Behinderten

Zur sachlichen Kongruenz von Leistungen der Sozialversicherungsträger zur beruflichen Rehabilitation mit Schadensersatzansprüchen des Behinderten wegen der Beeinträchtigung seiner Erwerbsfähigkeit.

Zum Sachverhalt: Im Mai 1970 besichtigte W auf dem Betriebsgelände des Beklagten, der einen Kraftfahrzeughandel und eine Reparaturwerkstätte betrieb, einen zum Verkauf angebotenen Gebrauchtwagen. Um das Fahrzeug von unten besichtigen zu können, stieg er mit dem Beklagten in eine Grube unter das Fahrzeug. Als der Beklagte in der Grube eine Zigarette anzündete, kam es zu einer Explosion. Dabei zog sich W vor allem an den Händen Verbrennungen 2. und 3. Grades zu. Deshalb hat die Klägerin Landesversicherungsanstalt zur beruflichen Rehabilitation des nach ihrer Behauptung zuletzt als Montageschlosser beschäftigt gewesenen W im Wege einer Umschulung zum Nachrichtengerätemechaniker Leistungen zu erbringen, die sie von dem Beklagten mit ihrer Klage erstattet verlangt.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben, das Berufsgericht hat sie abgewiesen. Die Revision der Klägerin führte zur Aufhebung und Zurückverweisung.

Aus den Gründen: Aufgrund der Feststellungen des Berufsgericht hat der Beklagten die Explosion in der Montagegrube verschuldet und muss deshalb für die Verbrennungen, die W hierbei davongetragen hat, um ihre Folgen nach den Haftungsgrundsätzen für culpa in contrahendo sowie nach § 823 I BGB einstehen. Nach Auffassung des Berufsgerichts erfaßt seine Schadensersatzpflicht aber nicht die durch die Umschulung von W entstandenen Kosten. Dazu erwägt das Berufsgericht:

Grundsätzlich habe zwar der Schädiger auch die Kosten einer Umschulung des Verletzten zu erstatten, wenn das eine verständige Maßnahme sei, um den Verdienstausfallschaden aufzufangen. Dagegen falle der Aufwand, den die Klägerin erstattet verlange, nicht mehr unter den Schutzzweck der Haftungsnormen. Vorrangiges Ziel solcher Rehabilitation sei nicht die Schadensbeseitigung, sondern die Eingliederung des Verletzten in den Arbeitsprozess als Ausfluss des Sozialstaatsprinzips in Erfüllung öffentlicher Fürsorgepflichten und mit den Zielen der Entlastung des Arbeitsmarkts. Sie setzte sich im Wesentlichen auch zur Aufgabe, dem Betroffenen gehobenere Berufe und größere Verdienstchancen zu ermöglichen. Es würden auch Maßnahmen durchgeführt, die reinen Versuchscharakter hätten. Zudem beschränke sich die Rehabilitation nicht auf die Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit und die Eingliederung in einen Beruf, sondern sie diene daneben auch dem Ausgleich aller anlagebedingter Behinderungen, die sich im Arbeitsprozess nachteilig auswirken könnten. Damit werde die Grenze überschritten, bis zu der dem Schädiger eine Haftung für die Schadensfolgen billigerweise zuzumuten sei.

Gegen diese Ausführungen wehrt sich die Revision zu Recht.

Auszugehen ist mit dem Berufsgericht davon, dass die Klägerin wegen ihrer Sozialversicherungsleistungen an W nach § 1542 RVO aus übergegangenem Recht - sei es nach den Grundsätzen der culpa in contrahendo oder mit deliktischer Begründung - bei dem Beklagten nur in Höhe des von diesem dem W zugefügten Schadens und auch in diesen Grenzen nur Rückgriff nehmen kann, wenn und soweit die Versicherungsleistungen zeitlich und sachlich in einem inneren Zusammenhang mit dem Schaden des W stehen. Dagegen begründet § 1542 RVO keine erweiterte Einstandspflicht des Ersatzpflichtigen für Belastungen des Sozialversicherungs- oder Rehabilitationsträgers durch dessen vom Gesetz angeordnete Leistungsverpflichtungen. Deshalb bestehen in der Tat Bedenken gegen den Feststellungsausspruch des Landgerichts; mit seiner unbegrenzten Ausrichtung allein auf den der Klägerin entstandenen Rehabilitationsaufwand ist er nicht deutlich genug an den W auf seinen Schaden gewährten kongruenten Leistungen der Klägerin orientiert. Dem wird das Berufsgericht, an das die Sache aus anderen Gründen zurückverwiesen werden muss, Rechnung zu tragen haben.

