Dringende Gründe

Dringende Gründe liegen vor, wenn die Aufstellung eines Bebauungsplans zum gegenwärtigen Zeitpunkt i.S. von §1 Abs.3 erforderlich ist und die Aufstellung des Flächennutzungsplans nicht abgewartet werden kann, insbesondere um erhebliche Nachteile für die Entwicklung der Gemeinde zu vermeiden oder um die Verwirklichung eines im dringenden öffentlichen Interesse liegenden Vorhabens zu ermöglichen. Die Gründe für die Aufstellung eines Bebauungsplans zum gegenwärtigen Zeitpunkt können rechtlicher oder tatsächlicher Art sein. In Betracht kommen:

- die rechtliche Verpflichtung der Gemeinde durch spezielle Rechtsvorschriften zur alsbaldigen Aufstellung eines Bebauungsplans, z. B. in den Fällen des § 188.

Vertragliche Verpflichtungen der Gemeinde zur alsbaldigen Aufstellung eines Bebauungsplans reichen nicht aus. Solche Verträge sind im Übrigen wegen der damit verbundenen Verkürzung der Abwägung häufig nichtig; die Pflicht der Gemeinde zur zügigen Durchführung von städtebaulichen Sanierungsmaßnahmen oder städtebaulichen Entwicklungsmaßnahmen. Zwar besteht - anders als nach § 10 StBauFG 1971 - seit 1984 keine direkte Pflicht zur Aufstellung eines Bebauungsplans mehr. Dennoch ist die Gemeinde gehalten, die Sanierung zügig durchzuführen. Hieraus kann sich die Pflicht zur alsbaldigen Aufstellung eines gegebenenfalls vorzeitigen Bebauungsplans ergeben;

- die Umsetzung von Zielen der Raumordnung und Landesplanung;

- die städtebaulich notwendige Begleitung und Einbindung von laufenden Fachplanungen;

- ein akuter Bedarf an Bauland z. B. zur Deckung eines dringenden Wohnbedarfs oder für gewerbliche oder sonstige Zwecke.

Dies ist der Fall, wenn geeignete Grundstücke weder in festgesetzten Baugebieten noch innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile in ausreichendem Umfange zur Verfügung stehen und die Bautätigkeit in der Gemeinde praktisch lahmgelegt würde;

- der Ausgleich eines akuten Defizits an Gemeinbedarfs- und Folgeeinrichtungen in der Gemeinde oder in Baugebieten; die Sicherung vorhandener bzw. die Schaffung neuer Arbeitsplätze im Falle einer einmaligen Gelegenheit zur Ansiedlung oder Erweiterung eines Gewerbebetriebes;

- die Sicherstellung einer geordneten städtebaulichen Entwicklung des Gemeindegebietes bei drohender Fehlentwicklung, insbesondere wenn §34 nicht ausreicht;

- die Abwendung drohender oder die Beseitigung bereits vorliegender städtebaulicher Missstände;

- die Verwirklichung einer im dringenden öffentlichen Interesse liegenden sonstigen Maßnahme;

- die Abwendung erheblicher Nachteile für die Gemeinde.

Der Nachweis eines schweren oder unvertretbaren Schadens für die Allgemeinheit ist nicht erforderlich. Die gemeindliche Neugliederung ist für sich genommen kein dringender Grund für die Aufstellung vorzeitiger Bebauungspläne. Flächennutzungspläne gelten in der Regel auch nach einer solchen Neugliederung fort, sofern Landesrecht nichts anderes vorschreibt. Die mit der gemeindlichen Neugliederung verbundenen Probleme werden sich in absehbarer Zeit in den östlichen Bundesländern stellen. Bis zur BBauG-Novelle 1976 war die Rechtslage bundesrechtlich nicht ausdrücklich normiert. Das BVerwG stellte darauf ab, ob im Einzelfall der Flächennutzungsplan seine Funktion verloren habe. In Niedersachsen hat der Gesetzgeber nach gründlicher Analyse der Planungssituation im Lande nur ca. 30% der früheren Gemeinden verfügten über Flächennutzungspläne, die in ihrer großen Mehrzahl mehr als 15 Jahre alt waren; in den neu gegliederten Gemeinden, die im Durchschnitt aus 10 alten Gemeinden hervorgegangen waren, gab es in der Regel nur 2 bis 3 Flächennutzungspläne von alten Gemeinden. Die totale Überplanung des neuen Gemeindegebiets mit Flächennutzungsplänen war der krasse Ausnahmefall) durch Gesetz vom 26.3.1974 alle Flächennutzungspläne alter Gemeinden aufgehoben. Im RdErl. vom 17.10.1974 wurde deshalb darauf hingewiesen, dass für eine Übergangszeit von zwei Jahren die Anwendung von §8 Abs. 2 Satz 3 BBauG 1960 zwingend geboten sei. Dieser - an sich selbstverständliche - Hinweis auf Möglichkeiten des Gesetzes ist von einigen Gemeinden dahingehend missverstanden worden, dass nunmehr auch ohne Nachweis dringender Gründe ein vorzeitiger Bebauungsplan aufgestellt werden könne. Einige Bebauungspläne sind deswegen vom OVG Lüneburg aufgehoben worden, wobei allerdings teilweise zu hohe Anforderungen gestellt wurden. Kann die Aufstellung des Flächennutzungsplans abgewartet werden, so sind in der Regel dringende Grande für einen vorzeitigen Bebauungsplan nicht gegeben. Es reicht daher nicht aus, dass das Gebiet, für das der Bebauungsplan vorgesehen ist, aufgrund der gegebenen Verhältnisse zur Bebauung ansteht; es ist vielmehr erforderlich, dass die beabsichtigten Festsetzungen bereits jetzt getroffen werden müssen. Eine Planung auf Vorrat ist nach §8 Abs. 4 Satz 1 nicht gerechtfertigt; ein solcher Fall liegt vor, wenn erst in mehreren Jahren mit einer Verwirklichung gerechnet werden kann. Auch die übliche Nachfrage nach Baugrundstücken reicht für die Aufstellung eines vorzeitigen Bebauungsplans nicht aus.