Belange der Versicherten

Die den Trägern der Versicherungsaufsicht obliegende Amtspflicht, die Belange der Versicherten zu wahren, bestellt auch im Bereich der Pflichtversicherung für Kraftfahrzeughalter nicht gegenüber dem einzelnen Versicherten oder dem durch ihn geschädigten Verkehrsopfer.

Anmerkung: Die Frage, ob ein Geschädigter zu dem Kreis der Dritten gehört, denen gegenüber eine - angeblich schuldhaft verletzte - Amtspflicht bestand (§ 839 Abs. 1 Satz 1 BGB), hat den BGH In den letzten Jahren immer wieder, und zwar unter den verschiedensten Aspekten beschäftigt. Das zeigen eindrücklich die allein seit 1970 ergangenen und vorstehend unter den Nr. 13 bis 22 abgedruckten Entscheidungen an, wobei bemerkt sei, dass die Anmerkung zu der unter Nr. 17 angegebenen Entscheidung (BGHZ 56, 251) sich unter Nr. 5 zu § 163 BEG 1956 findet.

Den Sinn und den mit der Einschränkung des Kreises der aus § 839 BGB Ersatzberechtigten auf die Dritten, denen gegenüber die verletzte Amtspflicht bestand, verfolgten gesetzgeberischen Zweck habe ich bereits in der Anm. unter Nr. 28 zu § 839 (A) BGB im Einzelnen dargelegt, so dass ich hier darauf verweisen kann.

In der vorliegenden Entscheidung ging es um die Frage, ob und inwieweit bei den Amtspflichten, die sich aus der staatlichen Versicherungsaufsicht ergeben, einzelne Personen oder Personengruppen zu den Dritten gezählt werden können, denen gegenüber diese Amtspflichten bestehen. Hier ist, wie allgemein bei der Staatsaufsicht über private Wirtschaftseinheiten (Bankenaufsicht pp.), die Fragestellung eine andere als bei der Staatsaufsicht über technische Betriebe (vgl. dazu vorstehende Nr. 3, BGHZ 39, 358 und dazu die bereits erwähnte Anm. unter Nr. 28 zu § 839 [A] BGB). Die Pflichten, die sich aus einer Staatsaufsicht über technische Betriebe ergeben, bestehen in aller Regel auch gegenüber einzelnen Personen. Dies jedoch nur, soweit mit der Aufsicht polizeiliche Zwecke, nämlich die Verhütung von Gefahren verfolgt werden, die mit technisch nicht einwandfreien Betrieben für Leib, Leben, Gesundheit und Eigentum der Bürger verbunden sind. Soweit ein Einzelner infolge Verletzung der mit der Staatsaufsicht verbundenen Pflichten ein Opfer dieser Gefahren geworden ist, deren Verhütung mit der Staatsaufsicht über technische Betriebe eindeutig und allein bezweckt wird, ist er Dritter. Hingegen liegt ein Schutz des Unternehmers oder Eigentümers eines technischen Betriebes vor finanziellen Risiken, die mit der Errichtung oder Unterhaltung eines nicht einwandfreien technischen Betriebes (oder Bauwerkes) verbunden sind, völlig außerhalb der mit der Staatsaufsicht verbundenen Zwecke, so dass insoweit eine Drittwirkung der aus der Staatsaufsicht resultierenden Amtspflichten verneint werden muss. Die Staatsaufsicht über Wirtschaftseinheiten verfolgt hingegen den Zweck, möglichst die Gefahren zu bannen, die von für die Allgemeinheit besonders bedeutsamen Wirtschaftsunternehmen (Banken, Versicherungen) ausgehen, falls sie nicht sorgfältig und unter Vermeidung unverantwortlicher Risiken geführt werden. Die Vermeidung der Gefahren und Schäden, die aus ordnungswidriger und unsachgemäßer Führung von Versicherungen und Banken entstehen können, ist mithin zwar ausgesprochener Zweck der Staatsaufsicht über diese Wirtschaftszweige. Die Frage ist indes, ob die Staatsaufsicht insoweit nur im allgemeinen Interesse besteht und der Einzelne nur als - auswechselbares - Glied dieser Allgemeinheit geschützt ist, oder ob eine so enge Verknüpfung der Staatsaufsicht mit den Interessen der einzelnen Bankkunden und Versicherungsnehmer anzunehmen ist, dass auch eine Drittbezogenheit der sich aus der Staatsaufsicht ergebenden Amtspflichten zu den in Einzelfällen durch die Verletzung dieser Pflichten geschädigten Dritten bejaht werden muss.

Das hat der BGH verneint. Eine andere Auff. würde m. E. auch mit den Grundsätzen nicht in Einklang stehen, nach denen bei insoweit vergleichbaren Amtspflichten (Bundesaufsicht im Rahmen der Straßenverwaltung und dazu Nr. 27 zu Art. 34 GrundG; allgemein gehaltene polizeiliche Maßnahmen und dazu Nr. 60 zu § 839 [C] BGB) die Abgrenzung des Kreises der Dritten vorgenommen hat.

Das schließt nicht aus, dass im Einzelfall auch im Rahmen der Ver- sicherungs- und Bankenaufsicht Amtspflichten gegenüber einzelnen Personen entstehen können. Wenn sich z. B. ein Bürger mit einem bestimmten Anliegen an die Aufsichtsbehörde wendet, dann hat diese die Pflicht diesem Gesuchsteller gegenüber, seine Eingabe sachgemäß zu bearbeiten und zu bescheiden (vgl. dazu BGHZ 15, 305 ff. = Anm. unter Nr. 14 zu § 839 [C] BGB sowie vorstehend Nr. 15). Auch hat die Aufsichtsbehörde dann, wenn ein Genehmigungsverfahren durch förmlichen Antrag eingeleitet wird, gegenüber dem Antragsteller bestimmte Amtspflichten (vgl. BGH in VersR 1960, 979, 980).

Wollte man im Rahmen der Versicherungs- und Bankenaufsicht ganz allgemein Amtspflichten gegenüber jedem einzelnen Versicherungsnehmer (oder dem durch ihn geschädigten Verkehrsopfer) oder gegenüber jedem Bankkunden bejahen, dann müsste das m. E. zu unhaltbaren Ergebnissen, nämlich zwangsläufig dazu führen, dass die Aufsicht auf die einzelnen Versicherungs- und Bankgeschäfte ausgedehnt und den Aufsichtsorganen ein Hineinreden in die Geschäftsführung im Einzelnen nicht nur gestattet, sondern zur Pflicht gemacht würde.

Die Entscheidung des BGH ist von Scholz in NJW 72, 1217 lebhaft angegriffen worden. An dieser Stelle kann auf diese ins Grundsätzliche gehende Kritik nicht näher eingegangen werden. Ihre Berechtigung vermag ich jedoch - zumindest de lege lata - im Ergebnis nicht anzuerkennen.