Die erforderliche sachliche Kongruenz der Leistungen der Klägerin mit der Verpflichtung des Beklagten zur Schadlosstellung des W ist entgegen der Auffassung des Berufsgericht nicht schon wegen der Zweckbestimmung der beruflichen Rehabilitation in der Arbeiterrentenversicherung oder gar deshalb zu vereinen, weil das soziale Anliegen, das ihnen - wie nicht anders allen anderen Sozialversicherungsleistungen - zugrunde liegt, durch den Gedanken sozialer Fürsorge und Existenzsicherung geprägt ist. Maßnahmen zur Umschulung einschließlich der diese absichernden Leistungen zur Berufsfindung und Arbeitserprobung, wie sie hier in Frage stehen, sind darauf gerichtet, dem Behinderten zu helfen, seinen Platz im Berufs- und Erwerbsleben trotz der Behinderung nach Möglichkeit zu behaupten. In diesem Sinn ergänzen sie die medizinische Rehabilitation. Wie diese ist die berufliche Rehabilitation zunächst auf die Behinderung und ihre dauerhafte Überwindung ausgerichtet, auch wenn das Gesetz die Hilfe zur medizischen und beruflichen Rehabilitation als Teil der übergreifenden Aufgabe sieht, dem Einzelnen die Entfaltung seiner Persönlichkeit in der Gesellschaft zu ermöglichen.

In ihrer Zielrichtung stimmen deshalb solche Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation mit dem von dem Schädiger geschuldeten Schadensausgleich grundsätzlich überein. Das Interesse, das die Rehabilitationsgesetzgebung dem Behinderten an der Verwirklichung seiner Persönlichkeit im Berufs- und Erwerbsleben durch Gewährung von Hilfen zur Überwindung von Leistungsbeschränkungen zuerkennt, kann für den Schadensausgleich in der zivilrechtlichen Haftungsbeziehung nicht geringer wiegen. Viel spricht deshalb schon für die Ansicht, dass bei Verletzung von Körper und Gesundheit zur Naturalrestitution, die der Schädiger nach § 249 BGB in erster Linie schuldet, außer der medizinischen Rehabilitation auch eine Umschulung des Verletzten zu seiner beruflichen Rehabilitation gehören kann, die diesen in die Lage versetzen soll und kann, die nachteiligen Auswirkungen bleibender körperlicher Behinderungen im Beruf durch Ausweichen auf ein anderes Arbeitsfeld in natura abzuschwächen oder ganz abzuwenden. Jedenfalls aber gehören die Kosten für eine berufliche Umschulung des Geschädigten als Aufwendungen zur Minderung oder Abwehr von Verdienstausfallschäden in den Grenzen des Vertretbaren zur Belastungssphäre des Schädigers und sind deshalb von ihm unter diesem Gesichtspunkt zu erstatten. Das gilt nicht nur unter den Voraussetzungen, unter denen der Schädiger dem Verletzten im Interesse einer Geringhaltung des Schadens die Einwilligung in eine berufliche Umschulung nach § 254 BGB zumuten kann, sondern immer dann, wenn im Zeitpunkt der Entschließung zu der Umschulung diese bei verständiger Beurteilung der Erfolgsaussichten für die Rückgewinnung einer der verlorenen bestmöglich entsprechenden Erwerbstätigkeit und des Verhältnisses dieser Chancen zum wirtschaftlichen Gewicht des andernfalls - sei es demnächst, sei es in späterer Zukunft - absehbaren Erwerbsschadens geeignet und sinnvoll erscheint. Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung kann bei der Ausgrenzung der infrage kommenden Berufsfelder durchaus auch die berufliche Neigung des Verletzten auch dann zu berücksichtigen sein, wenn er sie in seinem verlorenen Beruf nicht hat verwirklichen können. Die Schwelle, von der ab der Geschädigte im Interesse des Schädigers an der Geringhaltung des Schadens auf eine Umschulung verzichten und sich mit dem finanziellen Ausgleich seiner Erwerbseinbußen zufrieden geben muss, wird in aller Regel hoch anzusetzen sein. Grundsätzlich wird bei ernsten Anhaltspunkten für ins Gewicht fallende Dauerbehinderungen der Berufsausübung der für das Rehabilitationsrecht geltende Grundsatz: Vorrang der Rehabilitation vor Rente auch für den Schadensausgleich in der Individualhaftung nicht nur dem im Rahmen der Schadensursächlichkeit auch hier relevanten Integritätsinteresse des Geschädigten, sondern auch der Wirtschaftlichkeit der Schadensregulierung dienen.

