Beeinträchtigung

Neben der Verletzung einer nachbarschützenden Norm wird vielfach für eine erfolgreiche Baunachbarklage auch eine tatsächliche Beeinträchtigung des Nachbarn verlangt. Das BVerwG hat hierzu lediglich entschieden, das Bundesrecht sage weder positiv noch negativ etwas über die Notwendigkeit einer tatsächlichen Beeinträchtigung des Nachbarn aus. Auch diejenigen, die eine tatsächliche Beeinträchtigung als Voraussetzung fair einen Abwehranspruch des Nachbarn nicht verlangen, räumen aber ein, dass das Erheben einer Baunachbarklage im Einzelfall schikanös sein kann; sie verneinen für derartige Fälle das Rechtsschutzbedürfnis. Jacob ist darin zuzustimmen, dass bei einigen baurechtlichen Vorschriften, z.B. der bauordnungsrechtlichen Regelung über die Lage von Stellplätzen oder den erforderlichen Schallschutz bei baulichen Anlagen, die Notwendigkeit einer tatsächlichen Beeinträchtigung der Nachbarn schon im Tatbestand enthalten ist; regelmäßig kommt das darin zum Ausdruck dass auf eine erhebliche Störung der Umgebung abgestellt wird. Auf eine Verletzung derartiger Vorschriften kann sich der Nachbar nur berufen, wenn die Beeinträchtigung seines Grundstücks erheblich ist; fehlt es hieran, ist jedenfalls dieser Nachbar nicht in seinen Rechten verletzt. Die Frage nach der Notwendigkeit einer tatsächlichen Beeinträchtigung stellt sich dagegen zum einen bei minimalen Abweichungen von baurechtlichen Bestimmungen, zum anderen bei Abweichungen, die zwar die Bagatellgrenze überschreiten, aber gleichwohl keine Auswirkungen auf den Nachbarn haben. Bei minimalen Abweichungen, etwa dem Unterschreiten des bauordnungsrechtlichen Grenzabstands oder dem 1Jberschreiten einer seitlichen Baugrenze oder Baulinie um einen Zentimeter, liegt es auf den ersten Blick nahe, dem Nachbarn einen Anspruch auf Aufhebung der Baugenehmigung nicht zuzuerkennen, zumal ja in der Regel die Baugenehmigung nicht in einen rechtmäßigen und einen rechtswidrigen Teil aufgespalten werden kann. Dies hat zur Folge, dass auch bei minimalen Verstößen gegen nachbarschützende Vorschriften die gesamte Baugenehmigung aufgehoben werden muss; dies mag unangemessen erscheinen. Gleichwohl ist auch in einem solchen Fall eine Verletzung von Rechten des Nachbarn anzunehmen. Wenn das Gesetz ein subjektives Recht auf einen Grenzabstand von 3m einräumt, braucht sich der Nachbar nicht mit einem Abstand von 2,99m zu begnügen. Eine andere - und in der Regel zu verneinende - Frage ist es freilich, ob der Nachbar Anspruch auf Rückversetzung einer Außenwand hat, wenn der Bauherr unter Abweichung von der Baugenehmigung den gesetzlichen Abstand um wenige Zentimeter unterschritten hat. Bei der Baunachbarklage geht es nicht um die tatsächliche Herstellung eines baurechtmäßigen Zustands, sondern zunächst nur um die formelle Beseitigung der Baugenehmigung als Rechtsgrundlage für eine Verletzung von Rechten des Nachbarn. Die Aufhebung der Baugenehmigung hat keineswegs zwingend einen Anspruch des Nachbarn auf Beseitigung des baurechtswidrigen Teils eines Gebäudes zur Folge. Die Notwendigkeit einer tatsächlichen Beeinträchtigung als Voraussetzung für den Nachbarrechtsschutz ist vor allem dann problematisch, wenn die Baugenehmigung zwar gegen eine an sich nachbarschützende Norm verstößt, der Nachbar aber dadurch keinerlei Nachteile erleidet; seine Beeinträchtigung mithin nicht größer ist als bei einem rechtmäßigen Bauvorhaben. Ein solcher Fall ist z.B. gegeben, wenn der vorgeschriebene Abstand zum Nachbarn nicht eingehalten ist, aber das Nachbargrundstück in diesem Bereich wegen seines ungünstigen Zuschnitts oder wegen steiler Hanglage überhaupt nicht baulich oder gewerblich nutzbar ist. Eine tatsächliche Beeinträchtigung des Nachbarn scheidet ferner aus, wenn in einem reinen Wohngebiet ein Juwelier- oder Optikergeschäft zugelassen wird, das zwar gegen §3 Abs. 2 BauNVO verstößt, aber für den Nachbarn mit Sicherheit weniger Nachteile zur Folge hat, als wenn in dem Gebäude ein Lebensmittelgeschäft eingerichtet würde. Eine Verletzung von Rechten des Nachbarn muss in diesen und vergleichbaren Fällen verneint werden. Die Nachbarklage dient nicht dazu, dem Recht um seiner selbst willen zum Durchbruch zu verhelfen; der Nachbar ist nicht das Rechtsaufsichtsorgan über den Bauherrn oder die Baugenehmigungsbehörde. Vielmehr sind dem Nachbarn im öffentlichen Baurecht nur insoweit subjektive Rechte gegenüber einer einem anderen erteilten Baugenehmigung einzuräumen, als dies zum Schutz der Nutzungsmöglichkeit seines eigenen Grundstücks erforderlich ist. Die nachbarschützenden baurechtlichen Vorschriften stellen eine Inhaltsbestimmung des Eigentums gemäß Art.14 Abs. 2 Satz 2 dar. Diese Situationsberechtigung kann aber nur dann eine Einschränkung der Nutzungsmöglichkeiten der umgebenden Grundstücke bewirken, wenn die auf diesen Grundstücken beabsichtigte Nutzung sich überhaupt auf das situationsberechtigte Grundstück auswirkt. Ist das nicht der Fall, dann rechtfertigt weder Art. 14 Abs. l Satz 2 GG noch eine einfach-gesetzliche Regelung die Zuerkennnung eines Abwehranspruchs gegenüber einer zwar rechtswidrigen, aber gleichwohl das Eigentumsrecht des Nachbarn nicht tangierenden Baugenehmigung.