Dauerschuldverhältnisses

Haben beide Vertragsteile eines Dauerschuldverhältnisses schuldhaft die Vertragsgrundlage zerrüttet, so kann die Würdigung aller Umstände ergeben, dass der Vertragsteil, der die Zerrüttung überwiegend verschuldet hat, nicht wegen Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Vertrages kündigen kann.

Ist bei beiderseitiger Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses die fristlose Kündigung eines Dauerschuldverhältnisses durch einen Vertragsteil wirksam, dann hat der andere Teil, der am Vertrag festhält, wegen des ihm durch die Kündigung entstandenen Schadens keinen Ersatzanspruch.

Zum Sachverhalt: Der Kläger betreibt einen Großhandel mit Holzspänen, Sägemehl und Holzmehl. Die Beklagte stellt u. a. Buchenholzspäne in verschiedenen Körnungen her. Am 13./20. 2. 1973 schlossen die Parteien einen Spänelieferungs- und Abnahmevertrag. Die vom Kläger bestellten Späne wurden in der Regel so ausgeliefert, dass der Beklagte Namen und Anschriften der Kunden des Klägers unbekannt blieben. Wenn die Beklagte die Namen von Kunden des Klägers erfuhr, weil diese die Späne mit Lastwagen abholten, ließ der Kläger sich von der Beklagte auf fünf Jahre befristete Kundenschutzzusicherungen geben, damit die Beklagte die Kunden des Klägers nicht unmittelbar belieferte. Einige Zeit nach Vertragsschluss kam es zu Unstimmigkeiten der Parteien. Der Kläger erhob am 26. 8. 1975 Klage auf Auskunftserteilung und Schadensersatz wegen angeblicher Wettbewerbsverstöße der Beklagte Diese kündigte den Vertrag am 19. 9. 1975 fristlos wegen angeblicher Vertragswidrigkeiten des Klägers Dieser widersprach der Kündigung mit Anwaltsschreiben vom 22. 9. 1975. Der Kläger begehrt mit der Klage die Feststellung, dass der Vertrag vom 13./20. 2. 1973 bis 15. 2. 1978 wirksam sei. Er verlangt als Schadensersatz einen Teilbetrag von 100000 DM, weil die Beklagte vor dem 19. 9. 1975 entgegen der Vereinbarung Kunden und Konkurrenten des Klägers unmittelbar beliefert und weil die Beklagte den ihm durch ihre Kündigung erwachsenen Schaden nach dem 19. 9. 1975 zu ersetzen habe. Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und wegen noch offener Rechnungen Widerklage erhoben.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und der Widerklage stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Klägers hinsichtlich der Feststellungsklage zurückgewiesen und auf die Berufung des Klägers durch Teilurteil den bezifferten Klageanspruch des Klägers dem Grund nach gerechtfertigt erklärt. Auf die Revision beider Parteien wurde das Teilurteil des Berufungsgerichts insoweit aufgehoben, als die Feststellungsklage abgewiesen und der Anspruch des Klägers auf Schadensersatz dem Grunde nach zu 3/4 für gerechtfertigt erklärt worden ist.

Aus den Gründen: A. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der mit der Vereinbarung vom 13./20. 2. 1973 begründete Vertrag der Parteien ein Dauerschuldverhältnis war. Das wird von den Revisionen beider Parteien nicht beanstandet und lässt einen Rechtsfehler nicht erkennen.

Die Beklagte hatte nach Nr. 2 des auf fünf Jahre abgeschlossenen Vertrages ein Lager mit einer bestimmten Anzahl Tonnen Buchenspäne verschiedener Körnungen zu halten; das Lager war nach einem Abruf des Klägers entsprechend zu ergänzen. Nach Nr. 3 der Vereinbarung war die Beklagte verpflichtet, ihre gesamte Produktion - mit Ausnahme zweier Körnungen - dem Kläger zur Verfügung zu stellen; auch mit diesen Körnungen war indessen der Kläger vorrangig zu beliefern. Schließlich hatte die Beklagte, falls sie ihre Produktion erhöhte, dem Kläger Mitteilung zu machen; die Mehrmenge stand der Beklagte nur dann zur freien Verfügung, wenn der Kläger diese nicht annahm.

Dieser auf mehrere Jahre über fast die gesamte Produktion der Beklagte an Buchenholzspänen abgeschlossener Vertrag unterscheidet sich erheblich von einem Sukzessivlieferungsvertrag, bei dem lediglich der Leistungsaustausch in mehrere Teilakte aufgespalten ist. Er steht, ähnlich wie ein Bierlieferungsvertrag, einem Dauerschuldverhältnis so nahe, dass er ebenso wie dieses zu beurteilen ist.

