Diskothek

Zur Pflicht eines Gastwirts, unter besonderen Umständen auf die Herbeiführung einer Notwehrsituation gegenüber unbefugten Eindringlingen deshalb zu verzichten, weil die zu gewärtigende Notwendigkeit des Schusswaffengebrauchs andere Gäste erheblich gefährden maßte.

Zum Sachverhalt: Der Beklagten war Mitinhaber eines Diskothek, in der es am späten Abend des 27. 7. 1971 zu einer Schlägerei zwischen Mitgliedern einer Rockerbande und dem von dieser angegriffenen Beklagten kam. Dabei machte dieser von einer mitgeführten Schusswaffe Gebrauch, mit der er, nachdem er einen erfolglosen Warnschuss abgegeben hatte, den Bandenführer durch zwei gezielte Schüsse tödlich verletzte. Eine der beiden Kugeln durchschlug dessen Bauchdecke, prallte nach Wiederaustritt aus dem Körper auf den Boden, verirrte sich von da als Querschläger auf die nahe Tanzfläche und drang dort dem gerade tanzenden, an dem Raufhandel nicht beteiligten, seinerzeit noch nicht ganz 17-jährigen Kläger in den Bauch. Diese Verwundung machte die operative Entfernung der Milz erforderlich.

Der Kläger nimmt den Beklagten wegen fahrlässig verursachter Körperverletzung auf Schadensersatz in Anspruch. Das Landgericht hat nur einen Teil des bezifferten Klageanspruchs zugesprochen und die Ersatzpflicht hinsichtlich späterer materieller Schäden festgestellt, den Schmerzensgeldanspruch jedoch abgewiesen. Die Berufung des Klägers führte auch zu einer Verurteilung zur Zahlung von Schmerzensgeld dem Grunde nach; die Anschlussberufung des Beklagten blieb erfolglos. Die - zugelassene - Revision des Beklagten hatte keinen Erfolg.

Aus den Gründen: Das Berufsgericht hält den Beklagten für verpflichtet, dem Kläger aus unerlaubter Handlung Schadensersatz zu leisten. Es führt hierzu aus:

Dass der Beklagten den Schuss auf den Anführer der Rocker in einer Notwehrlage abgefeuert habe, mache die dadurch ungewollt eingetretene Körperverletzung des Kläger nicht rechtmäßig, weil der Rechtfertigungsgrund des § 227 BGB nur gegenüber dem Angreifer zum Tragen komme, nicht jedoch gegenüber einem Dritten, der unbeabsichtigt durch die Notwehrhandlung verletzt wurde. Es könne demnach nur darum gehen, ob die Körperverletzung des Klägers durch den Beklagten aufgrund besonderer Umstände entschuldigt, nicht dagegen, ob sie gerechtfertigt gewesen sei. Im vorliegenden Fall müsse fahrlässiges Handeln des Beklagten bejaht werden. Wer aber wie im Streitfall innerhalb eines Lokals mit vielen Gästen im Zuge einer Auseinandersetzung auf jemanden schieße, müsse regelmäßig damit rechnen, dass Dritte durch den Schuss zu Schaden kommen könnten. Das gelte hier umso mehr, als der Beklagten kurz vor der Schussabgabe seine Brille verloren habe und deshalb nur schlecht habe sehen können. Die mögliche Verletzung eines Dritten, wie sie auch dann eingetreten sei, sei durchaus vorauszusehen gewesen. Eine dem strafrechtlichen entschuldigenden Notstand des § 34 StGB entsprechende Regelung gebe es für das Zivilrecht nicht, wenngleich im Bereich des zivilrechtlichen Haftungsrechts dem rechtswidrig handelnden Schädiger wohl kaum ein Schuldvorwurf zu machen sein werde, wenn er schuldlos in eine Lage gerate, die zum Schutze seiner Gesundheit oder sogar seines Lebens eine Abwehrmaßnahme herausfordere, die auch am Angriff nicht beteiligte Dritte nicht nur gefährde, sondern sogar verletze. Im Streitfall könne daher das Verschulden des Beklagten nicht darin gesehen werden, dass er während des gegen ihn gerichteten Angriffs der Rocker zur Schusswaffe gegriffen habe; wohl aber müsse ihm angelastet werden, dass er trotz der von ihm erkannten Gefahr und der in Kauf genommenen Wahrscheinlichkeit, zur Selbstverteidigung von der Waffe Gebrauch machen zu müssen, nicht davon abgesehen habe, noch vor Eintreffen der Polizei in sein Lokal zu gehen und auf diese Weise den Rockern den angedrohten Angriff auf seine Person erst zu ermöglichen.