Daher gehen die sozialen Leistungen zur beruflichen Rehabilitation jedenfalls die dem Behinderten selbst zu gewährenden, nicht schon ihrem Wesen nach stets oder auch nur in einer ins Gewicht fallenden Zahl von Fällen so weit über das hinaus, was der Schädiger bei unbeschränkter Haftung dem Verletzten schuldet, dass man, wie es das Berufsgericht tut, für solche Leistungen des Sozialversicherungsträgers die Anwendbarkeit von § 1542 RVO schon prinzipiell nach dem der Vorschrift zugrunde liegenden Zweck in Zweifel ziehen könnte. § 1542 RVO soll verhindern, dass die Leistung aus der Sozialversicherung dem Schädiger zugute kommt. Gerade das würde aber bewirkt werden, wenn der SVT den Schädiger nicht mit dem Aufwand der beruflichen Rehabilitation belasten könnte, der auf die Abwendung von Nachteilen einer bestehenden oder doch zu erwartenden Erwerbsunfähigkeit oder Erwerbsminderung zielt und von dem der Schädiger deshalb profitiert.

Im Streitfall kann es daher nur darum gehen, ob die Umschulung des W. nach den oben aufgezeigten Maßstäben für einen das Integritätsinteresse des Geschädigten, aber auch die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit berücksichtigenden zivilrechtlichen Schadensausgleich als vertretbare Maßnahme der Schadensbeseitigung oder -abwehr anzusehen ist. In diesen Grenzen kann die Klägerin von dem Beklagten gemäß § 1542 RVO Erstattung der von ihr dem W gewährten Aufwendungen zur beruflichen Rehabilitation verlangen. Nur soweit der Beklagten dem W den eingeschlagenen Weg als zur Schadensbeseitigung ungeeignet oder als dem Aufwand nach unzumutbar verweigern durfte, hat die Klägerin im Verhältnis zu ihm die Kosten der Umschulung selbst zu tragen. Nur unter diesem Gesichtspunkt kann auch der von dem Berufsgericht besonders herausgestellte Umstand, dass die Rehabilitation nach § 1237 a 113 RVO auch zum beruflichen Aufstieg erbracht werden kann und in solchen Fällen möglicherweise mehr umfasst, als der Schädiger dem Verletzten schuldet, für den Forderungsübergang auf die Klägerin nach § 1542 RVO beachtlich sein. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass der von dem Schädiger geschuldete Schadensersatz, sofern auf andere Weise eine berufliche Eingliederung des Verletzten nicht möglich ist, u. U. auch die Kosten einer Umschulung zu einem qualifizierten Beruf umfassen kann, jedenfalls wenn dadurch ein auf Dauer höherer Verdienstausfallschaden abgewendet wird. Im übrigen fehlt es für den zu entscheidenden Fall bisher an jedem Anhalt dafür, dass die Umschulung des W vom Montageschlosser zum Nachrichtengerätemechaniker zu einer finanziellen Besserstellung geführt hat, auf die er nach Schadensersatzgrundsätzen keinen Anspruch gehabt hätte.

Bisher sind auch keine anderen Umstände festgestellt, die es rechtfertigen könnten, das Berufungsurteil nach Maßgabe der vorstehenden Ausführungen aufrecht zu erhalten. Vieles spricht bisher sogar dafür, dass die erfolgreich verlaufene Umschulung des W die begründete Möglichkeit eines weit höheren Erwerbsschadens abgewendet, also sehr wohl im Interesse auch des Beklagten gelegen hat. Die Feststellungen hierzu hat jedoch zunächst der Tatrichter zu treffen, der zu diesen Fragen bisher noch keine Stellung genommen hat.