Eine vorzeitige Lösung von diesem Vertrag kann nicht durch Rücktritt hinsichtlich des noch nicht abgewickelten Teils, sondern nur durch außerordentliche Kündigung erfolgen. Soweit der Vertrag bei der Kündigung nicht erfüllt war, besteht kein Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung, sondern allenfalls ein Anspruch auf Ersatz des durch die Kündigung erwachsenen Schadens.

Das Berufungsgericht hat die Klage auf Feststellung der Wirksamkeit des Vertrages bis zum 15. 2. 1978 abgewiesen, weil die Kündigung des Vertrages durch die Beklagte am 19. 9. 1975 wirksam gewesen sei. Dagegen wendet sich die Revision des Klägers mit Recht.

Das Berufungsgericht hat festgestellt, dass beiden Parteien Vertragswidrigkeiten zur Last fallen. Diese auf tatrichterlichem Gebiet liegende Würdigung des Berufungsgerichts lässt sich aus Rechtsgründen nicht beanstanden.

Obwohl auch der Kläger sich Vertragswidrigkeiten zuschulden kommen ließ, ist die Kündigung der Beklagte entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht ohne weiteres wirksam.

Das Berufungsgericht hat nicht verkannt, dass es hier zur Kündigung des Vertrages nicht einer Abmahnung und einer Schadensersatzandrohung bedurfte. Es entspricht zwar einem allgemeinen Rechtsgrundsatz, wie er in § 326 I BGB zum Ausdruck kommt, dass grundsätzlich auch bei Dauerschuldverhältnissen eine außerordentliche Kündigung erst in Betracht kommt, wenn der andere Vertragsteil zuvor auf die Folgen seiner Vertragswidrigkeiten hingewiesen wurde. Das kann jedoch entsprechend dem Rechtsgedanken des § 326 II BGB dann nicht gelten, wenn die Vertrauensgrundlage erschüttert ist, weil diese auch durch eine Abmahnung nicht wiederhergestellt werden kann.

Ein wichtiger Grund zur Kündigung eines Dauerschuldverhältnisses ist gegeben, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund deren dem kündigenden Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Vertrages bis zu dessen vereinbarter Beendigung nicht zugemutet werden kann. Die Kündigung der Beklagte war indessen nicht schon deshalb berechtigt, weil eine gedeihliche Zusammenarbeit zwischen den Parteien nicht länger möglich gewesen sei, wie das Berufungsgericht gemeint hat. Es muss vielmehr hinzukommen, dass der Beklagte die Fortsetzung des Vertrages nicht zuzumuten war. Ein Vertragsteil kann unter Umständen auch dann fristlos kündigen, wenn er sich selbst vertragswidrig verhalten hatte. Das braucht indessen keineswegs in jedem Falle so zu sein. Bei der Entscheidung der Frage, ob einem Vertragsteil die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses zuzumuten ist, spielt vielmehr im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung aller Umstände regelmäßig das eigene Verhalten dieses Vertragsteils eine erhebliche Rolle.

Eine Gesamtwürdigung aller Umstände, die zur Kündigung des Vertrages vom 13./20. 2. 1973 führten, hat das Berufungsgericht indessen nicht vorgenommen. Eine Abwägung des beiderseitigen Beitrags zur Erschütterung der Vertrauensgrundlage war hier umso mehr erforderlich, als das Berufungsgericht in anderem Zusammenhang, nämlich bei der Bemessung des Schadenersatzanspruchs des Klägers, festgestellt hat, dass die Beklagte die Erschütterung des Vertrauensverhältnisses überwiegend zu verantworten hat. Die gebotene Abwägung kann, wie der Kläger mit Recht geltend macht, möglicherweise ergeben, dass gemäß § 242 BGB angesichts des Tatbeitrags der Beklagte jedenfalls ihr zuzumuten war, am Vertrage festzuhalten, oder umgekehrt, dass es jedenfalls ihr nicht unzumutbar war, weiterhin den Vertrag durchzuführen.

Das angefochtene Urteil kann daher keinen Bestand haben, weil die gebotene, aber vom Berufungsgericht unterlassene Gesamtwürdigung möglicherweise zum Erfolg der Feststellungsklage geführt hätte und weil von der vom Berufungsgericht nunmehr vorzunehmende Prüfung auch der Schadensersatzanspruch des Klägers abhängt, den er für die Zeit nach der Kündigung vom 19. 9. 1975 geltend macht.

Dagegen ist der Revision des Klägers darin zu folgen, dass die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen wegen der Belieferung von Konkurrenten des Klägers entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts keine Abmachung und keine Schadensersatzandrohung voraussetzt.

Auch bei Dauerschuldverhältnissen ist zwar eine Lösung vom Vertrage, eine Kündigung, grundsätzlich erst zulässig, wenn der Vertragspartner zuvor nachdrücklich auf die Folgen einer weiteren Nicht- oder Schlechterfüllung des Vertrages hingewiesen wurde, wie dargelegt wurde.