Diesen Ausführungen kann nur im Ergebnis beigepflichtet werden, Es kommt im Streitfall nicht darauf an, zu der Auffassung des Berufsgericht Stellung zu nehmen, der Gebrauch der Schusswaffe gegen die angreifenden Rocker sei zwar aus der gegebenen Notwehrlage heraus gerechtfertigt gewesen, er müsse aber insoweit als rechtswidrig beurteilt werden, als es dadurch nicht nur zu einer - letztlich tödlichen - Verletzung des Anführers der Rocker, sondern auch zu einer - unstreitig ungewollten - Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit des Kläger gekommen sei.

Selbst wenn man - entgegen der wohl herrschenden Meinung - eine solche Spaltung der Rechtswidrigkeit verneinen wollte, änderte dies an dem Ergebnis nichts. Denn im Streitfall folgt die Verpflichtung des Beklagten, dem Kläger Schadensersatz zu leisten, aus der Wertung von dessen gesamtem Verhalten vor Eintritt der Notwehrlage. Die ihm zuzurechnende rechtswidrige und für die Verletzung des Kläger auch adäquatkausale Handlung liegt nämlich bereits darin, dass er noch vor dem Eintreffen der Polizei seine Diskothek entsprechend der tatrichterlichen Feststellung in bewusster Erkenntnis des Umstandes aufsuchte, dass sein Erscheinen die Auseinandersetzung mit der Rockerbande geradezu heraufbeschwören werde, und dass es dabei für ihn zu einer nur mit der mitgenommenen Waffe abzuwehrenden Notwehrlage kommen könne.

Entgegen der Auffassung der Revision sprechen rechtsgrundsätzliche Erwägungen nicht dagegen, im Streitfall eine Pflicht des Beklagten zu bejahen, die Diskothek nicht vor dem Erscheinen der von ihm bereits herbeigerufenen Polizei zu betreten. Es geht hierbei nicht um die Frage der Zumutung eines Zurückweichens vor einem gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff; ein solcher lag in der Zeit bis zum Eintreffen des Beklagten in seinem Lokal nicht vor. Vielmehr war dieser aus seiner Verpflichtung gegenüber seinen in der Diskothek anwesenden Gästen, die mit seinem Streit mit den Rockern nichts zu tun hatten, gehalten, einen tätlichen Zusammenstoß mit diesen zu vermeiden, wenn er - wie im Berufungsurteil von der Revision unangefochten festgestellt - damit rechnete, dass es im Verlaufe einer solchen Auseinandersetzung auch zu einer für ihn lebensbedrohenden und dann den Gebrauch der bewusst mitgeführten Pistole notwendig machenden Lage kommen könne. Auch der Kläger, zudem einer der mit dem Beklagten in vertraglichen Beziehungen stehenden Gäste, hatte daher Anspruch auf Vermeidung einer Situation, in der der Beklagten - wenn auch gegenüber den ihn angreifenden Rockern gerechtfertigt - zur Verteidigung seines Lebens zur Waffe greifen musste.

