Beurteilungsspielraum

Die in § 1 Abs. 3 festgelegten Rechtsfolgen treten ein, sobald und 18 soweit es für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung erforderlich ist. Damit ist die Anwendung des § 1 Abs. 3 an eine tatbestandliche Voraussetzung gebunden, die durch unbestimmte Rechtsbegriffe formuliert ist. Dies gilt sowohl für den Begriff erforderlich als auch für die Begriffe städtebauliche Entwicklung und Ordnung. Die Stringenz des in § 1 Abs. 3 enthaltenen Gesetzesbefehls würde allerdings relativiert, wenn und soweit der Gemeinde bei der Anwendung der unbestimmten Rechtsbegriffe ein Beurteilungsspielraum, d. h. ein Bereich eigener, gerichtlich nicht weiter oder nur eingeschränkt überprüfbarer Ermittlung, Wertung und Entscheidung, zustünde. Ein solcher Beurteilungsspielraum läge dabei auf der Tatbestandsseite; er wäre systematisch vom Handlungsermessen auf der Rechtsfolgeseite zu trennen. Ob und gegebenenfalls in welchen Fällen bei der Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe ein Beurteilungsspielraum besteht, ist streitig. In der Literatur wird überwiegend, wenn auch mit unterschiedlichen Bezeichnungen und Begründungen ein solcher Spielraum anerkannt. Die Rspr. der Verwaltungsgerichte lehnt dagegen im Regelfall einen Beurteilungsspielraum bei unbestimmten Rechtsbegriffen ab. Bei der Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs kann es nach ihrer Meinung nur eine richtige Lösung geben, die der uneingeschränkten gerichtlichen Nachprüfung unterliegt. Nur in eng umgrenzten Fällen lässt das BVerwG einen Beurteilungsspielraum zu, z.B. bei Prüfungsergebnissen, beamtenrechtlichen Beurteilungen, Entscheidungen wertender Art durch weisungsfreie Ausschüsse oder bei Prognoseentscheidungen. Das BVerfG hat jedoch selbst in den zuletzt genannten Fällen Beurteilungsspielräume weitgehend ausgeschlossen. Das BVerfG hält nicht nur aus Gründen des Art. 19 Abs. 4 GG, sondern vor allem im Hinblick auf die materiellen Grundrechte die Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe für voll nachprüfbar. Die Regeln über das Verwaltungsermessen haben nach Auffasung des Gerichts für die Auslegung und Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe keine Geltung. Selbst ausdrückliche Beurteilungsermächtigungen durch den Gesetzgeber werden vom BVerfG eingeschränkt oder auf Null reduziert.

Planungsnorm - Die Rechtsform einer strikten Rechtsvorschrift, deren Anwendungsvoraussetzungen voll nachprüfbar sind, wird jedoch der Funktion des 5 1 Abs. 3 nicht gerecht. Die Planungsmöglichkeiten der Gemeinden würden damit in jedem Fall auf eine richtige Lösung beschränkt und damit rechtlich auf Null reduziert. Ein solches Ergebnis ist mit dem Wesen der Planung unvereinbar, weil Planung ohne Gestaltungsfreiheit ein Widerspruch in sich wäre. Bei der Bestimmung des Rechtscharakters von § 1 Abs. 3 und der Auslegung der in § 1 Abs. 3 enthaltenen unbestimmten Rechtsbegriffe ist zu berucksichtigen, da15 es sich hierbei um eine Planungsnorm bzw. um planungsrechtliche Begriffe handelt. Die Vorschrift des § 1 Abs. 3 betrifft die Bauleitplanung; sie ist, wie sich aus dem Wortlaut unmittelbar ergibt, final auf das der Planung gesetzlich vorgegebene Ziel bezogen. Planungsnormen können nicht im Sinne konditional gefasster Anordnungen interpretiert werden, die nach dem Wenn-Dann-Schema aufgebaut sind. Bei Planungsnormen ist die bei Konditionalprogrammen übliche Verknüpfung von Normaussage, Tatbestand und Rechtsfolge nicht möglich. Vielmehr sind sie als Finalprogramme nach dem Ziel-Mittel-Schema aufgebaut. Als solche umschließen sie begriffsnotwendig einen planerischen Wertungs- und Gestaltungsspielraum. Wenn aber § 1 Abs. 3 als Planungsnorm begriffsnotwendig einen 1E Wertungs- und Gestaltungsspielraum umschließt, kann der Gesetzesbefehl des § 1 Abs. 3 nur die äußeren Grenzen dieses Spielraums markieren. Aufgabe des § 1 Abs. 3 ist es, die äußeren Grenzen der Planungsfreiheit abzugrenzen. Dies entspricht seiner Stellung im Regelungszusamenhang des § 1 sowie der Ableitung aus Grundsätzen des Verfassungsrechts, insbesondere aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die in § 1 Abs. 3 enthaltenen unbestimmten Begriffe behalten auch in dieser Funktion ihren Charakter als unbestimmte Rechtsbegriffe. Bei ihrer Auslegung und Anwendung ist jedoch ihre schrankensetzende Funktion zu beachten. Dass auch innerhalb von Planungsnormen voll nachprüfbare Elemente enthalten sein können, ist anerkannt; so sind z.B. die Anforderungen in § 1 Abs. 5 Satz 2 voll nachprüfbar. Auch beim Fachplanungsrecht ist die Erforderlichkeit voll nachprüfbar. Ob die objektiven Voraussetzungen dafür, dass das Vorhaben vernünftigerweise geboten ist, im Einzelfall vorliegen, hat das Gericht grundsätzlich voll nachzuprüfen. Der Gemeinde verbleibt somit im Regelfall ein Planungs- und Entscheidungsspielraum; nur in Extremfällen kann sich dieser Spielraum auf Null reduzieren. Eine Verletzung der Planungspflicht angenommen werden. Diese Voraussetzungen sind - wie bei allen unbestimmten Rechtsbegriffen - voll nachprüfbar. Liegen sie vor, greift der in § 1 Abs. 3 enthaltene Gesetzesbefehl. Hieraus folgt, dass § 1 Abs. 3 sowohl als Planungsgebot als auch als Verbot der Übermaß-Planung nur in besonders schwerwiegenden Fällen greifen kann. Damit erweist sich § 1 Abs. 3 als eine praktisch nur bei groben und einigermaßen offensichtlichen Missgriffen wirksame Schranke der Planungshoheit oder - bezogen auf das Übermaßverbot - als eine Handhabe zur Abwehr von Planungsmißbräuchen. Dies ist bei der näheren Bestimmung des Begriffs erforderlich zu berücksichtigen.