dar, denn diesen wird dadurch die Möglichkeit genommen, durch Anregungen und Bedenken nach §3 Abs. 1 u. 2 eine ihnen günstigere Planungsentscheidung herbeizuführen. Voraussetzung für eine begründete Nachbarklage in derartigen Fällen ist allerdings, dass der Nachbar Träger von Belangen ist, die im Rahmen der Bauleitplanung in die Abwägung nach §1 Abs. 6 einzustellen wären. Die soeben angesprochene Frage hat im Übrigen durch das Gebot der Rücksichtnahme erheblich an Bedeutung verloren. In der Regel wird sich das Planungserfordernis aus den Auswirkungen des Bauvorhabens auf die Umgebung, insbesondere durch Immissionen, ergeben. In solchen Fällen kann der betroffene Nachbar sich sowohl bei § 34 als auch bei § 35 auf eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme berufen. Im Rahmen der durch das Gebot der Rücksichtnahme gebotenen Abwägungen der Belange des Betreibers der Anlage mit den Belangen der durch sein Vorhaben betroffenen Nachbarn sind auch solche Belange der Nachbarn zu berücksichtigen, die keine subjektiven Rechte darstellen. Dadurch wird zwar eine planerische Entscheidung nach §1 Abs. 6 nicht ersetzt, aber die Folgen eines Verstoßes gegen das Planungserfordernis für den Nachbarn doch gemildert.