Dem kann der Beklagten nicht mit dem Hinweis begegnen, er habe die allein von den Rockern herbeigeführte Lage nicht provoziert. Darauf hat es jedenfalls dann nicht anzukommen, wenn es um die Pflichten geht, die diesen als Inhaber der Diskothek gegenüber seinen Gästen trafen. Deren Interesse an der Vermeidung von Gefahren, die von einem Raufhandel zwischen Wirt und Rockern auszugehen pflegen, hatten sich seine Eigeninteressen unterzuordnen, falls es sich nicht um die Sorge für seine eigene Sicherheit und Unversehrtheit handelte. Man muss dem Beklagten aus der Gesamtsituation freilich zugestehen, dass es ihm als Mitinhaber der Diskothek nötig erscheinen durfte, sich in dieser aufzuhalten, wenn die Anwesenheit der Rocker eine allgemeine Gefahrenlage nicht nur für die Ausstattung des Lokals, sondern möglicherweise auch für die körperliche Unversehrtheit von Angestellten und Gästen begründete; dann aber war von ihm zu verlangen, dass er sich dabei nicht den Rockern zeigte, sondern sich, jedenfalls zunächst, in einem Nebenraum aufhielt. Dass die Hindernisse entgegengestanden hätten, ist nicht ersichtlich.

Bei richtiger Beurteilung der Umstände muss auch das Betreten des Lokals durch den Beklagten als adäquat ursächlich für die Verletzung des Klägers gewertet werden. Das Verhalten der Rockerbande war deutlich dahin gerichtet, gegen den Beklagten als einen der Mitinhaber der Diskothek tätlich vorzugehen, wie sie diesen schon angedroht hatten. Es war daher damit zu rechnen, dass sie mit ihrem Vorhaben begannen, sobald er auftauchte; dass sie schon vorher gegen andere Personen gewalttätig geworden waren, ist nicht festgestellt und wird von der Revision auch nicht geltend gemacht. Daraus aber ergab sich dann als nahe liegende Folge, dass der Gebrauch einer Schusswaffe die Gefahr der - wenn auch ungewollten - Verletzung eines der anwesenden Gäste mit sich brachte, weil die Möglichkeit nahe lag, dass ein im Zuge der tätlichen Auseinandersetzung abgegebener Schuss wie im Streitfall nicht nur den Angreifer traf.

Letztlich kann auch kein Zweifel darüber bestehen, dass der Beklagten in der Lage war, bei Beachtung der ihm obliegenden Sorgfalt den schließlich eingetretenen und den Kläger schädigenden Erfolg vorauszusehen, so dass er i. S. von § 276 BGB für dessen Verletzung verantwortlich ist und aus § 823 BGB Schadenersatz zu leisten hat. Das hat das Berufsgericht - wenn auch in seinen Überlegungen von einem anderen Ausgangspunkt ableitend - zutreffend ausgeführt. Zu dieser Bejahung fährlässigen und demnach schuldhaften Verhaltens führen bereits die Überlegungen, wie sie vorstehend zur Frage der Kausalität angestellt wurden. Die Möglichkeit der Verletzung eines der anwesenden Gäste lag entgegen der Meinung der Revision nicht fern, falls es zu dem vom Beklagten selbst als wahrscheinlich angenommenen Schusswechsel mit den Rockern kam. Im Verlaufe einer tätlichen Auseinandersetzung, insbesondere auch aus einer Notwehrlage heraus abgegebene Pistolenschüsse sind in der Regel nicht sicher gezielt und stellen schon deshalb in einem voll besetzten Lokal eine erhebliche Gefährdung für alle Gäste dar.

Hat somit der Beklagten wegen unerlaubter Handlung für den dem Kläger entstandenen Schaden einzustehen und auch für immaterielle Einbußen eine Entschädigung zu leisten, so kommt es nicht mehr darauf an, ob dem Kläger, wie das Landgericht gemeint hat, auch aus einer analogen Anwendung von § 904 BGB ein Anspruch zustehen könnte.